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Andrea tut's
Einen Künstlernamen hatte sie sich schon ausgedacht. Als Janine Loirent de Perrie Malcome würde sie sich vorstellen. Auch ihr ganz individueller Stil war in ihrem Kopf bereits ausgereift. In eleganten, weichen Schwüngen würde sie die Welle entlang gleiten, und ihre tänzerisch musische Ader würde ihrem Surfen einen Hauch von Ballett oder Eiskunstlauf verleihen. Die Leute auf der Brücke würden sie bewundern und laute Jubelrufe ausstoßen. „Bravo, Janine Loirent de Perrie Malcome!!! Bravo!“. Ihr Name wäre bald in aller Munde.
Andrea entschied sich für ihre olivgrüne Hose, deren Stone-Washed Bereiche farblich Richtung Erdbraun gingen. Ein dazu passendes blusenartiges T-Shirt mit Blumenmuster. Ihre D&G Sonnenbrille wirkte sehr echt. Sicherheitshalber trug sie schon mal wasserfestes Make-Up auf. Zwar beabsichtigte sie nicht, bereits heute ihren großen Einstand als Janine Loirent de Perrie Malcome zu geben, aber man weiß ja nie. Sie dunkelte das Licht im Raum etwas ab, indem sie die Gardine halb zu zog, und sah in den Spiegel. Es gefiel ihr was sie sah. Sie wirkte jung und dynamisch. Und genauso fühlte sie sich auch, als zukünftige J.L.d.P.M. Sie machte sich auf den Weg.
Die Idee die Münchener Eisbachsurfer-Szene aufzumischen, war ihr kurz nach ihrem 37. Geburtstag gekommen. Über die Jahre war ihr Job ihr fad geworden. Sie verkaufte seit über zehn Jahren Finanzprodukte. Sie hasste es. Und noch mehr hasste sie es, zu erklären was das eigentlich ist. Ganz besonders aber hasste sie diese hässlich dummen Fragen.
„Also bist du so eine Art Versicherungsvertreterin?“.
Natürlich verkaufte sie Versicherungen. Aber das war ja längst nicht alles!
„Ich optimiere Finanzanlagen, und zwar sehr erfolgreich! Hier meine Karte.“, hörte sie sich laut sagen.
Manchmal sehnte sie sich nach ihrer Jugend. Noch bis vor wenigen Jahren hatten ihr gut aussehende angehende Ingenieure oder Doktoren der Betriebswirtschaftslehre auch noch den allerletzten Schrott abgekauft, nur um einen Vorwand zu haben, sie in ihrem Büro aufsuchen zu dürfen. Nun strömten sie ohne Unterlass ins Büro nebenan, zu dieser fürchterlich egozentrischen Natascha. Als wenn diese Schnepfe irgendeine Kompetenz hätte! Sie war gerade mal 3 Monate hier. Andrea hasste sie. Besonders hasste sie zu hören wie sie sich vorstellte. „Stiglitz mein Name, aber nennen sie mich doch Nathhascha.“
Einmal hieb Andrea vor Wut ihren Kugelschreiber in den Taschenrechner, dass die Tasten nur so stoben.
„Da ist überhaupt kein ‚H’ in NATASCHA!!! Hör gefälligst auf mit deinem Gehauche meine Luft zu verpesten, du überkandidelte Mistschnepfe! Mistschnepfäääähhh“, brüllte sie.
Natascha war später zu ihr gekommen und hatte sich entschuldigt, dass sie Andrea so viel Sorgen bereite. In ihrem Namen gäbe es allerdings sehr wohl ein ‚H’.
Fort mit diesen Gedanken! Andrea hatte immer nach vorne geschaut. Und das tat sie auch jetzt. Auf zum Eisbach! Auf zur Geburt der großen und einzigartigen Janine Loirent de Perrie Malcome! Sie konnte den Jubel bereits in der Ferne hören.
Andrea setzte sich an die Uferböschung auf Höhe der Eisbachwelle. Zunächst schaute sie ob schon jemand schaute. Zu ihrem Ärger schien niemand Notiz von ihr zu nehmen. Das Publikum applaudierte den Surfern, die in Andreas Augen nur wenig bewundernswert waren, verglichen mit dem, was sie schon bald zu präsentieren gedachte.
Am gegenüberliegenden Ufer entdeckte Andrea zwei gut gebaute und braungebrannte Typen ohne T-Shirts. Daneben stand ein Erfolg ausstrahlender braunhaariger Geschäftsmann in einem feinen Anzug. Des Weiteren gab es noch diverse mittelmäßige Typen, die Andrea niemals in ihre Nähe lassen würde. Aus der Ferne dürften sie ihr aber gerne Verehrung und Anerkennung entgegenjubeln. Andrea warf in einer betörend anmutigen Bewegung die Haare nach hinten. Zu ihrer ins Unermessliche steigenden Wut beschäftigte sich aber noch immer niemand damit sie zu bewundern. Dann realisierte sie es. Wie Hagel und Blitzschlag zugleich durchliefen sie heiße und kalte Schauer. Wie hatte ihr ein solcher Faux-Pas unterlaufen können? Die Olivgrün- und Brauntöne ihrer Kleidung mussten sie ja hier zwischen den Sträuchern, Büschen und Bäumen quasi unsichtbar machen. Sie hatte sich in Tarnfarben gestylt. Das war ja quasi als hätte man sich auf einer Schaumparty als Rüschenengel oder Sommerwölkchen verkleidet.
Nein. Heute war ihr Tag. Andrea würde sich hier nicht die Show stehlen lassen, würde jetzt und sofort die wundersame Geburt der großartigen Janine Loirent de Perrie Malcome zelebrieren. Ihr nagelneues Board hatte sie von einer Inderin mit vielen im Sonnenlicht schillernden Pailletten bekleben lassen. In ihren ebenfalls nagelneuen Neoprenanzug hatte sie eigenhändig Push-Up Kissen eingeklebt, die ihre Weiblichkeit davor bewahren sollten, in diesem Gummischlauch verloren zu gehen. Noch schnell das wasserfeste Make-Up nachgezogen, und nun stolzen Schrittes und erhobenen erhabenen Hauptes dem zu erwartenden Ruhm entgegen geschritten. Andrea war feierlich zumute.
‚Die große Janine Loirent de Perrie Malcome geriet bei einem riskanten Manöver zwischen die tobenden Kräfte der Elemente, wurde von Urgewalt bewegt vom Board geschleudert, stieß mit dem Kopf gegen den härtesten der Betonpfeiler am Grund des Eisbachs und war sofort tot.’
Diesen Zeitungsartikel überlegte sich Andrea während sie die Luft anhielt und sich unter Wasser so weit wie möglich den Eisbach hinunter treiben ließ. Hier würde sie sich so schnell nicht wieder blicken lassen. Jedenfalls nicht bevor Janine Loirent de Perrie Malcome in Vergessenheit geraten war.
Am Eisbach erzählt man sich indes noch heute die Geschichte der großen Janine Tampon von BerriBohne, die sich selbst dem verdutzten Surf-Publikum in einer theatralischen Rede ankündigte, sich direkt vorne in die Schlange der wartenden Surfer einreihte, ihr beidseitig mit glitzernden Pailletten verziertes Board in die Welle warf, beim Hinterherspringen jedoch von Unfähigkeit übermannt eine Art halben Fosburyflop ins Wasser hinlegte, und zusammen mit einem hochfrequenten Angstschrei einen Furz ausstieß, der trotz der tosenden Wassermassen weithin laut und deutlich vernehmbar wahr.
Janine Loirent de Perrie Malcome war ohnehin kein angemessener Name. Andrea fand, ihr Name müsste irgendwie erhabener klingen. Vielleicht irgendwas mit Prinzessin oder so. Your Goddes Saint Androanne war ihr neuer Favorit. Unter diesem Namen könnte sie vielleicht die Hauptrolle in einem großen Hollywood-Film spielen. Oder Sängerin werden. Das Surfen war jedenfalls abgeschrieben. Das war ihr wirklich zu mittelmäßig.