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Ausfahrt Bockel
›Lara´s Diner‹ leuchtete groß über dem Eingang. Lara´s in roter, Diner in blauer Neonröhre. Das sollte wohl die Nähe zu Amerika symbolisieren. Der Parkplatz war so groß, dass bestimmt fünfzig Trucks auf ihm stehen konnten. Aber nur ein leerer Sattelschlepper parkte verlassen in einem der aufgemalten Felder.
»Das ist nicht dein Ernst?« David sprach aus, was wir alle dachten. Heino saß auf der Rückbank des Citroën und starrte durch die fliegenverdreckte Scheibe. Ich stieg aus, um mir die Beine zu vertreten und eine zu rauchen. Von Luft holen konnte bei dieser Hitze keine Rede sein.
»Schaut es euch an!«, forderte Erich uns auf. »Ist es nicht großartig?«
»Wir suchen ein abgelegenes Gasthaus. Dieses hier steht direkt neben einer Aral-Tankstelle«, hielt David ihm vor und bei dem Wort Tankstelle fiel sein Blick vorwurfsvoll auf die Kippe in meiner Hand.
»Wie abgelegen willst du es noch?« wollte Erich wissen. »Schau dich doch mal um. Wenn das nicht abgelegen ist, dann heiße ich Erich.«
»Du heißt Erich«, stellte Heino fest. »Hast du mein Drehbuch eigentlich gelesen?«
Erich ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Was interessierte ihn das Drehbuch. Er war für die Location zuständig. Und in dieser Funktion hatte er diesen Ort ausgesucht. »Hier ist nichts«, fuhr er fort, »nach Feierabend sind hier die Schotten dicht und die Bürgersteige oben. Was siehst du hier denn außer dieser Spedition oder leer stehenden Fabrikgebäuden und Lagerhallen? Bei dem McDonald dort hinten drehen die Babylonier nach acht Uhr bestimmt Däumchen und bereiten sich schon mal auf den Fragebogen zu ›Hartz Vier‹ vor. Hier ist es so abgelegen, dass du Gruselfilme drehen kannst.« Wenn Erich erst einmal in Fahrt war, konnte ihn keiner bremsen.
»Halt die Klappe, Erich!«, fuhr David ihm deshalb über den Mund. »Wir wollen einen Gruselfilm drehen. Aber das ist es nicht, was wir brauchen. Also lasst uns wieder fahren.« Er nahm wieder auf dem Beifahrersitz Platz und tippte nervös mit den Fingern an die noch offene Wagentür. »Hast du bald aufgeraucht?« Sein Blick war giftiger als das Nikotin. Warum sind entwöhnte Raucher nur immer so penetrant? Schlimm genug, dass ich in meinem eigenen Auto nicht rauchen durfte, aber dann konnte er mich wenigstens in Ruhe rauchen lassen, wenn wir mal anhielten.
»Ich will noch ´nen Kaffee, wo wir schon mal hier sind«, giftete ich zurück. »Also beweg dich aus dem Wagen und komm mit rein!«
Schon nur, um David eins auszuwischen, hätte ich mich für diesen Drehort begeistern können. Und in einem Punkt hatte Erich absolut Recht: es war ein abgelegenes Kaff. Was mich aber vor allem dazu veranlasste, unbedingt noch in das Gebäude gehen zu wollen, war der junge Typ, der dort gelangweilt hinter der Theke stand. Er allein wäre Grund genug gewesen, den Drehort gründlichst auszudiskutieren.
»Okay«, murrte David. »Schauen wir uns den Laden von innen an.« Heino holte einen Rucksack aus dem Kofferraum, der vermuten ließ, wir wollten hier übernachten. Erich trottete hinter uns her in das ›American Bistro‹, wie es in kleinen Buchstaben unter den farbigen Neonleuchten stand, und schien zu warten, bis wir ihm wieder die Erlaubnis zum Reden erteilten.
»Ich fasse es nicht«, wiederholte Heino, wann immer er sich hier umschaute, kopfschüttelnd wie ein altes Weib. Ich dachte an eine dieser Puppen mit einem Schlüssel im Rücken. Aber er konnte sich unglücklicherweise selbst immer wieder aufziehen. Und ärgerlicherweise kam nicht der Typ zu uns an den Tisch, sondern seine Kollegin. Sie warf uns vier Karten auf den Tisch und fragte, ob wir schon was trinken wollten.
Wir bestellten Kaffee, ich zündete mir eine Zigarette an und dankte dem Gott der Rasthöfe, dass der Amerikanismus hier nicht schon soweit Einzug gehalten hatte, dass es nur Nichtraucherplätze gab, wie etwa einen Kilometer weiter bei dem gelben M.
»Ich fasse es nicht«, stieß Heino noch immer regelmäßig aus. Erst als Erich ihn leichtsinnigerweise fragte, was er denn nicht fasste, war es, als ob er den Tonarm eines Plattenspielers eine Rille weitergesetzt hatte. »Mit diesem Drehort zerstörst du meine ganze Story«, schimpfte er und sah dabei über den Rand der Speisekarte zu Erich. Kein noch so großer Ärger könnte ihm den Appetit verderben. »Es muss ein romantischer Gasthof sein, einer der an einsamen Landstraßen steht und üblicherweise ›Unter den Linden‹, ›Friedenseiche‹ oder ›Rotbuche‹ heißt, weil außer dem Baum nichts dort in der Nähe ist. Dort treffen sich Jan und Barbara und geraten in die Fänge der bösen Fledermaussekte, bevor ihre Liebe zueinander sie befreit. Du hast meine ganze Story nicht verstanden. Ich fasse es nicht«, schloss er seine Vortrag ab. Offensichtlich hatte der Schlüssel in seinem Rücken noch eine Umdrehung. Ein kurzer, eingeschnappter Blick traf Erich, dann fragte sich Heino, wie wohl der Chickenburger mit Ananas, Belegkirschen und Röstzwiebeln schmeckte und klappte die Karte zu.
Ich sah auch über den Rand der Karte, starrte aber mehr auf den jungen Mann, der mit runden Bewegungen und ausgestrecktem Hintern den Kaffee aus dem ›Multi-Coffee-Shaker‹ zapfte, wie ein kühles Bier aus dem Fass. Der Kerl sah einfach geil aus. Ich steh auf so behaarte südländische Typen.
»Deine ganze Geschichte spielt innerhalb des Gasthofs«, antwortete Erich. Er wollte gerade zu einer längeren Widerrede ansetzen, da kam die Tresenschlampe wieder zu uns und fragte, ob wir auch was essen wollten. David verneinte missmutig. Er hatte kein Wort mehr gesagt, seit wir hier saßen. Erich bestellte sich eine Pizza mit Würstchen und roten Bohnen, Heino seinen Burger und ich einen italienischen Salat, was auch immer der in einem Gasthaus mit amerikanischem Namen zu suchen hatte. Vielleicht konnte ich ja den Jungen an der Bar damit beeindrucken und einen Fick in der Toilettenkabine bekommen. Was macht so ein Süßer in einer Fernfahrerbar?
»Ist es nicht völlig unwichtig«, nahm Erich den Faden wieder auf, »wie das Gasthaus nun heißt, wenn man es eh nicht von außen sieht?« Er lehnte sich in dem zufriedenen Gefühl zurück, das schlagende Argument gebracht zu haben und wartete auf sein Essen. Aber da kannte er Heino schlecht.
»Es geht um die Atmosphäre« dozierte der. »Die Stimmung von draußen ist drinnen spürbar.«
Mein Junge am Tresen hatte endlich den letzten Kaffee gezapft, verteilte dänische Buttercookies auf den Untertassen und legte portionierte Dosenmilch an den Rand. Er kam zu uns und beugte sich fast über mich, um die Becher auf den Tisch zu stellen. Schon, dass er noch einmal so am Tisch stehen würde, war ein Grund, noch ein Mineralwasser zu bestellen.
»Die Atmosphäre«, betonte Heino noch einmal, schüttete sich mindestens vier Löffel Zucker in den Kaffee, bewegte den Kopf hin und her und wiederholte: »Ich fasse es nicht.«
Ich schaute dem Jungen nach, der, das Tablett keck unter den Arm geklemmt, zurück zum Tresen ging, und so entzückend mit dem Hintern wackelte, dass man ein Streichholz daran hätte anzünden können.
»Ihr wisst aber schon noch, wer der Regisseur ist«, warf David patzig in die Diskussion und giftete Erich an: »Gib endlich zu, dass du Scheiße gebaut hast. Wir sind sechshundert Kilometer zu einer Autobahnausfahrt namens Bockel gefahren, nur um Scheiße zu sehen.« Wie alle Künstler liebte David dieses Wort.
»Wenn der Ort hier Scheiße ist, dann heiße ich Erich«, sagte Erich. Wir alle verzichteten darauf, ihn auf seinen Namen aufmerksam zu machen.
»Wenn ich ›einsamer Gasthof‹ sage, dann meine ich ›einsamer Gasthof‹.« Davids Stimme wurde bedrohlich lauter, während Heino ihn kopfschüttelnd unterstützte. »Ein einsamer Gasthof bedeutet rotweißkarierte Vorhänge an den Fenstern, Eckbänke mit schlicht geblümten Polstern, Tische aus dunkler Eiche, messingglänzender Bierhahn und eine Musikbox in der Ecke, in der du für fünfzig Cent Wolfgang Petry unter der Nummer C 11 wählen kannst.«
Der Junge am Tresen teilte lässig eine Scheibe Zitrone, warf sie auf drei Eiswürfel und goss das Ganze mit gezapftem Wasser auf, als bereitete er einen Cocktail zu. Hier wurde alles gezapft und solange dieser Traumtyp das tat, sollte es mir recht sein.
»Das ist ein abgelegener Gasthof der Postmoderne«, wehrte sich Erich. »Jan und Barbara sind Kraftfahrer unter dem Joch von Fahrtenschreiber und beschissener Kilometerpauschale. Sie treffen sich in Lara´s Diner, weil sie ihre Pausenzeiten einhalten müssen und weil sie am Sonntag nicht fahren dürfen und nichts zu tun haben. Bunte und grelle Lichter blenden sie, aus den Fernsehgeräten in jeder Ecke dröhnt MTV und erzählt in lyrischer Prosa über den Beschiss des Lebens. Das ganze Dorf leidet unter der ›Fledermaussekte‹, einer terroristischen Jugendgang, die sich die Hoffnungslosigkeit angesichts der Industrieruinen von der Seele säuft. Niemand versteht die Sekte, bis auf Jan und Barbara. Durch die Liebe zueinander bringen sie Hoffnung in die Herzen der Fledermäuse.«
»Du heißt Erich«, kommentierte David knapp und ich erhob mich in dem Moment, als mir der hübsche Bengel das Wasser und den Salat auf den Tisch stellte. Ich musste dringend zum Klo.
»Wo bleibt euer gesellschaftlicher Anspruch«, hörte ich Erich schon von weitem fragen, als ich zurückkam, »wo eure visionäre Kraft?« Dabei kaute er auf seiner Pizza mit Würstchen und roten Bohnen.
»Es geht um Romantik, nicht um Gesellschaft«, jammerte Heino. »Ich fasse es nicht«.
»Wir machen Kino«, fügte David hinzu. »Da geht es ums ganz große Gefühl. Um Liebe, um Sehnsucht, flackernde Kaminfeuer und Ängste. Da geht es um Superhelden und Zeitensprünge, um Parallelwelten und magische Ringe. Das sind visionäre Themen. Und dann kommst du mir mit Jugendarbeitslosigkeit und Subventionsbetrug.« Er tippte sich mit der Hand an die Stirn. »Du heißt eindeutig Erich«.
Heino atmete spürbar auf. Offensichtlich hatte er den Schlüssel nicht mehr gedreht. Ab und zu schüttelte er den Kopf. »Ich …«, entfuhr es ihm noch. Aber bevor der Rest des Satzes folgen konnte, biss er in seinen Chickenburger mit Ananas, Belegkirschen und Röstzwiebeln und schluckte seine Fassungslosigkeit mit hinunter.
Die Frau kam ein weiteres Mal an den Tisch, fragte, ob alles in Ordnung wäre und ob wir noch etwas trinken wollten. Ich nahm noch einen Kaffee, der Rest von uns verzichtete und verlangte schon mal die Rechnung. Wir hatten noch sechshundert Kilometer Fahrt vor uns.
»Was meinst du denn dazu? Du hast dich ja noch gar nicht geäußert.« David sah mich an, als ob ich dazu wirklich etwas zu sagen hätte.
»Ich bin nur der Chauffeur«, antwortete ich, steckte mir noch eine Zigarette in den Mund. Im Auto würde ich ja wieder ewig nicht rauchen dürfen.
»Hab dich nicht so. Du hast doch den Ort gesehen, du weißt, worum es in dem Film geht, du wirst doch wohl eine Meinung haben«, ermunterte er mich.
Der junge Italiener fragte, wer den Kaffee bekäme und stellte ihn vor mir auf den Tisch, bevor er mit wackelnden Hüften wieder verschwand.
»Der Typ ist geil.« Ich zeigte mit dem Kopf in die Richtung des Jungen und grinste David an. Erich mampfte seine Pizza, Heino wischte sich mit der Serviette die Reste von Hühnchen aus dem Mundwinkeln.
»Endlich mal ein handfestes und ehrliches Argument«, freute sich David, zückte das Handy und rief die Produktion an.
»Ey der Drehort ist gebongt!«, brüllte er ins Telefon. »Geile Location hier. Absoluter Neoromantizismus. Ein abgelegener Gasthof der Postmoderne …«