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Äußeres und Inneres
Nick steuerte zielstrebig das Buch an. Dann atmete er einmal tief durch. Er las leise den Titel des Buches mit innerer Genugtuung: „Der Steinkönig“.
Der Titel war wie Musik in Nicks Ohren. Schlicht gehalten und mit einer gewissen Macht. Genauso war auch das Cover gestaltet: ein nach vorne gebeugter König mit einem grauen Mantel. Das war der Steinkönig. Ein gebrochener Mann. Was passiert wohl in dem Buch?
Während Nick das Buch in die Hand nahm, schaute er sich im Buchladen um. Auf zwei Stockwerke waren die Bücher verteilt. Er hielt sich wie so oft in der Fantasyabteilung auf. Aus der Menge sah er eine Buchhändlerin mit einigen Büchern in den Händen sein Regal ansteuern. Als Single hielt Nick immer seine Augen nach einer möglichen Partnerin auf. Die Buchhändlerin sah ziemlich ansprechend aus. Um sie nicht anzustieren, widmete er sich dem Klappentext. Keine Laudatio über das Buch von einer Zeitung oder etwas Ähnlichem. Anstatt eines Klappentextes war ein kurzer Wortwechsel auf der Rückseite des Buches zu finden.
„Unser Vater ist ein guter Herrscher. Dem Volk geht es gut.“
„Wenn du das sagst, kennst du das Volk nicht.“
Es ging also um zwei Geschwister, der eine auf der Seite des Vaters, der andere dagegen. Der Steinkönig war wahrscheinlich der Vater. Zwei Kinder, die unterschiedlicher Meinung zur Herrschaft ihres Vaters waren, das war doch mal etwas.
Nick schlug das Buch auf. Dabei schaute er, wie die Buchhändlerin die Bücher ins Regal räumte. Ihr Kleidungsstil lag voll im Trend. Sie war eine gut gekleidete und schöne Frau. Nick widmete sich wieder dem Buch. Es war die erste Auflage, erschienen in diesem Jahr. Er überflog die Zeilen des Klappentextes und senkte enttäuscht seinen Blick. Drei Kinder, der älteste Sohn steht hinter dem Vater. Jüngerer Bruder rebelliert mit der Schwester. Dass die Rebellion siegen würde, verriet Nick die Art, wie der Klappentext geschrieben war. Enttäuscht schlug er das Buch zu.
„Oh, ‚Der Steinkönig‘. Das ist ein sehr gutes Buch. Ich habe es erst kürzlich gelesen. Ist sehr empfehlenswert.“
Nick schaute der Buchhändlerin in die Augen.
„Das Thema hätte Potential gehabt. Eine gespaltene Herrscherfamilie. Doch es klingt sehr nach dem Schema: übermächtiger böser Herrscher, der von einer eigentlich chancenlosen Rebellion gestürzt wird.“
Nick seine Direktheit irritierte die Buchhändlerin. Sie suchte kurz Worte. Nick sah ihr an, dass sie von dem Buch wirklich überzeugt war und gerade überlegte, wie sie es verteidigen konnte, ohne den gesamten Inhalt zu verraten.
„Es ist sehr unterhaltsam geschrieben und es gibt sehr viele überraschende Wendungen, mit denen man davor nicht rechnet. Auf jeden Fall lesenswert, wenn du ein Fantasyfan bist.“
„Danke für den Tipp, ich werde es mir überlegen.“
„Lies ruhig ein wenig rein. Und wenn ich dir noch irgendwie weiterhelfen kann, dann sprich mich einfach an.“
Sie zeigte auf ihr Namensschild.
„Bin übrigens die Cindy.“
„Danke für den Tipp. Falls ich deinen Rat brauche, melde ich mich.“
Die Buchhändlerin ging weiter. Nick schlug das Buch im ersten Viertel auf und las eine Seite. Von außen war das Buch top, doch der Inhalt ein Flop. Genau wie die Frau. Äußerlich gab sie etwas her, doch wenn sie dieses Buch mochte war sie eine Leserin fernab von seinem Geschmack.
Nick setzte seine Suche nach einem guten Buch fort. Er ließ seinen Blick über sämtliche Bücher im Regal schweifen. Sie wirkten bunt, viele hatten einen kreativen Titel. Doch sie alle zeigten bereits, dass es einen Helden gab, der seinen Auftrag erfüllte. Ein Autor hatte mal eine gute Idee gehabt und viele Möchtegerne kopierten sie in ein anderes Szenario.
Gelangweilt ließ er seinen Blick durch den Buchladen streifen. In der Leseecke wurden genau die Bücher unter die Lupe genommen, die ihn anwiderten. Viele Kunden steuerten zielstrebig ein Regal an, sie wussten bereits, was sie wollten. Angestellte liefen herum, berieten und sortierten Bücher ein. Nick beobachtete das alles und überlegte anhand der Kleidung und des Auftretens, wer diese Personen außerhalb des Buchladens waren und was sie hier suchten. Die Personen erinnerten Nick an die Bücher: alle hatten was Individuelles, doch sie alle konnte man verschiedenen Genres zuordnen.
„Kann ich Ihnen behilflich sein?“
Erschrocken fuhr Nick herum. Eine Buchverkäuferin hatte sich von hinten genähert, ohne dass er es bemerkt hatte. Er musterte sie kurz. Sie war schlicht gekleidet, kein erkennbares Makeup. Nick überlegte, wie sie wohl aussah, wenn sie sich hochstylte. Wahrscheinlich eine wahre Schönheit.
„Oh! Entschuldigung, wie ich sehe, haben Sie bereits etwas gefunden.“
Die Buchverkäuferin wollte sich wieder abwenden. Nick verfluchte sich, er hatte vergessen zu antworten.
„Äh, eigentlich bin ich noch auf der Suche nach einem guten Buch.“
Die Buchverkäuferin hielt inne. Nick schaute auf das Namensschild. Veronika.
„Ein Buch reicht Ihnen also nicht? Wenn Sie ‚Der Steinkönig‘ gut finden, dann weiß ich ein paar weitere Bücher, die Ihnen gefallen könnten.“
Nick fiel jetzt erst auf, dass er noch immer das Buch in der Hand hielt.
„Oh, nein, dass will ich nicht kaufen. Cindy hat mir es empfohlen, aber es scheint eines von diesen FF Büchern zu sein, wo man sofort weiß, wie es ausgeht.“
Nick legte das Buch schnell weg.
„Das ist aktuell eines unserer Bestseller, ich habe bisher noch keine schlechte Kritik darüber gehört und muss auch sagen, dass es einen guten Schreibstil hat.“
„Das hört sich zwar gut an, aber mir vergeht der Spaß am Lesen, wenn ich noch vor Beginn des Buches weiß, dass die beiden jüngeren Geschwister am Ende auf dem Thron sind.“
„Die absolutistische Monarchiestruktur wird am Ende sogar verändert, mehr Macht dem Volke. Aber ja, ich weiß, was Sie meinen. Ihnen scheint es um eine gute Handlung zu gehen.“
„Könntest du, könnten Sie mich duzen, sonst komme ich mir so alt vor?“
„Klar. Ich bin Veronika.“
„Nick.“
„Also, was suchst du genau? ‚Der Steinkönig‘ bietet eine berechenbare Handlung, Liebespaare und die triumphierenden Helden am Ende.“
„Wie wäre es mit zahlreichen überraschenden Wendungen, Freundschaft, Liebe, Verrat und toten Helden?“
„Du gefällst mir. - Äh, ich meine, dein Buchgeschmack.“ Veronika errötete leicht.
„Du scheinst an den Büchern hinter dir keinen großen Gefallen zu haben.“
Veronika schaute kurz in das Fantasyregal in ihrem Rücken. Leise antwortete sie.
„Ja, ich liebe Bücher, aber welche mit Qualität. Dass mich die meisten Bücher anöden, macht es nicht gerade leicht, sie zu Verkaufen.“
Nick merkte, wie sich Veronika verändert hatte. Zuvor war sie gespielt höflich gewesen, nun schien es ihr eine Herzensangelegenheit zu sein, ihm ein gutes Buch zu empfehlen.
„Aber einige Bücher aus dem Regal sind ganz gut."
Veronika drehte sich zum Bücherregal und zog eines der Bücher heraus.
„Das ist nicht schlecht.“
„Da hast du recht, nicht mein absolutes Lieblingsbuch, doch besser als viele andere.“
Veronika schaute Nick respektvoll an. Sie zog noch zwei weitere Bücher heraus, die Nick bereits in seinem Bücherregal daheim hatte.
„Wenn du die Bücher alle nur gut findest, was ist dann eigentlich dein Lieblingsbuch?“
„‚Zwergen versus Elben‘. Ein Buch, dass in beiden Völker gutes und schlechtes hervorhebt. Beide Völker sind im Recht und Unrecht.“
„Das Buch sagt mir gar nichts und der Titel ist nicht gerade kreativ. Deine Beschreibung hört sich aber gut an.“
Veronika ließ ihren Blick erneut über das Bücherregal schweifen.
„Ich habe viele Bücher daheim, die was für dich wären. Doch die haben wir leider hier nicht vorrätig.“
Veronika hielt in der Bewegung inne.
„Oh, das haben wir noch einmal da. Das musst du unbedingt lesen.“
Sie holte ein recht verstecktes Buch aus dem unteren Eck des Bücherregals hervor. Nick begutachtete es. An die sechshundert Seiten, nach außen stach es weder durch Cover noch Titel heraus. Doch bereits der Klappentext verriet Nick, dass es genau die Art von Buch war, die er liebte.
Nick schaute zu Veronika auf.
„Danke, ich glaube, dass Buch nehme ich.“
„Freut mich immer wieder, anderen weiterhelfen zu können.“
Veronika wandte sich gerade ab. Nick schaute nochmal auf das Buch. Auf den ersten Blick gab es nicht viel her, doch im Inneren würden lauter Überraschungen lauern - genau wie bei Veronika.
„Veronika, hättest du vielleicht Lust, mit mir später, ähm, einen Café oder so zu trinken?“