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Überall ist auch New York

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05.08.2001
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Überall ist auch New York

Hinweis: Diese Geschichte ist eine meiner ältesten überhaupt. Inzwischen halte ich sie selbst für naiv und langweilig, aber bei kg.de findet man fans für alles...(Rainer: Viel Spaß!)


Überall ist auch New York

Das Rauschen in ihrem Kopf lässt ein wenig nach, aber der Gedanke, das Wissen, es wieder erleben zu werden, ist eine Qual. Schlimmer noch als jede Pein ist die Gewissheit des Folgenden.

Die hasserfüllten Schreien, das winselnde Flehen und das jammernde Betteln von neben ist unerträglich. Immer. In der Nachbarswohnung lebt die 20jährige, nur ein Jahr älter als sie, nur durch dünne Wände getrennt. Als Lisa nach New York oder sonst wohin gegangen war, um die große Freiheit zu finden, lernte sie als erstes ihre Nachbarin kennen. Sie war so was wie ein Vorbild, ein Idol, mehr als das, ihre Zukunft. Sie lebte Lisas Zukunft. Sie gab ihr Kraft und Mut, auch ein wenig Zuversicht, Heimisches, mit aufmunternden Worten, kurzen zustimmenden Kopfbewegungen, einem Lächeln.
Lisa konnte sich die Wohnung nur mit der Unterstützung ihres Vaters leisten. Auch wenn es ihr nicht passte, mit ihrem Vater war Lisa wenig, ohne ihn jedoch ein Nichts irgendwo in New York oder sonst wo. Sie aber erwähnte nie ihre Eltern, hatte keine Vergangenheit, nur das Jetzt und vielleicht noch das Morgen, sie konnte tun und musste nicht zurückschaun. Das einzige, was sie je erwähnte, war, dass sie Glück mit dem Vermieter hatten und das tat sie ziemlich oft.

Und das wurde Lisa auch in dieser Nacht bewiesen.
Nichts Ungewöhnliches geschah. Lisa saß zusammengekauert auf ihrem Bett. Kalter November, eine Tür quietscht, jetzt Schritte. Wieder mal. Nicht einmal überraschend kam er in die andere Wohnung, er musste nicht anklopfen, jeder wusste, dass er kam, selbst Lisa, ihre Nachbarin. Und selbst wenn sie es nicht gewusst hätte, es war zu hören, durch die dünne Wand: Das Holz knarckste, jetzt stand er schon im Flur, am schmalen Holztisch, auf den sie jeden Abend ihre Schlüssel ablegt, wenn sie von der Arbeit kam. Jeden Abend wurden die Schlüssel auf diesen Tisch gelegt, immer. Das war ein Ritual, das war gut. Er war ein Eindringling, obwohl ihm das Haus gehörte, er war schlecht. Sein Kommen war ein Ritual, jeden Monat, immer am Monatsende, nachdem er duscht, das konnte sie riechen. Sie roch das Shampoo, Pfirsichduft, manchmal auch Zitrone oder Limone, da war sie sich nie so sicher. Es machte ihr Spaß über sein Shampoo nachzudenken, es lenkte sie ab, über sein Shampoo nachzudenken, wenn sein schwerer Atem wiederkam.

Über so etwas redet man nicht, sagen die Nachbarn, wenn sie darüber reden. Lisa hatte sich lange nicht getraut, danach zu fragen, aber schließlich wurde es unerträglich. Beim ersten Mal tat es Lisa sehr weh, es schmerzte, überall, sehr schlimm, aber für sie war es kein Problem, böser Alltag, wie die Nachbarn sagten, wenn sie nicht darüber redeten. Dann fragte Lisa sie. Es war nicht einfach, zu wissen, was man sagt oder nicht sagt. Ganz zaghaft erkundigte Lisa sich dann doch, was sie denn vom Vermieter hielte? Er ist ein netter Kerl, sehr nobel, wegen der Miete und so. Hm, Lisa nickte und nach einer betretenen, stillen Sekunde ging sie, wie alle mit Gewissheit.
Lisa konnte jeden Monat miterleben wie nobel er war. Ganz vorsichtig wird die Tür geöffnet, auf Zehenspitzen kommt er hinein. Wenn er den Schlüssel umdreht, hält er das klirrende Bund fest mit der Hand umschlossen, weil er denkt, dann hört ihn niemand. Aber Lisa hört ihn und sie auch, zählt seine Schritte, durch den Flur braucht er vier, bis an ihr Bett drei. Er schafft es auch mit einem einzigen, wenn die Miete überfällig ist. Und dann tut er, was ein Mann wohl tun muss, wenn er so nobel ist. Sie jammert, quengelt, schreit, schluchzt, plärrt, beide, aber dann fällt ihr wieder ein, was für ein Mann er ist, ein netter Kerl. Lisa kann besonders gut hören, wie großmütig er ist, er stöhnt über die Miete, braucht manchmal einen Zuschuss. Den bekommt er auch. Das ist dann der Teil, in dem sie schrill aufschreit und etwas sucht um sich festzuhalten, wenn sie seine Edelmütigkeit nicht fassen kann. Manchmal geht er auch, aber nicht oft.

Lisa fragt sich oft, was das alles soll, warum die Welt so etwas tut und sie denkt dabei an sie, nicht ohne ein Gebet zu sprechen, aber meistens fällt uns dann ein, dass man doch in New York ist oder sonst wo. Denn New York ist überall.

 

Hallo,

Was hast Du denn, die Geschichte ist doch ganz gut. Nur das ganze mit "New York oder irgendwo" finde etwas irritierend, bis zum Schluß, wo man merkt, dass damit gemeint ist, es spielt eigentlich keine Rolle wo sie ist.
War sozusagen Deine Antwort auf Poncher's Frau im Keller, oder?

 

HI!
Ja, ist mächtig überzeugend, zu sagen, dass man solche Geschichten nicht mag und selbst sowas zu schreiben, ne? ;)

kc

 

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