alltag?
Heute versucht mich weiter als bis zum Supermarkt, oder der Kneipe von der Wohnung zu entfernen.
Diesig. Nebelfeucht. Schleiergrau. Die Dame, die mit mir an der Bushaltestelle steht hat ähnliche Fesseln wie eine eigentlich vergessene Person. Fesslt mich das noch? Trägt aber langen Mantel. Deshalb keine anderen physiologischen Merkmale zu unterscheiden. Dunkles, lockiges Haar. Duft in der feuchten, schweren Luft nicht bemerkbar. Der Sommer ist vorbei. Auch bei denen. Locker bleiben. Es dauert nur eine Stunde. Suspendimus organa nostra. Et cetera. Ich muß schrecklich aussehen. Was, wenn, wieso sollte ich eigentlich nicht. Sprich sie an. Tschuldigung. Darf ich sie auf eine Glas heiße Milch mit Honig einladen, gnä Frau? Warum nicht. Was sind sie von Beruf? Einzelhandel. Und sie? Alleinerziehend. Gelegentlich gebe ich Workshops zum Thema Töpfern(versuche nicht an josef hader zu denken). Das ist ja interessant. Mit was Handeln sie eigentlich? Äh, nichts besonderes, nur so Sachen ... wie ... Meinung, Weltanschauungen, äh ... Wie bitte? Sind sie Buchhändler? Nein, bin recht eigentlich arbeitslos. Ach das ist ja toll. Mag ungebundene, freie Männer. Los, ab in die Kiste. Ok. Jetzt steigt sie aus. Mist, wäre eine nette Bekanntschaft gewesen. Was soll‘s ich hätte mir ihre Nummer geben lassen und hätte sie doch nicht angerufen. Hab ja nicht mal mehr ein Telefon. Wie sich die Stadt verändert. Wann war ich das letzte Mal in der Stadt? Muß ein halbes Jahr her sein. Wagen hält. Der Buchladen wurde auch renoviert. CDs, CDs. Mal wieder nur tschechische Interpreten. Kennt doch kein Mensch. Bach, Bartok, Beethoven. Keine Ahnung. Hab doch alles was ich brauche. Der alte Kauz arbeitet immer noch hier. Guten Tag. Ihr Schiller wartet noch auf sie. Kein Interesse mehr. Alle Menschen werden Brüder, von wegen. Äh, Lao Tse bitte. Vergiß diesen ganzen überzivilisierten, schillerianischen, Schwachsinn. Mann, gib mir Urmenschliches. Ja Manesse, Reclam, ja. Lieber eine Ausgabe ohne Kommentar, bitte. Kann diesen aufgepfropften, Interpretationsmüll nicht gebrauchen. Ja, danke. Äh, ich bräuchte noch eine Ausgabe der Septuaginta. Was ist die Septuaginta? Hätte nicht gedacht, daß ich den alten Hasen noch in Verlegenheit bringen kann. Die erste griechische Übersetzung des Alten Testaments. Aha. Da muß ich an den Computer, tut mir leid. Äh, ich bräuchte eine griechisch - deutsche Parallelausgabe. Naja, hähem mein Griechisch ist etwas eingerostet. Verstehe. Nein, das tut mir leid. Sowas gibt’s nicht. Sollte es aber. Man kann sich doch Bibelübersetzungen nicht blind und vorurteilslos einverleiben. Die sollen schließlich kanonisch sein. Trauen sie diesem Luther? Von den katholischen Übersetzern mal ganz zu schweigen. Damals gab es noch nicht einmal so etwas wie eine deutsche Standardsprache. Die hat doch der erst zusammen geschustert. Und die katholischen Übersetzer. Die sind viel zu romantisch. Es geht um das Wort Gottes. Siebzig Gelehrte sind fast vierzig Jahre an dieser Übersetzung gesessen. Da sollte doch was ordentliches bei rausgekommen sein, oder? Was soll’s. Bestellen sie mir eine normale Ausgabe. Äh, und eine umfassende altgriechische Grammatik und Wortkunde. Danke. Gleich noch ein bißchen Bier besorgen. Und ab durch die Mitte. Super flumina babylonis. Auch noch griechisch lernen. Auf meine alten Tage. Sollte es einem aber wert sein. Auch wenn ich es nicht auf die reihe krieg‘. Macht sich auf alle Fälle gut im Regal.