Was ist neu

American Express

Mitglied
Beitritt
30.01.2002
Beiträge
2

American Express

Ich öffne den Kühlschrank. Verflucht, leer. Und ich habe doch solchen Hunger! Doch bis auf eine angebrochene Rotweinflasche, Butter und eine fast leere Flasche Milch enthält er nichts. Butterbrot. Mein Abendessen wird wohl aus einem Butterbrot bestehen, wenn ich nicht noch schnell zum Supermarkt hetze. Etwas Zeit ist noch, bis er schließt.
Es klingelt. Wer mag das sein? Ich erwarte keinen Besuch, erst recht nicht, wenn ich so aussehe, wie heute: ungeduscht stehe ich in Boxershorts und T-shirt in der Küche, gerade habe ich mich erst aus dem Bett gequält. Es ist spät geworden, letzte Nacht; heute morgen um zehn lag ich endlich im Bett. Nun gut. Ich springe in meine Jeans, die noch im Wohnzimmer auf dem Sofa liegt, fahre mir einmal kurz durch die Haare und öffne.
Da stehst du vor mir, den Autoschlüssel in der Hand. "Oh Shit!" Dich habe ich total vergessen. Wir haben uns verabredet für heute Abend, du hast mich ins Kino eingeladen. Jetzt stehst du hier und grinst mich frech an. "Ich... ich... ich habe nicht mal geduscht. Ich wollte... äh... mir gerade was zu essen machen.", stottere ich vor mich hin. "Willst du mich nicht reinbitten?" Ich lasse dich schon peinlich lange in der Kälte warten. "Klar doch." Ich trete zurück. Als du an mir vorbei in den Flur trittst, weht ein maskuliner Duft an meine Nase. Frisch geduscht bist du also, im Gegensatz zu mir. Ich schließe die Tür, wir starren uns an. "Ich habe noch gar nicht mit dir gerechnet." Ich versuche, mich herauszureden. Du grinst mich an. "Du wolltest was kochen?" Oh, Shit. Wie erkläre ich dir jetzt, dass ich nicht nur ungeduscht und unvorbereitet vor dir stehe, sondern auch noch der Kühlschrank leer ist?! Ich fische meinen Schlüssel vom Schlüsselbrett. "Lass uns einkaufen gehen. Sekt wäre angebracht. Ich zaubere dir ein Fünf-Gänge-Menü."
Wir fahren dann doch mit deinem Auto. Du erzählst stolz von der neuesten Technik deines Mercedes, dem super Komfort. Ich dagegen fahre nur einen alten R4 und träume immer noch von meinem TR6.

Die Schulzeit ist lange her, unsere Beziehung seit Jahren beendet. Es war ein schmerzlicher Abschied, wenn man denn wirklich von Abschied sprechen kann: das Abi, dann verbrachte ich ein Jahr in den schottischen Highlands mit vielen Schafen. Arbeitete gelegentlich, half bei der Schafschur aus, ab und zu mal in einem einsamen Gasthaus. Das Cottage, in dem ich lebte, hatte ich von meinen Großeltern geerbt. Ich schlug mich durchs Leben, genoß die Einsamkeit und die Ruhe der Highlands. Das Blöken der Schafe war ein ständiges Hintergrundgeräusch. Wenn ich nicht schlafen konnte, konnte ich Schäfchen zählen, im wahrsten Sinne des Wortes. Dann kehrte ich zurück, begann mein Biostudium. Den alten Astra ließ ich in Schottland. Meine Eltern waren immer noch sauer, dass ich damals einfach so Hals über Kopf abgehauen war und drehten mir endgültig den Geldhahn zu. Deshalb der alte R4.
Du dagegen stiegst bei deinem Vater in der Firma ein. Sofort nach den Prüfungen. Wir waren noch nicht fertig mit feiern, da saßt du schon in einem zweiundsiebzigstöckigem Bürokomplex mit Spiegelglasfenstern und Klimaanlage in Amerika. Hast mich einfach alleine zurückgelassen. Nur ein kurzer Abschiedsbrief: 'Ich muss nach New York, werde viel Geld verdienen. Spätestens in sechs Monaten bin ich Spitzenmanager, dann können wir uns eine Villa am Meer bauen.' Ich hörte die nächsten Wochen nichts mehr von dir. Meine Freunde rieten mir, dich aufzugeben. Das tat ich dann auch und reiste völlig aufgelöst nach Schottland.

Vor drei Tagen habe ich dich im Supermarkt getroffen. Fast hätte ich dich nicht wiedererkannt. Wie sehr man sich doch in drei Jahren verändern kann... Designeranzug von Armani, teure Lederschuhe, silberne Uhr am Handgelenk, Aktentasche unter den Arm geklemmt, in der Hand eine Flasche Champagner. Der Teuerste. Wir kamen ins Gespräch, die Vertrautheit kehrte langsam zurück, dann verabredeten wir uns. Du wolltest mich in ein teures Hotel ausführen, aber das lehnte ich ab und schlug Kino vor. Du verzogst das Gesicht, warst aber einverstanden.

Wir laufen durch den Supermarkt. Du scheinst eine genaue Vorstellung davon zu haben, was du essen möchtest. Teurer Champagner, Kaviar, Parmaschinken, frisches Gemüse... alles vom Feinsten. Ich sehe zu, wie du den Einkaufswagen füllst. Wer soll das alles essen?! Und vor allem: wie soll ich das bezahlen?! Das übersteigt mein Studentenbudget bei weitem. Ich habe einen Aushilfsjob beim Blumenladen, fahre für Fleurop Blumen aus. In den Semesterferien arbeite ich dann irgendwo ganztags. Black & Decker, oder so. Hauptsache, Geld verdienen. Wir stehen an der Kasse, gedankenverloren kaue ich an meiner Lippe. Wie soll ich dir erklären, dass ich das nicht bezahlen kann? Du lächelst mich an. "Immer noch wie früher!" "Was?" Ich verstehe nicht, was du meinst. "Die alte Zeit. Diese Angewohnheit wirst du nie ablegen." "Welche Angewohnheit?" "Auf deiner Lippe zu kauen, wenn du nervös bist." Du wirfst mir dein bezauberndes Managerlächeln zu, dann zückst du deine American Express Gold und zahlst.
Wir kochen zusammen. Das heißt: ich koche, du schaust zu. Plötzlich umarmst du mich von hinten, küsst meinen Nacken. Die alte Vertrautheit ist wirklich zurück. Wir haben beim Essen nur Augen füreinander, lassen die Teller halbvoll stehen und begeben uns mit meinem billigen Rotwein ins Schlafzimmer. Der Champagner ist bereits leer. Nach dem Rotwein leeren wir noch eine Flasche Martini, reden über früher, wie es damals war. Ich erzähle, wie sehr ich dich vermisst habe, von den Highlands, dem Studium. Dann unterbrichst du mich mit Anekdoten aus der Chefetage, erzählst von Amerika, der weiten Welt. Dem Geld, das du verdienst, den Frauen...
Ich erwache, weil mir die kalte Wintersonne ins Gesicht scheint. Du liegst neben mir, unsere Klamotten liegen im Zimmer verstreut. Ich betrachte dein schlafendes Gesicht. Hübsch bist du, aber doch anders, als früher. Weniger emotional, der Geschäftsmann in allen Lebenslagen. Deine Gesichtszüge sind härter, kantiger geworden. Ich lasse den Blick zum Fenster hinausschweifen und in dem Augenblick realisiere ich, dass unsere Welten sich unendlich weit voneinander getrennt haben. Ich stehe leise auf, dusche, ziehe mich an und gehe spazieren. Wenn du aufwachst, wirst du einen Zettel auf dem Küchentisch finden: der Topmanager und die verträumte schottische Schäferin, das passt nicht mehr zusammen. Melde dich bitte nicht mehr.

 

Hallo Evereve!

Willkommen auf kg.de!

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Erst so romantisch, bis es fast kitschig wird, und dann uuups - der Schluß. Eigentlich wollte ich schon schreiben "Es war einmal ein Märchenprinz....".

Gut, daß die Protagonistin das so schnell erkannt hat!

Trotz daß ich mir erst dachte, es werde wohl kitschig, habe ich weitergelesen, weil Du schön flüssig geschrieben hast - und es war nicht umsonst! ;)

Alles liebe
Susi

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom