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Aus einem Brief an die Freundin

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22.03.2003
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Aus einem Brief an die Freundin

...
Ach Gott ach Gott. Was für eine Zeit. Ich weiß ja gar nicht, was ich meinen Gästen noch anbieten kann, überall lauern die Gefahren. Du ahnst es ja gar nicht.

Also am Freitag, weißt Du, am Freitag unterhalten sich mein Mann und ich, was wir für unsere Freunde kochen wollen. Die wollten am Wochenende kommen. Und lecker kochen, mit Kerzen und Wein dazu, das ist sooo gemütlich.
Wir sitzen also vor dem Kamin. Ich mit dem Kochbuch auf dem Schoß und mein Mann in seinem Ohrensessel, ein Glas Rotwein in der Hand. Schön kuschelig war das, sage ich Dir.
"Ich schlage vor", sage ich - so durch das Buch blätternd - "weil es so praktisch und einfach ist: Ich mache leckeres Roastbeef mit Remouladensoße. Das wird immer gern gegessen."
"Bist Du des Wahnsinns", ruft da mein Mann aufgebracht "Das kannst Du doch gar nicht machen. Die BSE Krise! Jedes Stück Rindfleisch könnte Dein letztes sein an das Du dich erinnern kannst. Willst Du unsere Gäste vergiften?" - So kenne ich meinen Mann gar nicht.
"Aber das Fleisch kommt doch von unserem Bauern um die Ecke", entgegne ich da.
"Weißt Du, wo er das Viehzeug her hat?" Sagt mein Mann aufgebracht. "Du bringst uns mit deinem Bauern noch selbst um die Ecke!"
"Ich weiß", entgegne ich, "daß ich schon lange keine Salami kaufen darf, da es Raptorenfleisch enthält. Aber so ein leckeres schieres Roastbeef ..."
"SEPARATOREN-Fleisch", faucht er mich da an. "Es heißt Separatorenfleisch! Raptoren werden schon des längeren nicht mehr in Salamis verarbeitet. Sie sind längst ausgestorben! Aber das hat mit Salamis nichts zu tun! Separatorenfleisch, das sind Fleischfetzen, die in Trommeln bei hohem Schleudergang von den Knochen getrennt werden. Und das ist eklig! Was in Waschmaschinen lag, kommt mir nicht auf den Teller!"
"Aber gegen Remouladensoße hast Du doch nichts, oder?", versuche ich ihn zu besänftigen. Aber da verdreht der nur noch die Augen.
"Remoulade", stöhnt er. "Vielleicht noch aus rohen Eiern. Mit Salmonellen garniert. Nein, nein. Das geht nicht."
Ich verliere ja so leicht nicht die Geduld. Bei meinem Mann nicht. "Gut", sage ich. "Dann brate ich ein vernünftiges Schweinesteak, dazu gibt es Wurzelgemüse. Das wird immer gern gegessen."
Da fällt mir doch beinahe mein Mann vom Sessel.
"Schweinepest! ächzt er nur noch. Hast Du die Schweinepest vergessen? Und nitratbelastetes bodengehaltenes Gemüse? Nie waren unsere Freunde so krank wie nach dem Essen. Nein, nein! Das geht nicht."
"Und Lammfleisch mit...",
Da unterbricht er mich stöhnend. "MKS! MKS!"
"Was ist mit Emka-was?" Frage ich. "Kommt der auch zum Essen? Ich wußte gar nicht, daß wir weitere Gäste erwarten."
Also, ich habe meinen Mann noch nie so krank gesehen, da hängt er auf dem Sessel mit verdrehten Augen. Blass wie der Tod auf Latschen.
"Maul - und - Klauen - Seuche!" Flüstert er. "Noch nie was davon in der Zeitung gelesen? Maul-und-Klauen-Seuche!"
"Naja," sage ich. "Die Füße oder die Schnauze wollte ich eigentlich nicht servieren. Eher ein saftiges Lammsteak. Aus der Schulter. Weißt Du?"
"Maul-und-Klauen-Seuche ist übertragbar!" Schreit mir aus dem Sessel der Tod entgegen. "Nein, nein! Das kommt mir nicht auf den Teller! Kein Fleisch!" Und springt aus dem Sessel. "Nur über meine Leiche!" Hui, wie der durchs Zimmer rennt!
Jetzt bin ich erst mal baff. Das habe ich in zwanzig Jahren Ehe noch nicht erlebt. Wie aggressiv der ist! So richtig voller Energie! Hastig blättere durch das Kochbuch.
"Und...Wild?" Frage ich verschüchtert?"
BSE! Kommt auch unter Wildtieren vor!" Tönt es aus der Ecke.
"Gebratene Hähnchen...?"
"Holländische Hühnerpest!"
"Und...Fisch, leckere gebratene...Dorade?"
"Fischwürmer!" Krächzt er. "Alles voller Fischwürmer!"
"...mit Pfeffersoße?" Ich gebe ja nie auf. Bei dem nicht.
"Pfeffer wird im Ursprung mit DDT gespritzt!"
"Und...Muscheln?"
"Schadstoffbelastet! Abgeklapptes Öl! Voller Chemie!"
"Und...Nudeln...?"
"Salmonellenbelastete Eier!"
"...mit Tomatensoße?"
"Verschimmeltes Tomatenmark!"
Ich klappe das Kochbuch wieder zu. Da habe ich eine Idee!
"Gut sage ich. Wenn Du das alles von mir nicht gekocht haben willst, dann machen wir eben etwas anderes."
Da zeigt mein Mann wieder Leben - "Und zwar", flüstert er erwartungsvoll, "was machen wir dann?"
"Wir gehen essen!"
Nach dem ersten Schrecken ist mir doch glatt mein Mann um den Hals gefallen, daß uns doch noch etwas eingefallen ist. Und lecker war's. Fast wie selbst gemacht.

Was mir noch einfällt. Weißt du schon, was bei unseren Nachbarn neulich passiert ist? Du glaubst es ja nicht ..."

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Ralph,
schön, dass es endlich mal jemand wagt, dieses Thema anzusprechen.
Dafür ein groooooßes Lob. :)

Die Medien und ihre übertriebenen Schlagzeilen machen dieses Land zu ner Paniknation.
Viele Deutsche (und Europäer) haben keine Erfahrungen und Kenntnisse im Nahrungsmittelsektor. Ganz zu schweigen von derartigen Krankheiten und ihren wahren Gefährlichkeitsgrad für den Menschen. Statt dessen sind sie der Phantasie und Katastrophengeilheit von Reportern und Redakteuren ausgeliefert.
:dagegen:
Ich selbst bin Student der Land- und Ernährungswirtschaft. Ich hab daher, zum Glück, genug Einblick in dieses Theater um die Spreu vom Weizen zu trennen.
Aber in manchen Familien, glaube ich, ging es während der BSE- und MKS-Krise wirklich so zu, wie Du es beschrieben hast.

Also, wie gesagt:
Deine Geschichte fand ich echt toll. Hab mich köstlich amüsiert.
Nur ein Wort zum Titel: Vielleicht wäre „Aus einem Telefonat mit der Freundin“ passender gewesen. Möchte nicht wissen, wie lang der ganze Brief ist. :D


Viele Grüße
Sternensucher

 

Moin Sternensucher,
es freut mich, daß es dir gefallen hat.
Ich muß wirklich zu dem Titel sagen, daß ich hier nicht unbedingt originell war. Der obige Text war ursprünglich ein Konversationstext, den wir während eines Literaturabendes (mit kleinem Erfolg) aufgeführt hatten. Da bei KG.de eben nur Kurzgeschichten, aber keine anderen Stück gelten, habe ich ihn umgeschrieben, und mir eine nicht originelle Rahmenhandlung ausgedacht.
Aber wie ich auch sehe, muß man für diesen Text eben eine entsprechende Vorbildung haben. Schön, daß es dich gibt.
Gruß aus dem hohen Norden - Ralph

 

Hi Ralph,

ich habe deinen text schon vor geraumer Zeit gelesen und dann nichts dazu geschrieben, weil ich anschließend nicht so positiv gestimmt war..;)

das thema, dass du beschreibst ist schon eine menge satiren wert - doch irgendwie konnte mich dein text nicht fangen.. der grund: spätestens ab seperatorenfleisch, weiß man wohin die reise geht - und genau in derselben art und weise geht es ja auch weiter, noch ein vorschlag noch eine krnakheit, noch ein vorschlag... etc etc.. das ist, als ob man sechsmal über den selben witz lachen soll....verzeih..

:D

ich finde die satire nicht schlecht - aber auch nicht so, dass ich dachte: da hats ihnen aber jemand gegeben - so richtig... du verstehst mich?..

viele grüße, streicher

 

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