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Der etwas andere, aber garantiert ultimative Leitfaden zu spannenden Geschichten …

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26.02.2009
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Der etwas andere, aber garantiert ultimative Leitfaden zu spannenden Geschichten …

Die meisten Schreibratgeber verleiten dazu, langweilige Texte zu schreiben.

Eine provokante Behauptung, oder? Diese Eröffnung lässt einiges erwarten! Und damit bin ich bereits beim Thema.
Ein interessanter Einstieg bewirkt etwas in uns, ob wir wollen oder nicht. Er hebt das Reizniveau im Hirn und plötzlich wird etwas erwartet. Simpel gesagt: Es entsteht Vorfreude.

Wer meint, Vorfreude habe keine Bedeutung, sie sei zu ignorieren, der braucht ab hier nicht weiterlesen. Der sollte seine Zeit anders nutzen und auch in Zukunft seine Leser ins Koma texten.

Worauf freuen wir uns nach einem packenden Einstieg? Auf eine gute Geschichte? Das jedenfalls wollen uns Schreibratgeber weismachen. Ich provoziere weiter und sage: Nein, darauf freuen wir uns ganz gewiss nicht.

Zu dem, worauf wir uns wirklich freuen, komme ich im nächsten Abschnitt.

Eine spannende Geschichte lesen ist wie ...

Viele Schreibratgeber sind wie Kochbücher. Sie bieten Rezepte, verraten aber nicht, warum wir ohne zu überlegen ein schmackhaftes Gericht dem Einheitsbrei vorziehen. Ohne diese tiefer gehende Einsicht sagen sich viele angehende Autoren: warum besonderes Augenmerk auf den ersten Satz? Hauptsache, er steht da. Wozu eine Prämisse, einen roten Faden und warum nicht abschweifen? Alles ist doch irgendwie unterhaltsam. Ich schreibe, also wird es gelesen!
Nein, wird es nicht!
Finden sich zu wenige Reize in der Geschichte, dann zeigt unser Organismus ein lesefeindliches Verhalten. Er sucht nach neuen Reizen in der Umwelt, um der Eintönigkeit zu entkommen. Im Idealfall schaltete er in den Schlafmodus und wir wachen irgendwann munter und erfrischt genug auf, um den Text zum Altpapiercontainer zu tragen.

Dagegen ist eine spannende Geschichte lesen wie Sex haben. Wer in diesem Fall mit wem Sex hat, dürfte klar sein: Bei dem Pärchen handelt es sich um Autor und Leser, wobei der Autor für das Gelingen verantwortlich ist.

Nachdem der Autor mittels provokanter Eröffnung Vorfreude beim Leser erzeugt hat, das heißt: Sein Hirn erwartet und freut sich auf Entspannung nach Anspannung, ist es zum Ziel noch ein ganzes Stück Weg.


Wie hält man den Leser am lustvollen Keuchen?
Laut Kochbuch gelingt das, wenn der Autor beim Motiv bleibt und den roten Faden nicht aus den Augen verliert. Nix ist schlimmer, als wenn jemand mitten im Akt zu seinem Partner sagt: „Du, ich geh jetzt erst mal Blumen gießen. Schlaf bitte derweil nicht ein.“
Was mich zu einem kurzen aber interessanten Einschub animiert:

Figurencharakter und Spannungsbogen oder:
warum es scheißegal ist, ob ein Detektiv kochen kann.

Es gibt Schreibgurus, die bejubeln frenetisch den harten, prügelnden und kompromisslosen Privatdetektiv, der, um der Figur Tiefe zu verleihen, nebenbei als virtuoser Hobbykoch präsentiert wird.
Das ist gequirlte Scheiße oder salonfähiger gesagt: Informationsmüll. Es sei denn, der Detektiv ermittelt gegen chinesische Porree Fälscher.
Damit will ich sagen: Auch private Marotten der Figuren sollten sich mit dem Hauptgeschehen (irgendwann) verknüpfen. Entweder zum Vor- oder zum Nachteil der handelnden Figur.

Warum Spannungsbogen,
und wenn ja, wie viele und was bewirken die überhaupt?

Der ideale Autor erzählt also nicht zwischendurch vom Blumengießen, sondern er bedient sich zweier Arten von Spannungsbögen.
Der erste ist der „orbitale“ Spannungsbogen. Er entsteht aus einem Konflikt zweier Figuren oder Parteien und lässt diese als Stellvertreter gegensätzlicher Wertesysteme antreten. Zum Beispiel: Gut gegen Böse, Macht wider Ohnmacht, Kunst kontra Profit, Mensch versus Natur.
Dieser Konflikt sorgt von Anfang an für die Grundspannung und wird erst gegen Ende der Geschichte gelöst.
Der orbitale Spannungsbogen sorgt auf dem Weg vom Anfang bis zum Ende der Geschichte für lustvolles Keuchen des Lesers.

Der oder die „lokalen“ Spannungsbögen animieren den Leser zwischendurch zu kurzen, lustvollen Schreien. Die lokalen Spannungsbögen können methodisch im Text untergebracht werden. Sie ergeben sich nicht aus dem Kampf der Wertesysteme, sondern aus dem Handlungsablauf.
Sie haben daher nicht die Kraft, eine ganze Geschichte zu tragen, zumindest keine gute Geschichte. Das vermag nur ein orbitaler Spannungsbogen zu leisten.

Der Hauptteil einer Spannungsgeschichte oder:
Das ist ja ein reizendes Chaos!

Man benutzt also zwei unterschiedliche Spannungsbögen und schreibt konsequent dem Wendepunkt entgegen.
Aber zunächst wirklich nur dem Wendepunkt „entgegen“ und nicht darüber hinaus!
Der Wendepunkt, wobei „Punkt“ nicht wörtlich zu nehmen ist, ist die Wende in einer Spannungsgeschichte. Schreibratgeber verorten dort gern die Lösungsansätze aller Konflikte.
Der Detektiv hat einen entscheidenden Hinweis erhalten oder ist durch einen Gedankenblitz zu einer Erkenntnis gelangt.
Das erinnert wieder an Kochrezepte und vermittelt kein Verständnis zur Notwendigkeit eines Wendepunktes und noch weniger verdeutlicht es, was genau genommen sich dort wendet. Dazu komme ich jetzt und im nächsten Abschnitt.

Der Hauptteil des Textes versorgt den Leser mit immer mehr Informationen. Zum einen über die Art und die Feinheiten der Konflikte, zum anderen über die Charaktereigenschaften der Figuren und ihre mehr oder eher weniger hilfreichen Handlungen zur Beseitigung von Schwierigkeiten.
Regionale Spannungsbögen sorgen für Rückschläge oder Richtungsänderungen, kurz: Chaos!

Der Autor darf und soll in dieser Phase für Chaos sorgen, am besten einem Chaos, welches in seiner Qualität das Chaos des gewöhnlichen Alltags (des Lesers) übersteigt.
Dadurch wird die Konzentration des Lesers auf die Geschichte überdurchschnittlich gesteigert, da er automatisch versucht, Ordnung im Informationsfluss zu schaffen. Der Leser kann daher aus seinem Alltag flüchten, was für viele der Anlass zum Lesen ist.

Der Hauptteil einer Spannungsgeschichte ist also die Zone, wo laut Kochbuch der Detektiv Fakten zum Verbrechen sammelt, nach einem Muster sucht und mehrere Personen als Verdächtige in Frage kommen usw.
Jetzt hätte ich beinahe das Hirn des Lesers vergessen. Sein Hirn ist nun aufs Äußerste gereizt. Es stöhnt und ächzt unter der Komplexität der Geschichte, es verbraucht Energie in hohem Maße, es leistet verdammt viel Arbeit, um zu verstehen, was in der fiktiven Welt geschieht. Dennoch ruft es nicht dem Leser zu: „aufhören, ich will nicht mehr!“ Nein, denn wenn es das täte, und nun sind wir wieder beim Sex, wäre die Menschheit längst ausgestorben.
Nein, das Hirn will nicht aufhören, bevor … aber dazu mehr im nächsten Abschnitt.

Die Umkehrung der Entropie oder:
Wie man das Hirn des Lesers befriedigt

Im Hauptteil haben wir stetig zunehmendes Chaos. Es gibt Autoren, die entlassen ihre Leser ins Chaos. Es gibt allerdings wenige Leser, denen es gefällt, nach der Lektüre Stunden, Tage, Wochen über den Text zu sinnieren, dann zu googeln, Fachbücher zu wälzen, um am Ende doch die Oma anzurufen, die ja bekanntlich immer Rat weiß und wahrscheinlich sagt: „Lies halt was Anständiges!“
Für den Großteil der Lesergruppe käme ein solches Ende einem Koitus Interruptus gleich, oder wie der moderne Lateiner sagt: einem verdammt unbefriedigenden Ende.

Das bisher schwer durchschaubare Geschehen und die offene Entwicklung der Geschichte sollten jetzt, nach dem Wendepunkt, schrittweise (sofern man keine Pointengeschichte oder einen Ratekrimi schreibt) entschlüsselt und in eine erkennbare Richtung geführt werden.

Das Chaos lichtet sich, die Komplexität reduziert sich, der Leser beginnt die fiktive Welt zu verstehen. Und das Hirn? Zu der Frage komme ich später. Zunächst möchte ich wieder zum Hauptthema zurück, zum Spannungsbogen.
Zur Erinnerung: Ich hatte zwei unterschiedliche Spannungsbögen erwähnt und jetzt, nach dem Wendepunkt, konzentriere ich mich ausschließlich auf den so wichtigen orbitalen Spannungsbogen.
Der sorgt auch während der Entropieverminderung für Spannung. Zwar wird der Erfolg des Ermittlers sichtbar, aber man weiß noch nicht, ob der Täter tatsächlich seine Strafe bekommt. Man weiß noch nicht, ob das Gute, nach allen Wirren und Hindernissen, sprich: lokalen Spannungsbögen, über das Böse siegen wird.
Dazu muss in der Geschichte erst eine poetische Gerechtigkeit hervorgebracht werden. Erst mit dem Zustandekommen einer poetischen Gerechtigkeit ist jegliche Spannung aus dem Text und die Geschichte zu Ende.
Erst jetzt ist der Leser zufrieden mit der Spannungsgeschichte.
Bleibt noch die scheinbar dumme Frage: warum?

Mach es noch einmal, Schatz!

Warum ist es dem Leser nicht egal, wie und an welchem Punkt eine Geschichte endet? Es ist doch alles bloße Fiktion!
Nun, inzwischen dürfte eines klar geworden sein: Das Hirn liest mit!
Womit hier nicht der Verstand gemeint war und ist, sondern ein paar Bereiche einer Region namens Amygdala und wahrscheinlich auch irgendein Teil dessen, was umgangsprachlich Reptiliengehirn genannt wird. Womit sich die Zahl unserer potentiellen Leserschaft erfreulicherweise verdreifacht. Aber Scherz beiseite und gedanklich zurück zum ersten Abschnitt.

Dort ging es um den ersten Satz, um den packenden oder provozierenden Einstieg.
Das auf diese Weise gereizte, man kann auch sagen, das angespannte Hirn macht (ohne das wir es daran hindern können – Amygdala!) einen Zeitsprung in die Zukunft und freut sich auf Entspannung nach Anspannung. Und weil das so trocken und wenig aufregend klingt, sage ich lieber: Das Hirn freut sich auf einen ansehnlichen Orgasmus!
Nun, wer schon mal einen Orgasmus hatte weiß, was danach kommt: der Wunsch nach einem weiteren. Warum das so ist, braucht uns nicht zu interessieren. Wichtig ist nur, dass der Leser nach der Lektüre denkt: Hey, von dem Typ will ich noch mehr lesen!
Damit hat der Autor sein Ziel erreicht.

 

Sie bieten Rezepte, verraten aber nicht, warum wir ohne zu überlegen ein schmackhaftes Gericht dem Einheitsbrei vorziehen
Das tun wir weder beim Essen noch beim Lesen.
Beim Essen bevorzugen wir den schmackhaften Einheitsburger, wenn auch in unterschiedlichen Aufmachungen.

Beim Lesen ist uns die Geschichte egal, Hauptsache der Held/die Heldin ist erotisch und sexy. Ein Film ist ja auch egal, solange Johnny Depp oder George Clooney mitspielen oder für Männer Jennifer Lopez oder Angelina Joley.

Ein Buch muss halt lange genug offen lassen, ob sie ihn/ er sie bekommt oder ich als Leser noch hoffen darf. Der Traumprinz muss vorkommen, der mein Essen goutiert und mich als Dessert vernascht oder die Traumprinzessin, die Ahnung von Fußball und Blasinstrumenten hat, aber dennoch Kurven.
Daraus erklärt sich auch, warum Jungen nicht lesen. Mädchen träumen in dem Alter noch von Pferden oder dem Traumprinz auf Pferden, sie könnten also immer wieder vom Zauberlehrling lesen, der auf einem Pferd angeritten kommt, um sie aus der Langeweile des Reichtums oder der Ödnis der Armut zu befreien, während es Pornos für Jungen halt nicht gibt und Mädchen bei den wilden Kerlen oder den Teufelskickern eher die Ausnahme sind. Was also sollte an Büchern für Jungen spannend und interessant sein? ;)

Was ich damit sagen will? Du gehst viel zu sehr von dir aus, Asterix *g* :D


Nein, sehr interessant dein Ansatz!

 

Lieber sim!

Beim Essen bevorzugen wir den schmackhaften Einheitsburger, wenn auch in unterschiedlichen Aufmachungen.
Geht mir in einer bestimmten Situation auch so. Beispiel:
Es ist Sonntag und meine Frau fragt: Gehst du zu Mac und holst was?
Was soviel heißt wie: Wenn du glaubst, ich koche heute, dann vergiss es!
Also, her mit dem Burger!
Der Vergleich mit dem Essen – den wir beide gebraucht haben – hinkt insofern, dass es beim Essen um die Befriedigung eines Grundbedürfnisses geht. Man hat unmittelbar Hunger, also muss man essen. Da kommt es nicht so sehr auf die Qualität an.
Aber Spaß beiseite.

Ein Buch muss halt lange genug offen lassen,
Stimmt. Aber warum?
Schreibguru antwortet: „Sonst wird es vom Verlag abgelehnt, weil es sich nicht verkaufen ließe.“
Das kann man so hinnehmen, oder weiterfragen: „Warum?“
Schreibguru antwortet: „Herrje, das ist eben so, Erfahrungswerte … bla, bla, …“
Ich frage weiter: „Aber warum sind die Erfahrungen so und nicht anders?“

Und dann komme ich zu dem Punkt, den ich hier einmal versuche aufzudröseln. Welche psychologischen und physiologischen Vorgänge sorgen dafür, dass wir den einen Text langweilig und den anderen spannend finden.

Beim Lesen ist uns die Geschichte egal, Hauptsache der Held/die Heldin ist erotisch und sexy. Ein Film ist ja auch egal, solange Johnny Depp oder George Clooney mitspielen oder für Männer Jennifer Lopez oder Angelina Joley.
Glaub ich nicht!
Gewisse Autoren und Filmstars verleiten zunächst dazu, ein Buch oder eine Kinokarte zu kaufen. Ob man dann das Buch oder den Film spannend oder langweilig findet, stellt sich erst später, beim Lesen, beim Anschauen heraus.

Der Traumprinz muss vorkommen, der mein Essen goutiert und mich als Dessert vernascht oder die Traumprinzessin, die Ahnung von Fußball und Blasinstrumenten hat, aber dennoch Kurven.
[…]
Was also sollte an [diesen] Büchern für Jungen spannend und interessant sein?

Da geht es dir ja mehr um das bevorzugte Genre.
Es gibt ja durchaus die Frage, warum der eine SF-Romane verschlingt, aber Horrorromane nicht mit der Kneifzange anfassen würde.
Eine Antwort darauf würde hier sicherlich zu weit führen. Und ich meine, die Mechanismen für Spannung gelten für jedes Genre und für jedes Lesealter und Geschlecht.
Nebenbei: was für Blasinstrumente? :D

Was ich damit sagen will? Du gehst viel zu sehr von dir aus, Asterix *g*
Nun, ich wäre gern von dir aus gegangen, aber das war mir nicht möglich. :D

Nein, sehr interessant dein Ansatz!
Das hatte ich erhofft!
Vielleicht wird aus dem „Ansatz“, mithilfe unserer Autoren hier, noch was Ausgereiftes.

Ganz lieben Gruß

Asterix

 

Vom Kochen und Lesen

Das alles ist nur graue Theorie. Die Praxis beweist, dass es den Rezept nicht gibt, weder für Ess- noch für Lesegerichte. Was es aber gibt, sind Zutaten, die Ess- und Lesbar sein müssen. Sie sind mehr oder weniger immer die gleichen, weil wir zwar Allesfresser und -leser sind, aber nicht alles verdauen bzw. goutieren können. Etwas abseits stehen hier Allergiker: Dem einen kannst du nicht mit Milch kommen, dem anderen nicht mit Sperma. Doch die sind in der Minderheit und daher zu vernachlässigen.

Wobei, wenn ich’s mir richtig überlege, es gibt vielleicht doch ein Rezept: Koche und schreibe, was du dir am liebsten selbst einverleiben würdest. :D

 

Das alles ist nur graue Theorie. Die Praxis beweist, dass es den Rezept nicht gibt,
Dieser, freilich noch zu ergänzende Leitfaden, soll kein neues „Rezept“ werden, sondern die vorhandenen Anleitungen, die sich, wen wundert‘s, im Grunde wie ein Ei dem anderen gleichen, mit neuen Argumenten ausstatten.
In den meisten Ratgebern werden Beispiele erfolgreicher Autoren gebracht, dann werden Philosophen wie Aristoteles, und wenn sich der Schreibguru viel zutraut, auch noch Kant zitiert.

Ich möchte hier die Sache von einer ganz anderen Seite angehen. Aus der Perspektive der Neuropsychologie. Sie definiert Verhaltungsweisen und Empfindungen aufgrund physiologischer Abläufe.

Bei einem langweiligen Text oder Film fallen mir schon mal die Augen zu, oder meine Gedanken schweifen ab.
Meine Theorie, oder besser Hypothese, lautet nun: Das passiert nicht bewusst! Den Ursachen dieser unbewussten Reaktionen auf die Spur kommen, heißt im Umkehrschluss, den Theorien (zu spannenden Geschichten) den grauen Schleier zumindest ein gutes Stück zu entreißen.

Koche und schreibe, was du dir am liebsten selbst einverleiben würdest.
:lol: Ist schon klar, etwas Spaß muss sein!

 

Hallo Asterix

Beim Lesen deiner Bedienungsanleitung kam ich von dem Gedanken nicht los, dass du dich von Martin Suter Der Koch hast inspirieren lassen. Obwohl, bei ihm war der erste Satz mir nicht anregend.

Eine provokante Behauptung, oder?

Meine Einleitung? Ja sicher. :D

Man benutzt also zwei unterschiedliche Spannungsbögen und schreibt konsequent dem Wendepunkt entgegen.

Hier beginnt mein persönliches Dilemma, da es eine andere Arbeitstechnik abverlangt, als ich zumeist verwende. Bei diesem Vorgehen bedingt es, das Konzept bereits vor sich zu haben, was bei mir höchst selten der Fall ist. Wenn ich dies andersrum versuchte, die Winzigkeit der Lösung bereits kannte, und sie wie Nouvelle Cuisine auf dem riesigen Teller serviert vor mir lag, verengte sich mein Magen wie bei einer Diät. Das Symptom eine Schreibblockade. Was ich dann noch bröseln konnte, waren Füllsel. :(

Der Autor darf und soll in dieser Phase für Chaos sorgen, am besten einem Chaos, welches in seiner Qualität das Chaos des gewöhnlichen Alltags (des Lesers) übersteigt.

Hm, ich war nie ein Anhänger der Chaostheorie. Vielleicht liegt es ja daran, dass das Mathematische daran mich nicht sonderlich anspricht. Sicherlich ist es aber von Vorteil, als Autor die geordnete Denkweise der Leser unterlaufen zu können und deren Vorstellungen zu sprengen – wenn dies gelingt.

Wichtig ist nur, dass der Leser nach der Lektüre denkt: Hey, von dem Typ will ich noch mehr lesen!

Nun, das ist wohl das, was sich jeder Autor wünschte. Doch ist die Individualität der Leser damit nicht zu sehr verallgemeinert? Dies mag bei Bestsellerautoren klappen, die den Trend der Zeit vermarkten und damit sogar Erfolg haben. Auf der Kehrseite blühen ihnen dann verbale Hiebe, die Literaturkritik goutiert solchen Schmaus meist weniger gut. Natürlich hat die Vielzahl an Romanautoren nicht mal die Chance, von den Kritikern überhaupt bemerkt zu werden, der Markt ist da ein zu grosser Moloch.

Dieser, freilich noch zu ergänzende Leitfaden, soll kein neues „Rezept“ werden, sondern die vorhandenen Anleitungen, die sich, wen wundert‘s, im Grunde wie ein Ei dem anderen gleichen, mit neuen Argumenten ausstatten.

Damit kann er sich weitgehend mit der wissenschaftlichen Literatur messen. In diesen sind Wiederholungen fachspezifisch Standard, natürlich stets mit Quellenangaben sowie persönlichen Ausführungen des Autors.

Doch du hast es amüsant auf einen Nenner gebracht, wie ein Autor sich seiner zu schaffenden Materie annähern kann. Nur praktisch tun sich Autoren wahrscheinlich eher schwer, die den einen oder mehrere Ratgeber neben sich liegen haben und versuchen, den Stoff damit dingfest zu machen.
Ich bin sicher nicht der Autor, der hier „Ausgereiftes“ zu dem Thema präsentieren kann. Doch nach meiner Erfahrung ist es gut, die Grundlagen für das Schreiben von Prosa sich zu verinnerlichen. Es fällt dann so manches wieder in klemmende Schubladen, die sich als Gedächtnislücken tarnen. Darum greife ich nach der Fertigstellung einer Geschichte eher mal zu einem dieser Bücher, blättere darin, lasse Hinweise assoziierend auf mich wirken. Und wenn ich dann mit angereizter Kreativität im Text noch Änderungen vornehme, sind es nicht selten jene Stellen, die mir die Kritiker zerzausen. Aber es ist mir doch noch immer die handlichste Methode. Deine Rezeptur werde ich auch zu diesen Werken legen, vielleicht erkenne ich dann mal den Wendepunkt. ;)

In diesem Sinne bleibe ich ein ewig Suchender, doch mit Freude an der Arbeit bei jeder kleinen Etappe, die gelingt oder misslingt.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Lieber Anakreon!


Beim Lesen deiner Bedienungsanleitung kam ich von dem Gedanken nicht los, […]
Na also, es geht doch! Schon mit dieser ersten Aussage hast du mich gepackt. Wie könnte ich an der Stelle nicht weiterlesen?

[..]dass du dich von Martin Suter Der Koch hast inspirieren lassen.
Hier übertreibst du es ein wenig mit der Entropie, dass ich fast verzage.

Obwohl, bei ihm war der erste Satz mir nicht anregend.
Ja, das ist fürchterlich. Immer wieder machen Verlage den Fehler und drucken so ein Zeug! :D

Bei diesem Vorgehen bedingt es, das Konzept bereits vor sich zu haben, was bei mir höchst selten der Fall ist.
Bei mir ist es auch so! Ich habe eine Idee und nebulös eine Hauptfigur im Kopf, dann lege ich los. Und habe keinen Gedanken an Spannungsbogen oder gar Prämisse im Kopf. Auch das Ziel ist noch ungewiss. So ab der Mitte, oder richtiger, ab der Stelle, die ich zu dem Zeitpunkt für den Wendepunkt halte, suche ich nach einem möglichen Ziel.
Was ich damit sagen möchte: Diesen Leitfaden zu spannenden Geschichten kann man auch als Plan zur Überarbeitung der ersten Version benutzen. Und zwar lediglich hinsichtlich der Spannung! Alles Andere, was noch zu einer guten Geschichte gehört, ist da nicht herauszuholen!

Hm, ich war nie ein Anhänger der Chaostheorie. Vielleicht liegt es ja daran, dass das Mathematische daran mich nicht sonderlich anspricht.
Ich dachte weniger an Mathematik und Physik. Chaos und Entropie sind auch Begriffe aus der Informationstheorie.

Sicherlich ist es aber von Vorteil, als Autor die geordnete Denkweise der Leser unterlaufen zu können und deren Vorstellungen zu sprengen – wenn dies gelingt.
Stimmt, wenn dies gelänge, wäre es ein Glücksgriff.
Aber man kann seine Figuren zumindest etwas Außergewöhnlicheres tun lassen als Straßenbahnfahren und Brötchenkaufen. Es sei denn, die Straßenbahn wird entführt und im Hinterzimmer der Bäckerei findet eine illegale Pokerrunde statt.
Oder, um mal vom Krimi-Image hier wegzukommen: Die Brötchenverkäuferin haut dem Protagonisten eine ihrer philosophischen Erkenntnisse um die Ohren, die das allgemein anerkannte Weltbild in Frage stellt.

Spannung hat ja nicht zwangsläufig etwas mit Mord und Totschlag zu tun. Spannend ist Alles, was im unbewussten Teil des Leserhirns einen Reiz auslöst.

Doch ist die Individualität der Leser damit nicht zu sehr verallgemeinert?
Das ist eine spannende Frage!
Ich will mal provokant antworten: Leser sind Menschen, und die „funktionieren“ alle auf gleiche Weise!

natürlich stets mit Quellenangaben sowie persönlichen Ausführungen des Autors.
Meinst du, das sei hier nötig? Oder gar ein Muss?

Doch du hast es amüsant auf einen Nenner gebracht,
Der wahrscheinlich 7586ste Leitfaden zu diesem Thema muss schon was bieten, dachte ich.
Interessant übrigens, dass hier jeder Kommentator das Thema Kochen aufgriff, nicht jedoch das Thema Sex, der ja wahrlich keine Nebenrolle in meinen Ausführungen spielt! :D

Ich bin sicher nicht der Autor, der hier „Ausgereiftes“ zu dem Thema präsentieren kann.
Da sitz ich jetzt aber in der Tinte. Ganz im Ernst! Irgendwie hatte ich immer einige Kandidaten, darunter auch dich, lieber Anakreon, im Sinn, die mir bei dem Psycho- und Neurokram weiterhelfen könnten!

Deine Rezeptur werde ich auch zu diesen Werken legen, vielleicht erkenne ich dann mal den Wendepunkt.
Mein Leitfaden griffbereit in deiner Schublade! :shy:
Und den Wendepunkt, den werden wir im Zweifelsfall in deiner nächsten Geschichte gemeinsam suchen.
Übrigens, ich habe *hüstel* nach dieser Anleitung auch noch nicht gearbeitet. Sie ist erst kürzlich entstanden.

ich ein ewig Suchender, doch mit Freude an der Arbeit bei jeder kleinen Etappe, die gelingt oder misslingt.
Das hast du schön gesagt! :)
Da erkenne ich mich wieder.


Lieben Gruß

Asterix

 

Lieber Asterix,

schon vor einer Woche habe ich deinen kleinen Schreibratgeber gelesen und mich darüber gefreut, weil mir gefällt, wenn Leute mit detektivischem Spürsinn den großen Rätseln des Lebens auf den Grund gehen!

Lieblingsstellen:

Das Hirn liest mit!
Wichtig ist nur, dass der Leser nach der Lektüre denkt: Hey, von dem Typ will ich noch mehr lesen!
Damit hat der Autor sein Ziel erreicht.

Was ich aus der Theorie mitnehme, sind die Vorstellung von den orbitalen und lokalen Spannungsbögen und der Rat, sozusagen unmittelbar nach dem Orgasmus Hemd und Hose anzuziehen und zur Tür hinauszugehen. ;)

Vor zwölf Jahren habe ich folgendes Kuchenback-Rezept gelesen:
Gib einer interessanten Figur ein Problem und beschreibe, wie sie es löst!

Danach kam die Lektüre der Werke von James N. Frey und Otto Schumacher. Solche Bücher sind schon unterhaltsam zu lesen, aber worauf es ankommt, lässt sich auch in wenigen Worten sagen: eine Geschichte erzählen, bei der man unbedingt wissen will, wie sie ausgeht.

Freundliche Grüße vom

Berg

 

Lieber Asterix

Bei mir ist es auch so! Ich habe eine Idee und nebulös eine Hauptfigur im Kopf, dann lege ich los. Und habe keinen Gedanken an Spannungsbogen oder gar Prämisse im Kopf. Auch das Ziel ist noch ungewiss. So ab der Mitte, oder richtiger, ab der Stelle, die ich zu dem Zeitpunkt für den Wendepunkt halte, suche ich nach einem möglichen Ziel.

Da bin ich froh, meine angewandte Arbeitstechnik nicht im Abfallkorb des Überholten zu finden. Zu Gustave Flaubert hatte ich schon mal gelesen, dass er nach einer analogen Methode schrieb und nun auch du. Der Wendepunkt ist mir nun auch greifbarer, als ein nicht vorab konstruierter Fixpunkt, sondern da auftretend, wo er sich im Geschehen anbietet oder auch zwingend ergibt.

Ich will mal provokant antworten: Leser sind Menschen, und die „funktionieren“ alle auf gleiche Weise!

Wenn das „funktionieren“ als ein „Grundmuster“ steht, kann ich mich da voll identifizieren. Beim Einzelnen sehe ich da einfach noch die Verfeinerungen, welche ihm seine Eigenarten geben.

Interessant übrigens, dass hier jeder Kommentator das Thema Kochen aufgriff, nicht jedoch das Thema Sex, der ja wahrlich keine Nebenrolle in meinen Ausführungen spielt!

Ha, hier haben wir ja ein klassisches Grundmuster. Na gut, da greife ich doch mal willkürlich einen Punkt heraus, bei dem ich beim ersten Lesen wegen der Konstellation aufmerkte. Ich legte es dann doch ad acta, um nicht frivol zu wirken:

Dagegen ist eine spannende Geschichte lesen wie Sex haben. Wer in diesem Fall mit wem Sex hat, dürfte klar sein: Bei dem Pärchen handelt es sich um Autor und Leser, wobei der Autor für das Gelingen verantwortlich ist.

Ich soll mich da auf dieser Ebene mit einem unbekannten Leser einlassen? Aber ich bin doch wählerisch. :eek: Na gut, wenn der unbekannte Leser sich mit mir literarisch einlassen möchte, ohne mir gleich an die Wäsche zu gehen. Doch orte ich da immer noch eine Differenz zwischen den beiden Spielarten, es sei denn, wir sprechen hier von einem Bordellbesuch. Der Autor ist natürlich schon in der Situation eines Prostituierten, er bietet seinen Werkkörper an. Ansonsten sehe ich die Verantwortlichkeit für das Gelingen beim Sex doch eher bei beiden Partnern. Hm, da muss ich mal vertiefter darüber nachdenken.

Quellenangaben

Meinst du, das sei hier nötig? Oder gar ein Muss?

Absolut! Natürlich nur dann, wenn du es in einer wissenschaftlichen Reihe einbringen willst. :teach:

Da sitz ich jetzt aber in der Tinte. Ganz im Ernst! Irgendwie hatte ich immer einige Kandidaten, darunter auch dich, lieber Anakreon, im Sinn, die mir bei dem Psycho- und Neurokram weiterhelfen könnten!

Oh weh! Ich muss mein Image entschlacken, da die Neurowissenschaften ein enorm komplexes Gebiet sind, bei dem ich staunend davorstehe, wenn ich manchmal Neues dazu höre. Zu klassischen Definitionsmustern kann ich da eher meine Meinung verantworten, im Wissen, auch nicht alles zu wissen.

So scheide ich denn im Wissen, Neues dazugelernt zu haben.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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