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Am Bodibaum
Endlich komme ich zum Bodhibaum. Und muss auf knochentrockenen Lehmboden blicken. Er hatte sich verkrümelt. Schon vor Jahren. Was hatte ihn geritten, sich so dem Kreislauf des Lebens zu unterwerfen? Wochenlang war ich durch Indien marschiert, um hier anzukommen. Um dann endlich, mit erleuchtetem Gemüt, heimkehren zu können. Den Beschwerlichkeiten des Alltags nicht länger unterworfen. Sorgen beruflichen und familiären Ursprungs - in Luft aufgelöst. Aber Buddha hatte sich tatsächlich einfach davongestohlen.
So stand ich da. Keine Lehre zu empfangen, kein Blick zu tauschen, kein Zeichen zu deuten. Der Weg hierher war lang und beschwerlich gewesen. Zweifellos. Jedenfalls im Vergleich zum Abendprogramm auf SAT 1. Doch in der Vorfreude auf das wohl einschneidenste Ereignis meines Lebens waren mir die Mühen wie letzte kleinen Prüfungen vorgekommen. Nein, eher noch wie Bestätigungen meiner Entscheidung, hierher zu kommen. Amüsiert hatten sie mich, im Grunde. Die letzten Versuche der irdischen Welt, mich als lebendes Wesen festzuhalten, bevor ich entschwebte, unaufhaltsam, in das Reich der Körperlosen.
So stand ich da. Ich brauchte mich nicht erst auf den staubigen Boden zu setzen. Ich konnte nicht durch scheinheilige Meditation herauszögern, was bereits bei mir angekommen war: Das Ganze war ein Schuss in den Ofen. Ein Possenspiel - und sonst nichts. Diese ganze Reise, die Vorbereitungen, die liebevollen Verabschiedungen mit dem extra Schuss Liebe zu Hause in Deutschland. „Ihr seht mich noch einmal als einen der Euren“, hatte ich gedacht. „Seid tapfer in Euren Hammsterrädern, schon bald werde ich Euch und Euren kleinen Seelen Schutz und Beistand geben!“ Ausgeträumt, jetzt trieben mich die blöden Fliegen langsam zum Wahnsinn. Kein Wunder bei dieser Hitze. Dieser verdammten Hitze. Ihn hätten sie nicht gestört. Ihn, in seiner verdammten Erleuchtung.
Auch Erleuchtete müssen trinken, das war mir bereits vorher in den Sinn gekommen. Bei Hitze mindestens 5 Liter am Tag. Das hatte der Arzt in Deutschland gesagt. Ich leerte also eine gute halbe Flasche. Schatten, wenigstens. Das hatte er mir anzubieten, der blöde Baum. Schatten kühlt. Endlich ließ ich mich am Stamm hinunter in den Staub. Eine Weile verging. Die Fliegen schienen ihre Angriffe ein wenig zu bremsen.