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Kirchenschatten

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09.06.2017
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Kirchenschatten

Teil 1

Freitag
Es ist nach fünf, und ich sitze immer noch im Büro. Ich verfasse Broschüren über chirurgisches Material und beantworte wissenschaftliche Anfragen von Ärzten. Neulich habe ich Tante Hella gegenüber das Wort Hotline verwendet. Seitdem ist sie alarmiert. Ich warte nur noch darauf, dass sie mich fragt, ob das was mit Telefonsex zu tun hätte. Dabei heißt es wissenschaftliche Hotline. Meine Kolleginnen Jessica und Sabrina schneiden hinter der Glasscheibe Grimassen. Alle wissen, dass ich immer noch Single bin.

Marco vom Außendienst meldet sich zum dritten Mal bei mir. Wieder geht es um die MT-36-2L Produktspezifikation.
„Du hast eben eine sexy Telefonstimme“, seufzt Sabrina.
„Also bitte“, sage ich und denke wieder an Tante Hella.
Marco gehört zu der Sorte Männer, die mir Angst machen. Beim letzten Meeting hat er sich viel zu dicht neben mich gesetzt. Mich obenrum gestreift, immer wieder wie zufällig angefasst. Mit so einer Selbstverständlichkeit, dass ich mich frage, wo nimmt er die eigentlich her? Ich könnte weinen, wenn ich daran denke.

„Jana, kommst du nachher mit ins Excelsior?“ Jessica steht mit ihrer überdimensionalen Glitzertasche in meiner Tür.
Ich winke ab. „Geht nicht. Hab' schon Tickets für die Konzertreihe in der St. Anna-Kirche.“
„Du willst Freitagabend in die Kirche? Ist das wieder deine Uraltmusik?“
„Es heißt alte Musik, nicht Uraltmusik“, stelle ich klar. „Genauer gesagt geht es um iberische Madrigale und die Melancholie eines John Dowland.“
Jessica verdreht die Augen.

Wochenende. Ich stürme aus dem Büro und verpasse um Haaresbreite die Straßenbahn. In letzter Minute betrete ich das feuchte Halbdunkel der St. Anna-Kirche und sehe ein Meer aus grauen Haaren. Könnte ebenso gut ein Seniorentreffen sein. Es riecht nach Weihrauch, Moder und Kerzenwachs. Während ich noch auf dem Weg zu meinem Platz in der dritten Reihe bin, wird die Beleuchtung heruntergedimmt. Atemlos lasse ich mich nieder. Vorne leuchten Scheinwerfer auf. Das Ensemble Vlaamse Consort betritt unter Applaus die Bühne. Von rechts weht ein herber Duft in meine Nase. Quitte und etwas Maskulines, das ich nicht näher definieren kann. Ich linse rüber.
Neben mir sitzt ein Mann.
Überraschung, er ist nur ein paar Jahre älter als ich, so genau kann ich das nicht erkennen. Er trägt Jeans und einen beigen Strickpullover. Seine Augen sind geschlossen, so wie ich das auch oft in Konzerten mache. Aber nicht heute, denn die historischen Brokatgewänder der Flamen sind eine Augenweide. Anscheinend sind Männer dagegen immun.
„Gefallen Ihnen die Kostüme nicht?“, wispere ich in den Zwischenapplaus hinein nach rechts und kann selbst nicht glauben, dass ich mich das traue.
Er verzieht den Mund.

Hinter mir hustet jemand. Die Arie geht schon gefühlte zwei Minuten, und ich habe noch keinen einzigen Takt davon ohne Geröchel gehört. Mein Nebenmann dreht sich nach hinten und hält der Störquelle ein Hustenbonbon hin. Ein Papierchen wird ausgewickelt. Noch zwei Trompetenstöße aus den Tiefen einer gequälten Lunge. Dann ist Ruhe. Endlich.
Alt und Sopran verschmelzen mit dem silbernen Klang der Laute. Dazu erklingt sonor und keck die Trommel. Ich nehme mir vor, in der Pause ein Programmheft zu erstehen.

Am Ende des ersten Teils rufe ich laut Bravo. Die Flamen sind grandios, und dieses Methusalempublikum hier ist so lahm. Ich muss das ausgleichen. Zur Pause erhebt sich ein Großteil der Zuhörer und drängt forsch nach draußen. Ich überlege, ob ich an meinem Platz bleibe.

Mein Nebenmann macht auch keine Anstalten, aufzustehen. Er hat die Augen immer noch geschlossen. Vielleicht ist er müde.
„Hat es Ihnen gefallen?“, sagt er unvermittelt. Seine Stimme klingt tief und samtig. Die Plätze um uns herum sind verwaist.
„Was hätte ich Ihrer Meinung nach noch rufen sollen?“, erwidere ich, vielleicht ein wenig zu spitz.
„Die Altstimme ist so kraftvoll und unglaublich beweglich. Finden Sie nicht auch?“
„Er oder sie?“, frage ich, denn es gibt zwei Altisten in diesem Ensemble. Ein Mann und eine Frau.
Er zögert. „Der Alt aus der letzten Arie“, sagt er schließlich.
Das ist die rotblonde Sängerin, die in ihrer schwarzen Brokatkombination mit grünen Stickereien (Tunika und Schal) wie eine Göttin aussieht. An mir würde so etwas nach nichts aussehen. Wenn ich mich morgens ausstrecke, bin ich mit etwas gutem Willen 1,62 m klein. Okay, 1,55 m.

„Darf ich mal hineinschauen?“, frage ich und zeige auf sein Programmheft.
„Klar. Nur zu.“
Ich beuge mich über die Übersetzungen der Liedtexte und unterdrücke ein Lachen, als ich zur letzten Arie gelange. Sie ist deftig, fast vulgär. Nicht zu fassen.
„Was ist? Warum lachen Sie?“, erkundigt er sich.
Der Gong lässt uns beide zusammenfahren. Wir nehmen die Knie zur Seite, um die Konzertbesucher reinzulassen. Ich nervös, weil die in allerletzter Minute ankommen müssen. Mein Nachbar mit dem Anflug eines Lächelns.
Ich zeige stumm mit dem Zeigefinger auf den Text im Programmheft. Er schaut nicht hin.

Samstag
Heute komme ich schon zwanzig Minuten vor Konzertbeginn und erwerbe am Eingang ein Programmheft. Er ist wieder da.

Diesmal trägt er einen weißen Pulli. Eine kleine Begrüßung erscheint mir angemessen. „Hallo, Herr Nachbar“, sage ich.
Seine Miene hellt sich auf. „Ah. Hallo. So früh heute.“ Noch bevor ich richtig sitze, hält er mir sein Programmheft unter die Nase. „Möchten Sie mal reinschauen?“
Ich schüttele den Kopf. Irgendetwas kratzt in den Tiefen meines Halses. Ich beginne, mit dezentem Hüsteln in meinem eigenen Heftchen zu blättern, und entdecke das eingeschobene Blatt. Orgel statt Barockensemble. Ach Mensch. Ich mag keine Programmänderungen. Mein Hals brennt so dermaßen, das bringt mich um. Ich huste das jetzt ab.

Mein Nachbar hält mir etwas entgegen. „Hier. Eukalyptus für Ihren Hals.“
„Danke.“ Ich wickele das Bonbon aus dem Papierchen und stecke es brav in den Mund.
„Ist ziemlich scharf“, höre ich ihn noch sagen.
Dann geht es los mit dem Inferno in meinem Rachen. Ich überlege, ob es helfen könnte, jetzt die Atmung einzustellen. Andererseits. Sauerstoff ist auch etwas Schönes. Als die Orgel mit allen Registern einsetzt, fährt mein Nebenmann zusammen. Ich habe nichts gegen Orgelmusik, nur dass ich heute auf Flöte und Harfe eingestellt war. Ein Hauch von herber Quitte weht zu mir. Ich weiß immer noch nicht, ob ich ihm für dieses mörderische Bonbon, das er mir gegeben hat, dankbar sein soll.

Die heilige Jungfrau lächelt in golddurchwirktes Blau gehüllt vom Glasfenster herab. Die Musik ist zäh wie ein missratenes Baiser. Meinem Hals geht es besser, und während des Applauses am Ende des ersten Teils neige ich mich nach rechts. „Danke übrigens für das Eukalyptusbonbon.“
„Aber gerne doch, Frau Nachbarin. Und wie gefällt es Ihnen heute?“
„Na ja. Auf die Programmänderung hätte ich verzichten können.“
„Geht mir genauso ... Spielen Sie selbst ein Instrument?“
„CD-Player“, erwidere ich. „Aber ich nehme an, das zählt nicht. Und Sie?“
Er schmunzelt. „CD-Player spiele ich auch. Und außerdem Klavier. Aber nur für den Hausgebrauch.“
„Hausgebrauch. Aha. Und was braucht Ihr Haus? Klassik?“
„Hm, nein, mein Haus braucht Jazz.“
„Und das spielen Sie alles ohne Noten und so?“
„Genau. Aber wie gesagt, nichts Besonderes.“
Ich bin nicht sicher, ob ich ihm das „nichts Besonderes“ abnehme. Was daran liegen könnte, dass ich eine geheime Bewunderung für Jazzer hege. Und dafür, wie er das Wort Jazz ausspricht, so sanft und leicht gedehnt.

„Und was machen Sie sonst so? Ich meine, wenn Sie nicht Klavier spielen“, will ich wissen.
„Fremden Frauen in der Kirche Hustenbonbons zustecken?“, bietet er an.
Ich betrachte ihn zum ersten Mal genauer, schätze ihn auf Anfang, Mitte dreißig. Ein mokantes Lächeln umspielt seine Lippen. Er hat einen Dreitagebart und Lachfältchen um die Augen, und das steht ihm verdammt gut. Im Verlauf unseres heutigen Gespräches hat er die Augen geöffnet, aber er schaut immer an mir vorbei, und ich fange an, mir Sorgen zu machen. Ich sehe drei Möglichkeiten:
Erstens: Er findet mein Äußeres so unerträglich, dass er mich nicht ansieht, um sich nicht übergeben zu müssen.
Zweitens: Er hält mich für kreuzlangweilig und schlägt die Zeit damit tot, die bunten Glasfenster der St. Anna-Kirche zu betrachten.
Drittens: Er hat einen gewaltigen Knick in der Optik.

Ein paar Konzertgäste nutzen die Gelegenheit, um in der Pause das Weite zu suchen.
„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragt er.
„Alle nennen mich Jana“, antworte ich. „Und Sie?“
„Jana … schöner Name. Ich heiße Lukas.“
In der Reihe vor uns setzt sich jemand schwungvoll auf seinen Platz. Unsere Programmhefte segeln von der Ablage und schlittern weit nach rechts ins Niemandsland. Lukas beugt sich nach unten und tastet mit der Hand über meine Schuhe.
Ganz sanft.

Ich nehme meine Füße zur Seite, und die Orgel setzt ein. Lukas richtet sich wieder auf. Im zweiten Teil wird es lyrisch. Gehauchte Orgeltupfer schweben wie silberne Schmetterlinge durch die St. Anna-Kirche. Etwas Harziges, Würziges steht in der Luft. Ich bin Lukas dankbar, weil sein Bonbon meine gereizte Kehle in Schach hält, und schließe die Augen. Es gibt keinerlei Zwischenapplaus.
Vielleicht hat Lukas Recht, und es lohnt sich nicht mehr, unsere Programmhefte vom Boden aufzuheben. Aber als der Schlussapplaus beginnt, wendet sich Lukas mir zu und sagt: „Jana, wären Sie so freundlich und würden mir helfen, mein Programmheft wiederzufinden? Es ist … Ich kann schlecht sehen.“
„Es liegt einen halben Meter weiter nach rechts. Von Ihnen aus gut zu erreichen“, antworte ich mechanisch. Ich sehe ihm zu, wie er sich nach unten beugt und wie ein Blinder den Boden entlangtastet. „Weiter rechts“, sage ich. „Bringen Sie mein Heft auch gleich mit. Es liegt direkt daneben.“
Er kommt zurück und hält es mir hin. Wir sagen beide gleichzeitig: „Danke.“
Mir liegen mehrere Fragen auf der Zunge. Keine von ihnen ist politisch korrekt. Zum Beispiel: Wenn Sie schlecht sehen können, warum tragen Sie dann keine Brille? Ich gebe mir gleich selbst die Antwort: Es gibt Sehprobleme, die sich nicht mit Gläsern lösen lassen. Nächste Frage: Was wollen Sie mit einem Programmheft, wenn Sie es nicht lesen können? Auf diese Frage habe ich keine Antwort.
„Haben Sie Lust, noch irgendwo ein Glas mit mir zu trinken? Gestern haben Sie von den Kostümen gesprochen …“, unterbricht Lukas meine Gedanken. Er sagt es leise.
Dieses Stechen hinter meinem Bauchnabel, wann hat das angefangen?
Dass ich nicht genau weiß, was mit seinen Augen los ist ... Ich meine, kann er überhaupt irgendetwas sehen?
„Wie fanden Sie es heute? Der zweite Teil war deutlich besser als der erste, oder?“, presse ich hervor.
Der Applaus geht zu Ende, und die Kirche leert sich. Lukas sagt nichts mehr.
„Ja dann. Schönen Abend“, murmele ich und gehe. Am Ausgang drehe ich mich noch einmal um. Lukas sitzt regungslos in der Kirchenbank.

Sonntag
Zum letzten Konzert komme ich abermals rechtzeitig. Heute steht ein Mittelalterensemble namens Música Antigua auf dem Programm. Am Getränkestand neben dem Eingang stürze ich einen eiskalten Sekt hinunter. Acht Minuten vor Beginn nehme ich meinen Platz ein. Ich blättere im Programmheft vor, zurück und wieder vor. Überfliege flüchtig die brillanten Fotos und die launigen Texte.
Lukas ist nicht da.
Könnte es sein, er hat kein Ticket für dieses Konzert?
Ich bin enttäuscht und erleichtert zugleich. Enttäuscht deshalb, weil ich im Falle einer Hustenattacke hilflos sein werde. Ich habe vorhin nicht daran gedacht, ein Bonbon einzustecken.
Erleichtert, weil … keine Ahnung.

Plötzlich sehe ich ihn. Er steht praktisch neben mir, am Eingang zu unserer Bankreihe. Ein Mann flüstert ihm etwas ins Ohr. Lukas schiebt sich an mir vorbei - ohne mir auf die Füße zu treten - und findet seinen Platz. „Jana. Schön, dass Sie da sind.“
„Hallo, Lukas“, bringe ich heraus. Gefolgt von einem herzhaften Schluckauf. Ich möchte vor Scham in der Kirchenbank versinken.
Sein Mundwinkel zuckt, dann wendet er sich von mir ab, so dass ich sein Gesicht nicht mehr sehen kann. Ein weiterer Hickser durchfährt mich. Es war eine Scheißidee, den eiskalten Sekt auf ex zu trinken. Ich versuche ab jetzt, den Mund geschlossen zu halten, damit es nicht so laut nachhallt.
Es wird dunkel, und das Spektakel beginnt. Sopran und Bariton wetteifern mit Schellentrommel und Drehleier. Es gibt viel Spontanapplaus. Ich versuche, meinen Schluckauf damit zu synchronisieren.
Lukas neigt sich zu mir, und unsere Ellenbogen berühren sich. „Halten Sie die Luft an.“
„Wie bitte?“
„Das hilft gegen den Schluckauf. Luft anhalten.“
Ich befolge seinen Rat und höre auf zu atmen. Lukas sieht gut gelaunt aus. Vermutlich amüsiert er sich insgeheim königlich über den Tsunami in meinem Zwerchfell. Ab und zu berührt sein Strickpulli meinen Arm. Sein Stoff fühlt sich weich an.

Die Spanier tragen Kostüme in rotbraunen Farbschattierungen mit schillernden Kupfereinsprengseln. „Was genau sehen Sie?“, frage ich in die nächste Applaussalve hinein. „Können Sie es beschreiben?“
Die Musik geht weiter, ohne dass er meine Frage beantwortet hat. In der Pause bleiben wir wie immer auf unseren Plätzen.
„Extrem unscharf in der Mitte. Und dieses Halbdunkel hier ist fatal“, sagt er. „Darf ich fragen, wie alt Sie sind, Jana?“
„Raten Sie einfach mal.“
Er zögert.
Ich denke an Tante Hella und bin gespannt, wie alt er meine Stimme schätzt.
„Hm, Sie klingen wie … Ende zwanzig?“
Damit liegt er richtig.
„Ist das ein Nicken? Also, Sie müssen schon mit mir reden.“
„Ja“, sage ich. „Achtundzwanzig.“
Es wird wieder dunkel. Eine Art Till Eulenspiegel betritt das Szenario und schlägt die Felltrommel.
Ich sehe abwechselnd nach vorne und zu Lukas. Seine Lippen bewegen sich stumm. Die spanischen Spielleute tanzen vor dem Altar. Fidel und Drehleier erklingen und dazu dieser Sopran, der bis zum Deckengewölbe der St. Anna-Kirche emporsteigt. Der Schlussapplaus ist ohrenbetäubend. Wir springen von den Sitzen. Ich höre auf, die Zugaben zu zählen.
Schließlich wird es etwas heller. Lukas dreht sich zu mir. „Nebenan ist ein Café. Wie sieht es aus, Jana? Kommen Sie mit? Ich schreibe an einem Zeitungsartikel über diese Konzertreihe und …“
Geht das schon wieder los. Ich bin zu fünfzig Prozent unentschlossen. Oder soll ich nur ganz kurz mitgehen? Meine Ohren sirren. Wir stehen gleichzeitig auf und verlassen die Bankreihe. Hicks, mein Schluckauf kehrt zurück. Lukas betastet meine Brust. Dann macht er einen Schritt nach hinten, prallt mit dem Rücken gegen die Kirchenbank. In meinem Unterleib zieht sich irgendetwas zusammen. Panik steigt wie eine weiße Wand vor mir auf. Ich dränge mich durch die Menschenmenge und ergreife grußlos die Flucht.

Dienstag
Ich stehe morgens am Kiosk und blättere durch die Zeitungen, um seinen Bericht über die Konzertreihe zu suchen. Nichts. Vielleicht hat Lukas gelogen. Oder es war schon in der Montagsausgabe.
In der Mittagspause recherchiere ich im Internet über Sehstörungen, die zu dem passen, was er mir beschrieben hat: Extrem unscharf in der Mitte. Und dieses Halbdunkel hier ist fatal. Ich finde heraus, dass Lukas sich bei guter Beleuchtung im Raum orientieren und mit einer Lupe lesen kann.
Am Abend bin ich frustriert, dass die Konzertserie in der St. Anna-Kirche vorbei ist. Reichlich spät reift in mir die Vermutung, dass Lukas nur ein paar optische Eindrücke von mir abfragen wollte. Bühnenbild, Kostüme und so. Ich habe einen seltsamen Geschmack im Mund und gehe früh zu Bett.

Mittwoch
Um nicht aufzufallen, gehe ich heute morgen zu einem anderen Kiosk. Ich finde eine Konzertkritik. Darunter steht als Autorenkürzel „lmz“. Ich kaufe die Zeitung. Laut Website der Redaktion steht „lmz“ für Lukas Menz. Als ich seinen Artikel lese, geht die Sonne in meinem Bauch auf. Beim Vlaamse Consort vom Freitag hebt Lukas zu Recht ihren Sinn für Rhythmus hervor und die beiden Altisten. Bei den temperamentvollen Spaniern vom Sonntag beschreibt er liebevoll und im Detail den Klang jedes ihrer Instrumente. Die erste Hälfte vom Samstagskonzert lässt er unerwähnt. Ich schneide den Artikel aus und vernichte den Rest der Zeitung.

Donnerstag
Heute ist Feiertag, und ich habe frei. Auf der Website der Zeitung finde ich seine E-Mail-Adresse. Ich lese seinen Artikel noch einmal durch. Dann schreibe ich ihm:
Betreff: Konzertreihe in der St. Anna-Kirche.
Hallo Lukas!
Ihre (deine?) Rezension war schön zu lesen.
Gruß, Jana.

Montag
Morgens um halb zehn erhalte ich eine E-Mail von „lmz“:
Betreff: Re: Konzertreihe in der St. Anna-Kirche.
Hallo Jana,
freut mich, dass dir mein Artikel gefallen hat.
Gruß, Lukas.

Eine Stunde später kommt die nächste E-Mail von ihm:
Betreff: Entschuldigung.
Jana, es war dunkel, und ich habe deine Körpergröße falsch eingeschätzt.
LG, Lukas.

Ich lehne mich zurück und lächle.

Teil 2

Montag
10:32 h
An: lmz
Betreff: Re: Entschuldigung.
angenommen!
Gruß, Janaleinklein
P.S. Wann erscheint deine nächste Konzertkritik?

10:55 h
An: jana89
Betreff: Konzertkritik
Hallo Jana,
so klein bist du nicht. Ich nenne dich weiter Jana.
Konzertkritik ist keine geplant.
In die Oper schicken sie mich nicht mehr. Seltsam.
Gruß, Lukas

11:21 h
An: lmz
Betreff: Re: Konzertkritik
Hallo Lukas,
das ist schade. Mich nervt nämlich, dass sie in den Opernkritiken über Bühnenbild und Kostüme schwafeln. Und im letzten Absatz: Ach ja, gesungen wurde auch. Viel zu wenige musikalische Details bringen sie, wenn du mich fragst!
Ich weiß immer noch nicht, was du machst, wenn du keine Hustenbonbons verteilst oder Konzertkritiken schreibst.
Gruß, Jana

21:07 h
An: jana89
Betreff: Was ich so mache …
Hallo Jana,
am Samstagmittag habe ich in der Stadt zu tun.
Danach setze ich mich ins Café an der St. Anna-Kirche. So gegen zwei.
Manchmal geschehen Zufälle, man trifft Leute wieder …
Gute Nacht, Lukas

Samstag
„Jana, ernsthaft. Nimm die hier.“ Sabrina hält mir die weiße Bluse hin. „Das ist ein Date und keine Beerdigung.“
„Du weißt, warum ich nur dunkle Oberteile trage.“
„Dann lass sie dir doch verkleinern.“
Ich schüttele den Kopf und schließe den Kleiderschrank. „Außerdem ist es kein Date.“

An der Wohnungstür pralle ich fast mit Frau Simoni zusammen.
„Gott sei Dank sind Sie da“, flüstert sie. "Meine Tochter geht nicht ans Telefon. Sir Henry ..."
„Was ist mit Sir Henry?“
„Der Doktor hat ihn heute …“ Sie hält sich am Türrahmen fest, aus ihrem Gesicht ist die Farbe gewichen. Wir gehen in ihre Wohnung.
Frau Simoni erzählt mir die Geschichte, wie ihr Zwergpudel eingeschläfert wurde, insgesamt dreimal. Ich mache ihr ein Butterbrot und sehe zu, wie sie in sich zusammengesunken auf ihrem geblümten Sofa sitzt und es verspeist. Mein Blick fällt auf das Holzkreuz an der Wand.
"Sir Henry ist jetzt von seinen Schmerzen erlöst", sage ich.
Frau Simonis Augen werden größer. "Denken Sie, er ist jetzt bei unserem Herrn Jesus?"
"Warum nicht?", sage ich, und noch während ich es ausspreche, wird es mir zur Gewissheit. "Ja, ich denke, Sir Henry ist jetzt bei unserem Herrn Jesus."
So unauffällig wie möglich sehe ich zur Uhr.
„Gehen Sie ruhig, Fräulein“, sagt sie. "Ich lege mich jetzt hin."
Ich versuche ein letztes Mal, die Tochter zu erreichen. Sie geht nicht ran.

Die Sonne bricht durch die Wolken. Draußen vorm Café sind alle Tische belegt. Der Springbrunnen plätschert und die Kirchturmuhr schlägt halb vier. Es sticht hinter meiner Stirn, während ich umhergehe und alles absuche. Lukas ist nicht da.

Ich betrete das Café. Zwei rothaarige Mädchen am Tisch in der Mitte baumeln unentwegt mit den Beinen. Ganz hinten in der Ecke neben der Vitrine sehe ich ihn sitzen. Er erinnert mich kaum noch an den Mann, der in der St. Anna-Kirche meinen Husten und meinen Schluckauf betreut hat. Sein Dreitagebart ist verschwunden. Er hat etwas Verletzliches an sich, wie er schräg vornübergebeugt über dem Tablet-PC hängt, mit seiner Brille, deren gelben Gläser die Augen auch von den Seiten umschließen.
Langsam schlängele ich mich zwischen den Tischen hindurch. Ein paar Schritte entfernt von ihm bleibe ich stehen. Er bemerkt mich nicht. Ich kann mich immer noch umdrehen und gehen.

Am Tisch in der Mitte schreit ein Mädchen und fegt eine Glaskaraffe klirrend zu Boden. Der Kellner und die Mutter brüllen sich an. Lukas hebt den Kopf.
„Hallo, Herr Nachbar.“
„Jana. Das ist aber schön!“ Er springt vom Stuhl auf. "Ich dachte schon, du kämst nicht mehr.“
„Bin rein zufällig hier“, murmele ich.
„Geben wir uns die Hand?“
„Klar“, sage ich und nehme seine Rechte. Wir setzen uns und bestellen Kaffee.

„Also, Frau Simoni, meine Nachbarin ... Ihr Hund ist heute gestorben.“
Lukas verstaut seinen Tablet-PC im Rucksack, fixiert mich aus dem Augenwinkel und sagt nichts.
"Deshalb bin ich so spät. Ich konnte sie nicht allein lassen. Nicht dass du denkst, ich wollte bei dir die Coole spielen.“
„Hm", macht er. „Wenn du wüsstest, wie ich mich geschämt habe, am letzten Sonntag.“
„Und ich hab dich stehengelassen. Das war nicht nett.“
Über sein Gesicht huscht ein Lächeln. „Du hättest mir auch eine knallen können.“

Der Kellner bringt unseren Kaffee. Lukas entleert den Inhalt eines Zuckersticks in seine Tasse, während er wie beiläufig an ihr vorbeisieht. „Du hast noch gar nichts zu meiner Brille gesagt.“
„Kannst du damit besser sehen?“
„Sagen wir, sie verstärkt die Kontraste und es blendet weniger.“
„Klingt doch gut.“
„Meine kleine Schwester meint, ich sähe damit aus wie ein Alien.“
„Da hat sie Recht“, erwidere ich.
Die Familie verlässt das Café. Das Sirren der Kühlvitrine wird intensiver. Wir sind mit unserem Kaffee fertig und rufen die Bedienung.
„Zusammen oder getrennt?“, will sie wissen.
„Getrennt“, antworte ich.
Lukas verzieht keine Miene.

„Wir könnten spazieren gehen, unten am Fluss.“
„Das mit dem Alien, hast du das ernstgemeint?“
„Ja sicher“, sage ich. „So eitel bist du doch nicht.“
Er stutzt, fährt sich mit der Hand übers Kinn.
Der Ventilator über uns wird langsamer und beginnt zu schnarren.
„Dann los. Lass uns zum Fluss gehen“, sagt er ruhig und schultert seinen Rucksack. Und jetzt - endlich - erinnert er mich wieder an den Lukas aus der St. Anna-Kirche.

„Wie machen wir das?“, frage ich.
„Geh du vor, und ich geh dir hinterher.“
Ich manövriere mich durch das Tischlabyrinth zum Ausgang und warte, bis Lukas wieder bei mir ist.
Um zum Fluss zu kommen, müssen wir den langgezogenen Platz vor der St. Anna-Kirche überqueren. Es gibt ein Kinderkarussell und einen Eisstand. Skater lungern auf der Halfpipe rum.
„Wir kommen schneller vorwärts, wenn ich deinen Arm nehme“, sagt Lukas.
Ich fasse seine Hand und platziere sie oberhalb meines Ellenbogens. Wir laufen dicht nebeneinander. Er riecht wieder nach herber Quitte.

Unten am Fluss, auf der breiten Uferpromenade scheint die Sonne durch die Kronen der Platanen. Blaue Holzboote schaukeln auf den Wellen. Fliegen umschwirren einen bärtigen Angler, der am Steg sitzt. Meine Haare wehen mir ständig ins Gesicht, es war keine gute Idee, den Zopf aufzumachen. Es sind wenige Spaziergänger unterwegs. Lukas lässt meinen Arm los und augenblicklich spüre ich den Wind an der Stelle, an der mich seine Hand wärmte. Ab hier geht unser Weg geradeaus.
„Schöne blonde Haare hast du", sagt er.
Den meisten Menschen fällt als erstes etwas anderes an mir auf.

„Deine kleine Schwester, wie alt ist die?“, frage ich.
„Dreiundzwanzig. Manchmal gehe ich mit Sonja am Ufer laufen. Frühmorgens, wenn es nicht so voll ist. Sie fährt Fahrrad und hält das Seil.“
„Wenn du möchtest, kann ich das auch mal übernehmen“, stottere ich.
„Fährst du gerne Fahrrad?“
„Ja, aber nur mit Stützrädern.“
Er gibt mir einen Klaps auf den Arm, und ich bin überrascht über seine Treffsicherheit.
„Beim Lauftraining auf mich aufzupassen, ist Arbeit, glaub mir. Lass uns lieber Tandem fahren. Dann hast du auch etwas davon.“
„Auf jeden Fall“, erwidere ich. „Ich übernehme das Lenken, und du trittst in die Pedale.“
Diesmal weiche ich seiner Hand rechtzeitig aus.

Bleigraue Wolken ziehen auf. Ich bin dabei, mir in den Stoffschuhen die Ferse wund zu scheuern.
„Wollen wir uns auf eine Bank setzen?“, fragt Lukas, so als könnte er meine Gedanken lesen.
„Oh ja“, seufze ich.
Wir schauen zum Fluss. Er hat die Ärmel seines Strickpullis hochgeschoben, und ich betrachte die goldenen Härchen auf seinen Armen.
"Das war gemein, dass du meine E-Mail nicht beantwortet hast. Weißt du das eigentlich?"
"Ich könnte sagen, dass ich mit meinem Notebook nicht ins Internet komme."
"Aber?"
"Aber, ehrlich gesagt, habe ich das Problem erst seit heute Mittag."
Lukas schüttelt lächelnd den Kopf.

Es fängt an zu nieseln. Wir stehen auf und gehen die Uferpromenade zurück.
"Kommst du klar mit deinem Notebook oder soll ich es mir ansehen?", fragt er.
In meinem Bauch kribbelt es wie Brausepulver. Ich versuche es mir vorzustellen: Lukas in meiner Wohnung. Der Regen wird intensiver. Wir erreichen die Steintreppe und er nimmt wieder meinen Arm.
"Ich würd mich freuen, wenn du nach meinem Notebook schaust. Bis zu mir sind es nur ein paar Stationen mit der Straßenbahn."
Durch den Regenvorhang, der sich vom Haltestellendach ergießt, sind wir vom Rest der Welt abgeschnitten. Tausende Tröpfchen glitzern auf Lukas´ Haaren und seiner blauen Jacke. Schließlich halte ich es nicht mehr aus und lehne meinen Kopf an seinen Arm. Beinahe wäre ich mit ihm in die falsche Tram eingestiegen.

In meiner Wohnung führe ich Lukas zum Schreibtisch und fahre mein Notebook hoch. Er erklärt mir, wie ich Schriftgröße und Farbschema für ihn anpasse. Dann hängt er sich vor den Monitor und kopiert Dateien. Im Gegensatz zu mir arbeitet er hauptsächlich mit Tastaturbefehlen. Und das verdammt schnell.
"Sag mal, bist du Journalist oder Computerspezialist?"
"Ich sattle um auf Klavierlehrer", brummt er.
"Aber Konzertkritiken schreibst du weiter?"
"Ich hör auf."
"Schade. Warum denn?"
"Weil ich nicht darauf warten werde, bis sie die Geduld mit mir verlieren."
Er lehnt sich zurück. "Dein Internetzugang geht wieder."

Ich räume meine Kleidung vom Fußboden, und wir gehen rüber zum roten Sofa. Ich versuche, gleichmäßig weiterzuatmen, während ich Lukas betrachte, sein strubbeliges Haar, die hohen Wangenknochen. Seine Rechte tastet nach mir, ich umfasse sie sanft mit beiden Händen. Schweigend erwidert er die Geste.
"Verrätst du mir jetzt, warum du nicht auf meine E-Mail geantwortet hast?"
"Nein", erwidere ich kokett.
"Schade. Dann muss ich wohl raten. Mal sehn, du ..."
"Ich hatte Angst", unterbreche ich ihn.
"Angst? Vor mir?"
"Ich wollte nichts versprechen."
"Verstehe." Lukas lässt meine Hände los. "Angst davor, dich einzulassen auf jemanden wie mich."
"Warst du schon mal mit einer Frau zusammen?"
Er wendet sein Gesicht ab und sagt nichts mehr.
"Möchtest du etwas trinken?"
"Ja, ich hatte eine längere Beziehung. Liegt schon eine Weile zurück."
Lukas streckt mir seine geöffnete Hand wieder entgegen und zögernd lege ich meine hinein.
"Du musst mir nichts versprechen, und du musst auch keine Angst haben", sagt er sanft.
Ich rücke näher und lehne meinen Kopf an seine Schulter.

„Was muss ich tun, für einen Kuss von dir?“
„Deine Brille abnehmen.“
Er legt sie auf den Tisch. „Mehr nicht?“
„Mehr nicht.“
Zögernd streckt er mir seine Hände entgegen, damit ich sie an meine Wangen führe. Er beugt sich zu mir. Ich schließe die Augen und spüre seine Lippen auf meinen. Seine Zunge taumelt, erforscht ganz sacht. In mir explodiert eine Blütenwolke. Es durchrieselt mich.
Als ich meine Augen wieder öffne, sehe ich, dass seine smaragdgrün sind. Ich könnte darin ertrinken. Andächtig streichelt er mein Gesicht und fährt mit den Fingern an meinen langen Haaren entlang, immer weiter nach unten. Spätestens jetzt dürfte er meine Oberweite, für die ich mich so schäme, bemerkt haben.
Er hält inne. "Wenn dir das zu viel wird, dann sag es, ja?"
Was soll ich sagen, ich bin wie eine Verdurstende in der Wüste.
"Bitte, mach weiter", bringe ich atemlos hervor und lasse mich nach hinten in die Kissen sinken.
Meine schmerzhaften Erinnerungen an ordinäre Kommentare - sie entfernen sich ins Unendliche, zählen auf einmal nicht mehr.
Nur einer zählt. Lukas.
Er berührt mein Dekolleté und tastet über die Kante meines BHs. Behutsam fährt er mit seinen Händen an meiner Brust entlang, verweilt an der empfindlichsten Stelle. Ich atme scharf ein.
Seine Fingerkuppen liebkosen meine runde Fülle. Mein Atem geht schneller. Ich werde feucht. Das Zentrum meines Unterleibs zieht sich zusammen, süß und unerträglich. Und dann bin ich draußen, auf den Wellen, im silberglitzernden Meer. Mein schwereloser Körper pulsiert - ich bin mit ihm versöhnt.
Bin stolz. Mit einem Mal ganz Frau.
Ich liege keuchend in Lukas´ Armen, und was mich am meisten überrascht: Es ist mir nicht peinlich, kein bisschen. Er legt den Kopf schief und betrachtet mich mit einem stillen Lächeln auf den Lippen.

Die Take-Five-Melodie reißt mich raus. Lukas fischt sein Smartphone aus dem Rucksack.
"Hm, kein Problem. Kann ich machen."
Er nennt meine Adresse und beendet das Gespräch. "Sonja holt mich in einer Viertelstunde ab."
Ich knöpfe meine Bluse zu.
"Ich komm mit runter."
"Quatsch. Das geht schon."
"Ich muss. Um diese Zeit ist die Haustür abgeschlossen", lüge ich und nehme den Schlüsselbund vom Brett. Die schwache Lampe im Treppenhaus flackert. Lukas schiebt meine Hand beiseite und tastet nach dem Geländer. Ich schlüpfe an ihm vorbei, um einen Stapel Werbeprospekte und den Buggy von Heinemanns aus dem Weg zu räumen. Unten angekommen drehe ich den Schlüssel sinnlos im Schloss.
"Ist doch offen", bemerkt Lukas.
Sonja kommt um die Ecke. Sie hat rotes Haar, ist fast so groß wie er und wippt mit dem Fuß.
"Was machst du morgen Nachmittag?", frage ich ihn.
"Ab drei hab ich Zeit. Bachstraße 21."
"Kann ich vorbeikommen?"
"Klar."
Sonja schiebt ihn zur Beifahrertür.
"Hallo", sage ich mit belegter Stimme, während ich den grau gepflasterten Bürgersteig betrachte. Sie ignoriert mich und fährt mit Lukas davon.

Sonntag
Nach der heiligen Messe trinke ich einen Eckes Edelkirsch bei Frau Simoni. Dann gehe ich noch einmal los und kaufe in der Notdienstapotheke eine Packung Kondome.

Die Bachstraße 21 ist ein efeubewachsener Altbau mit Messingzaun und verwildertem Vorgarten.
"Es ist die Souterrainwohnung. Der Eingang ist auf der Rückseite", sagt Lukas durch die Sprechanlage.
Als ich ankomme, steht er schon in der Tür. Er beugt sich zu mir runter, und wir umarmen uns lange. Mit schnellen Schritten führt er mich durch den Flur. In seinem Wohnzimmer fällt mir als erstes das Klavier auf, dann das hohe Regal mit den Hörbüchern.
"Spielst du mir etwas vor?"
"Ich hab was komponiert", sagt er ernst. "Nur für dich."

Langsam kullern Samttöne heran, tänzeln, tun wie unbeholfen. Dazwischen glitzern Perlen. Lukas spielt mit konzentrierter Miene, seine Finger fliegen über die Tasten. Lässige Dissonanzen schleichen sich ein und rhythmische Verschiebungen. Irrlichter in Moll geistern umher, und gerade als mein Herz sich verkrampfen will, werden die Linien wieder klarer, gleite ich dahin in einem Sog aus tausend Sonnen. Zum Ziel. Stille. Ich applaudiere. Lukas deutet eine Verbeugung an und kommt zu mir, um mich in seine Arme zu schließen.
"Nur für den Hausgebrauch, soso."
Er verbeißt sich das Lachen wie ein kleiner Junge, der bei Mau-Mau beim Schummeln erwischt wird.

"Was hast du heute morgen gemacht?", will ich wissen.
"Ein paar Artikel für die Montagsausgabe geschrieben. Und du?"
"Ich war in der Messe."
"Wusste gar nicht, dass jetzt Messe ist. Welche denn?"
"Hättest du vielleicht einen Kaffee?"
"Na klar."
Lukas nimmt mich mit in seine Küche, hantiert an der Kaffeemaschine, holt Milch aus dem Kühlschrank. Sein Latte Macchiato ist stark, mit viel Milchschaum. Er stellt ein Schüsselchen Erdbeeren auf den Tisch, setzt sich und klopft mit der Hand auf seinen Schoß. Ich nehme Platz, lege meine Arme um seine Schultern.
"Mach die Augen zu."
Ich gehorche. Kurz darauf spüre ich die feuchte Frucht an meinem Kinn. Ich öffne den Mund, sie gleitet hinein. Ein kühler Tropfen fällt auf mein Dekolleté. Lukas' Finger verweilen an meinen Lippen, berühren meine Zunge und streichen in Zeitlupe an meinem Hals entlang. Ich spüre seine Erektion unter mir. Wir sind eins in einem Kosmos aus Lachen, Küssen und Erdbeeren, bis ich irgendwann von seinem Schoß gleite.

Auf dem Tisch liegen Broschüren verstreut, ganz obendrauf befindet sich eine elektronische Lupe. Ich beuge mich drüber: Klavierpädagogik, Jazz. Daneben liegt ein großer Briefumschlag, mit einer Adresse in den USA beschriftet.
"Was wird das?", frage ich.
Lukas beugt sich nach vorn. "Du, ich werd Klavierlehrer. Bei den Gigs im Jazzkeller haben die mich auf die Idee gebracht. Und ich hab endlich den Kurs gefunden, den ich gesucht habe."
"In den USA?"
"Genau. Aber jetzt erzähl du erstmal von deiner Messe." Lukas nimmt einen Schluck Kaffee. "Ich nehme kaum an, dass du heute morgen in der Kirche für mein Augenlicht gebetet hast."
Touché.

"Wann würdest du denn in die USA gehen, und für wie lange?"
"Das geht in sechs Wochen los und dauert ein Dreivierteljahr."
"Und wem möchtest du damit etwas beweisen? Werden hier etwa keine Klavierlehrer ausgebildet, hm?"
Er atmet hörbar aus.
"Du hast es die ganze Zeit gewusst."
"Hätte es etwas geändert?"
"Nein", flüstere ich.
Mir laufen Tränen übers Gesicht. Das war der erste Mann, der in mir nicht die kleine Blondine mit dem Riesenbusen sah. Der Kuss meines Lebens.
Ich muss hier weg.
"Jana, warte", höre ich ihn rufen.
Ich stürze aus der Wohnung und nehme die Straßenbahn nach Hause. An meiner Haltstelle steige ich nicht aus, sondern fahre weiter zur St.-Anna-Kirche.

Seit meine Mama von uns gegangen ist, gehe ich seltener hierher. Ich bin keine gute Katholikin, neige zum Denken. Gleichwohl ist es ein guter Ort. Ich sinke auf die Knie und schließe die Augen. Wie froh ich bin, hier zu sein. Weihrauch umfängt mich, hüllt mich ein wie ein weicher Mantel. Ich bete den dreiundzwanzigsten Psalm.
Meine Gedanken wandern zu Lukas. Warum will er weg von der Zeitung? Was rede ich es mir schön? Er sieht furchtbar aus, wenn er vorm Monitor klebt. Ich habe die Augentropfen und die Tabletten in seinem Bad gesehen.
Bitte mach, dass er nicht nach Amerika geht, dass er mich auch liebt, dass ich ihm wichtiger bin als die Musik. Bitte ... Ich weiß nicht, um was ich noch bitten soll. Meine Knie tun weh.
Das ältere Paar zündet ein Opferlicht an und verlässt die Kirche.
Seit wann geht das mit Lukas und mir? War nicht ich diejenige, die ihn tagelang mit seiner E-Mail in der Luft hängen ließ?
Ich bete noch ein Ave Maria, dann erhebe ich mich. Die Küsterin kommt und hebt die Hand zum Gruß. Ich glaube, sie hat im Schatten auf mich gewartet.
Als ich die St. Anna-Kirche verlasse, hält ein Taxi am Bürgersteigrand. Der Fahrer steigt aus, öffnet die Beifahrertür. Ich eile zur Straßenbahn, drehe mich noch einmal um. Er packt einen hochgewachsenen Mann am Arm und zerrt ihn zur Kirchentreppe.

"Na sowas. Hallo Lukas", stoße ich atemlos hervor, als ich vor ihm stehe.
Er nickt knapp, als sei er wenig überrascht.
Der Taxifahrer schlägt ihm auf die Schulter und verschwindet.
"Nur damit das klar ist: Ich bin keine hysterische Betschwester."
"Schön. Dann lass uns reden. Und lauf mir nicht wieder davon. Ich hasse das."
"Mir ist kalt", sage ich und ziehe die Nase hoch. "Ich will heim."
Lukas holt ein Taschentuch aus seinem Rucksack und hält es mir hin. "Hier."
Ich schnäuze.
"Kann ich mitkommen?"
"Was ist mit deinen Medikamenten?"
"Hab ich dabei."
"Dann komm", sage ich und berühre seine Hand.

ENDE​

 

Hallo Bas,
vielen, vielen Dank dafür, dass du dir die Zeit genommen hast, meinen Text (der ja nicht gerade kurz war) zu lesen und zu beschreiben, wie er auf dich gewirkt hat. Das ist wirklich sehr hilfreich, weil mir selbst da die Distanz fehlt.
Es war ein erster Versuch, und ich werde mal in mich gehen ...
Mit dem Ziel, die nüchternen Beschreibungen zu straffen, mehr Emotionen reinzubringen, vielleicht sogar zusätzlichen Ernst (Lukas' Problem), ohne Humor rauszunehmen. Das Humor-Tag habe ich nur als zweites dazugenommen, weil ich nicht nur ein Tag setzen wollte. Habe hier noch nicht so viel pure Romantik gefunden.
Nochmal danke!
LG, Anne

 

Hallo Anne49,

zunächst: willkommen bei uns. Wieder hat jemand zu uns gefunden und stellst sich, wie ich hoffe, der Kritik und der Arbeit am Text.

Für mich weist der Text, obwohl er sauber geschrieben ist, einige strukturelle Stellen auf, an denen du arbeiten könntest, wenn du eine gute, witzige Geschichte draus machen willst.

Das fängt schon mit dem ersten Satz an:

Also. Sie müssen das hier jetzt nicht lesen.
Den Leser ansprechen, da würde ich die Finger von lassen, es sei denn, du überzeichnest die Charaktere, die du beschreibst ins Absurde.

Überhaupt: ich erkenne die Wirkabsicht des Textes nicht. Wenn er lustig sein soll, muss da mehr kommen – und wenn es Slapstick ist. Die (übrigens mäßige) Schlusspointe trägt nicht, wenn es zuvor kein Feuerwerk gibt.
Mm, und deine Hauptfigur, die ist extrem unsympathisch, das ich ein echtes Problem. Die hat keinerlei liebenswerte, nicht einmal tragische Züge und ich kann sie mir als real existierende Person nur schwer vorstellen. Sobald sie und Lukas klarere Züge erhalten, wird die Situation auch romantisch, die an sich gut angelegt ist.
Wie gesagt: mach was draus, das Grundgerüst ist vorhanden und wenn du schreiben willst, solltest du am Text hart arbeiten, dann wird es was.

Textstellen:

und dazu das Selbstbewusstsein eines russischen Preisboxers.
wie kann ich mir das vorstellen?

Die Musik ist atemberaubend schön.
du wirfst mit Adjektiven um dich, die mir nicht sagen, wie sich das anhört.

In ihrem schwarzen Gewand mit lila und grünen Stickereien sieht sie aus wie eine Göttin.
hier dasselbe, ich bekomme kein Bild, klingt allerdings eher wie ein unerotisches Hauskleid

Wir nehmen die Knie zur Seite, um die Konzertbesucher, die zurück auf ihre Plätze eilen,
besonders nervig kurz vor dem Konzert :lol:(das würde ich beschreiben; geh in die Figuren rein)

Orgel statt Barockensemble. Echt jetzt. Ich mag keine Überraschungen. Mein Hals bringt mich um. Ich huste das jetzt einfach ab.
kommt sehr unvermittelt

Andererseits. Sauerstoff ist auch etwas Schönes
:D

Spielen sie selbst ein Instrument?«
»CD-Player.«, erwidere ich. »
:lol:

wie in etwa die Orgelmusik war. Genau. Zäh wie Schuhleder.
ist so ein Nazi-Vergleich, würde ich nicht empfehlen zu benutzen

Als ich seinen Artikel lese, geht die Sonne in meinem Bauch auf.
das ist der erste einigermaßen romantische Satz in dem Text

viele Grüße
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anne,

willkommen mit deiner ersten Geschichte!

Mich haben ein paar Brüche bei deiner Geschichte irritiert. Du lässt die Büromaus über ihren Job, Telefonsex und ihren russischen Lover plappern, und bei mir hat sich da die Erwartung einer locker flockigen, chaotischen, erotischen Handlung eingestellt.

Dann schwenkst du in die Kirche und ich habe bis zum Schluss auf den Auftritt des russischen Lovers gewartet.

Der flapsige Tonfall passt für mich nicht zu der romantischen Handlung. Witzig finde ich den Tonfall auch nicht. Bezeichnenderweise habe ich an einer Stelle gelacht, weil ich mich verlesen habe

»Ich bin kein Axtmörder.«, fügt er hinzu. »Es ist rein beruflich.«

Statt "kein Axtmörder" habe ich gelesen "ein Axtmörder". Das wäre an dieser Stelle schon ein cooler Spruch von Lukas gewesen :lol:

Dann geht es los mit dem Inferno in meinem Rachen, und mir schießen die Tränen in die Augen. Ein Atomkrieg ist nichts dagegen.

Mmh, vielleicht bin ich humorlos oder mein Humor ist zu schräg und schwarz, aber gibt es Leser, die über so etwas lachen?

Mein Tipp: Ändere den Anfang, lass den Russen weg, und konzentrier dich auf den Haupteil der Handlung, nämlich die Romanze in der Kirche. Die Prota kann ruhig flapsig sein, das bildet sogar einen guten Kontrast zu Lukas, aber sie sollte nicht versuchen witzig zu sein.

Ansonsten ist die Geschichet flott erzählt. Da kannst du was draus machen.

Ich hoffe, du kannst mit meinen Bemerkungen etwas anfangen.

Viele Grüße

Odysseus

 

Hallo Isegrims,

tausend Dank für deine Rückmeldung und dafür, dass du Textstellen ganz konkret kommentierst!
Die Nazi-Assoziation war natürlich nicht beabsichtigt, da musste ich schon schlucken.

Nachdem ich jetzt ein Jahr lang so dies und das im stillen Kämmerlein geschrieben habe, bin ich froh, dass ich jetzt mal etwas gepostet habe. Auch wenn es noch ziemlich dilettantisch ist.

Du schreibst, ich soll den Leser nicht direkt ansprechen. Heißt das nie? "Halten sie mich nicht für herzlos." ginge demnach auch nicht?

Ja, dass die Heldin dringend sympathischer rüberkommen muss und beide lebendiger werden müssen, habe ich geahnt. Da werde ich mir etwas einfallen lassen. Ich will auf jeden Fall an der Geschichte weiterarbeiten. So im Konzert nebeneinander im Dunkeln zu sitzen, das hat was, finde ich.

Merci & liebe Grüße, Anne

 

Hallo Odysseus,

ja klar kann ich etwas mit deiner Rückmeldung anfangen. Sogar eine ganze Menge. Vielen Dank!
Jetzt muss ich es nur noch umsetzen, hüstel ;-)

Es ist total spannend.

Dass jemand auf die Rückkehr des Russen warten würde, darauf wäre ich nie gekommen. Das sollte gar nicht Janas Lover sein. Den Satz habe ich hingeblubbert, ohne zu merken, dass der Russe damit den Stellenwert des "Wrong Man" bekommt.

Ich bin ein Axtmörder, ha, der war gut! Jaa, der Satz wäre schon cool ...

LG, Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anne49

herzlich Willkommen bei uns. Ich hab gesehen, du hast schon eine Menge selbst kommentiert, das motiviert mich dann immer, dieser Person selbst eine Geschichte zu kommentieren. Sozusagen als kleines Dankeschön, dass es da jemanden gibt, der nicht nur wie selbstverständlich Kommentare einstreicht, sondern sich auch beteiligen mag. Ach weh, jetzt klingt das saumoralisch, so mein ich das gar nicht, aber so ein Forum wie das hier lebt eben schon davon, dass es auch Leute gibt, die geben und nicht nur nehmen.

Ich habe deine Geschichte schon gestern gelesen und bin zwiespältig.
Auf der einen Seite habe ich nichts gegen harmlose und unterhaltende Liebeskomödien, man kriegt ja Bauchweh, wenn man immer nur Ernstes liest oder sieht. Nur muss es dann halt auch gut gemacht sein. Und da fehlts hier noch.
Ich würde glaube ich allererstes mal den Humortag rausnehmen, denn der setzt die Erwartungen in unserem Forum immer gleich so hoch, keine Ahnung, warum das so ist. Aber alle denken immer gleich, es müsste ein humoristisches Feuerwerk gezündet werden, wenn man diesen Tag setzt. Ich finde das nicht, aber vielleicht hast du es leichter, wenn du ihn rausnimmst.

Was ich sehr mochte waren die Idee an sich und der Schauplatz. Außerdem schreibst du gut und flüssig, vieles von dem, was ich dir sagen möchte, ist Handwerk einerseits. Und logisch, Vieles, sehr Vieles ist natürlich auch Geschmack.

Was diesem Positiven sehr entgegensteht, sind aus meiner Sicht jedenfalls drei Dinge:
1. Die Charakterisierung der Protagonistin
2. Die Wendung am Schluss, dass Lukas an ihre Brust greift
3. Der Stil, der sehr berichtend und behauptend ist.

Zu 1:
In frechen Liebesgeschichten, in Chick lits, ohne deinen Text mit diesem Begriff abwerten zu wollen, sollte die Protagonistin liebenswert sein. Frech wie Sau, aber liebenswert. Deine hier ist durchaus frech, aber sie ist gleichzeitig so furchtbar negativ allen und allem gegenüber. Ich bemerke daran zwar eine große Verletzlichkeit, deswegen finde ich sie nicht wirklich unsympathisch, sondern sie nervt nur. Aber das Verletzliche ist eigentlich eher ein Rückschluss, den ich als Leserin mache.
Sie wird ja eigentlich in ihrem Calldingsbums da gemocht, die Kolleginnen woilen sie immer einbeziehen, der eine junge Kerl versucht, mit ihr anzubandeln. Das zeigt mir als Leserin eigentlich, dass sie eine Süße sein muss, die von anderen gemocht wird. Wo ist dann das Süße? Dieses Liebenswerte an ihr ist sehr im Hintergrund. man schließt es wiue gesagt nur aus den Reaktionen der Mitmenschen. Und da finde ich, zeigst du das Liebenswerte sehr wenig, eigentlich gar nicht, stellst ihren Liebreiz viel zu sehr in Frage, denn sie lehnt alles ab, wirkt sogar verächtlich. Schleimer sagt sie zum Beispiel über diesen jungen Mann aus ihrem Job. Oder wie sie über alte Leute redet. Das wirkt alles schon ziemlich arrogant und überheblich. Das sind Momente, die ich ein bisschen rausnehmen, abschwächen würde.
Ähnlich wie du es bei diesem Marco versucht hast, das hier meine ich:

Ich muss dazusagen, dass Marco zu der Sorte Männer gehört, die mir Angst machen. Er hat Muskeln aus Stahl und dazu das Selbstbewusstsein eines russischen Preisboxers.
... aber das ist noch zu zahm. Ihre Überheblichkeit, so liest man aus dieser Stelle, liegt wohl an ihrer großen Angst, sich auf etwas einzulassen. und sie scheint speziell vor gewissen Männern Angst zu haben.
Aber vielleicht verleihst du dieser Verletzlichkeit ein größeres Gewicht. So - sehr verletzlich - las ich auch die Stelle, als Lukas ihr versehentlich an die Brust greift. Da reagiert sie fast traumatisiert oder so, als hätte sie schon sehr unangenehme Erlebnisse gehabt oder sie befürchtet es eben.
Also das Freche, Flapsige dieses Mädchens solltest du ihr erhalten. Ob sie nun kecke Sprüche macht oder nicht, ist Geschmackssache, aber lass sie nicht so arrogant und verächtlich wirken. Entweder zeigst du ihre Angst vor anderen Menschen stärker oder du nimmst ihre zahlreichen Negativurteile über andere Menschen ein bisschen stärker raus und ersetzt das durch eine freche, lustige Art. So wie du es jetzt gemacht hat, wirkt sie doch sehr egozentrisch und herablassend.

Zu 2
Ich finde den Gag mit dem Brust betatschen blöd. Ganz ehrlich. Erstens kann ich mir keinen Blinden oder Sehbehinderten vorstellen, der einfach so auf eine vor ihm stehende Frau zugeht wie der Lukas das macht. Jemand mit einer Sehbehinderung weiß genau, dass er da in eine peinliche Situation geraten kann. Und umgekehrt ist mir die Stärke ihrer Reaktion aufgefallen. Natürlich ist man stinksauer, wenn einem jemand an die Brust greift und man donnert dem eine, aber sie reagiert schon auffällig. Und beide Reaktionen, also die Stinkewut wie auch das sehr Verletzliche leuchten mir aus der Situation heraus nicht wirklich ein. Der Lukas hat schon die ganze Zeit so deutliche Signale gegeben, dass er was an den Augen hat. Also da muss die Protagonistin schon sehr dämlich und dusslig gleichzeitig sein.
Ich weiß nicht, so insgesamt kommt die Wendung mir von beiden Seiten wenig nachvollziehbar vor.

Zu 3
Du schreibst sehr berichtend, sehr nacherzählend und vor allem aus der Innensicht der Protagonistin. Letzteres ist natürlich gut und ein Vorzug, den das Schreiben dem Filmischen voraus hat, aber man sollte es auch nicht übertreiben und das auch szenisch genug machen. Und vor allem das Geschehen ruhig auch einmal stärker zeigen, in die Szene reingehen, die sinnlichen, otipschen und akustischen Sensationen und Eindrücke verdeutlichen. Vieles stärker wie mit einer Kamera darstellen.
Achte auch darauf, nicht nur Formulierungen zu verwenden, die sehr allgemein sind und eine Sache eindeutig zuordnen. Dadurch lässt du den Leser nämlich außen vor. Der braucht keine Entdeckungsarbeit mehr leisten, aber auf die ist man beim Lesen ja gerade aus. Wenn du schreibst, Emil ist faul. Dann ist die Sache klar. Was anderes ist, wenn ich einen Emil zeige, der alle Tassen runterschmeißt, wenn er die Spülmaschine einräumen muss und dann sagt: Ich hab zwei linke Hände. Okay, vielleicht kein schönes Beispiel, ein besseres fällt mir grad nicht ein. Aber vielleicht verstehst du, was ich meine, man charakterisiert jedenfalls diesen Emil durch eine Handlung und nicht durch eine zuordnende Behauptung.

Noch bisschen Detail.
Da du ja noch neu bei uns bist, sag ich mal was vorweg. Alles, was ich vorschlage und schreibe oder kritisiere ist natürlich Vorschlag. Du nimmst das, wenn es dir einleuchtet und zusagt, überarbeitest vielleicht sogar entsprechend. Wenn du doof findest, was ich moniere, schmeiß meinen Einwand über Bord. Ja?


Also. Sie müssen das hier jetzt nicht lesen. Sie können auch etwas Sinnvolleres machen. Einen Kaffee trinken. Nur so als Beispiel. Aber gut. Ich will ihnen etwas verraten. Ich hatte noch nie einen. Und damit meine ich nicht Kaffee. Einen Mann, meine ich. Einen Freund. Einen Lover, meinetwegen. Noch nie. Es gibt keinen naheliegenden Grund dafür. Ich bin ganz ansehnlich. Gut. Manchmal denke ich, vielleicht bin ich ein langweiliger Angsthase.
Ich persönlich hab kein Problem mit der Anrederei. Ich liebe Wolf Haas und der quatscht unentwegt mit dem Leser. Ich hab mich nur gefragt, warum du so von hintenrum dich dreimal ums Knie wickelst, bis du endlich beim Kopf rauskommst. Du willst doch eigentlich sagen, dass diese Frau null Erfahrung mit Männern hat. Nix garnix. Ich würd dann damit aber auch anfangen. Vielleicht an einem speziellen Satz rumtüfteln, der diese Tatsache, unter der sie ja auch irgendwo zu leiden scheint, aufs Korn nimmt. Der auffällig ist. Dann brauchst du nicht den Kaffeeumweg, das Anquatschen, du brauchst nicht die Witzelei, dass nicht der Kaffee gemeint ist, sondern ein Mann usw. Das hat mich jedenfalls am Beginn gestört.
Nur noch so viel: dass du auf einen guten Anfang wert legst, das merkt man schon, ich halts hier trotzdem nicht für gelungen.


Von rechts weht ein herber Duft in meine Nase. Zitrone und etwas Maskulines, das ich nicht näher definieren kann. Meine Augen haben sich inzwischen an das Halbdunkel gewöhnt. Ich spähe rüber. Neben mir sitzt ein Mann.
Hier machst du das zu Beginn ganz schön, weil man den Duft des Mannes wahrnimmt. Da du spähen geschrieben hast, muss der schwarz markierte Satz da nicht stehen, der ist redundant.
Man könnte überlegen, ob man einen anderen Duft wählt. Immer, wenn ich Männer in Büchern rieche, riechen die wie Zitrone und herb und maskulin. Naja. Wie denn auch sonst. Also ruhig Mut für was Ungewöhnlicheres haben.

Zum letzten Konzert komme ich abermals rechtzeitig. Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist. Ich habe ein mulmiges Gefühl. Am Getränkestand neben dem Eingang stürze ich einen eiskalten Sekt hinunter. Schließlich beginnt morgen früh wieder mein grauer Arbeitsalltag an der Hotline.
Acht Minuten vor Beginn nehme ich meinen Platz ein. Ich studiere das Programmheft. Brillante Fotos und launige Texte. Die Schrift ist ein wenig klein geraten. Lukas ist noch nicht da. Oder, was wahrscheinlicher ist, er hat kein Ticket für dieses Konzert. Ich bin enttäuscht und erleichtert zugleich. Enttäuscht deshalb, weil ich im Falle einer Hustenattacke hilflos sein werde. (Ich habe vorhin nicht daran gedacht, ein Bonbon einzustecken.) Erleichtert, weil ich Angst vor seiner nächsten Frage habe.
Das schwarz Markierte sind Beispiel dafür, wie du alles vorgibst. Das meine ich mit berichtend und behauptend.
Du lässt sie ein Glas Sekt runterschütten. Finde ich gut. Macht man nur, wenn man aufgeregt ist. Das denk ich mir als Leser und ich hab ja auch die Vorgeschichte gelesen. Da brauch ich eigentlich nicht mehr, dass du mir alles Möglichkeiten aufzählst, weshalb sie den Sekt runterschütten könnte. Der Gedanke an den Arbeitstag und der Lukas und dass sie nicht weiß, was mit ihr ist und dass sie ein mulmiges Gefühl hat. Zum Teil wiederholt sich das auch. Und ich bin ja nicht meschugge.

Dann setzt sie sich und liest in dem Programmheft. Okay. Dann aber geht es schon wieder los.
Warum beschränkst du dich nicht auf den Satz: Lukas ist nicht da. Der ist doch stark der Satz, da weiß man als Leser , dass sie eigentlich nur nach dem Lukas Ausschau hält.
Du quatschst den Satz mit Vermutungen über sein Fernbleiben zu.
Und den Rest, dass sie denkt, sie bräucht ihn wegen des Hustenbonbons, das finde ich ganz lustig, weil sie sich selbst so in die Tasche lügt. Auch dass sie erleichtert und traurig ist zugleich, das ist wichtig. Aber das würde ich lieber als Gefühlsregung zeigen. Was passiert ihr da. Wie äußert sich ein Gefühl der Erleichterung, wie fühlt sich das an. Aber auch ein Gefühl der Traurigkeit oder Enttäuschung, wie zeigen die sich. Ein bisschen offener lassen alles. Du schreibst halt leider ganz klar und deutlich und analytisch hin, was sie denkt, in welcher Ambivalenz sie sich befindet. Da kann ich als Leser nichts Neues entdecken, das ist ihr Gedanke: Hustenbonbon versus zum Glück keine Frage. Und da bin ich als Leser festgelegt und raus: So und nicht anders ist das.

So das waren einfach mal Beispielstellen.
Ich würde an der Geschichte noch rumbasteln. Ich glaube, das lohnt sich, zumal du eingängig und flüssig schreibst und Idee und Schauplatz schön sind.

Viel Spaß noch hier bei uns.
Viele Grüße von Novak

 

Hallo Anne49,
Auch von mir ein herzliches Willkommen hier.
Ich hab die bisherigen Kommentare überflogen, und stelle fest, dass deine Protagonistin nicht gerade gut angekommen ist. Tja, so unterschiedlich kann die Wahrnehmung sein, denn ich fand den Charakter, diese Mischung aus patzig, verrückt, unnahbar, trotzdem irgendwie hoffnungsvoll sehr charmant. Und nicht zu vergessen eine spezielle Art von Humor, die sich durch die gesamte Geschichte zieht. Wurde auch hier und da kritisiert, mir hat er gefallen, der Humor. Manchmal subtil, manchmal direkt, passt zu ihr, wie ich finde.
Also, die Ausgangslage ist gut. Aber ich denke, an einigen Stellen solltest du noch feilen.
Den Anfang zum Beispiel finde ich zwar lustig (also, ab "Es ist schon nach fünf") und vielleicht hat der Absatz mich sogar dazu animiert weiterzulesen, auf der anderen Seite steht er irgendwie verloren da. Ich weiß nicht so recht, welchen Zweck er erfüllen soll, denn zum Rest der Geschichte entsteht ein Bruch, meinem Gefühl nach. Vielleicht kannst du das noch besser miteinander verweben.
Diese stakkatohaften Sätze ganz am Anfang hätte ich nicht gebraucht. Warum sagt sie mir, dass sie noch nie einen Mann hatte?
Dann das Ende: ich musste erst einmal überlegen, wie es zu der Berührung ihrer Brüste kam. Das war so vollkommen plötzlich. Hmm, und da erfahre ich, dass er ihre Größe falsch eingeschätzt hat. Ach so, aber was wollte er denn dann berühren, ihren Hintern? Seltsam.
Ich glaube, ich hätte es schöner gefunden, wenn sich die beiden angenähert hätten. Klar, Kitschgefahr, aber irgendwie fände ich es interessant zu sehen, wie die beiden sich aufeinanderzubewegen. Was macht das mit ihr? Wie kann das gehen? Kann sie sich aus ihrer flapsig-zurückweisenden Art befreien? Etc.
Vielleicht hast du ja Lust, die Geschichte in der Art weiterzuentwickeln. Muss ja nicht im Romantikkitsch enden.
Ansonsten freue ich mich auf weitere Texte von dir. Wie gesagt, dein flotter, flapsiger Schreibstil hat mir gefallen.

Beste Grüße,
Fraser

 

Hallo Anne,

deine Geschichte finde ich im Großen und Ganzen gut. Auch die Protagonistin ist mir nicht unsympathisch. Ihr Sarkasmus gefällt mir. Am Freitag und am Sonntag fühlte ich mich auch gut unterhalten. Danach nicht mehr ganz so. Da hätte ich mir von ihr andere Reaktionen gewünscht. Vielleicht nicht ganz so feig. Das sie sich doch ein bisschen mehr auf die Situation einlässt. Romantisch, finde ich, war in deiner Geschichte nicht viel. Eher witzig. Den russischen Lover muss ich überlesen haben...oder hast du da schon was geändert :D
Das Kommentar mit dem Nazi-Vergleich kann ich nicht nachvollziehen. Was hat "zäh wie Schuhleder" mit Nazis zu tun? Bitte um Aufklärung.
Ach ja, dass du den Leser direkt ansprichst am Anfang fand ich persönlich auch nicht schlecht. Ich finde schon, dass man das machen kann. Vielleicht lässt du das "Hotline-Girl" doch noch etwas mutiger werden...freu mich auf weitere Geschichten.
Liebe Grüße
Sabine

 

Oh holy shit. Alles klar. Na, das muss man erst mal wissen. Danke für die Aufklärung.
Liebe Grüße Sabine

 
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Hallo Novak,

vielen Dank für deine ausführliche Rückmeldung! Du hast dir sehr viele Gedanken über meine Jana gemacht. Den Sekt habe ich sie nur deshalb so schnell trinken lassen, damit sie davon Schluckauf kriegt (gemein von mir, ich weiß), und nicht, weil ich zeigen wollte, dass sie nervös ist.

Ich dachte, ich habe eher zu kurze Rückmeldungen bei den anderen gegeben, aber teilweise hatte ich nur ein Tablet, und da war die Tipperei so mühsam. Habe festgestellt, dass das Nachdenken über die Geschichten der anderen mir auch einiges bringt.

Den Tag "Humor" habe ich gerade herausgenommen. Mein Herz schlägt ganz klar für Liebesgeschichten. Für mich ist das kein Synonym für Trivialliteratur. Da gibt es ganz großartige Geschichten. Vielleicht mehr im Amerikanischen als auf Deutsch. Ich werde versuchen, deine Kommentare in der nächsten Version umzusetzen.

LG, Anne


Hallo Fraser,
auch dir vielen Dank für deine wertvollen Hinweise!!
Ja, der Teil vor dem ersten Konzert soll Hintergrundinfos zu Jana geben. Du hast Recht, das muss ich noch besser verweben.
Es tröstet mich, dass du Jana nicht so ganz unsympathisch fandest.
Jajaja, ich will ja, dass die beiden zusammenkommen! :-)
LG, Anne


Hallo Sabine,

danke!!!

Am Freitag und am Sonntag fühlte ich mich auch gut unterhalten. Danach nicht mehr ganz so.

Ich muss mal ganz blöd nachfragen: Also du meinst Sonntag, nicht Samstag?

LG, Anne

 

Hallo Anne49 -
Deine - ich nenne es mal "Miniatur" mit dem zunächst nichtssagenden Titel "Kirchenschatten" spielt etwas mit dem Sujet des "Kurschattens" - und zeigt, dass es neben Klamauk und Gedöns auch sehr stille Wege gibt, an denen sich Menschen erfreuen.

Diese irgendwo gar nicht selbstbewusste Jana, die sich selbst einem altersgerechten Leben mit Ende der Zwanzig entzieht und das im Eingangsteil doch recht platt ausposaunt - zeigt im Konzert dann durchaus Interesse -und Deine Geschichte sitzt dieser Jana sehr genau beobachtend zur Seite dies verstohlen - ich trau mich - ich trau mich nicht- und ausgerechnet mit einem offensichtlich sehbehinderten Mann - der also auch nicht gerade sehr aufdringlich agiert - dennoch bestimmt, ist ein sehr feines Spiel - das gottseidank nicht in den Klamauk gezogen wird. Die Geschichte schwankt stilistisch ebenso zwischen forsch erzählend und zögern - arhythmisch etwas spontan. Wenn man denkt, jetzt geht's los dann stoppt die Erzählung wieder. Auch die vermutlich versehentliche Berührung der Brust -aus der fälschlichen Einschätzung von Janas Größe passt zum Typ der jana und ihrer Empfindungen - Sie würde gerne, traut sich aber nicht- hakt dann nach - und nun wiederholt sich für den Leser, ah jetzt geht es Los - der kurze e-mail Verkehr - und die Erzählung bricht ab. So plötzlich, dennoch zögernd wie sie begann, so abrupt endet sie.
Hat mir recht gut gefallen - Dein Schreibstil lässt miterleben - hat ein paar Kanten und Ecken. Danke.

 

Hallo Auhan,
bin sprachlos und gerührt über deinen Kommentar. Danke.
LG, Anne

 

Hi Anne49,

ich hangele mich mal durch deine Geschichte.

Gleich vorab: Find ich gut, dass du den Anfang geändert hast. "Sie müssen das nicht lesen" fand ich auch nicht einladend, selbst wenn man es als Witz verstanden hat.

Seitdem ist sie alarmiert und fragt mich im Wochentakt, ob das was mit Telefonsex zu tun hätte
Find ich nicht so recht glaubwürdig. Das denkt doch keiner, oder?

Mich angefasst, mit dem Selbstbewusstsein eines russischen Preisboxers.
Ist das Selbstbewusstsein von russischen Preisboxern einschüchternder, als das von Preisboxern anderer Nationalität?

Vom Mittelalter bis zum Frühbarock.
Wer sich das Geld für die Tickets sauer vom Mund abspart, nennt wahrscheinlich eher Komponisten als nur so allgemein die Epochen. Vielleicht sogar das Ensemble?

(Achtung, ich übertreibe. Aber nur ein kleines bisschen.)
Muss man nicht dazu sagen, kommt auch so an.

Applaus brandet auf.
"Brandet auf" klingt mir für den Eingangsapplaus eigentlich zu dramatisch - es sei denn vielleicht, jemand wird besonders stürmisch begrüßt, aber dann müsste das deutlicher sein.

Von rechts weht ein herber Duft in meine Nase.
Ist das jetzt die andere Welt? :D

Anscheinend sind Y-Chromosomenträger dagegen immun.
Bisschen zu flink verallgemeinert für meinen Geschmack.

»Gefallen ihnen die Kostüme nicht?«, wispere ich in den Zwischenapplaus hinein nach rechts.
Wie indiskret! Geht aus meiner Sicht nur, wenn sie unbedingt ein Gespräch anfangen will. So hat sie sich bisher noch nicht direkt präsentiert.

Im Halbdunkel vermag ich sein Gesicht nicht richtig zu erkennen, aber mir ist so, als ob er den Mund verzieht.
Verständlich ...

Diese silbernen Klänge sind verspielt und poetisch zugleich.
Eine konkretere Charakterisierung wäre schöner. Verspielt und Poetisch dürfte keine Überraschung sein.

Vielleicht sogar eine CD.
Lass die lieber keine CD verkaufen, das entwertet ein Stück weit die Einmaligkeit. Vom heutigen Abend gibt's eh noch keine CD.

Der Samstag - der jetzt kommt - hat schon auch unterhaltsame Stellen, insgesamt ist mir das aber zu sehr in die Länge gezogen und die Dialoge zu trocken. Mir scheint beim Lesen fast, du hättest dich öfter mal nicht zwischen der einen oder der anderen Variante entschieden können und dann einfach alles genommen. Da könnte man vieles raffen. Ich würde ja zuerst mal bei den vielen Witzchen streichen. Ein paar davon sind in Ordnung, aber die Menge wirkt bemüht.

Es ist rein beruflich.
Ich fürchte, wenn einer so abwiegelt, würde mich das eher misstrauisch machen. Warum sagt er nicht einfach gleich, was er vorhat?

Reichlich spät reift in mir die Vermutung, dass Lukas nur ein paar optische Eindrücke von mir abfragen wollte. Bühnenbild, Kostüme und so.
Und da ist die Antwort. Gut, das passt. Schöne Idee. Nur irgendwie nicht perfekt inszeniert, finde ich. Woran könnte das liegen? Vielleicht könnte er doch die eine oder andere Andeutung machen? So ganz vorsichtig?

Lukas‘ Hände betasten meine Brustwarzen.
Wichtig für die Flucht und die Auflösung am Schluss. Find ich als Idee passend, aber vielleicht doch eine Spur zu grob ausgedrückt. Sollte er nicht wenigstens die Hände schnell wieder zurückziehen oder so? Auch dann wäre es noch irritierend genug.

Lukas hat die Musik genau so in Worte gefasst, wie ich sie empfunden habe.
Ganz knifflig, aber: Wie denn nun? Irgendwie musst du da ran, sonst bleibt es eine Worthülse.

Zusätzlich hat er musikwissenschaftliche Fachbegriffe eingeflochten, die ich noch nie zuvor in meinem Leben gehört habe.
Fraglich, ob das ein Qualitätsmerkmal ist.

Fazit: Schöne Idee, aber ein bisschen viele Worte drumherum. Vor allem auch einiges an leerer Hülle: Einerseits fährt sie voll auf die Konzertreihe ab, andererseits kann sie gar nichts Konkretes dazu sagen, kennt keine Namen, ist wegen ein paar Fachbegriffen aus dem Häuschen ... Lieber an solchen Stellen kürzen, Begeisterung eventuell runterschrauben usw., als zu viel Verpackung ohne echten Inhalt, würde ich sagen.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo Erdbeerschorsch,

freut mich sehr, dass du dich meiner Geschichte annimmst. Vielen lieben Dank dafür!

Gleich vorab: Find ich gut, dass du den Anfang geändert hast. "Sie müssen das nicht lesen" fand ich auch nicht einladend, selbst wenn man es als Witz verstanden hat.
Ok, danke für deine Einschätzung. Die Rückmeldungen dazu waren ja gemischt, und ich habe tatsächlich eine Weile hin- und herüberlegt.
Am Ende habe ich gedacht, dass meine Jana doch nicht so herumposaunen würde. Mit dem Leser plappert sie weiter hinten im Text allerdings immer noch.
Und die Info steckt jetzt plakativ im dritten Absatz: »Alle wissen, dass ich immer noch Single bin.«
Der alte Einstieg war möglicherweise unbewusst von der Lektüre von "Dies ist keine Liebesgeschichte" von José A. Pérez Ledo inspiriert (gutes Buch übrigens, geht u.a. auch um’s Schreiben darin).

Find ich nicht so recht glaubwürdig. Das denkt doch keiner, oder?
Mmmh, Familienangehörige, die nicht so recht kapieren, was man beruflich macht, die gibt es schon. Die, die bohren und unbedingt wissen wollen, was du machst, und die deine Antworten nicht einordnen können. So etwas erzeugt Frust. Und genau von diesem Frust redet meine Jana hier. Sie ist übrigens Biologin und hat mindestens einen Masterabschluss. (Diese Hintergrundinfo ist schon vor Version 1 wieder rausgeflogen.)
Aber ich habe unpräzise geschrieben, da hast du Recht, und das werde ich ändern.
Es soll in die Richtung gehen, dass Jana sagt, es fehlt eigentlich nur noch, dass Tante Hella Janas Job mit Telefonsex in Verbindung bringt.
Meine Jana plappert viel und übertreibt hier und da, das soll schon ein Stilmittel bleiben.

Ist das Selbstbewusstsein von russischen Preisboxern einschüchternder, als das von Preisboxern anderer Nationalität?
Mmmh, soll ich das »russisch« streichen, (A) weil ich gemäß der berühmten Schreibregel nicht so viele Adjektive verwenden soll? Oder (B), weil ich damit die Ukrainer diskriminiere, die bekanntermaßen auch erfolgreiche Boxer in ihren Reihen haben? Grübel ...
Oder (C) soll der »Preisboxer« gleich mitsterben, weil dieser Vergleich nicht zu Janas Sprechweise passt? Fassen Preisboxer gerne junge Frauen an? Keiner Ahnung. Wer sonst?
Worum es geht: um Männer, die eine hohe physische Präsenz haben, die junge Frauen einschüchtern, indem sie sie zum Objekt degradieren (das nur dazu geschaffen wurde, um Männern Freude zu bereiten) und ihnen auf dreiste Weise körperlich zu nahe kommen.
Und was ich suche, ist ein Vergleich, so etwas wie »er hustete wie ein Bergarbeiter«.

Wer sich das Geld für die Tickets sauer vom Mund abspart, nennt wahrscheinlich eher Komponisten als nur so allgemein die Epochen. Vielleicht sogar das Ensemble?
In einer frühen Arbeitsversion hatte Jana gerade erst ihr Studium beendet und ihren Job angetreten. Daher stammt noch die anscheinend irreführende Formulierung »von meinem selbstverdienten Geld«. Dann sollte ich das wohl streichen. Sie muss sich nichts sauer vom Mund absparen.
Die Komponisten der alten Musik kennt vermutlich kaum ein Leser. Bei Mittelalter wären es sogar eher Namen von Notenmanuskripten. Hab ein bisschen Sorge, dass das Namedropping meine Geschichte nicht zugänglicher macht. Ja, gut, ich werde konkreter werden müssen. Muss mal schauen, wie ich das anstelle.

Muss man nicht dazu sagen, kommt auch so an.
Mmmh. Da gab es ja zu Version 1 den berechtigten Vorwurf, meine Jana macht sich über alte Leute lustig, und das macht sie unsympathisch. Das habe ich in Version 2 abgeschwächt, u. a. »Glatzen« und »vergreist« gestrichen.
Bin hin- und hergerissen. Ich mag das eigentlich ganz gerne, so höre ich Jana reden, dass sie in Klammern eine Korrektur plappert, zu dem, was sie eben gesagt hat.

"Brandet auf" klingt mir für den Eingangsapplaus eigentlich zu dramatisch - es sei denn vielleicht, jemand wird besonders stürmisch begrüßt, aber dann müsste das deutlicher sein.
Ok, »Applaus kommt auf« reicht wohl.

Bisschen zu flink verallgemeinert für meinen Geschmack.
Ja, aber Frauen bringen mehr Interesse für Mode auf als Männer, oder zumindest kommt es uns so vor, oder? Und das ist hier das staubtrockene und ironische Fazit meiner leicht durchgeknallten Jana, die zufällig auch noch Biologin ist. Rechtfertigungsmodus off, aber den Satz würde ich gerne behalten.

Wie indiskret! Geht aus meiner Sicht nur, wenn sie unbedingt ein Gespräch anfangen will. So hat sie sich bisher noch nicht direkt präsentiert.
Meine Jana kann schon mit anderen Leuten Gespräche anfangen. Tut sie ja auch beruflich, da allerdings am Telefon. Da ist sie vor körperlicher Nähe geschützt. Sie bekommt nur Angst, wenn es konkret wird.
Hier platzt meine Jana mit etwas heraus, das ist richtig. Aber das bringt den Dialog ins Rollen.
Ist es so dermaßen unerträglich unrealistisch, dass ihr das passiert?
Lieber würde ich ergänzen, dass sie selbst über ihre Forschheit erschrickt, als dass ich diese Art der Kontaktaufnahme ändern möchte.

Eine konkretere Charakterisierung wäre schöner. Verspielt und Poetisch dürfte keine Überraschung sein.
Tja, da hast du mich eiskalt dabei erwischt, wie ich aus einem Adjektiv in Version 1 (atemberaubend) zwei Adjektive in Version 2 gemacht habe (verspielt und poetisch). Na ja und aus Musik wurden silberne Klänge.
Und das reicht immer noch nicht. Seufz.

Lass die lieber keine CD verkaufen, das entwertet ein Stück weit die Einmaligkeit. Vom heutigen Abend gibt's eh noch keine CD.
Na gut, das mit dem CD-Verkauf läuft zwar fast immer so in Konzerten mit alter Musik. Aber ich verstehe dein Argument, und es trägt ja nicht zur Handlung zwischen Lukas und Jana bei. Ok, fliegt raus.

Der Samstag - der jetzt kommt - hat schon auch unterhaltsame Stellen, insgesamt ist mir das aber zu sehr in die Länge gezogen und die Dialoge zu trocken. Mir scheint beim Lesen fast, du hättest dich öfter mal nicht zwischen der einen oder der anderen Variante entschieden können und dann einfach alles genommen. Da könnte man vieles raffen. Ich würde ja zuerst mal bei den vielen Witzchen streichen. Ein paar davon sind in Ordnung, aber die Menge wirkt bemüht.
Danke für die Schilderung deines Leseeindrucks. Es ist eine Gratwanderung, weil ich den Text auch nicht verstümmeln will.

Und da ist die Antwort. Gut, das passt. Schöne Idee. Nur irgendwie nicht perfekt inszeniert, finde ich. Woran könnte das liegen? Vielleicht könnte er doch die eine oder andere Andeutung machen? So ganz vorsichtig?
Guter Punkt. Ich lass mir was einfallen, aber schwach dosiert. Mein Lukas hat durchaus auch noch andere Absichten bei seiner Nachbarin.

Wichtig für die Flucht und die Auflösung am Schluss. Find ich als Idee passend, aber vielleicht doch eine Spur zu grob ausgedrückt. Sollte er nicht wenigstens die Hände schnell wieder zurückziehen oder so? Auch dann wäre es noch irritierend genug.
Ich weiß, das ist brutal formuliert und wirkt verstörend. Aber bekommt Jana denn noch mit, dass Lukas die Hände zurückzieht, während bei ihr gerade die Panik wie eine weiße Wand aufsteigt?

Ganz knifflig, aber: Wie denn nun? Irgendwie musst du da ran, sonst bleibt es eine Worthülse.
Puh, da muss ich nachdenken. Ich höre aus deinen Kommentaren heraus, dass ich mehr über die Musik schreiben muss.

Fraglich, ob das ein Qualitätsmerkmal ist.
Ja, das gefällt mir auch noch nicht so ganz.

Fazit: Schöne Idee, aber ein bisschen viele Worte drumherum. Vor allem auch einiges an leerer Hülle: Einerseits fährt sie voll auf die Konzertreihe ab, andererseits kann sie gar nichts Konkretes dazu sagen, kennt keine Namen, ist wegen ein paar Fachbegriffen aus dem Häuschen ... Lieber an solchen Stellen kürzen, Begeisterung eventuell runterschrauben usw., als zu viel Verpackung ohne echten Inhalt, würde ich sagen.
Ok, ich werd versuchen, es in Version 3 zu verbessern.

Also nochmal danke. Du hast mir sehr viele Anstöße gegeben! Jetzt muss ich es "nur noch" umsetzen. :D

LG, Anne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Anne49,

du hast ein paar Fragen gestellt, und da will ich mal fix versuchen, eine Antwort in die Tasten zu hauen. Aber nur da, wo mir auf die Schnelle was einfällt.

Mmmh, soll ich das »russisch« streichen, (...) (B), weil ich damit die Ukrainer diskriminiere, die bekanntermaßen auch erfolgreiche Boxer in ihren Reihen haben?
Genau :D
Oder auch
(C) soll der »Preisboxer« gleich mitsterben, weil dieser Vergleich nicht zu Janas Sprechweise passt?
Preisboxer sind ja eigentlich diese Jahrmarktsgestalten, die es gar nicht mehr gibt. Zumindest etwas fraglich, ob das gut passt.

Die Komponisten der alten Musik kennt vermutlich kaum ein Leser. Bei Mittelalter wären es sogar eher Namen von Notenmanuskripten.
Egal, finde ich. Im Kontext wird schon klar sein, was für Leute gemeint sind. Schwieriger wird es, wenn man Biographie oder Lebensleistung kennen muss, um die Geschichte zu verstehen, aber das ist hier ja nicht der Fall. Es könnten wahrscheinlich sogar erfundene Namen sein.

Soweit der Nachtrag.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo Anne49,

zu deiner Geschichte kann ich mich im Moment (aus Zeitgründen) nicht weiter äußern. Aber das, was ich zu ihr zu sagen hätte, haben meine Vor-Kommentatoren schon zum größten Teil bemerkt. Ich möchte dich nur auf einen immer wiederkehrenden Fehler aufmerksam machen:

»Hat es ihnen gefallen?«, sagt er unvermittelt. Seine Stimme klingt tief und samtig. Ich benötige ein paar Sekunden, bis ich begreife, dass die Frage an mich gerichtet ist, denn die Plätze um uns herum sind verwaist.
»Haben sie mich nicht gehört? Was hätte ich ihrer Meinung nach noch rufen sollen?«, erwidere ich, vielleicht ein wenig zu spitz.
»Die Altstimme ist ... unglaublich. Finden sie nicht auch?«

Schau mal hier:

http://www.duden.de/sprachwissen/sprachratgeber/gross-oder-kleinschreibung-von--em-sie-sie--em-

Groß- oder Kleinschreibung von „sie/Sie“
Die Formen des Anredepronomens Sie schreibt man immer und überall groß und auch die Formen des entsprechenden Possessivpronomens, d. h. auch in der wörtlichen Rede im Prosatext: „Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?“ „Solche, die ich Ihnen nicht auf die Nase binden will“

Liebe Grüße (und eventuell bis später)
barnhelm

 

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