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Über Ann und Sam und den Regen

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08.11.2001
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Über Ann und Sam und den Regen

Über Ann und Sam und den Regen

Sam trat in die Hotelhalle hinunter. Sie hatte nichts zu bieten. Nur abgetretenen, billigen Vellours - Teppich und pflegeleichte Zimmerpalmen mit braunen Blatträndern.
Hinter dem Tresen aus rotlasiertem Holz, das offenbar elegant gemeint war, und schon von weitem nach 70er - Jahre aussah, döste Pietro. Sam schlenderte an ihm vorbei, und erhielt eine abwesend - mechanische Reaktion des Portiers. Sam ließ sich in die abgewohnte Sitzecke fallen. Nicht, daß es hier gemütlich genug war, um es sich bequem zu machen. Etwa so gemütlich, wie ein Wartesaal. Aber aus einem 12 Quadratmeter - Zimmer heraus erschien ihm die Hotelhalle immer erst als Alternative. Nach einigen Minuten rutschte er unruhig auf dem Polster herum, die Federn unter dem Stoff quietschten rhythmisch, und sah auf die Uhr.
Nach noch ein paar Minuten stand er auf, drehte sich, noch mit gebeugtem Rücken, ohne sich ganz aufzurichten, und setzte sich langsam auf das gegenüberliegende Sofa. Jetzt hatte er nicht mehr Pietro im Blick, sondern die Tür.
Doppelte Glastür, mit kleinen Metalleinfassungen an den Scharnieren, pompösen Messinggriffen und einer grauen Straße, die auf dieser Seite von mattbunten Kleinwagen gesäumt war. Über diese Autos lief das Wasser. Langsam, ständig, wie Tortenglasur.
In der Halle war es fast still. Hinter Pietro tickten 5 Uhren, die die Uhrzeiten an wichtigen Punkten dieser Welt angaben. New York, Tokio, Moskau, L.A., Mitteleuropa.
Wer sich in der Halle des Palazzo Milanese je für die aktuelle Zeit in Tokio interessiert hatte, war für Sam unerklärlich. Aber vermutlich hatte dieses Haus zusammen mit seinem Inventar einmal bessere Tage gesehen. Tage in denen wichtige Leute viel Geld ausgaben, hier große Geschäfte abgeschlossen wurden, und überhaupt alles noch besser war. Das mußte zu den Zeiten gewesen sein, aus denen das Mobiliar stammte. Irgendwann einmal war es wohl modern gewesen, und niemand hatte es seitdem für nötig gehalten, sich davon zu trennen.
Jetzt saß Sam nur da, und sah in den grauen regen auf die nasse Mauer gegenüber. Von Zeit zu Zeit brummte ein Auto die Straße entlang, spritzte das Wasser hoch über die anderen Wagen, und ließ wieder Stille einkehren.
Sam hatte aufgehört, auf die Uhr zu sehen. Er hatte auch aufgehört, das Ticken der Uhren zu beachten. Er starrte nur noch in den Regen. Schon seit Tagen. Aber auch in den Kalender hatte er lange nicht mehr gesehen.
Irgendwann Anfang des Monats, in Rimini, hatte er mit Ann zu Abend gegessen. Fischrestaurant am Hafen, Urlaubsstimmung, guter Wein. Sie hatten sich unterhalten. Eine Weile jedenfalls. Dann hatte sie mit den Vorwürfen nicht aufhören können. Er war laut geworden. Sie hatte geschwiegen, ihn nur angesehen. Dieser Blick ! Anns Blick. Schon eine ganze Weile her.
"Wenn das so ist, kannst Du ja gehen", hatte er gesagt, und es in dem Augenblick bereut, als sie "Ja" sagte.
Schweigend waren sie zum Hotel zurückgegangen. In einer Nacht, die vor Sommer und Romantik platzte, und die er als "drückend schwül" beschrieben hätte.
Pärchen gingen eng umschlungen an ihnen vorbei. Sie berührten sich nicht. Sie sprachen nicht. Im Zimmer legte sie ihren Koffer aufs Bett, sortierte ihre Dinge hinein und schloß vernehmlich den Reißverschluß rundherum. Währenddessen saß er schräg auf dem Fensterbrett, einen Fuß darauf gestellt, das angewinkelte Bein mit den Armen umschlossen, sah in die Sterne hinauf und fragte sich, wie sie bis hierher ge-kommen waren. ( An diesem Punkt, an dem keiner von beiden sich wohlfühlte, der sie einfach eingeholt hatte. )
Während er die Sterne analysierte, und die Mofas durch die Gasse rauschten, Menschen riefen und lachten, Musik dudelte und alles nach Sommer roch, war er sicher, daß alles anders war. Daß sie nur bluffte. Und daß es nicht wahr war.
Um sich nicht dem Anblick stellen zu müssen, der das widerlegen konnte, um sich jetzt nicht mit ihr auseinandersetzen zu müssen, dreh-te er sich nicht um.
Als die Tür hinter ihr zuschlug, zuckte er zusammen. Dann breitete sich eine kribbelnde Kälte in ihm aus. Der Kloß in seinem Hals hin-derte ihn am Schlucken, er hustete. Sein Hirn arbeitete auf Hochtouren, machte den versuch, die letzte Stunde aus seinem Leben zu eli-minieren. Die Uhr zurückzudrehen. Ihm fiel ein, daß er ihr hinterherlaufen sollte, mit ihr reden. Sie aufhalten.
Er sah sie vor sich. Ann stieg in den Fahrstuhl, bugsierte Koffer und Reisetasche hinein, und drehte der Tür den Rücken zu, die sich lang-sam zwischen sie schob. Im letzten Moment sah er ihr Gesicht. Bemühte Entschlossenheit mischte sich mit offenen Fragen. Dann sah er sie erst wieder, als sich die Lifttüren in der halle öffneten.
Mit hocherhobenem Kopf trat Ann aus der spiegelnden Liftkabine und schritt durch die Halle auf den Empfang zu. Währenddessen be-mühte sich ein Kofferträger in blauer Uniform, ihr Gepäck aus dem Fahrstuhl und bis an die Tür zu tragen.
Jetzt endlich bewegte sich Sam, zur Tür hinaus, zum Lift, nach einer Ewigkeit Warten die vier Treppen hinunter, um Anns weinrotes Kleid, und ihre blonden Haare durch das Portal verschwinden zu sehen. Als er auf die Straße lief, hupte es hinter ihm, das Taxi bog um, die Ecke, Anns Haar hinter der Scheibe, sie war verschwunden.
Da hatte es begonnen.
Am nächsten Morgen war er abgereist. Nach einer schlaflosen Nacht, in der seine Hände immer wieder nach Ann gesucht hatten. Aber ihre Hälfte des Bettes blieb leer.
Er fuhr weiter bis Mailand. Quartierte sich im Palazzo ein, bezahlte eine Woche im Voraus, und verließ das Zimmer nicht. Pietro brachte ihm die Mahlzeiten, Scotch und Popcorn. Der Fernseher plapperte den ganzen Tag italienisch und Sam verstand kein Wort.
Er verstand mindestens genauso wenig, warum Ann gegangen war. Nach einem Tag hatte sich die Frage so tief in sein Bewußtsein einge-prägt, daß er begann, die Frage in Frage zu stellen, statt sie zu beantworten.
Schließlich bildete er sich ein, sie habe ihm nur einen Schrecken einjagen wollen. Sie hatte eine Nacht in einem anderen Hotel verbracht.

[ 22.04.2002, 14:02: Beitrag editiert von: arc en ciel ]

 

Der Schluss war ziemlich gut, allerdings war das, was davor kam wirklich etwas langweilig. Ein Drittel der Geschichte besteht nur aus der Beschreibung des alten Hotels, dabei ist das Hotel doch gar nicht so interessant. Ich wollte z.B. wissen was für ein Mann Sam überhaupt ist. Es wäre glaube ich besser gewesen, wenn Du dem Leser die Personen, ansteller ihrer Umwelt, näher gebracht hättest.

 

Danke für das Lob + die Kritik.
was ich mit der Umweltbeschreibung erreichen wollte, war eine gewisse Distanz. Die Trostlosigkeit, und das fehlende Auseinandersetzen mit dem eigenen Inneren.
Nach Deiner Kritik muß ich mir mal genau ansehen, ob ich es übertrieben habe ...
bis denn, Ciao, arc

 

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