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Aus dem Bilderbuch für junge Erwachsene

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19.12.2017
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Aus dem Bilderbuch für junge Erwachsene

Es ist sein erster großer Auftrag, seine Bewährungsprobe. Helmar Beyer fährt mit seinem New Beetle nach Rosenheim zur Firma Bromberg, er wird zu spät kommen, aber das ist in Ordnung und Teil des Plans. Bromberg produziert chemische Formschalen, 300 Mitarbeiter sind in dem Unternehmen beschäftigt. Gestern hat ACCorps die Firma übernommen, Kaufpreis 100 Millionen Euro, ein kleiner Fisch für seine Chefs, ein riesiger für ihn. Beyer, 26, arbeitet seit acht Monaten bei ACCorps. In zwei Jahren, spätestens in drei, will die Private-Equity-Firma Bromberg wieder verkaufen. Wenn Beyer es schafft, den Wert des Unternehmens auf 170 Millionen Euro zu steigern, hat er seinen Auftrag erfüllt.

Was Beyer sieht, ist eine funktionierende Firma, Weltmarktführer in einer Nische, gute Expertise, gute Maschinen, gute Geschäftsbeziehungen. Doch die Produktion ist zu teuer, das Controlling ein Witz. Die Geschäftsführung ist mit vier Managern, die alle aus Rosenheim oder der Umgebung von Rosenheim stammen, überbesetzt. Der Chef heißt Josef Burger und ist ein Problem. Es gefällt dem Alten nicht, sich von einem 26-Jährigen etwas sagen zu lassen. Also lässt er sich nichts sagen. Beyer versucht ihm klar zu machen, dass es besser für ihn und die Firma ist, zu kooperieren. Er gibt ihm eine Chance, aber er hat keine Lust und keine Zeit für einen langen Machtkampf. Es wird auch keinen Machtkampf geben, wenn Burger nicht mitspielt, muss er gehen. In den Augen von Burger ist Beyer ein arrogantes Bürschchen, das keine Ahnung hat vom Geschäft mit chemischen Formschalen, er kapiert nicht, dass Beyer keine Ahnung von chemischen Formschalen haben muss, dass es darauf nicht ankommt. Er und die beiden Consultants, die schon bei der unfreundlichen Übernahme dabei gewesen sind, fressen Zahlen, die Firma liegt vor ihnen, durchgescannt, durchleuchtet, in Charts in ihre Einzelteile zerlegt, die man neu, anders und besser wieder zusammenfügen wird, ohne all das Fett, den Schmutz, das überflüssige Zeugs, das stört, auf dem Papier ist die Firma jetzt schon viel schöner als Bromberg in Wirklichkeit jemals war. Es ist eine Operation am offenen Herzen. Es ist keine Frage, dass die Operation glücken wird.

Drei Wochen arbeitet Beyer durch, dann fährt er an seinem ersten freien Wochenende nach Frankfurt zu Jen, seiner neuen Freundin. Er liebt sie, sie passt zu ihm, es ist elektrisch, denkt er, zwischen beiden herrscht eine Spannung, die beiden gefällt. Sie nimmt ihn mit auf die richtigen Partys, das hat er versäumt die vergangenen Jahre, vor lauter Studieren kam er nicht dazu, sich ein Privatleben aufzubauen, das zu seinem coolen Auftritt passt. Es ist kinderleicht, mit ein paar harmlosen Pillen kann er die ganze Nacht durchtanzen, das hätte er immer schon gekonnt, aber es macht keinen Sinn und keinen Spaß, es zu tun ohne die richtigen Leute an der Seite, Leute, die andere Leute kennen, die etwas gelten in der Szene (wie er bald in der Private-Equity-Branche). Jen und er haben Sex wie aus dem Bilderbuch für junge Erwachsene. Jen ist heiß, sie ist Sex, und gleichzeitig ist sie straight, ehrgeizig wie er und noch nicht erfolgreich, das ist perfekt. Sie ist wild, aber keine Gefahr, sie zieht ihn nicht runter, sie ziehen sich gegenseitig hoch. Sie sehen sich an und wissen, dass sie beide das Gleiche wollen vom Leben.

Seit Helmar, ihr Freund, an seinem ersten großen Projekt arbeitet, kann Jen es nicht mehr erwarten, ihr Studium endlich abzuschließen. Aber sie ist erst 23, sie ist erst im fünften Semester, eineinhalb Jahre wird es noch dauern, wenn sie alle Prüfungen besteht, wovon ganz sicher auszugehen ist, Jen wird alle ihre Prüfungen mit Bestnote bestehen. Helmar leitet jetzt eine Firma in Rosenheim!, Jen ist entzückt, aber nicht nur, aber das kann sie gut vor ihm verbergen. Dafür weiß Jen nicht, dass Helmar heute schon weiß, dass er es nicht wird ertragen können, sollte Jen wirklich beruflich zu ihm aufschließen. Die beiden lieben sich, aber die Liebe geht nicht so weit, den anderen nicht als Konkurrenten zu sehen, den es zu besiegen gilt.

Praktika während des Studiums sind wichtig für Jen. Helmar Beyer hätte ihr eines besorgen können bei Deloitte, das wäre ein Hauptgewinn, aber Jen lehnt ab. Sie hat die Zusage für ein vierwöchiges Praktikum bei der Protravel AG, Abteilung Unternehmensstrategie, die direkt an den Sprecher des Vorstands berichtet. Lauter Leute zwischen 25 und 35, sie sind die Ledernacken des Unternehmens, so sehen sie sich selbst. Jeder kennt die Regeln, jeder Student, der es zu etwas bringen will, hat diese Geschichten gelesen: Wenn man 25 oder 26 ist und direkt von der Uni kommt, muss man sofort in die Abteilung eines der Helden der deutschen Wirtschaft. Zwei Jahre lang macht man nichts anderes als arbeiten. 60-Stunden-Jobs sind etwas für Weicheier, wir leisten mehr, egal was die Zeitschriften gerade über Work-Life-Balance schreiben, die in Wahrheit nichts anderes ist als eine Falle, in die nur Verlierer tappen. Besteht man die Prüfung, bekommt man Zugang zu den Sphären, wo richtig Geld verdient wird. Wir leben in einem beschissenen, mittelmäßigen Land, denkt Jen, aber jenseits dieses grauen Mittelmaßes gibt es auch in Deutschland eine Elite, in der Regeln herrschen wie in einer Sekte.

Noch weiß Jen nicht, ob das ihr Weg ist. Oder ob sie lieber als Freigeist durchs Leben geht. Was sie ganz sicher weiß, ist, dass sie Großes erreichen will. Nicht zu den Sieger zu gehören, wäre der Tod.

 

Hi, JPHoffmann,

Herzlichst hier, bei den Wortkriegern!!!

Es ist sehr interessant und schwierig zu gleich, deine Story aufzunehmen und zu verstehen. Sie hat kein Sujet, keinen Spannungsaufbau (mit Aufstieg und Niedergang oder mit Niedergang und Aufstieg), ist zu trocken geschrieben.

Ich lese deine Geschichte und denke komischerweise an x-beliebigen Zeitungsartikel aus irgendeinem Wirtschaftsmagazin.

Bei deinem Titel bin ich auch ein paar mal gestolpert. Wäre es nicht besser "Aus dem Bilderbuch der jungen Erwachsenen".

Bevor ich mich zu weit in die Materie vertiefe, sage ich kurz, dass es nicht ganz klar ist, wer eigentlich dein Erzähler ist. Was ist das für ein Vogel, der hier introspektiv, gedankgenlesend und allwissend durch die Gegend schwebt. Ich glaube, diese Erzählerinstanz steht hier zu viel im Vordergrund. Sie entmüdigt deine zentralen Figuren, macht sie unpersönlich. An der Erzählerstimme muss Du in deiner Story arbeiten.

Andererseits ist deine Stimmung im Text zutreffend für die Wirtschaftswelt. Wenn ich deine Story lese, werde ich mir zwei mal überlegen, bevor ich mich für BWL-Studium entscheide. War diese abschreckende Ödnis gewollt von Dir? Wenn ja, dann was es sehr wirkungsvoll.

Viele Grüße
Herr Schuster

 
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Hallo und herzlich willkommen hier.

Nur ein kurzer Leseeindruck von mir.
Ansich ein interessanter Ansatz mal vom "großen Bussiness" zu lesen.

Aber ein paar Sachen gehen mir zu durcheinander, so dass das Gesamtbild nur schwer zu erfassen ist.
Grundsätzlich: Wer ist der Protagonist? Helmar, oder Jen? Am Anfang ist es Helmar, am Ende Jen - das verwirrt. Zumindest fand ich den Übergang von ihm zu ihr so schleichend, dass ich nicht wusste, ab wann der Prota gewechselt war.

Apropos Helmar: Am Anfang nennst Du ihn oft nur Beyer, am Ende nur Helmar - klar die Perspektive wechselt etwas vom Geschäft zum privaten. Trotzdem fand ich es doof, dass ich bei einem so kurzem Text nochmal oben nachlesen musste, wer Helmar denn nun ist.

Helmar Beyer fährt mit seinem New Beetle nach Rosenheim zur Firma Bromberg, er wird zu spät kommen, aber das ist in Ordnung und Teil des Plans.
^^das hat mir Lust auf diese kleine Szene gemacht, die Szene wie er dann wirklich ankommt zeigst du aber gar nicht, sondern erzählst dann so global von der Firmenübernahme. Ich dachte die ganze Zeit - und wann geht diese Szene weiter?

Weiter unten legts du noch einen drauf:

Sie schenkt sich einen Kaffee ein und öffnet den Brief.
^^wo ist sie, dass Sie Kaffe trinkt. Und "DEN Brief"? Müsste ich DEN schon kennen?
Das wirkt so Szenisch, aber eben ohne die dazugehörige Szene.

soweit von mir als Leseeindruck.

Gruß
pantoholli

 
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Hallo Herr Schuster,
herzlichen Dank für die Kritik - vor allem mit der problematischen Erzählstimme liegst Du ziemlich richtig, fürchte ich. Dass der Text an einen "x-beliebigen Zeitungsartikel" denken lässt, ist aber natürlich schon etwas hart... Ansonsten aber, wie gesagt: gute Punkte!
Besten Dank und herzliche Grüße
Jürgen Hoffmann


Völlig richtig, lieber Pantoholli, das mit dem Brief war großer Quatsch - ist gelöscht. Ansonsten, klar: Das hier sollte keine durcherzählte Geschichte werden, sondern ein Stimmungsbild. So etwas kann funktionieren - oder eben nicht. Fürchte, so richtig ist es mir nicht gelungen, das, was ich sagen wollte, auch vernünftig rüberzubringen...
Ganz herzlichen Dank!
Jürgen Hoffmann

 

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