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Anoushka hat mich velassen
Anoushka hat mich verlassen
Ich bin am Boden zerstört. Anoushka hat mich verlassen.
„Was heulst du so?“, fragt Rainer verständnislos. „Sie war ein falsches Biest, sie hat sich von dir aushalten lassen, und gleichzeitig zwei weitere warme Nester aufgeschlagen. Wirst schon sehen, bei einem von denen hockt sie jetzt."
Ich tackere ihn mit Blicken an die Wand.
"Ist doch wahr", verteidigt er sich, "schmeicheln dir und machen dir schöne Augen, solange sie sich um nichts kümmern müssen. Und kaum sind sie aus der Tür, schmeißen sie sich an den nächsten ran. Und wenn du ihnen auf die Schliche kommst, schauen sie dich unschuldig an, als könnten sie kein Wässerchen trüben ..."
Ich schicke ihn zum Teufel, dieser schwule Soziopath hat keine Ahnung.
„Wenn sie wenigstens hübsch gewesen wäre“, knurrt er noch, bevor er verständnislos die Tür hinter sich zuknallt.
Sie war schön. Sie war die Schönste, Anmutigste, die man sich vorstellen konnte, mit den schmalen zarten Schultern, wie sie elegant die Beine beim Gehen über Kreuz setzte und mir dabei einen scharfen Blick über die Schulter zuwarf, ob ich ihr auch folgte. Ihre kindlich hohe Stimme klang wie Musik in meinen Ohren. Klang. Denn seit einer Woche ist sie nicht mehr da.
Sie wollte nur eine Runde um den Block drehen, so wie sie es jeden Abend machte, während ich mich schon fürs Bett umkleidete. Meist kam sie zurück, wenn ich am wegdösen war, manchmal auch erst wenn ich schlief, doch stets wachte ich irgendwann in der Nacht davon auf, wie sie ihr Gesicht an meines presste, mit den Nägeln über meine Brust kratzte. Sie drückte sich so dicht an mich, dass mein Kopf kaum mehr Platz auf dem Kissen hatte, schlüpfte wärmesuchend unter meine Decke, oft hatte ich am Morgen einige ihrer weichen, grauen Haare im Mund, doch ich genoss es.
Seit wir uns kennen, waren wir keinen Tag getrennt. Und nun ist sie fort.
Vielleicht habe ich sie zu sehr eingeengt, sie liebt ihre Freiheit, sie habe ihren eigenen Kopf, hatte man mich auf dem Bauernhof gewarnt, wo ich sie das erste Mal sah.
Sie saß auf der Holzbank vor dem Hofladen, in dem ich regelmäßig Milch und Gemüse kaufte, und genoss die Sonne. Ich bezahlte Salat, Radieschen und Schlagrahm und setzte mich zu ihr. Sie beäugte mich misstrauisch, drehte dann den Kopf weg und nagte an den Nägeln. Ich zwinkerte ihr zu. Sie ignorierte mich. Ich rückte ein Stück an sie heran.
„Du bist schön, weißt du das?“, flüsterte ich.
Jetzt endlich beachtete sie mich, blinzelte ebenfalls, kam näher.
Dort, auf der Bank unter der Linde, streichelte ich sie zum ersten Mal. Sie legte den Kopf auf meine Oberschenkel und schnurrte wohlig.
Am selben Abend nahm ich sie mit nach Hause, und seither wohnte sie bei mir. Nicht lange, und ich konnte mir kein Leben mehr ohne sie vorstellen. Und das soll alles nicht mehr sein?
Was habe ich nicht getan, um sie zu finden: die Nachbarn befragt. Ihre Lieblingsplätze aufgesucht. Das Viertel mit Suchmeldungen gepflastert. Rufend, flehend, bettelnd bin ich durch den Park gelaufen, keine Reaktion, niemand, der ihr im Entferntesten ähnelte. Sogar auf ihrem alten Bauernhof war ich, ohne Erfolg.
"Weggloffa? Hanno, so send se halt. S Schwesterle von dr Anusch-ka hanne au no, des kennat se han, wennse wellet."
Irgendeine andere, x-beliebige, statt meiner süßen, kleinen, ... es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre der Landfrau mit gezückten Krallen ins Gesicht gesprungen. Oh, wie grausam die Menschen sind!
Was, wenn ihr etwas zugestoßen ist? Wenn sie von einem dieser gleichgültigen Ignoranten angefahren und einfach liegen gelassen wurde? Ich mag nicht daran denken.
„Ach Quatsch“, hatte der Mann gesagt, der sich bis vor kurzem noch für meinen besten Freund hielt. „Die vom Land sind gerissen und zäh. Ich sag dir, die macht sich einen schönen Lenz, und lacht dich aus dabei!“
Ich weiß nicht, welche Vorstellung schrecklicher ist.
Rainer ist kaum gegangen, als es an der Tür klingelt. Ich strecke den Kopf durchs Küchenfenster und sehe eine puterrote, kittelschürzige, fassleibige Matrone auf bohnendürren Beinchen durch den Vorgarten staksen.
„Isch des ihr Katz?“ keift sie, kaum dass sie meiner gewahr wird.
„Sui waret dees doch, ders ganze Vierdl mit de Blakaat bflaschtert hot, oddr?“
Mit der rechten hält sie ein kleines graues Fellknäuel hoch.
„Falls dui Katz eane gheert, dui isch vora Woch en onsern Kellar nei. D ganze Eier hot se vom Regaal nagschmissa ond uffgschleggd. Des, koschded, i sags eane!“
Ich zahle die Frau für ihre Eier aus, königlich, dafür hätte Anoushka einen Monat nichts als Eier fressen können. Zum Dank reicht sie die Katze am Nackenfell durchs Küchenfenster. Anoushka springt sofort auf meine Schulter und reibt ihren Kopf an meinem Gesicht. Sofort habe ich den Mund voller Haare.
„Ich bin so froh, dass du wieder da bist“, seufze ich mit tränenerstickter Stimme.
Heute bin ich der glücklichste Mensch der Welt.