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Interpretationen

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15.04.2002
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Interpretationen

So, dann will ich hier mal etwas anregen.

Es gibt hier ja viele verschiedene Arten von Geschichten. Gemeint ist das in dem Sinne, dass bei einigen eigentlich nur die Rechtschreibfehler anzumeckern sind, bei anderen kann man sprachliche Verbesserungsvorschläge machen und bei einem kleinen Teil wird ja oft vorschlagen, die Geschichte neu zu schreiben...

Was mir manchmal fehlt ist das, wovon ich seinerzeit im Deutsch-Unterricht immer eingeschlafen bin (wenn mein Deutschlehrer wüsste, dass ich Journalist geworden bin und jetzt in einem richtigen Buch bin... :D ): Interpretation. Was will uns der Autor damit sagen?

Gut, manchmal gar nichts, viele Geschichten dienen ja allein der Unterhaltung, wogegen ich auch nichts einzuwenden habe. Viele Definitionen der "klassischen Kurzgeschichte" implizieren aber eine Art hintergründige Aussage, die eben nicht wörtlich drin steht, sondern die "hinten rum" ins Gehirn einschlägt, was interessanterweise oft viel effektvoller zu sein scheint.

Ich möchte dazu aufrufen, zum einen bei Geschichten, wo es angemessen zu sein scheint, eine solche Interpretation zu versuchen, d.h. eine Vermutung zur Aussage des Autors zu äußern und deren Umsetzung in Worte zu diskutieren, und zum anderen, an dieser Stelle so eine Art alternativen Deutsch-Unterricht zu veranstalten, also über sprachliche Mittel, Metaphern und Alliterationen zu philosophieren - nur eben nicht zu Böll oder Kafka, sondern zu den Geschichten im Netz des 21. Jahrhunderts, jenen auf dieser Webseite eben.

Uwe

 

Gute Idee, Uwe. Reden wir über Interpretation.
Interpretation bedeutet ,Auslegung, Deutung'.
Nicht Rechtfertigung oder Korrektur.

Die klassische Kurzgeschichte soll anregen, soll den Interpretationsfreiraum schaffen und die Suche nach der hintergründigen Aussage zum Ziel haben.
Das ist auch meine Meinung.
Um jedoch zur Interpretation - oder den vielen Interpretationen, die vielleicht möglich sind - zu gelangen, muss der Text gelesen werden können. Wenn die Qualität des Geschriebenen stimmt, kann es gelesen werden, kann ein Verständnis dazu keimen und letztendlich die Interpretation gelingen.
Ob ein Text Qualität hat, bestimmt der Autor, der diesen verfasst. Der Autor bestimmt auch die Aussage, die er hinter den Text stellt, denn nur er kann darüber entscheiden. Qualität lesen bedeutet manchmal, mehrmals lesen müssen, um zu verstehen und nach diesem gewonnenen Verständnis interpretieren zu können.
Die Freiheit der Interpretation hat in jedem Fall der Leser. Der Autor liefert die Qualität seines Textes dazu.
Interpretation darf jedoch nicht mißverstanden werden.
Die künstlerische Freiheit gilt auch in der Literatur.
Ein Autor muss sich nicht in seitenlangen Frage- und Antwortspielen rechtfertigen. In konstruktiver Kritik liegt schon das erste Quentchen Interpretation. Das Gegenteil dazu ist Spekulation, nämlich die Korrektur durch den Leser. Das wäre dann ein falsch verstandener Interpretationsbegriff.
Die Rechtfertigung des Autors, der Autorin, ist nur dann einzuholen, wenn Unstimmigkeiten außerhalb des Textes bemerkt werden. Der Text selbst und die Aussage dahinter gehört dem Autor, die Interpretation all dessen dem reifen Leser.

Grüße - Aqua

 

Hi Aqua,

Interpretation darf jedoch nicht mißverstanden werden.
Die künstlerische Freiheit gilt auch in der Literatur.

Ebenso hat der Leser ein Recht auf die Äußerung seiner Meinung zu einer Aussage, die er vorzufinden glaubt. Diese Meinung kann von jener abweichen, die der Autor in der Geschichte vertritt. Ein objektives Urteil dürfte selten möglich sein. Es gibt jedoch Fälle, in denen die künstlerische Freiheit "genutzt" wird, um höchst zweifelhafte Aussagen zu verpacken. Oder: Die Aussage ist "platt", trivial, oberflächlich oder nicht zuende gedacht. Dann kann man sie zum Anlass für eine konstruktive Diskussion nehmen, und in dem Moment ist die Geschichte nicht mehr Gegenstand dieser Diskussion, sondern eine von ihr losgelöste Aussage.

Nehmen wir doch mal ein virtuelles Beispiel aus der SF. Menschen erobern einen Planeten und unterjochen die primitiven Ureinwohner, lassen sich gar anbeten. Dann werden sie (die Invasoren) von einem fremdartigen Virus dahingerafft. Die darin kaum versteckte Aussage lautet "Arroganz gehört bestraft". Das hat vielleicht vor 100 Jahren die Leute vom Hocker gerissen (obwohl ich es bezweifle). Wie setzt man sich mit solchen Sachen auseinander?

In einem konkreten Fall stecke ich nämlich gerade in einer solchen Diskussion, die die Geschichte
Der Tag als Gott kam betrifft. Da gibt es nämlich einen auffälligen Dissens bezüglich der Qualität der Aussage der Geschichte.

Uwe

 

Ich find's cool, wenn Leute meine Texte interpretieren. Das ist mir hier auf kg.de erst einmal bei meiner Geschichte "Warten" passiert. Herrlich. Teilweise kann man sich dann auch fragen, wie die alle auf sowas kommen. Was die Menschen in bestimmte Dinge reininterpretieren, an die man selbst nie gedacht hat. Die aber doch angemessen erscheinen. Das finde ich schön - und halte es für ein Qualitätsmerkmal.

 

Hallo,

ich schließe mich der Meinung von Mario an, es ist interessant, wie die Geschichten hier wirken, denn hier sind die Profi's auch am Lesen.

Und im Internet, dort sind die Leser - die es fühlen möchten, was wir hier versuchen zu schreiben.

Der Leser reagiert jedoch ganz anders auf meine Geschichten, als die Personen hier im Forum.

Vom Leser habe ich keine negative Kritik bisher erhalten, die mir aufzeigt, meinen Stil zu ändern.

Und hier? Ich sehe hier sehr viele Einträge mit Kritik
doch wenn man sich diese immer zu Herzen nehmen würde, hätten wir alle den ähnlichen Stil und das wäre doch langweilig.

Letztendlich verkauft sich die Geschichte nur über den Leser - und über die Masse der Leser, oder?

Wünsche Euch allen viel Erfolg und vergißt nie
weiter Eurem Ziel entgegen zu gehen und den Traum
der Euch dazu bewogen hat zu schreiben. Denn das ist
das aller wichtigste, meiner Meinung nach. :-)

Chiara

 

Vom Leser habe ich keine negative Kritik bisher erhalten, die mir aufzeigt, meinen Stil zu ändern.

Das ist normal. Die meisten Leser konsumieren eine Geschichte und finden sie maximal gut oder schlecht, viele können das nicht einmal differenziert beurteilen und wollen und müssen das auch nicht. Hier auf kg.de haben sich aber Leute versammelt, die eine Geschichte bis ins Kleinste zerlegen und nach Verbesserungspotanzial suchen. Das ist nicht das Verhalten eines Durchschnittslesers, daher bedeutet eine ausbleibende Kritik eines Lesers keineswegs, dass eine Geschichte perfekt ist. Sondern, dass man sie einem anderen Leser, z.B. hier auf der Website, vorlegen sollte, wenn man wirklich wissen will, wie "gut" die Geschichte ist.

Und hier? Ich sehe hier sehr viele Einträge mit Kritik
doch wenn man sich diese immer zu Herzen nehmen würde, hätten wir alle den ähnlichen Stil und das wäre doch langweilig.

Klares Nein! Nie zielt hier eine Kritik auf irgendeine Art von stilistischer Gleichschaltung ab. Wenn man mal davon absieht, dass jeder Autor die Deutsche Sprache richtig benutzen sollte ;) Wenn Gleichschaltung bedeutet, keine Rechtschreibfehler und keine Holpersätze mehr zu haben, ja warum nicht?

Ich würde eher sagen: Wenn die Autoren die berechtigte Kritik an Sprache und Grammatik beherzigen würden, müsste man irgendwann nicht mehr über Kleinigkeiten wie Kommasetzung diskutieren, sondern könnte zum Inhalt und Erzählstil der Geschichte kommen - was das genaue Gegenteil von langweilig ist!

Andersherum gesagt: Wer auf der Suche nach Lesern ist, die nur konsumieren und applaudieren, ist auf kg.de und vielleicht im ganzen Internet falsch. Ich kenne jedenfalls kaum Leute, die ihren Browser öffnen, wenn sie eine gute Geschichte lesen wollen. Eher gehen sie zu ihrem Bücherschrank. In dem hoffentlich "17 Kurze" steht :D

Uwe

 

Hallo,

interessante Einstellung zu diesem Thema. Da denke ich bestimmt darüber nach. Ich finde es immer wieder schön, wenn man einen Impuls setzt, was dann für eine Kommunikation stattfindet. Einfach faszinierend.

Kurzgeschichten.de - ist mir wirklich sehr wichtig, die Meinung der anderen interessiert mich,sonst wäre ich nicht hier.

Aber in einem stimme ich nicht mit dir überein :-)
es gibt soviele Menschen, die das ebook bereits nutzen und somit sich alles vom Netz ziehen, vielleicht auch die 17 Kurze. :-)

freue mich, daß ich hier, wie gesagt die Profi's gefunden habe, oder sie mich??? :-)

Sucht man die Muscheln oder finden
sie dich?

auf bald
Chiara

 

Hehe, mein Thread. Sitze gerade in einem HS über Sinn und Unsinn von Interpretationen, werde Euch also gelegentlich mit meinen neuen Erkenntnissen überhäufen! :D

Lieben Gruß

chaosqueen :queen:

 

Chiara: "17 Kurze" findet man bisher wohl nicht im Netz. Und ich drucke längere Texte immer aus, da ich das Lesen am Bildschirm, trotz flackerfreien LCD-Monitors, sehr anstrengend finde.

Gruß

chaosqueen :queen:

 

Hi Uwe und Aqualung,

eine solche Interpretation zu versuchen, d.h. eine Vermutung zur Aussage des Autors

Der Autor bestimmt auch die Aussage, die er hinter den Text stellt

Da muss ich mal wiedersprechen. Klar denkt sich der Autor wahrscheinlich etwas, während er einen Text verfasst, aber kann ein Leser die Aussage des Autoren wirklich 100%ig ergreifen (wenn man den Autor zB, nicht wie hier, zum Text befragen kann), oder ist die Intention des Autors mehr wert als die Interpretation des Lesers wenn diese sich nicht mit der Autorenintention deckt? Eher ist es doch so, dass die Aussage wirklich erst in der Interpretation des Lesers entsteht, also oft auch nicht viel mit den Gedanken des Autoren zu tun hat, so wie Mario beschreibt. Andere Leute sehen im gleichen Text anderes, weshalb ja auch nicht jeder der gleichen Text gut findet.
In der Literatur gibt es ja drei Aspekte, Autor, Text und Leser, und in der Literaturwissenschaftlichen Geschichte gibt es drei Phasen die sich mit diesen Aspekten decken. Im 19. Jahrhundert, mit der Entstehung der Literaturwissenschaft, bezog man sich nur auf den Autor, und man versuchte zu verstehen, was denn die echte Intention des Autoren war. Also forschte man ganz philologisch so viel wie möglich über den Autoren und sein Leben nach, und versuchte, möglichst den originalen und unveränderten Text zu finden. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen dann die Strukturalisten, und bezogen sich alleine auf den Text. Wenn man den Text interpretieren soll, meinten sie, kann man sich auch nur an das halten was auch wirklich da geschrieben steht - alles andere ist sonst reine Spekulation. Seit den 70ern und der postmoderne befasst man sich mit dem Leser, zB sagen Feministinnen ja, dass Frauen einen Text anders auffassen als Männer, etc. d.h. man hat sich von der Idee verabschiedet, dass im Text eine "Wahrheit" steckt, die man finden kann, wenn man nur richtig an die Sache herangeht.

Hmm, ja, also was ich sagen will, mit anderen Worten: Das Forum ist das Ideale postmoderne Interpretationswerkzeug, da man gleich alle verschiedenen Sichtweisen nebeneinander präsentiert bekommt. Wichtig ist dabei nur, dass auch wirklich kommunikation stattfindet. Deshalb, wie Uwe schon sagte: Interpretiert mehr!

 

Aus dem von Dir (richtigerweise) genannten Aspekt ergibt sich aber auch eine Gefahr: Wenn die Erzählabsicht des Autors diffus ist, kann es passieren, dass der Leser das genaue Gegenteil der Absicht des Autors hinein interpretiert. In diesem Fall kann man darüber streiten, ob das ein literarisch wertvoller Effekt ist oder eher ärgerlich für den Autor, da seine "Message" nun einmal nicht angekommen ist, bzw. falsch - möglicherweise durch seine eigene Schuld.

Ein weiterer Fall, der bei kg.de relativ häufig zu sein scheint (jedenfalls soweit es die Geschichten betrifft, die ich so lese), ist, dass Geschichten fast beliebige Interpretation zulassen, oder aufgrund ihres seltsamen Inhalts den Schluss nahe legen, dass eine tiefere Erzählabsicht vorhanden ist, diese aber hinter den absurden Sätzen unauffindbar bleiben. Was, wenn kein Leser kapiert, was der Autor will? Was, wenn der Autor dann entgegnet: Ist doch toll, dann kannst Du Dir denken was Du willst! Klar kann der Leser denken was er will, aber dafür hätte er die Geschichte nicht lesen müssen.

Uwe

 

Geschrieben von I3en
Da muss ich mal wiedersprechen. Klar denkt sich der Autor wahrscheinlich etwas, während er einen Text verfasst, aber kann ein Leser die Aussage des Autoren wirklich 100%ig ergreifen oder ist die Intention des Autors mehr wert als die Interpretation des Lesers wenn diese sich nicht mit der Autorenintention deckt?
Eher ist es doch so, dass die Aussage wirklich erst in der Interpretation des Lesers entsteht.

Na endlich sagt das mal hier einer, ich dachte schon, ich waere damit allein. Der "Barde" will mir das auch nicht glauben...

In der Literatur gibt es ja drei Aspekte, Autor, Text und Leser, und in der Literaturwissenschaftlichen Geschichte gibt es drei Phasen die sich mit diesen Aspekten decken.

Es sind noch mehr als die drei. Zentral ist der Text, und dann gibt es noch Autor, Leser, Realitaet (bzw. worauf sich der Text bezieht), und, ganz wichtig, Sprache, bzw. alle anderen (Kon)Texte. (Wie wir einen Text verstehen, haengt massiv davon ab, welche anderen Texte wir zuvor gelesen haben. Diese Erkenntnis ist auch wichtig fuer das Konzept "Postmodernismus.")

Man kann das Wesen der Literatur, meine ich, nicht verstehen, wenn man sich nicht mit Sprache auseinandersetzt.

...Seit den 70ern und der postmoderne befasst man sich mit dem Leser, zB sagen Feministinnen ja, dass Frauen einen Text anders auffassen als Männer, etc

Du hast die Post-Strukturalisten vergessen, inlusive Jaques Derrida und die Dekonstruktion! Das waere in dieser Diskussion eine der zentralen Punkte:

Der franzoesische Philosph Jaques Derrida hat das Modell der Strukturalisten (das alle Zeichen, also auch Worte, ihre Bedeutung nur in einem System aus Abgrenzungen gegenueber allen anderen Zeichen gewinnen) konsequent weitergedacht und -entwickelt. Im wurde klar, dass jedes Zeichen, um als Zeichen funktionieren zu koennen, die Moeglichkeit, "falsch" verstanden zu werden, beinhaltet. Wir koennen Zeichen nur verstehen, weil wir sie auch missverstehen koennen.

In letzter Konsequenz kann kein Zeichen in sich etwas "meinen", bedeuten. Das heisst, Sprache (und so auch Kurzgeschichten) kann nicht in sich etwas positiv, zielsicher meinen, sondern die Bedeutung entsteht im Zusammenspiel aus Text, Kontext und Leser.

Der Autor hat dabei nicht mehr Autoritaet (welch Wortspiel! :D) als jeder andere Beteiligte.

Ich kann jedem, der sich fuer Literaturtheorie interessiert, nur empfehlen, sich mit Derrida auseinanderzusetzen.

Gruesse
K.

 

Geschrieben von Uwe Post
Aus dem von Dir (richtigerweise) genannten Aspekt ergibt sich aber auch eine Gefahr: Wenn die Erzählabsicht des Autors diffus ist, kann es passieren, dass der Leser das genaue Gegenteil der Absicht des Autors hinein interpretiert. In diesem Fall kann man darüber streiten, ob das ein literarisch wertvoller Effekt ist oder eher ärgerlich für den Autor, da seine "Message" nun einmal nicht angekommen ist, bzw. falsch - möglicherweise durch seine eigene Schuld.

Aergerlich hin oder her, es ist einfach so, dass der Autor, sobald er seine Geschichte niedergeschrieben (undveroeffentlicht) hat, keinerlei Kontrolle mehr darueber hat, was mit ihr passiert. Es gibt keine "Nachricht", die ankommen kann, da verschiedene Leute mit verschiedenen sozialen, geographischen, zeitlichen oder geschlechtlichen Hintergruenden zwangslaeufig etwas anderes in der Geschichte lesen. Das kannst Du als Autor nicht verhindern, so sehr Du Dich auch anstrengst. "Schuld" ist aber nie der Autor, sondern unsere Sprache und wie sie nunmal funktioniert. Wenn wir Dinge unzweideutig sagen koennten, haetten wir nicht unsere menschliche Sprache, sondern lediglich so etwas wie Tierlaute, die immer nur in Kombination mit festgelegten Dngen auftreten.

Ein weiterer Fall, der bei kg.de relativ häufig zu sein scheint (jedenfalls soweit es die Geschichten betrifft, die ich so lese), ist, dass Geschichten fast beliebige Interpretation zulassen, oder aufgrund ihres seltsamen Inhalts den Schluss nahe legen, dass eine tiefere Erzählabsicht vorhanden ist, diese aber hinter den absurden Sätzen unauffindbar bleiben. Was, wenn kein Leser kapiert, was der Autor will? Was, wenn der Autor dann entgegnet: Ist doch toll, dann kannst Du Dir denken was Du willst! Klar kann der Leser denken was er will, aber dafür hätte er die Geschichte nicht lesen müssen.

Ich weiss, worauf die abzielst, und kann nur zustimmen. Eine zu vage Geschichte ist kein wirkliches Leseerlebnis, weil man nichts hat, mit dem man sich auseinadersetzen kann.

Aber streng genommen: in keine Geschichte, sei sie noch so schlecht, kann man wirklich hinein interpretieren, "was man will".

In die Geschichte "Klein Anna gewann beim Preisauschreiben ein Pferd und fiel beim ersten Ausritt aus dem Sattel." kannst Du kaum eine Kritik an der Militaerstrategie der "nuklaeren Abschreckung" interpretieren.

Worte beeinflussen immer, was man denkt. Nur vielleicht manchmal zu wenig.

Fazit ist: weder der Leser, noch der Autor haben die Autoritate, festzulegen, worum es in einer geschichte geht, bzw. was diese "sagen will", sondern ihre Bedeutung wird im Zusammenspiel zwischen Autor, (Kon)Text, Sprache und Leser konstruiert.

Liebe Gruesse
K.

PS ich hoffe, ich klinge nicht zu oberlehrerhaft. :hmm:

 

Letztens, auf dem Oberhausener Kurzfilmfestival: Viele Filme waren nur auf einer sehr abstrakten Ebene zu verstehen. Nicht die Handlung auf der Leinwand vermittelte etwas (es gab keine), auch gab es keine Nachricht "zwischen den Zeilen". Sondern die Filme vermittelten eine Aussage allein durch ihre Struktur, durch ständige Wiederholungen, Mixturen, scheinbar sinnlose Aneinanderreihung von Bildern.

Ich denke, dass auch manche Autoren solche Geschichten schreiben. Wenn man aber gar nicht nach der abstrakten Ebene sucht, wird man keinerlei Sinn in solchen Geschichten finden.

Vielleicht kann der eine oder andere von euch Literaturwissenschaftlern mir dazu ein paar Hintergrundinfos oder Lesetipps geben?

Uwe

 

Geschrieben von Poncher
Ein Autor darf für sich nicht festlegen, was er mit seiner Geschichte dem Leser vermitteln will? :susp:

Natuerlich darf der Autor das, oder sagen wir: er kann es versuchen. Aber egal, was Du vermitteln willst, es wird nie 100% so ankommen, wie geplant.

Keine "Bedeutung" ist stabil. Hast Du noch nie die Erfahrung gemacht, dass Du eine eigene Geschichte mit etwas zeitlichem Abstand nochmal gelesen hast, und dann etwas anderes darin gelesen hast, als urspruenglich geplant?

Hast Du noch nie erlebt, dass sich eine von Dir einmal angefangene Geschichte mit der Zeit entwickelt, und Du am Ende etwas anderes, oder mehr, oder weniger, etc "reingepackt" hast, als Du urspruenglich wolltest?

Natuerlich kann ein Autor etwas vermitteln wollen, aber wenn ein Leser es nicht genau so "rafft", ist es nicht falsch, sondern ein normales, sprachliches Phaenomen.

[Ausserdem: ist es nicht manchmal auch interessant, oder in anderer Form positiv, wenn ein Leser in Deiner Geschichte etwas sieht, was Du Dir nicht gedacht hast?]

Viele Autoren sehen sich gerne als schaffende Genies, verstehe ich ja, aber das ist zum grossen Teil ein Mythos.

Glueck auf,
K.

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus!

Ich würde eher sagen: Wenn die Autoren die berechtigte Kritik an Sprache und Grammatik beherzigen würden, müsste man irgendwann nicht mehr über Kleinigkeiten wie Kommasetzung diskutieren, sondern könnte zum Inhalt und Erzählstil der Geschichte kommen - was das genaue Gegenteil von langweilig ist!

Ganz meine Meinung. Rechtschreibung, Zeichensetzung etc. sind Notwendigkeiten die helfen sollen einen Inhalt zu vermitteln. D.h. für mich, dass der Inhalt Vorrang hat. Und dementsprechend verstehe ich es nicht, wenn man sich ausschließlich auf Kritik an der Grammatik beschränken kann. Ich meine nicht, dass das nicht hilfreich ist! Ich bin jedem Menschen, der sich einer meiner Texte auf diese Weise annimmt dankbar bis zum Abwinken! Aber wenn man das einmal abgehakt hat, sollte man zu dem kommen was die Geschichte wirklich ausmacht. Das "Wie" und das "Was", also Stil und Inhalt.
Und Interpretationen sind für mich eine der schönsten Dinge an Literatur, weil sie das subjektivste überhaupt sind. Wer interessiert sich nicht dafür, wie die Leserinnen Geschriebenes auffassen, wie es rüberkommt, was die Gedanken, Assoziationen beim Lesen sind?

Wenn der Schreiberling das Werk vollendet hat, gehört es nicht mehr nur ihm. Er gibt den Leitfaden vor und die Leserinnen verleihen dem Geschriebenen Leben. Und da nun mal jeder Mensch andere Erfahrungen gesammelt hat, anders ist, eröffnen sich gleich ein ganzer Haufen neuer Sichtweisen.

Bei Interpretationen muss man, meiner Meinung nach, nur auf eines achten: Sich bewusst sein, dass man die Objektivität nicht mit dem Löffel gefressen hat. Jeder kann ein und den selben Text auffassen wie er will, jede Auffassung ist zu 100% richtig, da es keine Richtlinien gibt, einem niemand vorschreiben kann wie man zu denken hat.
Viele Lehrerinnen vergällen Schülerinnen den Deutschunterricht dadurch, dass sie glauben, nur die Interpretation des Dr.Dr.Sowieso zu einem wichtigen Werk der Literaturgeschichte wäre die richtige, die absolute Sichtweise. Und ihre eigene natürlich, die sie dann an jene des Sowiesos angleichen... (Ja, ich geh noch zur Schule, ich muss mich zur Zeit damit rumschlagen und rumärgern)

Ärgerlich ist es natürlich auch, wenn man sich zu sehr auf persönliche Erfahrungen bezieht. "Das ist mir auch passiert! Das erinnert mich an den Apfelstrudel meiner Oma... und außerdem... und überhaupt..."

Ich bin ja noch nicht lang auf dieser Seite aber was mir ein bisserl abgeht sind zb. Textvergleiche. Ich meine nicht unbedingt Weltliteratur, eher dass man die Texte einer bestimmten Autorin mit anderen, früher geschriebenen vergleicht. So lässt sich aufzeigen, in welchen Punkten sich der Schreiberling verbessert/verschlechtert/verändert/weiterentwickelt hat.

So. Das wärs fürs erste.

Liebe Grüße,
Liusaidh

 

Hallo,

bei der Formulierung der Rahmenbedingungen für den Kritikerkreis und im Forum Autorendiskussion (kryptische Texte) wurden schon ähnliche Fragestellungen aufgeworfen.

Ein ganz praktischer Grund, warum man einen Text hier im Forum nicht interpretiert scheint demnach der Frust zu sein, der entsteht, wenn man nach Interpretationsversuchen vom Autoren zu hören bekommt, dass es nichts zu interpretieren gibt.

Ein allgemeines Problem für Interpretationen sehe ich im Mangel eines Konsenses über Interpretationsgrundlagen.
Alles für das Erkennen der gewünschte Aussage des Autors benötigte sollte meiner Ansicht nach im Text stehen- es sei denn…
… der Autor bezieht sich auf allgemein bekannte Symbole oder Fakten.

Bei beiden Punkten gibt es natürlich einen Unsicherheitsbereich, je nach Erfahrung des Lesers (und natürlich auch Können des Autors).

Uwe drückt das treffend aus:
Zitat-
„also über sprachliche Mittel, Metaphern und Alliterationen zu philosophieren - nur eben nicht zu Böll oder Kafka, sondern zu den Geschichten im Netz des 21. Jahrhunderts, jenen auf dieser Webseite eben.“

Das würde ich mir als Leser und Autor auch wünschen, aber manchmal habe ich auch den Eindruck, dass da nur ein theoretischer Bedarf besteht. Stilistische `Kunstgriffe´, Anspielungen werden leider oft vernachlässigt.

Zitat, Uwe:

„Letztens, auf dem Oberhausener Kurzfilmfestival: Viele Filme waren nur auf einer sehr abstrakten Ebene zu verstehen. Nicht die Handlung auf der Leinwand vermittelte etwas (es gab keine), auch gab es keine Nachricht "zwischen den Zeilen". Sondern die Filme vermittelten eine Aussage allein durch ihre Struktur, durch ständige Wiederholungen, Mixturen, scheinbar sinnlose Aneinanderreihung von Bildern.

Ich denke, dass auch manche Autoren solche Geschichten schreiben. Wenn man aber gar nicht nach der abstrakten Ebene sucht, wird man keinerlei Sinn in solchen Geschichten finden.“

Leider trifft diese Aussage auch oft zu, mir kommt es so vor, als wenn diese Autoren sich vor Konkretem scheuen, sich dann z.B. unter dem Deckmantel `Experiment´ verstecken.


LG,

tschüß… Woltochinon

 

Hallo Uwe,

den letzten Absatz in deinem ersten Posting zu Beginn dieses Threads finde ich sehr interessant.
Es scheint mir, daß du davon ausgehst, daß sich jeder Autor tatsächlich ständig Gedanken darum macht, welche Stilmittel er nun einsetzen will.

Ich denke allerdings, daß die meisten Autoren viel besseres zu tun haben, als solchen Gedanken hinterherzuhängen. Nämlich: zu schreiben!
Aus dem Bauch heraus. Gefühlen freien Lauf lassen. Die Wünsche und Gedanken in die Freiheit entlassen. Kurz: sich anderen auf ihre eigene und vor allem ganz persönliche Weise mitzuteilen.
Vor allem so entstehen doch die unterschiedlichsten Stile und Ausdrucksweisen. Und nicht weil sich die Autoren abmühen eine bestimmte Metapher ... zu verwenden.

Trotzdem bin ich gespannt darauf zu lesen, warum welcher Autor in welcher Story... gerade dieses oder jenes Wortspiel benutzt hat.

Nur schade, daß ich nicht sehen kann wie er sich bei der Lektüre der Interpretation vor Lachen krümmt, sich ein neues Bier aufmacht, eine Zigarette dreht und dann die nächsten Gedanken zu Papier bringt :-)

Gruß
Faktotum

 

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