Ach du Fröhliche
Ach du Fröhliche
O.K. bloß keinen Stress aufkommen lassen, selbst für einen Klaustrophobier sollte das zu schaffen sein. Großstadt, Vorweihnachtszeit, Menschenmengen im Kaufrausch und der Countdown für den Geschenke Einkauf läuft unerbittlich. Noch ca. 15 Leute zu beschenken und mindestens doppelt so viele Geschäfte, in denen der potentielle Kunde mit seiner noch viel zu schweren Geldbörse in der Tasche und den eingehenden Werbeslogans der großen Firmen im Unterbewusstsein alles kaufen kann was eh keiner braucht. Einfach von der Masse treiben lassen aber verdammt, die falsche Seite, ich wollte doch in das Kaufhaus da drüben... zu spät, jetzt noch die Seite zu wenden ist ungefähr so einfach, wie zur Hauptverkehrszeit auf der A1 zu wenden. Sei´s drum und während ich mich bemühe keine Ellenbogen in die Weichteile und keine Regenschirmspitzen in die Augen zu bekommen, spricht mich ein Typ um die 25 an, der heute anscheinend schon gegen das Betäubungsmittelgesetzt verstoßen hat und auf dessen T-Shirt der Schriftzug „Eure Armut kotzt mich an“ zu lesen ist. Mit der Frage „Haste mal ´n bisschen Kleingeld?“ und einer abnormen Körperhaltung postiert er sich vor mir. Da ich meine Auffassungsgabe so wie meine Gedult irgendwo in der Menge verloren habe, antworte ich mit –Ja- und schwenke elegant an ihm vorbei. Ein paar Meter weiter fällt mein Blick auf einen der zahlreichen Stände am Rande der Fußgängerzone. Da steht er, der Weihnachtsmann und man kann sich mit ihm fotografieren lassen, allerdings nur, wenn man nicht mehr als 1,10 Meter misst. Endlich sehe ich auch seinen Gehilfen Knecht Ruprecht mal mit eigenen Augen. Dieses geheimnisvolle Wesen, von dem eigentlich keiner so richtig weis wie er aussieht, zu Recht wie sich herausstellt, kein Wunder, dass der Weihnachtsmann ihn das ganze Jahr über im Rehntierstall einsperrt. Er ist ca. 17 Jahre alt, trägt ein schwarzes Bomberjackenimitat, ist augenscheinlich homosexuell und Kettenraucher. Die fettigen Haare und die abstrakte Pickellandschaft in seinem Gesicht lassen darauf schließen, dass es dort wo er herkommt kein fließendes Wasser gibt. Was aber macht der Weihnachtsmann den ganzen Rest des Jahres über? Seine jetzige Beschäftigung ist sicher nur eine ABM Geschichte. Vielleicht Weintester oder Brauereifachangestellter, auf jeden Fall ist die tief rote Nase echt. Bevor ich mich noch selbst meiner letzten Illusion beraube, ziehe ich lieber mit dem Pulk weiter. Vorbei an Würstchenbuden, Süssigkeitenständen und Tannenbaumverkäufern verbinden sich die Gerüche zu einem Gemisch, welches meine Nase kollabieren lässt. Die Marktschreier, das Stimmengewirr und dieses permanent aus allen Ecken tönende Weihnachtsgedudel, das eher Aggressionen als harmonische Stimmung aufkommen lässt, bringen meinen Hörnerv dazu, sich ebenfalls zu verabschieden. Zwei Sinnesorgane weniger aber sehen kann ich noch und sogleich fällt mein Blick auf den, unter der Last des Schmucks fast zusammenbrechenden, Weihnachtsbaum auf dem Marktplatz. Ich halte an, um diese Oase der Schönheit in dem ansonsten so hektischen Treiben zu bewundern, doch Schmerz stört diesen Augenblick des Genusses. Ich drehe meinen Kopf langsam und bemerke ein kleines Mädchen, das sein Gesicht in einer Mandeltüte vergräbt und ich bitte sie, mit dem letzten Rest Geduld, doch den Puppenwagen, den sie gerade auf meiner rechten Ferse geparkt hat, zu entfernen und verlieh meiner Bitte mit einem, zugegebenermaßen, laut gerufenen DANKE Nachdruck. Das besagte Danke habe ich wohl ein wenig zu laut und bedrohlich ausgerufen, denn die Kleine fängt schon laut an zu heulen. „Mama, Papa, der Mann hat mich angeschriehen!“ Toll, jetzt kommen Mama und Papa, obwohl ich ehrlich gesagt nicht unterscheiden kann wer von Beiden was ist. Offensichtlich im Glühweinrausch und mit einer Rute sowie einem dicken Schlüsselbund bewaffnet, stürmen sie auf mich zu. Der Klügere gibt auf heißt es und so ergreife ich die Flucht. Vorbei an den bekannten Ständen sehe ich noch den schwulen Knecht Ruprecht mit Zigarette im Mund über mich lachen. Das Gesetz der Schwerkraft wurde meinen Verfolgern dann zum Glück zum Verhängnis, denn sie hatten viel Masse aber wenig Ausdauer diese auch zu bewegen und sie gaben auf. Morgen ist der Vierundzwanzigste und ich habe immer noch eine Menge Geschenke zu besorgen. Ach du Fröhliche!