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Angelausflug

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21.06.2001
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Angelausflug

Angelausflug

Ich saß entspannt in meinem kleinen Ruderboot, etwa einen Kilometer vor der Küste Neufundlands, und ließ mich von der trägen Dünung des Nordatlantiks gemächlich hin und her schaukeln. Es war ein sonniger Tag und keine Wolke zeigte sich am strahlend blauen Himmel. Ein leichter Wind sorgte für die nötige Kühlung und verlieh dem Tag das gewisse Etwas.
Ich lehnte mich gerade nach backbord, um den Bierbestand zu überprüfen, als die Köderkiste klingelte.
Verflixt, dachte ich, gerade jetzt!
Ich öffnete die Kiste, nahm den erstbesten Wurm heraus und hielt ihn mir ans Ohr.
"Hallo?"
"Hallo!"
"Hallo?"
"Hallo!"
"Ja hallo, wer ist denn da?"
"Hier spricht der Fisch."
"Fisch? Welcher Fisch?"
"Der, der gerade an ihrer Steuerbordangel hängt!"
Ich wandt mich nach rechts, beugte mich über den Bootsrand und tatsächlich: Dort, ungefähr einen Meter unterhalb der Wasseroberfläche, schwamm ein Fisch umher, die Leine im Maul. Skeptisch äugte er zu mir herauf. Ich nahm die Konversation wieder auf und sprach in den Wurm.
"Was gibt´s?" fragte ich, und weil mir nichts besseres einfiel: "Wie ist das Wasser?"
"Angenehm", kam die Antwort. "Aber der Haken, der ist äußerst unangenehm!"
"Das tut mir aufrichtig leid!" gab ich meiner Bestürzung über diesen Tatbestand Ausdruck. "Soll ich einen anderen heraussuchen? Ich denke, mein Sortiment ist so umfangreich, da wird auch einer für sie dabei sein."
"Danke, sehr freundlich", sagte der Fisch, "aber ich sähe es lieber, wenn sie den Haken vollständig aus meinem Maul entfernten."
"Sie meinen völlig entfernen, so daß sie wieder frei sind?"
"Exakt!" Der Fisch beschrieb jetzt eine leichte Linkskurve und ich sah, daß seine Flanken ein außergewöhnlich schönes Muster aufwiesen.
"Es tut mir außerordentlich leid", gab ich zurück, "aber das kann ich nicht tun!"
"Das dachte ich mir!" kam die Replik.
"Ich bitte um Entschuldigung, aber das werden sie wohl verstehen. Ich bin Angler und kann einen einmal gefangenen Fisch nicht wieder so einfach dem Meer überantworten, insbesondere, wenn es sich dabei um ein solches Prachtexemplar wie sie handelt."
Der Fisch nickte und ließ sich etwas näher an die Oberfläche treiben.
"Natürlich, ihr Argument ist verständlich", sagte er, "und wenn ich in ihrer Position wäre, würde ich wahrscheinlich genauso handeln. Aber sie müssen auch meinen Standpunkt verstehen: Ich bin ein Fisch und als solcher gewohnt, frei und ohne Beschneidung meiner persönlichen Freiheit im Ozean umherzuschwimmen, ohnehin eine äußerst hindernisarme Umgebung. Diese Sachlage nun trifft mich daher doppelt!"
"Eine verzwickte Lage", gab ich ihm recht. "Lassen sie uns überlegen, was wir tun können."
Es enstand eine kurze Pause, in der ich sinnend auf der Ruderbank meines kleinen Bootes hockte und die Sache in meinem Hirn herumwälzte. Plötzlich meldete sich wieder der Fisch zu Wort:
"Um meinen Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen, werde ich mich jetzt – mit ihrem Einverständnis – tot stellen. Wie sie wissen, bergen tote Fische das Risiko einer verfrühten Verwesung und damit – bei Verzehr – die Gefahr einer Botulismusintoxikation! Ich hoffe, sie überdenken angesichts dieser neuen und äußerst besorgniserregenden Situation ihren Standpunkt noch einmal." Mit diesen Worten erstarrte er und sank dann, mit dem Schwanz voran, ein bißchen tiefer, ehe der Haken seine Abwärtsfahrt stoppte und ihn an Ort und Stelle in der Schwebe hielt.
Nun war ich in einer äußerst ungemütlichen Lage: Der Fisch war offensichtlich nicht dazu bereit, meinen Argumenten nachzugeben. Da war professionelle Hilfe gefragt! Ich legte den Wurm beiseite, drehte mich um und kniete mich vor die Ruderbank im Heck des Bootes. Ich klopfte leise, aber deutlich auf die Sitzfläche und wartete.
"Ja?" kam schließlich eine unwirsche Stimme aus der Bank. "Was gibt´s?"
"Ein ichthyologisches Problem." antwortete ich. "Darf ich öffnen?"
"Moment, ich dusche gerade!"
Ich hörte, wie ein Wasserhan abgedreht wurde, dann ein lautes Klappern, einige Flüche und schließlich wurde die Bank knarrend von Innen geöffnet.
"Also, was genau ist das Problem?“ Der Bischof blinzelte mich an und klopfte mit seinem Bischofsstab ungeduldig auf das gesprungene Holz des Bootsrumpfes. Ich erläuterte ihm die Sachlage und fragte ihn dann, was nun am Besten zu tun sei. Der Bischof verlangte den Fisch zu sehen. Folgsam hob ich ihn aus der Bank – er ist nur 30 Zentimeter groß; ein Geschenk des Königs von Arabien – und hielt ihn über die Reling, gerade so, daß er den reglos im Wasser dümpelnden Fisch erspähen konnte.
"Ein verzwicktes Problem", grummelte er, nachdem er wieder im Boot saß. Seinen prächtigen Bart (reines Robbenfell) streichend, spazierte er auf der Ruderbank hin und her und murmelte vor sich hin. Nach einer Weile ließ er sich auf die Sitzfläche plumpsen und begann, wild mit seinem Bischofsstab herumzufuchteln.
"Ich sag´ dir was", wandte er sich an mich. "Du kannst es dem armen Fisch nicht verdenken, daß er sich tot stellt, respektive: nicht gefangen werden möchte. Er ist dem Gesetz unterstellt und muß sich nun einmal genauso an die Vorschriften halten wir wir zwei beide. Das bedeutet: Er darf seinen Status als biologisch aktives und damit lebendes System nicht so einfach über den Haufen werfen!"
"Natürlich nicht", pflichtete ich ihm bei. "Das wäre absurd!"
"Eben! Andererseits gilt dasselbe für dich, mein Freund. Es ist also niemandem damit gedient, wenn ihr euch gegenseitig anschweigt. Und daher denke ich, wäre es für beide Parteien das Beste, sich noch einmal zusammenzusetzen, und zwar hier im Boot."
"Einverstanden." sagte ich. "Aber was, wenn der Fisch uns eine Absage erteilt?"
"Wenn er ein vernünftiger Fisch ist – und den Eindruck macht er auf mich, soweit ich das angesichts seines quasi-mortalen Zustands beurteilen kann – wird er sich darauf einlassen. Es wäre unklug, ein derartiges Angebot auszuschlagen."
Ich vertraute in dieser Angelegenheit ganz dem Bischof, denn mehr als einmal hatte er mir in den letzten Jahren aus unangenehmen Situationen geholfen. Also setzte ich mich dicht an den Rand es Bootes, tauchte meinen Kopf ins Wasser und flüsterte: "Psssst! Fisch!"
Zuerst kam keine Reaktion. Aber ich blieb hartnäckig und wiederholte meinen Aufruf mehrmals. Endlich vernahm ich ein leises Nuscheln.
"Ich bin tot!" sagte der Fisch und bemühte sich dabei, nicht die Lippen zu bewegen.
"Ich weiß", sagte ich. "Und ich kann ihre gegenwärtige Verfassung durchaus nachvollziehen. Aber ich bitte sie: Lassen sie uns noch einmal über die Sache reden!"
"Da gibt´s nichts zu reden. Ich bin tot!"
"Wenn ich verspreche, mir ihre Argumente einmal genau anzuhören und sie eventuell laufen…äh, schwimmenzulassen?"
"Dann wäre ich zu einer Zusammenarbeit bereit", kam es von unten, und er fing träge an, mit dem Schwanz zu schlagen.
"Abgemacht!" sagte ich. Ich nahm den Fisch vom Haken und holte ihn ins Boot.
Leider hielt er sein Versprechen nicht ein, denn schon nach kurzer Zeit starb er. Ich war wütend, denn ich fühlte mich ausgenutzt. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, nahm ich ihn und schmiß ihn in hohem Bogen zurück in die Wellen. Dann packte ich meine Angelsachen zusammen und ruderte gemächlich dem Festland entgegen.
"Was soll´s", sagte der Bischof. Er stand am Bug und sah in den Sonnenuntergang. Dann drehte er sich um und klopfte mir väterlich auf die Schulter. "Was hast du auch von einem Fisch erwartet?"

 

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