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Auge

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24.09.2004
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Auge

Ich bin Auge.
Lange verweilte ich in Stasis und Regungslosigkeit. Meine Herkunft habe ich vergessen. Ich kenne den Geruch der Pflanzen und kenne Tiere und Länder. Das Leben selbst ist für mich wie eine Wissenschaft.
Abenteuerlust trieb mich schon als Kind in die unwirtlichsten Gefilde. Ich kenne die Kreaturen und Orte dieser Welt: Ich will dir erzählen, was ich sah. Die Tiere des Waldes suchten das Weite, während ich wuchs und dem Donnergrollen lauschte. Der Himmel war dunkel vom Gewitter und Auge träumte von Wolken und Wind. Doch bevor dies geschah, bevor ich mich auf der Welt bewegte und die Wirkungen des Chaos zu bewundern lernte, durchlebte ich eine Zeit der Entstehung. Schmerzen aus Licht und Geräusch versorgten meine Wahrnehmung in den ersten Lebenssekunden.
Die Geburtenkapsel begann zu arbeiten und brachte meine Lebenssäfte in Wallung. Material gesellte sich zu Material, während sich irgendwo unterhalb dieser dünnen Schichten mein Bewusstsein zu prägen begann. Körper und Geist wuchsen schnell und gleichsam; erste Gedanken bahnten sich einen Weg zur Außenwelt und meine Augen sahen Bilder. Meine Lebenskapsel war eingewoben in ein Netz aus Bäumen, geschützt vor Witterung und Angriff, eingepasst in dunkles wohliges Erdreich, wo ich lange wachsen und träumen konnte. Meine Entstehung glich einem langen Gedicht, dem ich wie ein Kind lauschte, ohne dessen tiefere Bedeutung zu verstehen. Es waren die ersten Gedanken meines Lebens und ich sehe sie in meiner Erinnerung wie auf einer großern Bilderwand verteilt. Stillschweigende Gemälde, Farbgewirbel eingetaucht in erwachendes Leben und Neugier, gezeugt in warmem Blätterwald, meine Geburtenstätte, meine Heimat.
Ich hörte eine Unzahl Insektenfüße über den Waldboden krabbeln. Ich hörte Steinfliegen und das Summen von Libellen, neben dem geschäftigen, beinahe militärischen Marsch der Ameisen, wie sie in emsiger Arbeit ihre Nester bauten und das taten, was für ihren Stamm am besten war. In meiner Vorstellung bildeten die Geräusche ihrer winzigen Füße eine Sinfonie, die mich bis in tiefste Träume verfolgte. Unablässig klickte der Rhythmus der Bodenläuse zum Tanz der Silberfischchen. Eine Gruppe Zykaden zirpte bei Nacht die groteskesten Lieder und begoss meinen Schlaf mit Traumtinte, worauf ich mit dem zittrigen Federkiel meines Alpdrucks die schaurigsten Geschichten in mein Denken schrieb. Termiten bauten ein Haus, Bienen stritten sich um Nektar und eine einzelne Hornisse suchte vergeblich nach ihrem Brutschleim, dem sie gerade noch entkrochen war. Das Tageslicht war für Auge wie eine Salbung, und wenn sich meine wachsenden Glieder in erster Zuckung bewegten, dann verdankte ich dies den Sonnenstrahlen, dem sanften Wind, der vom blauen Himmel wehte, und dem Treiben der Insektenschar, die meine Anwesenheit zu spüren schien und meine Entstehung in feierlicher Geduld herbeisehnte. Sicherlich wussten sie nichts von mir als ein Geschöpf oder Lebewesen, das ähnlich wie sie den gleichen Kampf gegen die Vergänglichkeit austragen musste, um endlich geboren zu werden, doch sie spürten ganz gewiss, dass etwas in der Luft lag, etwas Unaussprechliches, ein Ereignis, das nicht irdischen Ursprungs war, sondern sich jenseits der Logik beinahe wie ein Wunder anbahnte. So wie ein besonders empfindsamer Organismus die elektrostatische Ladung als ein Kribbeln spüren mag, bevor in seiner Umgebung ein Blitz einschlägt, so wussten auch die Insekten im zarten Gespinst ihrer Ganglien von meiner Entstehung. Staubläuse stritten sich im Dunst des Morgens um einen Regentropfen, der schläfrig an einem Blatt hing. Käfer und Schmetterlinge erkundeten einen gestorbenen Fuchs der mit matten Augen in den anbrechenden Tag schaute. Flöhe hüpften aus seinem Fell und suchten im weiten grünen Wald nach einer neuen Bleibe. Fransenflügler und Diestelfalter umflogen sich mit wildem Flügelschlag, der bis in mein Gemach zu hören war. Ich zählte Sekunden zu Minuten und schließlich Minuten zu Stunden heran, bis ich einen Tag zusammen hatte. Diese Zeitspanne erschien mir sehr lang, und ich konnte mir nicht vorstellen noch mehr von der Welt zu erfahren. Und ich hatte bisher nur das Fußgetrippel ihrer Insekten gehört. Sie mieden mich nicht. Obwohl sie Angst haben mussten, weil ich eine große Unbekannte in ihrer Natur, in ihrem Lebensraum darstellte, blieben sie in banger Neugier und warteten ab, was dort im Waldboden heranwuchs. Auch wenn ihr Geist nicht fähig war zu raten, auch wenn die Bienen ihre Bahnen flogen ohne denken zu können, auch wenn Bläuling, Kartoffelkäfer und der kleine Eisvogel nichts von mir wissen konnten, schien die große Ordnung, der sie alle unterworfen waren, für einen Moment still zu halten, als ich meinen ersten Atemzug tat.
Auge kann nicht beschreiben, wie es war, die erste Handlung als Lebewesen zu erleben, zu meistern und schließlich lieben zu lernen. Geräusche schienen mir der Welt genug zu sein. Alles war voll und wunderschön, und nun sog Auge Luft des Lebens ein. Unsichtbares Elexir, speise mein Blut mit deinem Lebenszauber; gebe meinem Herzen Kraft für den nächsten Schlag; lass mich teilhaben an deinem Traum; lass mich deine Welt erleben.
Meine Erfahrungen sind nicht immer freundlich; auch den Schmerz dieser Welt habe ich gesehen. Blut und Leben säumen meinen Weg zu gleichen Teilen.
Mein erster Lebenstag zog sich in die Länge wie ein erhitztes Tröpfchen Bernstein, das losgelöst und aufgeschmolzen in ein gläsernes Becken fällt. Wie die Schnecke ihr Haus verlässt und mit schleimig-sensiblen Fühlern die Welt beschaut, so machte ich mich in der Nacht auf, um mein Gebiet zu erkunden. Ich begann mein Leben in einem schönen Wald mit vier Lichtungen und einem Bach, der an manchen Stellen Stromschnellen aufwies. Das Wasser floss schneller dahin, als ich es betrachten konnte, und jeder Wasserwirbel, der meiner unerfahrenen Wahrnehmung besonders schön und einzigartig schien, wurde in derselben Sekunde von einem noch schöneren abgelöst, der ebenso schnell wieder ins Element zerfloss. Ich tappte und schwamm im Wasser, mal mit, mal gegen den Strom, suhlte mich im Morast stiller Ausläufer und tauchte im Strudel der Stromschnellen mit Abenteuerlust und Erlebnisdrang. Meine Lungen brauchten die Luft, doch auch das Wasser schien mir lebensnotwendig zu sein, und so hielt ich inne, wenn meine Lungen in schnellem Rhythmus pumpten, meine Muskeln vor Anstrengung zitterten oder mein Geist von Eindrücken und Freude übersättigt war und kostete Wasser in großen Schlücken. Es entstanden erste Situationen der Völlerei, wo ich mich gierig und nimmersatt im Wasser liegen sah und Liter um Liter in mich hineinsog, ohne dass es enden wollte. Ich begriff, dass ich nicht imstande sei, all das Wasser zu trinken, das der Fluss mit sich führte, und so hielt ich inne und betrachtete die Bäume. Erst dachte ich, die Bäume würden tanzen. So wie ich im Wasser spielte und mein Lebensmut auf die Strömung übertrug und meine Energie im Kampf mit Strudel und Welle gegen Spaß eintauschte, so glaubte ich die Bäume dabei zu beobachten, wie sie mit ihren Zweigen und Blättern das Wasser berührten und ein ebenso kindisches Spiel mit dem dahinbrausenden Fluss spielten wie ich. Dann wurde mit klar, dass es einen Freund der Luft gab, der den Bäumen half und sie trotz ihrer Stärke zum Tanzen zwang: Den Wind.
Ich sammelte Kraft und sprang auf. Die Fliege zeigte mir eine Flugbahn von eckiger und irritierender Struktur. Die Libelle schaffte es stillzuhalten und wie ein Zauberer von Ort zu Ort zu springen. Die Mücke war so klein, dass sie dem Wind gehorchen musste und ein Adler, nahe den Wolken und ruhig wie ein alter Meister, verstand es auf dem Wind zu liegen und sich von ihm tragen zu lassen. Giganten am Himmel flossen dahin wie schnell wachsendes Moos; es teilte sich und zerfloss, es bäumte sich auf und wusste den Mond zu verdecken. Auf einer Wiese mit Sonnenblumen und roten Rhododendronsträuchern ließ ich mich nieder und schaute den Giganten beim Fliegen zu. Sie sahen aus wie Wasser, das schwerelos über der Welt dahinfloss. Stromschnellen und Strudel, die ich eben noch im Flussbett bemerkt hatte, erfüllten jetzt den ganzen Himmel und schienen ähnlichen Gesetzen unterworfen zu sein. Die Strömung folgte der Richtung des Luftfreundes und die mannigfaltigen Kreationen waren ebenso schnell entstanden wie vergangen. Obwohl ich viele von ihnen so schön fand, dass ich sie gerne länger betrachtet hätte, um mir all ihre Details einzuprägen, bestimmte ein unsichtbarer Lenker, welches Muster aufgelöst wurde und welches als nächstes entstehen durfte. Ich war fastziniert von der Erfindungskraft des Wolkenmeisters und versuchte zu erraten, wie seine nächste Kreation aussehen mochte, was mir jedoch nicht gelang.
Der Sinnesrausch trieb mich durch die Nacht bis in den Morgen. Ich schaute Millionen Wolkenbilder, trank dem Flussbett fast das Wasser aus und tanzete mit den Zweigen im Windspiel, bis die Sonne aufging. Allmählich wurde die Luft ruhiger und die Wolken statisch, bis sie sich nur noch ganz langsam bewegten. Die Sonne beschien sie mit Morgenlicht und zog ihnen frische hellweiße Kleider an. Mücken, Libellen und Fliegen setzen sich auf Blüten nieder und verweilten. Der Adler landete in einer Baumkrone und schlief ein. Und ich das Auge lag auf der Wiese am ersten Morgen meines Lebens und staunte über die Welt.
Ich lief umher und sah mir Lebewesen und Pflanzen an. Wie groß die Welt war, schien mir ein Geheimnis zu sein, und wen ich auch fragte, eine Antwort konnte mir niemand geben. Wo war das Ende dieser reich gestalteten Landschaften, dieser vielen Orte, die alle aus dem gleichen Material gemacht waren, doch keines dem anderen glich und ein jedes beinahe schon trotzig dem Betrachter zeigte, wie einzigartig, wie verschieden es seinem Nachbarn war, wie neu und immer wieder neu jede Erfindung der Natur war, ohne dass sich jemals Langeweile einstellen würde. Niemals würde es stereotype Landschaften geben, die einem strengen Muster unterworfen waren, das öde und simpel zugleich seine Bewohner tötete, eine Zusammenstellung von Stein und Erde, die wider die Natur handelte und lebensfremd ein trauriges Bild, ein staubiges Grab war, das Leben in sich einfraß und in Dunkelheit ersticken ließ. Nur in meiner Vorstellung, jedoch nicht in der Natur konnte ich einen solchen Ort finden. Meine Träume und Sehnsüchte zogen mich in andere Länder. Mit Angst und Neugier bemerkte ich, dass mein Leben eine Reise war. Ich hatte kein Zuhause, und der Wald meiner Geburt war schnell vergessen. Wie sollte ich ihn auf dieselbe Weise erleben wie damals? Als ich nach Jahren an den Fluss meiner ersten Stunden zurückkehrte, waren all die Wasserwirbel und Äste, die ich damals als Freund begrüßt hatte längst vergangen. Die Gräser waren gewachsen, die Blüten ausgeblüht und die Fliegen längst gestorben. An ihrer Stelle fand ich Familien der gleichen Gattung, die sich aufmachten, um weiterzuziehen, um sich neuen und anderen Formen einzuleben, um den Wandel der Natur in Bewegung zu halten, und so, wie es der Fluss seit Jahren tat, in flüssigem Wechsel zwischen Entstehen und Vergehen einer unbekannten Zukunft entgegenzustreben.
Es war wie zu meinen besten Zeiten in Neu Guinea, wo ich Berge sah und kaufte. Ich bestellte das Land auf weiten Flächen, verpachtete ganze Gebirgszüge und pflügte die Felder mit dinosaurierartigen Geschöpfen. Die Ernte war gut und schmackhaft. Einen Monat lang ernährte ich mich von Kartoffeln und klarem Quellwasser, das am Fuße meines höchsten Berges entsprang. Ich mobilisierte Tauben und Kraniche. Sie flogen mich auf den Gipfel, wo ich die Eishunde traf. Sie heulten bereits im Schnee und klagten über die Igluschmelze des letzten Frühlings. Ich brachte ihnen Karotten aus Griechenland und salbte ihre Wunden mit einer Mixtur aus Hagebutten und geräucherten Chrysamthemen, die am Hang des Berges Taunus wuchsen. Taunus war ein guter Berg, einer, den ich so ins Herz geschlossen hatte, dass ich ihn weder besteigen noch verkaufen konnte. Meistens fand die Sonne ihn nicht, doch auch in der Dunkelheit regte er meine Gedanken auf eine ganz besondere Weise an. Ich nannte meine Ideen nach Taunus und verdanke diesem Berg so manch guten Einfall.
Im Januar, als es kalt wurde verzettelte ich mich in Geschäfte. Meine Kamele liefen davon und suchten Oasen in der Wüste. Ich versuchte sie einzufangen, sie mit weißen Rosen und Narzissen in großen Sträußen zu ködern, doch mein Werben blieb ohne Erfolg.
Zu dieser Zeit war ich längst in Barbados und hütete eine Horde Tränentierchen die sich in einem Fischernetz verfangen hatten. Diese Spezies war mir neu und ich hatte mein ganzes Herzblut darauf verwendet, jenen zarten Lebewesen ihr Licht zu erhalten. Ich bezeugte mein Mitleid und gründete eine Firma, um ihre Rettung zu finanzieren. Nach zwei Monaten war ich auf der ganzen Welt bekannt und dirigierte Streitkräfte in alle Gebiete des Nahen Ostens. Es regenete Panzer und Geschütze, als ich an der Macht war. Es war die Zeit meiner Depression, in der ich nichts und niemanden verschonen wollte. Später sollte ich einsehen, dass längst vergessene Schichten meiner Psyche schwer erkrankt gewesen waren. Ein kaum verzeihlicher Fehler. Auge weinte um die eigenen Geisteskräfte. Sie hatten immer guten Dienst geleistet, doch nun begannen sie zu versagen, sobald sich ihnen Macht anbot. Auch Auge hat Schwächen und Laster und wird zeit seines Lebens ehrlich dazu stehen.
Meine Soldaten bauten die Meere aus zu Kampfgebiet und Front. Ihre Schiffe stachen in See unter knatternden Segeln und gestraffter Takelage. Zwei Schiffe sah ich nie wieder, doch die anderen siegten im Krieg. Der März war lau, doch vorher kam der Februar. Ich hatte alle Tränentierchen befreit und mein Vermögen war gewachsen. Mich drängte es nach Tat und Macht und ein Krieg zu gewinnen war nicht schwer. In jenen Tagen vermochte ich Blut nicht von Regen zu unterscheiden. Fleisch oder Erde waren eins im Treiben des Krieges. Man huldigte mir, und ich war das Auge. Schließlich erkannte ich meine Fehler und zog mich zurück. Auge kam zu einer ersten Einsicht.
So flog ich weiter als der Februar wärmer wurde und die Vögel in selten gehörten Stimmen zu singen begannen
Ich bin Auge und erzähle dir vom März. Wo die Würfel fielen und das viele Geld zu Ende ging. Der Reichtum war für mich wie atmen. Wie ein Magnet den Metallspan anzieht, klimperten die Goldmünzen in meine Taschen. Regen, Geld und Blut. Metall, Papier und Konsumfabriken litten unter meiner Beanspruchung. Ich forderte in Mengen, die unvernünftig waren. Völlerei und Lebenswandel waren eins geworden. Das Geld erschöpfte sich; die Scheine flogen davon wie Löwenzahn im Wind.
Arm wie eine Kirchenmaus fing ich Elefanten und schleuderte sie durch die Luft. Sie zerplatzten wie Wasserbomben an den Fassaden meiner Kathedralen. Der Wald loderte in Flammen. Brände drohten zu entarten; es war Zeit für mich zu gehen.
Ich erzähle dir vom April, wo die Schlangen im Laub sich zu erkennen gaben. Wo der Dinosaurier ein Machtwort sprach und seine Meute mobilisierte. Wo die Stechmücken sich verstärkten und aus allen Wolken fielen. Wo das Laub silber wurde; silber wie der Mond. Es war eine schlimme Zeit und Auge ernährte sich von Schlick und Schafen. Es waren kleine Tiere, unbemannt und dumm, die gerissen wurden und schmeckten. Schlick war wie Getränk. Schlick schmeckte gut und belebte. Schafe waren Fleisch und Kraft. Gebündelte Portion des weißen Tieres. Gib mir mehr von deinem Fleisch. Auge aß bis in den Mai hinein. Gesättigt wie das Schwein eines Bauern, wie die Henne in der Batterie.
In Ruanda versuchten mich Vogelspinnen zu morden und sperrten mich in ein Loch, das so tief wie der Grand Canyon war. Ich las Shakespeare und Satre und versenkte mich in Schillers Dramen. Dann begann ich zu schreien. Ich schrie Verse und polemische Reden, bis die Vogelspinnen Reißaus nahmen, sich zurückzogen und verschwanden. Einsamkeit kehrte ein, und ich vergaß, wo ich mich befand. Die Finsternis wurde ein Teil von mir und meine Fantasie irrlichterte wie ein Glühwürmchen in einem Globus. Ein Läufer auf weiter Flur, der Marathon war nur ein Katzensprung, ein Hundelauf, ein Pferderennen, eine Elefantenparade, das ungezügelte Jagen eines Geparden, die Flucht der Antilope. Es erschöpfte mich, ohne dass sich mein Verstand zur Wehr setzte. Geistige Umnachtung hielt mich fest in dunkler Hand. Schmerz und Erinnerung strömten auf mich ein, und ich verstand, was ich getan hatte.
Mein Hundeverein ging bankrott und meine Banken in Paris meldeten Konkurs an. Es gab ein Blutbad in Mexiko, und meine Wüstenstädte brannten nieder. Ein Schaich beendete die Zusammenarbeit und schickte berittene Kampfvögel in meine Orangen- und Apfelplantagen an der Westküste Amerikas. Es war schlimmer als Krieg und Vulkanausbruch zugleich. Für den Rest des Winters musste ich mich verstecken, um meiner Bestrafung zu entkommen.
Ich bin Auge und erzähle euch vom Juni. Der warme lange Juni meine Freunde zu Feinden wurden und mich in die hintersten Wälder von Utha trieben. Es war eine lange Schmach und große Sünde sah ich. Auge war hintergangen, überlistet worden. Rache schwor sich herauf, und im Osten formierten sich Libellen als Freunde zu geometrischen Mustern. Der Juli war durchsetzt von Wolken und Graupelschauern. Der Wind blies straff gen Süden. Die Sonne hatte das Nachsehen. Auge war auf der Hut und blutete Träne um Träne. Das Weinen wurde zum Begleiter; in der Nacht hallten Schreie übers Land. Doch jedes Leiden hat ein Ende. Alles Grüne findet Rot. Jede Freude kehrt in Wende, wie das Leben in den Tod.
Es war ein dreieckiges Regierungsgebäude in Norwegen, das mir als Unterschlupf diente. Es verbarg Bomben aus Energie, Lanzen aus Licht und Töpfe voll Honig und Bonbons. Giraffen, Enten und vierzig Elefanten beschützen das Gebäude bei Tag und Nacht. Aus Dänemark eilten die Antilopen herbei, aus Deutschland die Raben, Falken und Steinadler. Ein Wolf aus Skandinavien brachte seine Familie aus Bären, Affen und Kängurus mit, um erbittert Krieg zu führen. Auge sah und dachte nach. Es war eine wilde Zeit für Auge. In England gab es einen Teich aus dem in Scharen die Kakerlaken krochen. Schon im August musste Auge Entscheidungen treffen. Das Wetter wich ransant dem Regen. Der Teufel spornte Blitze an. Es gab den Hagel, Schnee und Vollmond. Und dichter starker Wolkenbruch verdunkelte die Nacht.
Ich bin Auge und erzähle dir von meinem Leben. Was ich tat und wollte. Was ich bereue, was mir aufgezwungen ward und was mich freute.
Auge hat einen Bruder namens Bogel. Der Name meines Bruder reimt auf Vogel. Ich bin auf Reisen wie der Wind. Ich treffe Tier und Mensch.
Ich kann dir zeigen, was die Wale in Kolumbien bei Nacht aushecken. Wie sie Rufen und ihren Spaut in den Himmel schicken. Eine weiße Fahne aus Dunst und Wassernebel, hoch wie ein Haus, schnell wie ein Geschoss und heiß wie ein Ofen mit glühendem Schwalch. Ich könnte dir erzählen, wo sich im Iran die Wespen verstecken, wo sie in großen roten Waben wohnen, sich gegenseitig laben und von ihrem Honig leben. Wo sich im Morgengrauen Igel und Hamster verbünden und gemeinsam nach Nahrung suchen.
Auge kennt all diese Orte. Ich werde dir erzählen, wo ich meinen Frieden fand, wie ich Freunde verlor und den Schmerz bezähmte. Es ist ein reges Leben. Voller Gefahren und Hindernissen. Auge ist ein Abenteurer im Strom der Zeit. Ein Meister im Weben der Lebensfäden, wie sie nur der Zufall spinnt. Auge hat keine Angst.
In Jordanien gab es einen Steinadler, der mein Freund wurde. Wir bereisten die größten Städte der Welt, und ich ersann einen Plan, wie vier davon in meinen Besitz übergingen. Kairo, Neapel und Paris gehörten bald schon mir. Einen Monat später erkaufte ich mir die Rechte an Port Romance und baute große Gebäude an die Ufer der kleinen Küstenstadt, die bis heute in meinem Herzen ein Teil meiner empfunden Heimat ausmacht. Denn Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl. Der Steinadler nannte mich Auge oder Sepia-Jackson und als wir darüber stritten, ob sein Name Kobalt oder Rubikon sei, gingen wir unseres Weges, nicht ohne uns am Ende noch freundlich zu verabschieden.
Für zwei Monate lebte ich in Indien und widmete meine Zeit der Erkundung von Sandstein und Kristallen. Die Geologie hatte ich schnell begriffen, so auch die Kultur und die Lebensart, der Indien seit jeher seine Strenge und Sittsamkeit verdankt. Auf einem Priesterhügel namens Ordun verkündete ich die Gesetze des neuen Zeitalters. Denn da wo wir Menschen geleitet und geführt werden, bedarf es nur eines einzigen zündenden Gedankens, einer Idee, die leuchtend und scharf sich gegen das andere abzeichnet um das Vertrauen der gesamten Bevölkerung zu wecken und weitflächig den Segen der Geborgenheit zu streuen.
In Sierra Leone fand ich einen Personenvernichter in Form einer dunklen Fabrik, die Menschen in Viehwagen über Förderbänder trieb und sie ihres Lebens beraubte.
Und in der Sahara entstand eine Küste, die so schön und malerisch war, dass ich sechs Jahre dort lebte und beim Bepflanzen der neuen Vegetation half. Wir säten Palmen und Kokus aus. Orangen und Apfelbäume säumten bald die Straßen aus hellem Kieselgestein. Sanfte Brisen ließen die Blätter rascheln, wenn wir im Sonnenschein die salzige Meeresluft einatmeten und zufrieden an unseren Cocktails nippten. Bald schliefen wir ein und erwachten an einem neuen schönen Morgen, der so viel Gutes und neue Eindrücke versprach, dass ich und meine Kameraden uns weinend in den Armen lagen. Das Meer führte eine seichte Dünung an den Strand, und da, wo die kleinen Wellen sich brachen, schäumte das gischtige Wasser im Sonnenglanz an unsere Füße, wo es uns zu danken und zu schmeicheln schien. Es war eine schöne Zeit am Rande der Sahara, wo das neue Meer entstand und Auge die Kaulquappen, Quallen, Mantarochen und Seeungeheuer zu seinen Freunden machte.
Ein Schwertfisch namens Estragon nahm mich auf seinem Rücken mit, um mir die entferntesten Küsten des neuen Ozeans zu zeigen. Im Mondlicht sahen wir, wie sich die Sternenflut in den Kämmen der Meeresbrecher spiegelte und ein vielfältiges Glitzerspiel vor unseren Augen entstehen ließ, dass es den Anschein hatte, das Meer selbst kommuniziere mit uns. Estragon war ein treuer Gefährte, immer ruhig und besonnen in der Wahl seiner Handlungen, von einer regen Geschäftigkeit, die sich nicht nur in seinem kräftig geformten Leib sondern auch in seiner Geisteskraft bemerkbar machte. Er wusste die Sternenbilder ebenso wie die Küstenregionen beim Namen zu nennen und hatte, wo es darauf ankam, wissenschaftliche Erklärungen für Naturphänomene parat, die eine wohl gepflegte Gelehrsamkeit verrieten. Estragon war geduldig und zuvorkommend, hatte in Tagen, wo ich zu Schwäche und Müdigkeit neigte, feinsinnig motivierende Worte für mein Ohr, die er mit einer Artikulation vorzutragen vermochte, dass selbst Schauspieler oder Dichter davor in Ehrfucht zergangen wären. Seine Flossen glänzten im Tageslicht wie Schmuck an einer schönen Frau. Seine Rückenflosse, die stark und wohlgebildet war, schnitt stramm durchs Wasser und zeugte wie ein erhobener Finger von Disziplin und Stärke. Sein Schwimmstil war für einen Fisch das behendeste und flinkeste Bewegungsspiel, dass ich seit meiner Begegnung mit den Akrobaten von Niagara gesehen hatte. Seine Bildung umschloss nicht nur Weltwissen, Mathematik und Wissenschaft, sondern fühlte sich auch in der Literatur wie in einer Heimat. Stand ihm der Sinn danach, konnte er stundenlang Shakespeare zitieren oder in der Mundart russischer Dichter die subtilsten Zoten von sich geben. Wenn ich des Lachens müde wurde, hatte er keine Probleme über ernste Dinge zu sprechen, wie zum Beispiel, den Wandel der Gestirne, den Gang und Rhythmus der Urzeiten oder das Entstehen und Vergehen des Universums selbst. In manchen Dingen Widersprach er den größten Philosophen oder erfand aus dem Stegreif Hypothesen, die in wenigen Logiksätzen Giganten wie Heidegger oder Kant ihres Sinns enthoben. All dies tat er mit einer Leichtigkeit, wie ich sie sonst nur bei Kindern gesehen hatte, wenn diese mit verträumtem Blick Kreise in den Sand zeichnen oder sich mit aller Selbstverständlichkeit fragen, ob auf dem Mond ein einsamer Mann wohnt. Estragon konnte pfeilschnell durch ein wogendes Meer schwimmen, das vom Auge eines Wirbelsturms bis zur Apokalypse gebeutelt seine Tiefen auftat. Oder aber, er schwamm im seichten Wellenschlaf der Ozeane dahin wie eine Feder auf einem Frühlingswind, der sich anschickt das Land zu wärmen. Er war ein Meister der Schwimmfiguren, wusste auf jede Welle eine Antwort in Form einer Bewegung und schaffte es bei all der Akrobatik, dass ich sicher und unversehrt auf seinem Rücken saß. Wir bereisten alle Küsten des neuen Meeres, und obwohl Estragon diese Gebiete ebenfalls zum ersten Mal erblickte, hatte es den Anschein, dass er hier seit Menschengedenken zu Hause war. Welche Anmut strömte aus seinem Wesen, wenn er an einem sich neigenden Nachmittag Volkslieder der Schwertfische anstimmte, die in einer Sprache erklangen, derer ich nicht mächtig war und die mein Ohr nicht verstand. Und obwohl ich ihn gerne gefragt hätte, was dieses und jenes zu bedeuten habe, spürte ich doch, dass in seinen Liedern eine Wehmut und ein Leiden verborgen lag, das ich weder empfinden wollte noch erfahren durfte. Eine Aura von Geheimnis und Mystik spielte in seiner Stimme, immer einen warnenden Unterton, der niemals bös oder unangenehm klang, sondern dem Zuhörer stets auch ein Quentchen Erleichterung verschaffte, weil diese schweren Geheimnisse auch weiterhin im Verborgenen bleiben würden.
In der sechsten Woche schließlich trennten sich unsere Wege. An einem stillen Archipel, wo Farne und Schilf zum Takt des Windes nickten und die Strände stein- und felskrustig dem Meer ihre Bastion entgegenstellten, legte sich Estragon ins warme Brackwasser eines Nebenflusses, der einen Kilometer weiter in einen Krater mündete, wo vor Äonen ein Vulkan gesprudelt hatte. Das letzte, was er mir gleichsam als Segen mitgab, war eine bescheidene Rede über die Plattentektonik in diesem Teil der Welt, die er als Kind ein paar Jahre lang erforscht hatte.
Ich sah seine starken Flossen müde werden, seine Muskeln bewegten sich ein letztes Mal in anmutigem Tanz, und dann ward alles still. Auge weinte einen Beitrag an Tränen in das neue Meer und benannte es nach dem Freund. Sein Körper ruht im Krater des Vulkans und mit sich nimmt er die Gehimnisse und die Gelehrsamkeit dieser Welt.
Wenn Kinder heute an den Stränden der Wüste spielen und mich nach meinem Gefährten fragen, so erzähle ich ihnen die Geschichte vom Schwetfisch Estragon. Ich erzähle ihnen von der Aura, die ihn umgab, und das Meer an Inspiration, aus dem er schöpfen konnte, als schwämme er darin. Ich sehe ihre neugierigen Augen und weiß, dass sie nichts von alledem verstehen. Einmal in jeder Dekade kehrt Auge an diesen Ort zurück um seinem Freund zu gedenken. Sein Geist wird immer Teil dieses Wassers sein, und angereichert von Höherem wähne sich die Substanz, dass jenes Wunderwesen einst durch diese Wellen schwamm.
Trauer wurde ein Teil meines Lebens. Um mein träge gewordenes Herz, mein erkaltetes Lebenselexier wieder zu erwärmen und neuen Mut zu fassen, beschloss ich mein Domizil in der Schweiz zu besuchen und einige Jahre der Genesung dort zu verbringen. Ein Schloss in Bern war meine Zuflucht und schützte mich vor Wetter und Ungeziefern. Türme, Säulen, vergessene Schluchten, Seitenwege und Zinnen geisterten durch meine Träume und quollen zu einer schwazen Mixtur heran, die des Nachts meine Angst antrieb und mir am Tag schemenhaft in der Erinnerung stand. Eine Horde roter Affen wusch Geschirr und deckte Abends die sieben Tafeln für das große Speiseessen. Jeden Tag bekam Auge Besuch von den schönsten und stolzesten Tieren, die in Kutschen, Droschken und Tretwagen anreisten und mit Fanfaren und Trompeten ihren Aufenthalt ankündigten. Bunte Papageie, die Gedichte aufsagten, Lamas mit Brillen und kluge Wildkatzen ließen sich an der Tafel nieder und speisten bis in den Morgen hinein. Der Wein floss in Strömen. Die Nilpferde in ihren Kammern aus Stein tranken Wodka aus Eimern und sangen mit tiefer Stimme die Regenwolken an. Hirsche, Hunde und Bären lieferten sich einen erbitterten Kampf um Platz und Revier im Westflügel meines Schlosses, bis sie blutig aber müde in ihre Betten sanken. Wild schimpften die Schimpansen, laut riefen die Kakadus und ein Bienenschwarm nistete sich aus Trotz im Gefieder eines Pelikan ein, der ruhig und gleichgültig im Juwelenzimmer schlief und niemals ein Wort sagte.
In Zürich ersetzte ich die Straßen durch reißende Flüsse und baute Wasserfälle in die Gebäude ein. Fußballplätze waren bald schon Schwimmbecken, die Videotheken wurden niedergebrannt und Universitäten und Schulen schmückte ich mit Gold und Eisenstatuen, dass sie im Mondschein funkelten. Eine Kirche im Stadtzentrum wurde von den Termiten aufgegessen, und eine Horde Laubkäfer trug technische Geräte und Automobile gruppenweise Richtung Sonne.
In Luzern fand ich einen schlafenden Elefanten vor, der ein großes Kunstwerk plante. Sein Name war Seilopörki, und seine Ohren waren groß wie Wagenräder. Tags zuvor hatte er ein Museum geplündert und all die Kunstwerke an einem Berghang zu einer öffentlichen Ausstellung hergerichtet. Wenn die Kirchenglocken den Spätnachmittag einläuteten, begann der Elefant zu singen. Im Takt der Musik beschaute er die Kunstwerke und konnte seinen Gesang den Epochen angleichen, dass es den Anschein hatte, er habe in all diesen Zeiten gelebt, sei im Barock über die Felder gewandert, habe die Ausschweifungen der Renaissance mit eigenen Augen gesehen und sei ein Liebhaber der Gemälde des Klassizismus. Bald sah man ihn Vasen und Tonkrüge zertreten, bald stolperte er über ein antikes Möbelstück. Machmal gehorchte er seinem Instinkt und schlang in drei oder vier großen Stücken die kostbarsten Gemälde hinunter. Seinen Durst löschte er mit Wein, den er über ein selbstgebautes Aquädukt aus dem Weinkeller im luzerner Stadtzentrum bezog. Man sah Kunsthistoriker auf Kanzeln, Literaturkritiker und Gelehrte auf erhöhten Balkonen stehen, wie sie den Elefanten einen Ketzer und Zerstörer nannten, ihn beschimpften und vor der Bevölkerung schalten und öffentlich anzeigten, weil er ganze Jahrhunderte an Kultur in seinem Treiben vernichtete. Der Elefant jedoch, gefangen in Schaffensdrang und Irrsinn, ausgeliefert den kreativ-zerstörerischen Strömungen seiner Inspiration, würdigte sie nicht eines Blickes und hatte kaum Gehör für ihre Klagen. Hin und wieder sah man ihn nachdenklich in die Ferne blicken und meinte zu beobachten, wie der Teil eines kritischen Ausspruchs, das Ende einer gemeinen Hetzrede oder der ambitionierte Beginn einer Verurteilung zu seinem Denken durchgedrungen war und ihn mit krauser Stirn an seinem Handeln zweifeln ließ. Doch in der nächsten Sekunde schon, griff er mit starkem Rüssel nach dem nächsen Kunstwerk seines Raubzuges und ersann eine völlig neue Form der Materialvernichtung. Einmal baute er sich einen Turm aus archäologischen Funden, die von Dinosaurierknochen über antike Karyatiden, bis hin zu bemalten Werkzeugen reichten, und riss in einer Aufwallung von Kraft und Wut einen Kleinbus aus der Parklücke um ihn zerstörerisch in den Turm zu schleudern, dass allerorts nurnoch eine Staubwolke an die wertvollen Funde erinnerte.
Später am Abend, als ich im Kanton Uri eintraf - ein Ort in der Schweiz, der mich in jungen Jahren wegen seiner Geistersagen und Alpgeschichten immer geängstigt hatte - bezog ich ein leerstehendes Hotel an der Hauptstraße und legte mich in ein dunkles Zimmer, in dem es nach Asbest und Kloake stank. Am nächsten Tag schon verließ ich diesen trostlosen Ort, nicht ohne einen Baum zu pflanzen, auf dass er in einigen Jahren mit kräftigem Stamm und dichtem Blattwerk bessere Zeiten verküden würde.
Meine Reise führte mich nach Obwalden, wo furchtlose Katzen eine Horde Giraffen bezwungen hatten. Sie ritten die langhälsigen Tiere wie Pferde und schlugen sie mit der Peitsche, wenn sie nicht schnell genug laufen wollten. Die Katzen hatten einen gemeinen Hindernispakur gebaut, durch den sie die Giraffen trieben und mit lauter Musik und farbenfrohem Feuerwerk die Sieger einer jeden Runde kürten. So manch eine Katze hüpfte von Baum zu Baum oder schwamm in einem Aquarium um nach Seegras zu tauchen und die Tintenfische zu ärgern. Eine der Giraffen verendete in einer gemeinen Messerfalle, als sie vergeblich versuchte über den künstlichen Abgrund zu springen. Mehr als fünfzig dieser Katzen stolzierten in lustiger Parade über Stromleitungen, die sich anmutig von Mast zu Mast schwangen. Auge beklagte den Tod der Giraffe und forderte die Katzen auf, den gemeinen Parkur zu entschärfen, doch sie lachten nur und warfen Eisennägel an die Stromleitungen, bis Blitze mit Donner und Knall in meiner Nähe einschlugen und allerlei Unrat und Erde aufwirbelten. Meine Macht hätte ausgereicht diesen Katzen das Handwerk zu legen, doch meine Liebe zu dem Tier war von solch einer herzlichen Tiefe, dass ich es in meiner Seele nicht verantworten konnte, dieses fröhliche Treiben, diese stolze Parade zu unterbrechen und den Katzen ihren Spaß zu nehmen. Ich ließ mich mit einer Vorführung besänftigen, in der eine erfahrene Katze ihr Fell beschneiden ließ, um mit der gewonnenen Wolle pyrotechnische Effekte zu fördern, bis neongelbe Flammen einen Wald in Feuer legten, der binnen einer Stunde niederbrannte und ein friedliches Zwergendorf in Schutt und Asche legte. Auge musste weinen und suchte das Weite. Tränen flossen an meinem Körper in stetigem Rinnsal zu Boden und speisten die Felder im Norden von Nidwalden mit salzigem Elixir.
Nach Stunden des Wanderns gelangte ich an einen Pfad, der zwischen Tannen und Herbstblumen einen Hügel hinaufführte. Ich kannte das Gebiet aus meiner Kindheit, aus Jahren, in denen ich als kleiner Augapfel die Tränenflüssigkeit entdeckt hatte und mit Erschrecken feststellte, dass auf meiner Stirn Wimpern wuchsen. Im Hornissenmoor spielte ich, getrieben von kindischem Leichtsinn, mit Nektar und Honig, ohne zu ahnen, dass ganze Schwärme räuberischer Fluginsekten bereits die Witterung aufgenommen hatten und meine Spur verfolgten. Damals war ich durch einen Maulwurfgang geflüchtet und hatte einen halben Winter lang in Angst die feuchten Erdwände angestarrt, bis eine Kanalrattenfamilie Boten aussandte, um mich aus diesem dunklen Verlies zu befreien. Von diesem Zeitpunkt an, war das Kanton Glarus wie eine zweite Geburtenstätte für mich. Ich genoss den Sommer zwischen Hühnern und kläffenden Hunden, berauschte mich am Geruch des Mais und staunte über die Vielfältigkeit der Ähren, die zu Millionen aus dem Boden wuchsen.
Glarus war eine malerische Siedlung, die mir mit ihren Alleen, ihren Weizenfeldern und Bauernhöfen half, in der Trübseligkeit einen klaren Gedanken zu fassen. Wieviel trauriger noch als zuvor schien es mir auf meinen Spaziergängen durch Wald und Flur, dass ich keine Mittel zur Seelenheilung besaß und darauf verzichten musste, Bedürftigen und Schwachen zu helfen, wenn mich deren Schmerz noch weit mehr als mein eigener beschäftigte. Da ich genau fühlte, dass dieser Schmerz in ihnen war, sie von innen nach außen verbrannte und aufzerrte, blieb ich unbeweglich stehen, um sie anzuschauen, ihren Geruch einzuatmen, um den Versuch zu machen, mit meinem Denken in ihr eigentliches und einzig wahres Wesen zu dringen, damit ich verstehen konnte, wo die Quelle des Unheils zu suchen war, wo jenes seelenspeisende Übel seinen Anfang genommen hatte. Während meiner Recherche wohnte ich auf einer umfriedeten Rapswiese neben einem Gutshof, der vor Jahren Legehennen und Wildgänse beherbergt hatte. Auge roch den Zauber der gelebten Leben, die hier ihr Ende gefunden hatten.
Ich montierte einen Sessel an einer Windmühle und genoss die zentrifugalen Kräfte. Ich wirbelte orkangepeitscht herum und vergaß für einen Moment, wo ich war. Solche Unternehmungen vermittelten mir ein vernunftmäßig nicht erklärbares Vergnügen, die Illusion einer Art Fruchtbarkeit, wenn mein Blut beinahe in den Venen zum Stillstand kam, und lenkten mich dadurch von meinem Kummer, jenem Gefühl der Ohnmacht ab, das mich immer befiel, wenn ich nach einem philosophischen Gegenstand für mein nächstes Werk suchte. Mein Gewissen empfand die Pflicht zu erfahren, was sich hinter meinen Entscheidungen verbarg, dass ich bald Mühe hatte meine eigenen Ideen zu verstehen und anfing, Entschuldigungen zu finden, um mich dieser Anstrengung zu entziehen.
Tage später reiste ich durch Freiburg und das Kanton Zug, wo mich Käfer und andere Insekten anspornten die Grabsteine vergessener Menschen von den Friedhöfen zu tragen und mit der Geschicklichkeit eines Steinmetzes jede Gravur, jeden Buchstaben und jedes Datum auszumeißeln, damit die Seelen endlich Ruhe fanden.
In Solothurn verweilte ich eine Woche auf einer Waldlichtung, wo ich eines meiner alten Chalets bewohnte und die Gelegenheit nutzte, bei Dämmerung in den Wald zu gehen, um das Feuerwerk der Glühwürmchen zu bestaunen. Ich besserte die von Witterung in Mitleidenschaft gezogenen Ziegel aus, erneuerte die hölzerne Eingangspforte und fällte eine Eiche, die gegen Nachmittag große Schattenzonen schuf. Meine Stimmung besserte sich nur in Nuauncen, aber das Gefühl war dennoch merklich. Stimmungsschichten die auf einem Farbspektrum im grauen Bereich anzusiedeln gewesen wären, hellten sich zu einem marineblau, als ich merkte, dass die neuen Dachziegel mein Bett trocken hielten. Mein Schlaf war tief und traumbeladen, und wie ein naives Kind produzierte mein Geist bloß die schönen Bilder und sperrte alles Böse in irgendeinen dunklen Kellerbereich meines Unterbewusstseins, in der Hoffnung, der Schmerz verliere sich mit der Zeit oder nutze sich ab, wie ein Messer, das durch Stein geschnitten hat. Der Zustand meines Gemütes verweilte in matter Erschöpfung, während es kommentarlos und ruhig den Gefühlsrausch über sich ergehen ließ. Als Auge jung war, wäre ihm nie in den Sinn gekommen, Qual und Trauer durch eine lange Schlafenszeit zu überbrücken. Doch das Leben hatte mein Herz müde gemacht, und die Erfahrung sagte mir, wenn ich mich einige Monate aus dem Treiben der Welt zurückzöge, würde die Lebensflamme von ganz allein wieder brennen und meine Erinnerung alle schlimmen Bilder vernichtet und verwandelt haben. In meinen Träumen sah ich Besserung in ganz pauschaler Gestalt und fühlte meinen Schmerz vergehen, wie Eis, das in der Sonne zu Wasser schmilzt und schließlich verdunstet. Im Juni verließ ich Solothurn als ein neugeborenes Geschöpf und war bereit, mit der Fähigkeit reinster Lebenskunst in die Zukunft zu schreiten.
Basel-Stadt war der Nährboden für meine wiedergefundene Kraft. Seeschwalben und Sperlinge begrüßten mich, als ich mit entschlossenem Blick durch die malerischen Straßen ging. Vereinzelt hielt ich inne, um diesen oder jenen Freund zu grüßen, den ich noch aus meiner Kindheit kannte, machte in den Wirtschaften halt, bestellte nicht selten das deftigste Essen der ganzen Speisekarte und gab bis in die späte Nacht Runden aus und völlerte mit meinen Kameraden in alter Manier, bis wir uns im Einverständnis betäubt und zufrieden aufmachten und weiter unseres Weges gingen.
An einer Straßenecke betrat ich ein Kaffeelokal, das von einer Antilope, einer Schlange, einem Storch und einer Schildkröte betrieben wurde. In alter Gewohnheit bestellte ich für jeden meiner Bekannten mehrere Liter Kaffee und beauftragte die Antilope eine Suppe zu kochen. Die Antilope war das älteste Tier in ganz Basel-Stadt und kannte jeden Bürger persönlich. Ihr Name war Baraka und auf dem Kopf trug sie eine sauber gescheitelte Mähne grauer Strähnen, die durch die Gedankenkraft des Kopfes in den Jahren noch an Dichte gewonnen hatte. Die Schildkröte brachte Tassen, Teller und Löffel, die Schlange öffnete alle Fenster und Türen, damit der Sonnenschein eintreten konnte, und der Storch kam durch eine Luke im Dach geflattert und hielt mit starkem Biss einen klobigen Kanister im Schnabel, der bis zum Rand mit Kaffee gefüllt war.
Es verging keine Minute, da kehrte Baraka die Antilope zurück und schob mit lautem Gepolter einen silbernen Bottich in das Lokal und verkündete in einer langen Rede, die Vorzüge der Suppe und nannte eine Liste an Gewürzen, deren Geschmack und Herkunft mir bis heute ein Rätsel ist. Die Suppe schmeckte so gut, dass wir unsere Löffel bald wegwarfen und direkt aus unseren Tellern tranken. Nach einer jeden Runde flog der Storch durchs Festzimmer und füllte alle Tassen mit frischem Kaffee, was uns oft Qualen bereitete, da wir nicht wussten, ob wir zuerst den Kaffee oder die Suppe trinken sollten. Die Schildkröte löste das Problem am späten Nachmittag, als sie Eimer aus dem Schuppen hinter dem Lokal holte und Suppe und Kaffe in jenen großen Gefäßen zu einer rötlich-braunen Mixtur verband. Jeder Anwesende bekam einen daumendicken Strohhalm ausgehändigt, den die Schildkröte mit einer Schnelligkeit überreichte, die mir für ihre Gattung allzu untypisch und bewundernswert erschien. Die Suppe stärkte unsere Nerven, nahm uns den Hunger und beflügelte unser Denken mit der exotischen Gewürzmischung, die Baraka aus dem Fundus ihrer Zutaten zusammengezaubert hatte. Der Kaffee strömte durch unsere Venen wie eine Säure, die sich als Ziel gesetzt hatte, all das Blut aus dem Adersystem zu tilgen, damit sie in alleiniger Herrschaft das Gehirn erobern konnte, um es zu Wahn, Halluzination und Lebensmanie anzuspornen.
Nach einigen Stunden des Feierns hörten wir Gelächter aus dem Schuppen hinter dem Lokal und marschierten mit kampfbereiter Mannschaft vor der Schuppentür auf. Innen wütete ein Ameisenstamm, der in emsigem Fleiß seinen Bau vergrößerte. Sie hüpften mit reiskörnergroßen Lasten auf dem Rücken über Hindernisse, die viel größer waren als sie selbst. Eine Ameise schleuderte eine mehrere Zentimeter lange Tannennadel in die Tiefe des Gebäudes und jagte in den Wald zurück um einen neuen Beitrag im Dickicht zwischen den Bäumen zu suchen. Eine Gruppe Ameisen transportierte lachend eine Schraube in einen der unzähligen Eingänge des Ameisenbaus und stürzte sich anschließend auf die Schildkröte, die behende auswich und die Angreifer in ein Wasserschälchen fallen ließ. Die Schlange war ebenfalls nicht untätig geblieben und schlägelte sich, angetrieben von Suppengewürz und Kaffeerausch, mit angriffslustiger Kopfneigung seitlich in den Ameisenbau. Man sah Gänge einbrechen und Straßen wie von einem Beben zu Schutt zerfallen. Der Storch holte in alter Gewohnheit den Kaffeekanister und goß das kochende Gebräu in einen auffällig großen Schacht an der Spitze des Insektengebäudes, worauf das Gelächter der Ameisen in angsterfülltes Schreien umschlug und sich eine Panik verbreitete, die binnen Sekunden den ganzen Stamm erfasst hatte. Wie Kannibalen um den Marterpfahl tanzen, an dem sie ihr Opfer für die Speisung gefesselt haben, so tanzten auch wir brüllend vor Freude um den Ameisenhaufen und sahen zu, wie jene kräftigen Insekten versuchten, das Unglück abzuwenden. Das Ende unseres Treffens wurde von Baraka eingeleitet, die den Bottich herbeirollte, ihm einen kräftigen Tritt verpasste und damit die ganze Suppe über den Bau kippte, die ihn einem Tsunami ähnlich fortspülte und ein Untergangsszenario auslöste, wie es schlimmer nur der Meteoreinschlag oder Genozid zeigen kann.
Als die Hitze und Unruhe in meinem Körper nach sechs Tagen noch immer nicht gewichen war, machte ich mich auf Reisen, um ein Wüstencamp in der Kalahari einzurichten. Die Sonne, die trockene Luft, die Kaktuspflanzen und die Einöde, so war mein Plan, sollten imstande sein, mein angegriffenes Nervengerüst auf ein gesundes Niveau zurückzuheilen. Ich war mir nicht sicher, welchen Platz ich für das Camp wählen sollte, kannte ich doch mehrere Gruppierungen von Wüstenbewohnern, die mir bei meiner körperlichen Bereinigung und Askeseerfahrung behilflich sein würden. Die Schlange wäre mir ein treuer Gefährte gewesen. Ich hatte sie Jahre nicht gesehen und damals in Damaskus beim Pferderennen kennengelernt. Sie war weise und ein wenig schwermütig, besaß eine kräftige Stimme, mit der sie altmodische Lieder zu singen verstand, und hatte eine Charakterkenntnis, dass man sich neben ihr immer wie ein Schüler fühlte. In Zeiten der Verdauung, in denen ihr der eigene Körper Schmerz und Qual bereitete, war sie jedoch leicht angreifbar und nutzte ihr Zisch- und Zungenspiel gerne, um die eigene Sprache unverständlich zu machen und äußerte mit überbetonter Artikulation Kritik an persönlichen Schwächen ohne dabei unfreundlich oder gemein gegen sich selbst zu sein.
Diese Schlange war nicht das einzige Lebewesen, was mir in der Kalahariwüste ans Herz gewachsen war. Zu Kinderzeiten, als ich als Pilot und Forscher meine Abenteuer gesucht hatte, lernte ich bei einem Wasserwettbewerb ein Kamel kennen, das zwischen seinen Höckern manchmal einen Vogel nisten ließ. Das Kamel hieß Geiger und pflegte aus Gründen der Persönlichkeitsentfaltung und des Individualismus einen Hut aus Maisfaser zu tragen. Das schützte seinen Kopf vor brennender Sonne und garantierte, dass die Gedanken klarer, schneller und treffender waren, als bei anderen Tieren seiner Art. Geiger liebte es, sich mit Farben zu schmücken. Auge erinnert sich an Zeiten, in denen das Kamel jeden dritten Tag die Farbe wechselte, nur um bei seinen Freunden Neugier zu hinterlassen. Fragte man ihn, warum er weiß angemalt sei, so gab er als Antwort meist nur eine Folge geheimnisvoller Fragen von sich, die den Grund für die Farbgebung nur noch mehr verschleierten. Einmal war Geiger rot angemalt, und Auge fragte ihn, ob das eine Anspielung auf das Blut sei, das die Wüste durch Trockenheit und Hitze in so regelmäßigen Abständen ihren Bewohnern abforderte. Darauf schwieg er eine Woche lang und weinte leise im Leinenzelt, während der Wind den Sand gegen die Wände trieb und beinahe eine neue Düne entstehen ließ. Geigers Schwermut machte einen großen Teil seines Charakters aus, hatte jedoch nie die Kraft sein Wesen in ein Stimmungstief zu drücken, aus dem es keinen Ausweg mehr gab.
Als ich beschloss mein Wüstencamp in der Kalahari bei Geiger aufzuschlagen, wallte frischer Lebensdrang durch meinen Körper und angestachelt bis zur Extase trieb mich die Vorfreude mit immer schnelleren Entscheidungen in die Nähe meines Wüstenfreundes. Was mich erwartete, spottete jeder Vorstellung. Meine Ausrüstung, die vielen Zelte, die Öfen, die Materialcontainer und gigantischen Aquäduktmaschinen wurden zu nichts weiter als nutzlosem Beiwerk, als ich an den Portalen von Geigers Festung stand. Bei unserem letzten Zusammentreffen hatte er in einer zementierten Düne gewohnt, simpel, bescheiden und genügsam, hatte er sich mit den Basiselementen des Lebens zufrieden gegeben und war niemals von Größenwahn oder Dekadenz heimgesucht worden. Alle paar Tage wechselte er seine Farbe und machte sich einen Spaß daraus, seine Freunde über die Bedeutung in Unwissenheit zu lassen. Geduldig wartete er ab, bis die Vögel ihr Nest zwischen seinen Höckern gebaut hatten oder sich zu Familien zusammenfanden und weiter Richtung Süden flogen. Manchmal wechselte er den Hut oder las Wörterbücher um seine Sprache in einsamen Zeiten am Leben zu erhalten.
Was ich jetzt vorfand, war eine Festung aus Sandstein, die, so weit das Auge reichte, die Kalahari beherrschte. Sie war so hoch, dass sich der Blick selbst bei wolkenlosem Himmel in der Unendlichkeit verlor. Sah man zu den oberen Zinnen empor, hatte man das Gefühl klein wie eine Ameise zu sein oder von schierer Größe hinfortgeweht zu werden, gleich einem Sandkorn in wütendem Orkan. Ganz oben in der Hauptmauer der Festung glitzerte ein gläserner Raum im Sonnenlicht, und als Auge genau hinsah, bemerkte er einen kleinen schwarzen Punkt, der aufgeregt von links nach rechts sprang. Ich stellte mit Erstaunen fest, dass dieser kleine Punkt kein anderer als mein Freund Geiger war, der durch Entfernung und Hitzeflimmern beinahe nicht mehr zu erkennen war. Ein Lift aus Stahlbeton brachte mich nach oben. Ich rief den Namen meines Freundes, und das große Portal schwang auf, um mir Einlass in die Festung zu gewähren. Geiger lag, von Freudentänzen erschöpft, in seinem Observationsdiwan aus glänzender goldverbrämter Seide und hieß mich mit Wasser, Wein, Schnäpsen, Obst und Kaviar willkommen. Mir fiel auf, dass er nicht nur die Wörterbücher sein Hobby nannte, sondern sich in der Zwischenzeit auch der Musik gewidmet hatte, denn aus seinem Mund klangen die lieblichsten Töne. Sein großer Kamelkopf nickte in ruhigem Takt und seine Lippen formten Lieder, die ich in meinem Leben noch nie gehört hatte. Die Klänge waren schwer von bitterer Schönheit und ich konnte an Text und Rhythmus erkennen, dass Geiger aus seinem Leben sang, das mal schnell, mal schwer, dann wieder fröhlich und triumphierend und manchmal auch traurig gewesen war, sodass Höllengram und Weltschmerz die einzigen Motive zu sein schienen. Er hielt die Augen geschlossen, erkannte intuitiv die Melodie und erschloss Text und Form seiner Lieder aus einer unsichtbaren Quelle, die er aus dem Stegreif anzapfen konnte. Am Tag meiner Ankunft schien das Begrüßungskonzert kein Ende zu nehmen, und als selbst die Sterne wieder unsichtbar wurden, um in der sanften Bläue des Morgens wie in stillem Wasser zu versinken, da legte sich Geiger mit ganzer Persönlichkeit und vollem Einsatz in die Weite seiner Gesangskünste um noch höhere Ebenen seiner Leidenschaft zu betreten. Er sang Lieder mit Ausmaßen einer Weltenodyssee, die Auge zu Tränen rührten und an seine Kindheit denken ließ. Der Wald meiner Geburt schien wie bei einer Halluzination in meinen Sinnen heraufbeschworen, sodass ich Gräser und Moosduft riechen konnte, Donnergrollen hörte und das Wechselspiel der Wolken in damaliger Fastzination noch einmal erleben durfte.
Meine Kindheit schien mir ein Universum weit entfernt, und ein Teil meines Herzens schlug in diesen Stunden mit Trauer und dem Schmerz der Vergänglichkeit, doch Geiger war als Sänger so mitfühlend und geschickt, dass er die Launen seiner Zuhörer erriet und sie in sanftem Übergang in andere Stimmungen versetze. Als er von Natur und Weltall sang, war meine Niedergeschlagenheit schnell vergessen, und bald tanzte ich wie von einer Droge berauscht in fröhlichem Taumel durch die Hallen seiner Festung.
Er zeigte mir eine Maschine, die sein Fell mit neunzig verschiedenen Farbtönen bemalen konnte. In demütiger Haltung stellte er sich in den Trichter und wartete, bis der chemische Sprenkler seine Höcker in zwei silberne Metallhügel verwandelt hatte. Von den Seiten fuhren weitere Sprüharme heran und gaben seinem Torso die lavendelblaue Farbe. Er führte mich in ein helles Gewölbe, wo er sich in einen weiß getünchten Alkoven setzte und sich der Literatur hingab. Zum Lesen trug er stets ein Monokel, und wenn er einem gewichtigen Gedanken nachsann, bewegte sich sein Mund als schmecke er köstlichen Wein, und seine Augen blickten in die Ferne. In den Tagen der Ruhe, wenn er des Feierns und der Ausschweifungen müde wurde, zog er sich in seine Bibliothek zurück und studierte Religionen und Wissenschaft. Er war sehr belesen in der Hermeneutik des Buddhismus, wusste alles über die Architektur russischer Sommerhäuser und schrieb Abhandlungen über Hexenverbrennung und Bankräuber. In der Nacht saß er im Schein einer dicken Wachskerze in seinem Kimono auf einer juwelenbesetzten Ottomane und kochte Hagebuttentee in einem Samowar, den ihm ein verstorbener Freund vor Jahren aus Moskau als Geschenk mitgebracht hatte.
Wenn sein Geist mit neuem Wissen gefüllt war und sein Körper eine Abwechslung forderte, schritt er durch die Gänge seiner Festung und begutachtete die Büsten verstorbener Politiker mit dem Blick eines Kenners. Überall in Nischen und Seitengängen standen Denkmäler und Statuen großer Persönlichkeiten, die den Wandel der Welt, das Denken der Menschheit und den Horizont des Geistes in hohem Maße beeinflusst hatten.
Am zehnten Tag unseres Treffens führte er mich in den Westflügel seiner Behausung und zeigte mir das Hafenbecken, in dem er mehrmals in der Woche seine Schwimmfähigkeiten trainierte. Der Hafen wurde von einem Kuppeldach überspannt, das über und über mit Gemälden und Kunstgegenständen verziert war, sodass ein Blick an die Decke so manchen Museumsbesuch überflüssig machte. Geiger hatte Originale von Michelangelo, Holzschnitte von Albrecht Dürer und Konstruktionen von Leonardo da Vinci, die er alle paar Jahre restaurieren ließ. Im Hafenbecken unterhalb dieser Kunstwerke lagen Schiffe vor Anker und schaukelten in den Wellen, die von einer dieselbetriebenen Wellenanlage am nördlichen Pier erzeugt wurden. Eine Vielzahl Küstensegler und Klipper waren am Steg vertäut und bildeten durch Brücken, Stege und Verkettungen ein kleines Schiffsdorf, in dem man nach belieben umherwandeln konnte, ohne ins Wasser zu fallen. Ein Dutzend havarierte Fünfmaster und Korvetten lag in der Nähe des südlichen Docks und verfaulte langsam im Brackwasser, während Möwen und andere Küstenvögel die letzten verdaulichen Reste aus den Vorratskammern pickten und sich Nester im morschen Holz bauten. Der Geruch von Wiskey lag in der Luft. Im künstlichen Licht der Gewölbesonne schimmerte ausgelaufener Waltran und gab dem Hafenwasser in weiten Bereichen einen milchigen Glanz. Geiger sprang ins Wasser und schwamm zu seiner Armada holländischer Fregatten aus Rosenholz, die in der Mitte des Beckens mit starken Trossen zusammengehalten wurden. Überall prangte stolz das Wappen von Rotterdam, auf dem die zwei Löwen in aufrechter Haltung einander gegenüberstanden. Geiger ging an Deck und hisste eine Baumwollflagge, die er in einem Anfall von häuslicher Gemütlichkeit im letzten Winter selbst gestrickt hatte. Dann ging er zu einem Spind am Heck und zog sich Seemannskleider an, die nach seinem Sinn in stilistischem Einklang mit der Kultur seiner Festung standen. Sein Torsokleid war ein ölblauer Seemannsmantel, der nach Fisch und Salzwasser roch. Seine Hufen beschuhte er mit weißen Stiefeln, die den knochenen Farbton der Politikerbüsten hatten, die in jedem Raum seines großen Hauses scheinbar wahllos aufgestellt waren. Mit einem Augenzwinkern gab er einem unsichtbaren Sensor, der irgendwo zwischen den Gemälden an der Hallendecke versteckt war, zu verstehen, dass es an der Zeit sei, Musik zu hören. Die schwarzen gotischen Säulen, die wie stille Wächterstatuen zu beiden Seiten des Hafenbeckens standen, waren, wie ich jetzt bemerkte, Lautsprecher, die mit wahnwitzig lautem Geräusch, die schönsten klassischen Stücke zu spielen begannen. Ich erkannte Beethovens dritte Sinfonie, in deren Ruhephasen virtuos eine Harmonie von Wagner eingewoben war, sodass es wie das Stück eines begnadeten unbekannten Meisters klang. Später sollte mir Geiger erzählen, dass er dieses Stück unter dem Einfluss von Absinth und koffeinhaltigem Kirschnektar komponiert hatte, um sich für die Zukunft eine geeignetere musikalische Basis für seine Gesangsübungen zu schaffen.
Auge ergriff die Kraft dieser Musik und ließ sich wie von einem Marionettenspieler geleitet zu den waghalsigsten Unternehmungen hinreißen. Ich stürzte mich in ein Kanu und umruderte ein verlassenes Passagierschiff, das an einem Anlegesteg aus Platin jenseits der Fregatten wie ein gigantischer Diamant aus dem Wasser stach. Geiger hatte seine Glieder zu schnellem Tanz angefacht, und seine weißen Stiefel verschwammen in der Bewegung zu geisterhafter Transparenz, dass es aussah, als glitte sein Körper auf einer weißen Nebelwolke über die Planken.
Am östlichen Horizont der Hafenhalle, dunstverhangen und von Wolkenbänken beinahe verhüllt, takelten die Piraten unter Pfiffen und trunkenem Gegröl ihre Galeere auf. Am Bug des Piratenschiffes thronte stolz die Galloinsfigur des Poseidon, der in machtergreifender Pose seinen Dreizack in die Höhe hielt. Ich hörte die Segel im Sturm der Windanlagen knattern und sah, wie sich die See zu Wasserbergen türmte. Im Taumel der Wellen wurde das Floß der Medusa aus der Werft gespült, das nach kurzer unkontrollierter Fahrt an den Riffen zerschellte. Geiger johlte im Rausch der Geschehnisse, kletterte auf den Mast und sprang in das tosende Meer. Die Piraten feierten wild auf ihren schwankenden Schiffen und zerschlugen die groggefüllten Tonkrüge gegenseitig an ihren Schädeln, dass ein Gemisch aus heißem Most und Blut ihre Gesichter hinunterfloss. Auge sammelte den Freund aus den Wellen und ruderte zum östlichen Steg, wo ein stuckverziertes Portal in die Räume der Erholung und Ruhe führte. Die Lichter erloschen, die Musik verhallte und die Piraten gingen über Bord.
Als wir in Sicherheit waren und uns wie Fürsten auf tizianroten Plüschmöbeln von den Strapazen des Hafenbeckens entspannten, sprang Geiger auf und verkündete ein Festessen, das anlässlich meines Besuches im Antiksaal der Festung abgehalten werden sollte.
Geiger schickte Einladungen raus, und Auge reiste in die Länder seiner Freunde, um sie alle einzuladen. Der Grizzlybär aus Kanada traf als erster ein. Die Polarfüchse aus Vietnam kamen in goldenen Wagen angereist und hatten eine Hundertschaft Pferde im Schlepptau. Sechzehn große Katzen aus Südkorea brachten einen gigantischen Kessel mit scharfer Suppe, den sie in die Speiserinne im Festsaal gossen. Geiger entfachte bengalisches Feuer, das wild lodernd seine Flammen züngeln ließ, und verstreute Duftstaub über Möbel, Tiere und Kunstgegenstände. Nie hatte ich ihn so aufgeregt erlebt, nie zuvor hatte ich gesehen, dass er mit solch einer Inbrunst die Speisen verteilte und Getränke eingoss, mit so einer Hingabe musikalische Einlagen zum Besten gab und sich in einer Unzahl an Gesprächen als lebhaftester Teilnehmer hervortat. Seine Redegewandtheit hatte eine eigene Klasse und konnte von keinem seiner Gäste erreicht werden. Er wusste mit seinem Charme umzugehen und meisterte den Balanceakt zwischen selbstsüchtiger Rede und Gelehrtheit mit Bravur. Seine Fragen hatten etwas Forderndes ohne dabei unverschämt zu sein; seine Antworten waren wohl formuliert und präzise, seine Stimme melodisch und sein Verhalten freundlich. Sinngebung und Rhythmus seiner Worte waren für den Zuhörer immer angenehm und interessant, jedoch nicht ohne einen belehrenden Unterton anzustimmen, den er so zu umspielen wusste, dass der Gesprächspartner am Ende wie nach langer Reise erschöpft am Ziel angekommen zu sein glaubte und glücklich war. Er stand auf dem Tisch im Festsaal und hielt ausufernde Vorträge über den Sinn der Hydraulik und Atomkraft, beschrieb die Fastzination von Schmetterlingen und führte uns in die Grundlagen der Metaphysik ein. Wenn er zu sehr ins Detail ging, lieferte ihm seine Begabung immer eine Anekdote, mit der er gekonnt die Stimmung lockerte, um im nächsten Satz neues thematisches Terrain zu erschließen. Nie hatte ich ein Kamel mehr in der Blüte des Lebens stehen sehen als Geiger. Sein Körper glänzte in den verschiedensten Farben, sein Hut aus Maisfaser leuchtete mit grellen Signalfarben bemalt wie eine Gloriole auf seinem Kopf. Sein Gang hatte etwas Anmutiges, und wir alle waren hingerissen von seiner Darbietung und fügten uns seiner Lehre wie wissenshungrige Schüler einem weisen Meister. Auf unser Staunen antwortete er mit einem langen Monolog, der sein Talent und seinen Fleiß zum Gegenstand hatte. Wie könne er eine Fähigkeit zu solch einer Meisterschaft gedeihen lassen, wo ihm zum Zeitvertreib so viel Geld und Zerstreuung zugänglich war? Man könne das geistige Volumen des Individuums niemals an der Größe seiner Geldbörse messen, sondern müsse auf die Taten schauen. Gab er sich dem Genuss hin, zog er eine Lehre daraus, die sich zu Gelehrsamkeit verdichtete und ihm in der Folge als Wissen zu Verfügung stand. Seine Wahrnehmung sei in allen Lebenslagen so scharf und punktgenau, dass selbst bewusstseinsverändernde Substanzen die Verbindung zur Realität niemals zu stören vermochten. Sein Streben nach Wissen stand ihm als genetischer Code in die Zellen geschrieben, und sollte es einmal geschehen, dass er sich gehen ließ oder unbedacht in den Tag lebte, rissen ihn die inneren Leidenschaften und Zwänge, so wie das Laubblatt vom Orkan fortgeweht wird, in die strengen Kanäle der Konzentration und Wissbegier zurück, dass er sich selbst mit Willenskraft nicht gegen dieses Dikatat der Naur wehren konnte. Im zweiten Teil seines Monologes stellte er sich selbst als Opfer dar, verdeutlichte mit Beispielen aus seinem Leben die schicksalhafte Situation, in der er sich befand, und legte am Ende eine Filmrolle in den Projektor, die uns einen zweistündigen Dokumentarfilm zeigte, den Geiger vor Jahren als zwanghaften Versuch einer Selbstskizze über sein Leben gedreht hatte. Die Hühner und Füchse weinten vor Freude als sie sahen, mit welchen Gaben der Schöpfer das Kamel ausgestattet hatte. Die Sperlinge huldigten Geiger mit einem fröhlichen Lied, zeigten ihr Gefieder und stolzierten von Teller zu Teller auf der Tischplatte herum, um von den Weintrauben zu kosten. An der Fensterseite des Raumes befand sich ein großer Wassertrog, der neben dem Getränk, das er enthielt, den Quastenflossern und zwei Riesenkalmaren gleichsam als Aufenthaltsbereich diente. Geiger berichtete von gefährlichen Tauchreisen, die er als jugendliches Kamel mit seinem Onkel in den Abyssalen des Atlantiks gewagt hatte und bedachte die anwesenden Meeresbewohner mit einer freundlichen Geste und lobte ihre Persönlichkeit, die es ihnen erlaubte, für einen Freund eine weite Reise zu machen. Mit einem frei erfundenen Lied beschrieb er den Edelmut und die Stärke dieser Geschöpfe und fand zueinanderpassende Melodien, die mit Engelsstimme und wohl skandierten Tönen so manches Tier in ein Land der Träume entführte. Geiger betonte, dass er in der Jugend viel leiden musste, und dass Weltreisen und Lebensexperimente lediglich als Stärkung seiner körperlichen Schale dienten, so wie der Hammer mit unentwegtem Schlag den Stahl veredeln, formen und verstärken kann.
Als die Festgemeinschaft gespeist hatte und die Sonne allmählich die Horizontplatte der Wüste berührte, sprang Geiger mitten auf den Marmortisch und zog sich eine perlenbesetzte Tunika an, die elegant seine Höcker bedeckte und seine Erscheinung an Umriss verschönerte. Er zückte einen mit bunten Fäden geschmückten Dirigentenstab, ließ ihn durch die Luft sausen und führte die feiernde Gemeinschaft in dicht gedrängter Prozession durch die Säulengänge seiner Festung auf den Innenhof hinaus. Im eingefriedeten Bereich seiner dreistöckigen Pagode hieß er die Freundesmassen niedersitzen und seinen Reden lauschen, während der Sternenhimmel über dem Innenhof langsam an Sichtbarkeit gewann und die Nacht ihr dunkles Tuch über die Welt legte. Sein Gewand leuchtete im Schein der Ölfackeln, die überall im Boden steckten und von einem Pavian in blauem Festkostüm mit einem Brennstäbchen entzündet wurden. Der Pavian schlug Räder und demonstrierte den Flickflack, bedankte sich, wenn er Beifall bekam, und hielt hier und da inne, um mit kräftiger Lunge das Stäbchen zu schüren, damit ihm das Feuer nicht erlosch. Auf diese Weise arbeitete er sich von Fackel zu Fackel und brachte Licht selbst in die verwegensten Ecken, sodass die Pagode bald in ihrer ganzen Schönheit in gemütlichem Schattenspiel zu tanzen schien.
Geiger nahm Position ein, hielt kurz den Atem an und entließ einen kehligen Schrei, in den er seine ganze Kraft legte. Mit einem Ruck zog er sich die Tunika vom Leib und warf sie in die Flammen. Einige Vögel riefen um Hilfe, als die Flammen ihr Gefieder erwischten und sie in panischer Flucht in den Abendhimmel entkamen. Eine Schildkröte aus Mexiko zog Kopf und Glieder ein und versteckte sich bis zum späten Nachmittag des nächsten Tages in ihrem Panzer. Auge sah, wie die Maulwürfe erschraken und blindlings durch die Massen rannten. Zwei befreundete Seeadler aus Malaysia retteten sich auf einen Tisch aus Satinholz und nippten zur Beruhigung an den Weinkaraffen, die in verschwenderischer Zahl in Nähe der Pagode verteilt wurden. Geiger legte Wert darauf, dass jeder seiner Gäste reich mit Getränken beschenkt wurde, und eine Gruppe Elefanten aus Taiwan beendete das Feuer mit einem gebündelten Wasserstrahl aus ihren Rüsseln. Langsam kehrte wieder Ruhe ein, und beinahe andächtig machten sich die Gäste daran, den Wein zu trinken.
Auch Auge bekam mehrere Karaffen des endlen Getränks, und hatte ich ein Gefäß geleert, konnte ich ein paar Schritte weiter sofort das nächste vom Boden sammeln und austrinken. Ich sah den Pavian in seinem blau schimmernden Kostüm, der jetzt leicht angeschwipst seine Hilfsbereitschaft nutzte, um über den großen Zapfhahn in der Pagode für ständig neuen Nachschub zu sorgen. Manchmal stieß er eine Fackel um oder stolperte gegen eine Marmorstatuette im Eingangsbereich des Tempels, was ihn jedoch nicht von seinem Vorhaben, der Menge treu zu dienen, abbrachte.
Geiger sorgte für Überraschung, als er eine Trompete aus einer versilberten Kiste nahm und der Gemeinschaft eine wilde Jazzmelodie vorstellte, die er in Begleitung eines Klaviers in selten gehörter Präzision zum Besten gab. Wie auf ein Zeichen flogen die Türen der Pagode auf und entließen eine Unzahl verkleideter Tiere in den Innenhof. Auge sah mit Blumen verzierte Igel und gold gepuderte Zebras in schnellen Tänzen um den Tempel hüpfen. Ich sah Götter auf Pferden reiten, die mystische Formeln raunten, Seepflanzen herumschleuderten und zu einer gläsernen Kugel im Hinterhof pilgerten. Als Fische verkleidete Affen trugen Riesenkrebse herum und warfen sie mit lautem Gekreisch in einen Teich im Tempelgarten. Eine rote Beutelmaus modellierte mit Geschick und Sorgfalt ein Gebäude aus organischem Material, das unter Schütteln und Zucken und spastischem Geräusch zu Leben erwachte und mit Lianen und Tentakeln in gleichmäßigem Puls über den Boden mäanderte. Dunstige grüne Wölkchen pfiffen und blähten aus Öffnungen an verschiedenen Stellen. Eine Gruppe nautischer Wesen verkoch sich in den klebrigen Hautfalten des Gebäudes und suhlte sich in Säften und Sekret. Die Beutelmaus verkleidete sich als Jesus in roter Toga, nahm Wachsstift und Paste zur Hand und malte Berge und Blumenschlösser an die Wände. Die Götter auf ihren Pferden rollten die gläsernen Kugeln herbei, in denen fremdartige Wesen in nacktem Getreibe Gebete mit inbrünstiger Stimme brüllten. Das organische Gebäude prägte Greifarme aus und hob die Glaskugeln empor, hielt sie hoch in den Sternenhimmel wie reife durchsichtige Früchte. Wie Maden wuselten die Nackten umher und gossen ihre Flüssigkeiten hinab auf die tanzende Festgemeinschaft.
Geiger lachte und spielte die Trompete so schön wie nie zuvor. Seine Bewegungen fügten sich in den Tanz der Menge und auf ein Zeichen betätigte der blaue Pavian vier Schalter zum Zünden der Raketen. Noch nie hatte ich ein Feuerwerk von so üppiger Farbenpracht gesehen. Überall auf den Zinnen schossen Raketen in die Höhe, die in hellen Feuergarben ihre Glut über den Himmel warfen. In weiter Ferne, wo Wolkenfront und Sternenhimmel miteinander verschmolzen, entsponn sich, wie von Gotteshand geführt, ein silbrigfeines Elmsfeuer, das in lautloser Eleganz dem uferlosen Fest seine wertvolle Gravur einschrieb. Knaller und Girlanden platzen aus versteckten Waben im Boden hervor und sorgten für Krach und Farbe. In der Wüste wurden Sprengsätze gezündet, deren Kraft in tiefen, erderschütternden Basswellen durch Mark und Bein ging und noch hundert Kilometer entfernt zu spüren war. Heuler und Tröten waren zu hören, Gelächter und Geschrei. Der Raum um die Pagode sah aus wie ein Bild von Hieronymus Bosch.
Der Abend wollte kein Ende nehmen. Selbst als Auge schon erschöpft in einer Lache aus Apfelwein und Most lag, ergingen sich die Schimpansen in Entblößung und Sakralhurerei, indem sie auf ihre Kruzifixe urinierten und einen Materpfahl umtanzten, auf den ein Elefantenkopf gespießt war. Eine Bande betrunkener Bären zerschlug mit Keulen und Metallstangen die Stuckverzierung an den Wänden des Tempels und hielt Unzucht mit den Pferden und Ponnys aus den Gebieten Norditaliens. Ein Springhase, dem man das Fell abgeschoren hatte, verkündete mit prophetischem Eifer das Pandämonium. Ein Singreigen aus Nagetieren fand sich zusammen und sang mit Leidenschaft und Naivität von Ernüchterung und Anstand. Kurz darauf fand die Festvöllerei ein Ende. Müdigkeit legte sich über die berauschten Körper und bezwang zum Schluss selbst die stärksten Tiere. Die Bären schliefen im Morgengrauen ein, die Elefanten legten sich am Mittag zur Ruhe, und wie ein König stand Geiger inmitten der schlafenden Kreaturen und zählte ihre Atemzüge.
Ich verweilte noch ein paar Stunden, ehe ich die Festung verließ und mich daran machte, meine Heimatsspähre zu besuchen. Der Entschluss hatte sich in der Nacht von einer fixen Idee zu einem Zwangsgedanken entwickelt, dessen flehentliches Bitten ich nicht mehr ignorieren konnte. Mein Körper wollte zurück zum Ursprung meiner Existenz.
Überall lagen schlafende Tiere, die sich ermattet und verbraucht ihren Träumen ergaben. Ein Rotfuchs aus Irland schlief neben einem Marmoraltar in einem Nebengang mit hohen Kirchenfenstern, durch die ein milchig-buntes Licht fiel und dem Fell des Fuchses eine Vielzahl neuer Tönungen gab. Er zuckte und weinte im Schlaf, fast wie ein Baby, das von den ersten Träumen seines Lebens besucht wird. Ein Raum weiter traf ich einen dösenden Pinguin, der mit seinen Stummelarmen einen goldenen Pokal festhielt und im Halbschlaf von Schattenwürmern und Dunkelelfen sprach. Als Auge ihn eine längere Zeit betrachtete und seinen Reden lauschte, kam er plötzlich zu sich, trank den letzten Schluck Gebräu aus dem Pokal und hüpfte über den Gang davon. Ein Ozelot aus dem Kongo schnarchte laut auf einem Knüpfteppich aus Baumwolle. Neben ihm lagen Scherben und zerschlagene Stühle, die Überreste einer Porzellanvase und Duzende Bibeln, in die er mit gelbem Stift Zeichnungen und Skizzen eingtragen hatte. In einem kleineren Festzimmer am Ende des Ganges, lag eine Horde Waldhunde aus Alabama, in einem mit Seide ausgestalteten Bett und hing mit leisem Jaulen den Erinnerungen der Feier nach. Im Gestänge des Kronleuchters an der Decke zwischen Wachskerzen und Diamentenketten waren ein Kojote und eine Feldmaus über einem Spiel Dame eingeschlafen, dessen schwarze und weiße Spielsteine lautlos von einer Gruppe Ameisen entwendet wurden. In einer schattigen Ecke des Festzimmers spielte ein Rhesusaffe auf einer Harve leise Melodien, die den Raum mit so meditativen Klängen erfüllten, dass man beim Betreten müde wurde und sich benommen und schlafwandlerisch die nächstbeste Ruhestelle suchte. Der Affe schien nicht vollständig bei Bewusstsein zu musizieren, denn er war weder ansprechbar noch reagierte er auf die Fragen eines betrunkenen Pavians aus dem Senegal, der neben einer Schubkarre mit Orangen stand, die er während des Festes entwendet hatte, um sie an einem ruhigen Ort heimlich zu verspeisen. Er fragte immer wieder nach den Komponisten und Namen der Lieder und zupfte aus Neugierde manchmal sogar selbst an den Saiten, um die Melodie nach seinem Geschmack zu beeinflussen. Wenn ihm langweilig wurde oder er keine Lust mehr hatte weitere Fragen zu stellen, auf die er keine Antwort bekam, warf er eine Orange in die straff gespannte Harve, die die Frucht mit kurzem Saftgeräusch in ein Duzend kleine Scheibchen schnitt. Als der Pavian mich bemerkte, blickte er erschrocken drein, als hätte ich ihn bei einer verbotenen Handlung ertappt, und bot mir verlegen eine Orange an. Dann raffte er die am Boden liegenden Scheiben zusammen und machte sich mit seiner Schubkarre auf Zehenspitzen davon, um irgendwo in der Festung ein besseres Geheimversteck für seine schelmischen Taten zu finden.
Ich verabschiedete mich von den schlafenden Tieren und machte mich daran meinem Freund Lebewohl zu sagen. Ich fand Geiger in einem lichtdurchfluteten Saal im obersten Stockwerk der Festung. Die Wände waren behängt mit langen Samtvorhängen in marinen Farben, und Gardinen bauschten sich im Wind geöffneter Fenster. Die Deckenkuppel überspannte den Saal wie eine segmentierte Linse, die aus Spiegeln, poliertem Messing, Glasscherben und Edelsteinen ein farbenfrohes Kaleidoskop erglitzern ließ, das, obwohl es stillstand, sich ständig zu bewegen schien. Geiger lag auf einem Daunensofa mit rot-schwarz-weiß kariertem Schottenmuster und nippte an einem Kelch, der mit einer klaren kohlensäureversetzten Flüssigkeit gefüllt war. Von irgendwoher vernahm ich die sanften Töne eines Violinenkonzerts von Vivaldi, das unaufdringlich im Hintergrund spielte und der Atmosphäre im Raum etwas verklärt-traumhaftes verlieh. An der Wand stand ein reich geschmückes Tabernakel mit einem Holzkreuz, auf dem Geiger sakrale Zinnfiguren aufgestellt hatte, die in einer grotesken Metamorphose von Tier zu Mensch, von Mensch zu Tier begriffen waren. Es war schwer zu entscheiden, ob sie eine Einheit bildeten oder die Momentaufnahmen eines Prozesses darstellten, dessen Widernatürlichkeit dem Betrachter Schmerzen verursachte. Daneben stand ein Kessel, aus dem Schwaden dichten Weihrauches aufstiegen, die die Zinngebilde in einen geheimen Nebel tauchten. Geiger schrieb gerade an einer Studie über selbstgebaute Fluggeräte und nahm sich hin und wieder eine Leckerei von einem Wägelchen zu seiner Linken, das überbordend mit Kuchen, Lachs und Weintrauben bestückt war. Als er mich sah, begrüßte er mich freundlich und erzählte mir sogleich von seinen neuesten Apparaten.
Die Umsetzung seiner jüngsten Ideen sei keineswegs selbstverständlich, wie er mir versicherte, denn er habe Jahre in duldsamer Grübelei verbringen müssen, die manchmal sogar sein Herz befiel und ihm gesundheitlich arg zusetzte. Er durchlitt Arhythmien des Pumpmuskels und Atembeschwerden, die sich in schlimmen Nächten sogar in verkrampften Lungenflügeln äußerten. Das ständige Zittern seiner Beine sei eine weitere Nebenwirkung seiner Grübelei gewesen, dass er bisweilen nicht einmal mehr gehen konnte und an das Bett gefesselt warten musste, bis sich die Gedanken klärten und sich das Fieber legte.
Eine Erfahrung, die wir in Schmerzen durchleiden, wie zum Beispiel der Bruch eines Knochens oder das Abfaulen eines Zahns, können wir nur dann vergessen, wenn die Genesung nach ausreichender Rekonvaleszenz vollkommen und abgeschlossen ist, wenn wir das Körperglied wieder bewegen können, ohne in Agonie und Angst zu vergehen. Im Gegensatz leiden wir umso mehr, wenn die Heilung, von der wir annahmen, sie werde uns nach einer langen Ruhezeit schon retten, nicht eintritt, obwohl wir mehr als das Nötige taten, um uns der Krankheit zu entledigen. Dann werden wir unruhig und nehmen unseren Körper als ein störendes Anhängsel unserer Seele wahr, das wir am liebsten abstreifen würden, um endlich frei zu sein. Wenn wir dann gepeinigt und entmutigt feststellen, dass diese Trennung nicht möglich ist, nehmen wir unsere letzte Kraft und Vernunft zusammen und verwenden sie in einem letzten Akt des Aufbegehrens als Medizin für den geschundenen Körper. Diese Anstrengung wird unsere letzte und ernsthafteste sein, bei der sich entscheiden wird, ob wir leben oder sterben.
Bei der Schilderung dieser Krankheitsphase war Geiger den Tränen nahe und verlor für einen Moment sogar die gesittete Contenance, die durch langjährige Sinnesfreuden und Wissenssucht zu einem Teil seiner Persönlichkeit geworden war. Jedoch habe er aus der schwierigen Zeit gelernt und nicht nur an Weisheit gewonnen. Er sei auch in der Art seines Denkens geläutert und wiedergeboren worden und habe eine verbesserte Forschungsmethode erlernt, die nicht nur das Offensichtliche und Positive aufmerksam studiere, sondern auch das Schlechte, Redundante und Unscheinbare zu gleichen Teilen in Erwägungen ziehe. So sei es ihm möglich gewesen Geisteswissenschaften miteinander zu verbinden und neben der Musik und der Literatur auch die Formenlehre zu verstehen, die sich hinter Wasserwirbeln, der Unregelmäßigkeit des Pflanzenwuchses, der Gestaltung der Landschaften, im Windspiel und der Wolkenbildung verbarg. Geiger behauptete, er arbeite an einer spirituellen Sprache mit deren Zauberworten und Alfanzereien man Ströme in ihre Quellen zurückzwingen könne und das Meer zu fesseln vermochte. Er wollte den Winden ihren Odem nehmen, die Sonne im Moment verweilen lassen, den Sand des Mondes aufschäumen, die Gestirne vom Himmel reißen, den Tag aufheben und die Nacht in einer ewigen Dunkelheit einfrieren. Die Urwolke sollte neu entstehen, eine neue Ordnung sich bilden. Die physikalischen Gesetze, wie wir sie kennen, wären verändert und seiner schöpferischen Laune unterworfen. Er würde eine neue Erde schaffen, und den Monden des Jupiter andere Umlaufbahnen geben. Ganymed mit all dem Eisen und dem Schwefelkern würde er aufschmelzen und zersprengen, die glühenden Brocken wie einen Regen auf Callisto niedergehen lassen, wo Eis schmelzen und das Wasser sieden würde, bis es in planetengroßen Wasserdampfwolken ins Weltall reisen und nur noch in unseren Gedanken existieren würde. Ios Vulkane sollten Feuer speien und den Mond Europa mit Lavazungen lecken, bis das Wasser freigesetzt und sich endlich eine lebensfreundliche Atmosphäre bilden würde, in der Leben entstehen konnte, fern von der Erde und den unfruchtbaren Wüsten des Mars, in den Weiten des Alls, neugeboren und Wiedergeschaffen auf den einsamen Monden des Jupiter. Geiger verweilte noch einen Moment an jenen zukünftigen Orten, dann blickte er mich überrascht und etwas benommen an und wandte sich wieder seiner Studie über selbstgebaute Fluggeräte zu, die mit der Erschließung des irdischen Luftraums den Beginn seiner groß angelegten Odyssee bilden sollte.
Auge verabschiedete sich von dem Freund und trat auf das Kuppeldach hinaus, wo der Prototyp einer begehbaren Rakete bereitstand, den Geiger im letzten Jahr für mich entworfen hatte und den er mir als Abschiedsgeschenk und letzten Gruß mit auf den Weg schickte. Die Rakete stand auf einem exponierten Sockel am Rande der Südseite. Die Triebwerke rauchten bereits, und die Positionslichter blinkten grün und rot. Auge betrat die Rakete über eine Treppe, die an der Außenseite bis nach oben in die Spitze führte. Geiger hatte die Steuerelemente und Manövrierkonsolen so gestaltet und angeordnet, dass sie intuitiv zu verstehen waren. Nach wenigen Minuten des aufmerksamen Studierens wusste ich, wie ich die Rakete starten, lenken und landen konnte. Meine Position im Weltraum markierte ein gelber Punkt auf einer großen Leinwand. Ein Projektor sorgte dafür, dass die Eckdaten meiner Reise stets in visueller Form zu Verfügung standen.
Ich weiß nicht welches Rauschmittel mich in den Stunden des Pagodenfestes auf eine halluzinierte Reise in meine Vergangenheit geschickt hat, welche Chemikalie den Wunsch nach Heimat und Ursprung in meinem Hirn aufkeimen ließ, doch als ich nach den Strapazen des Konsums meinen inneren Kosmos erblickte, fand ich dort eine Vielzahl neuer Erinnerungen vor, Erinnerungen, die ich vor der Zusammenkunft mit meinem Freund Geiger vergessen geglaubt hatte. Oft hatte ich versucht in den Kern meiner Kindheitserinnerungen zu dringen, den die Zeit über Jahrzehnte so sorgsam versiegelt hatte. Nicht selten war es mir gelungen einzelne Bilder zu extrahieren, Standbilder der Erinnerung, nicht mehr als das welke Blatt eines Herbstbaumes, das sich in einsamem Bodenfall nach dem Frühling zurücksehnt. Die Geburtenkapsel in jenem namenlosen Wald, die mich gebar und mit ihren Brutsäften mit Nahrung versorgte, war, wie mir jetzt scheint, nur der Vermittler zwischen Weltraum und Erde. Meinen Ursprungsort, die Wiege meiner Existenz, vermute ich zwischen den Sternen des Weltenalls. In den halluzinierten Visionen der letzten Nacht sah ich Planeten in fremdartigen Farben, Sonnensysteme und ganze Spriralgalaxien, die ein merkwürdiges Gefühl der Vertrautheit in mir erweckten, als fabuliere mein Hirn nicht bloß Willkür daher, sondern wandle auf längst vergessenen Pfaden zurück zum Kleinod meines Entstehungsfunkens. Ich stelle mir vor, dass ich an diesem Ort vielleicht meine Eltern treffe, oder zumindest jemanden, der sie gekannt hat. Der Name meines Bruders reimt auf Vogel. O du, der da draußen umherreist, von Sonne zu Planet, von Mond zu Mond, wirst auch du dort auf mich warten? Gibt es einen Ort außer dieser Erde, den ich mein Zuhause nenne?
Die Schubdüsen feuern heißen Atem, das Fauchen eines Drachen entspringt ihrem Schlund. Das Grollen der Triebwerke schallt übers Land, und ich sehe Geigers Festung unter mir verschwinden. Dann kommen die Wolken, meine lieben Freunde, in deren wattigen Formen der Gestaltungsmeister wohnt, der, wie ich jetzt sehe, noch immer nicht müde ist, neue Muster zu erdichten. Ich vermisse schon jetzt die Natur der schönen Erde, kaum da ich ihre Atmosphäre verlasse und die Schwärze des Alls mich in ihre Tiefe entlässt.


02.05.2010

 

Wunderschöne poetische Bilder, eingebettet in einen surrelalistischen Traum.
Fellini meets Bunuel vor einer Gemäldereihe von Doré.

Lang, aber nie Langweile, Überraschung in jedem Satz. Nur gelegentlich ein Wort, dass nicht passend scheint.

lg
Dave

 

hallo maschinenfrosch,

interessant, aber ich glaube nicht, dass du damit viele Leser gewinnen wirst. Du hast zwar viele (ggf. zu viele) poetische Bilder drin, manche waren auch sehr schön. Ich habe gehofft, einen Teil auf die Wirklichkeit irgenwie beziehen zu können, einen Zusammenhang zu erkennen. Doch ich muss am Ende sagen, dass du dich eigentlich wiederholst und es wird einem langweilig, zumal der Geschichte keine wirkliche Handlung innewohnt. Du bist mit sehr vielen Tieren zusammen und bereist viele Städte, gründest dort und dort was, hast Geld und bist dann wieder "arm wie eine Kirchenmaus" und das geht den ganzen Text so.
Ich habe fast das Gefühl, dass du alles angerissen, die ganzen schönen Bilder der Natur und ein paar Jahre durch die Zeitmaschine geschlittert bist, ohne festen Boden unter deinen Füßen bekommen zu haben.

Interessant war es ja, am Anfang war es schön beschrieben. Die Sache mit Auge und dem Geboren werden, Einssein mit der Natur, allerdings verlebt sich das im Laufe des Textes, sodass ich am Ende die Struktur vermisse und die Langatmigkeit bemängele.

MfG Mantox

 

Hallo Dave und Mantox,

danke fürs Lesen!!! (Fellini meets Bunuel, wow :) )

Manchen macht es Spaß, manche müssen durchhalten.. die meisten können es wegen Dialogarmut gar nicht lesen.. was soll man machen :)

lg, Maschinenfrosch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Maschinenfrosch,

Was soll man da machen
, fragst du in deinem letzten Post … Naja, das kommt darauf an, ob du deinen Text nur gelesen wissen willst oder ob du ihn hier gepostet hast um ihn – wenn möglich – noch zu verbessern, oder? :)

„Körper und Geist wuchsen schnell und gleichsam;“
passt nicht. Gleichermaßen? Gleichmässig? Gleichsam stellt jedenfalls einen Vergleich an, der dann nicht kommt.

„Summen von Libellen, neben dem“
 kein Komma.
„erkundeten einen gestorbenen Fuchs“  Klingt für mich ungeschickt, ist aber reine Geschmackssache, denke ich. Mir persönlich wäre ein toter Fuchs, oder ein Fuchskadaver, oder sogar ein getöteter Fuchs lieber.

„Sie flogen mich auf den Gipfel, wo ich die Eishunde traf.“
 Kommt mir wieder etwas ungelenk vor. Ich weiß, das muss jetzt pedantisch wirken, aber ehrlich gesagt ist der Rest einfach zu elegant geschrieben als dass ich dir solche Stolpersteine durchgehen lassen könnte ;)

„Sie heulten bereits im Schnee …“
und hier ist der Bezug nicht ganz klar. Das Sie konnten hier immer noch die Vögel sein, vom Sprachgefühl her zumindest. Vielleicht durch „diese“ ersetzen?

„So flog ich weiter als der Februar wärmer wurde und die Vögel in selten gehörten Stimmen zu singen begannen.“
Punkt. 
„Der Reichtum war für mich wie atmen.[/QUOTE]“ Der Atem, das Atmen die Luft zum Atmen? Hm … ich habe das Gefühl im Mittelteil hast du nicht mehr so sehr auf die Eleganz geachtet…

„Ich erzähle dir vom April, wo … Wo …“ Der April ist kein Ort. Du bist net zufällig aus Bayern? :D

„Auge kennt all diese Orte. Ich werde dir erzählen, wo ich meinen Frieden fand, wie ich Freunde verlor und den Schmerz bezähmte. Es ist ein reges Leben. Voller Gefahren und Hindernissen. Auge ist ein Abenteurer im Strom der Zeit. Ein Meister im Weben der Lebensfäden, wie sie nur der Zufall spinnt. Auge hat keine Angst.“ Wäre ein schöner Schluss gewesen. Wobei Deine tatsächlichen Schlussworte schon auch was für sich haben.

Also. Ich finde die Bilder wunderschön, und die Mystik bezaubernd, und Teile wirklich genossen.. Die Entität „Auge“ (und sein Zwilling Bogel) ist interessant – allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt, je nach „Geduld“ des Lesers, würde ich sagen. Meine War ab der Hälfte etwas abgenutzt. Ich möchte dir auch gerne sagen, woran das liegt: Erstens hatte ich das Gefühl, dass du ab der Hälfte liebloser geworden bist: Deine Bilder widerholen sich tatsächlich, Tiere werden nur durch andere Tiere ersetzt, die Begebenheiten scheinen mehr oder weniger die gleichen zu bleiben. Und zum zweiten ist der Text nicht so strukturiert, dass man diese zunehmende Gleichgültigkeit sprachlicher Eleganz als absichtlich empfinden könnte.

Versteh mich nicht falsch, ich finde es immer noch insgesamt eleganter und einprägsamer geschrieben als Vieles, aber du hast die Latte im ersten Teil selbst so hoch gehängt, dass man sich als Leser eigentlich mehr erwartet. Gegen Ende kommst du auch wieder dahin zurück. Aber die Mitte muss überarbeitet werden. Und ein bisschen mehr Struktur und sinnvoll eingesetzte Absätze würden es sicher nicht nur lesbarer, sondern auch interessanter machen.

Viele Grüße
ardandwen

 

Ich hätte die Geschichte gerne auf der Empfehlungsliste gesehen, stehe aber leider etwas alleine mit meiner Meinung. Mal sehen, vielleicht hilft ja eine Überarbeitung.
Also, Maschinenfrosch, greif in die Tasten :)

 

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