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Alltag - Der traurige Mann
Alltag - Der traurige Mann
„Mama, ich geh kurz Kippen holen“, brüllt der traurige Mann zu seiner schon fast tauben Mutter und geht, sein versifftes Unterhemd tragend aus seiner heruntergekommenen Wohnung. Vorbei an ein paar dreckigen Wänden und Hundescheiße hinaus ins Freie.
Vor dem tristen Plattenbau liegt ein junges Mädchen: kreidebleich, farbenfrohe moderne Frisur und zerfetzte Klamotten. „Na? Gestern wieder ordentlich Party gemacht?“ – Keine Reaktion – „Du schaust noch ziemlich jung aus, um so zu feiern“, sagt der traurige Mann. Wieder keine Reaktion. Sein Puls steigt, die Ader auf seiner Stirn beginnt zu pochen. „Du scheiß Göre! Da will man EINMAL nett sein und du kriegst nicht mal deine scheiß Fresse auf“, schreit und spuckt der inzwischen knallrote Mann.
Er geht weiter, als er das Mädchen leise lachen hört: „Loser“. Sie lacht, genauso wie sie überall über ihn lachen: Muttersöhnchen, Loser, Norman Junior… Er hat so viele Spitznamen und normalerweise ist es ihm schon egal was andere sagen, aber dieses Mal war irgendetwas anders. Selbst dieser abgefuckte Teenager, der am Boden lag, Kotze auf der Hose hat, halbtot aussieht und auch so riecht, kann noch über ihn lachen. „Warum?“ fragt sich der traurige Mann: „Warum kann ich nicht einfach darüber lachen, wie alle anderen?“ Fragen über Fragen auf die er keine Antworten parat hat.
„Eine Schachtel Marlboro“, sagt er zum Angestellten der Trafik. „Sonst noch was?“ fragt dieser. „Ne, passt schon“ sagt der Mann und geht hinaus. „Obwohl“, sagt er und kommt zurück. „Ich gönn mir heute mal was. Ich nehme mir das Zippo da, mit dem Smiley.“ Das erste Fläschchen Benzin gibt’s gratis dazu.
Wieder zurück zum Plattenbau. Das Mädchen liegt immer noch da. Sie war inzwischen eingeschlafen. Der Mann fängt an, völlig unbeschwert das Lied aus seiner Lieblingswerbung zu summen und öffnet gemütlich das Fläschchen Benzin. „Immer schön den Kopf waschen“ flüstert er ihr zu und übergießt ihren Kopf. Seelenruhig nimmt er sein Feuerzeug und zündet sie an.
Noch während er zu seiner Wohnung geht, fängt sie an zu schreien. Er öffnet die Wohnungstür setzt sich neben seine Mutter, die die Schreie sowieso nicht hören kann. „Warst du schon Zigaretten holen?“ fragt sie ihn.
„Alles erledigt, Mama“ sagt er und beginnt aus vollem Herzen zu lachen.