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Aus heiterem Himmel (Gefühlvolle Schilderung)
Die Hände in die Träger seines Schulranzens eingehakt, trottete Martin die Straße entlang. Es war ein wunderschöner Tag und die Schulkinder trauerten jeder Minute nach, die sie im stickig schwülen Klassenzimmer verbringen hatten müssen. Doch endlich durfte man nach Hause. Für Martin bedeutete das nicht viel mehr, als die Straße zu überqueren und zehn Meter zu laufen. Er kannte die kleine Siedlung am Rande der Stadt wie seine Westentasche. Ständig streunte er mit seinen Freunden durch die Straßen. Ob bei einer Schnitzeljagd mit Straßenmalkreiden oder bei der Observation eines Verdächtigen beim Detektivspiel. Er kannte jedes Haus, jede Ecke, jede Familie. Er wusste wo die grimmigen alten Omas und Opas wohnten, bei denen man beim Klingelstreich besonders schnell laufen musste und er kannte jeden Hund und jede Katze in der Gegend.
Eine dieser Katzen war Maxl, ein orange-weiß getigerter, besonders dicker Kater. Er gehörte Frau Schindlach. Sie war eine der grimmigen alten Omas. Wenn es nach Martin ging war sie sogar eine der schlimmsten. Sie verstand keinen Spaß und drohte immer die Jungs mit ihrem Stock zu verprügeln.
Als Martin sich ihrem Haus näherte, sah er Maxls‘ Fell schon von weitem in der Sonne leuchten. Er lag, wie so oft, faul auf der Seite und sonnte sich. Wenn man den Kater sah, erwartete man auch nicht, dass er bei seiner Körperfülle noch Mäusen oder anderen Kleintieren nachjagen würde. Obwohl Martin immer ein wenig Angst vor Frau Schindlach hatte, mochte er dennoch ihre Katze. Maxl strahlte Gemütlichkeit und Lebensfreude aus. Martin wusste, dass der Kater ein erfülltes Katzenleben führte. Er näherte sich dem Tier langsam, um es nicht zu erschrecken. Die Hand des Kindes streckte sich nach dem weichen Fell aus, um es zu streicheln. Im nächsten Moment schnellte sie panisch zurück. Martin zuckte zusammen. Ein Schrei blieb ihm im Hals stecken. Das Fell der Katze war an mehreren Stellen rot verschmiert; offene Wunden, aus denen das Blut strömte. Ihr linkes Hinterbein stand in einem unnatürlichen Winkel vom Körper ab. Doch das schlimmste waren die kalten blauen Augen des Katers. Sie waren im Schreck weit aufgerissen und starrten den Jungen in unendlichem Leid an. Martin war absolut paralysiert. Er wollte gleichzeitig weinen, schreien und sich übergeben. Er sank auf die Knie und hielt sich eine Hand vor den Mund. Ohne einen Laut von sich zu geben saß er da. Seine Augen füllten sich mit Tränen und er zitterte am ganzen Körper. Alle Gedanken waren aus seinem Kopf gewischt und eine verzweifelte, ratlose Leere war geblieben.
Nach einer gefühlten Ewigkeit dämmerte es Martin. Es war unvermeidlich. Er wusste, was er zu tun hatte, aber er wusste nicht, ob er es tun konnte. Er blickte mit tränenverquollenen Augen zum Haus von Frau Schindlach. Wie ein Schlafwandler erhob er sich und näherte sich in Zeitlupe dem Gartentor. Er holte einmal tief Luft und drückte den Klingelknopf. Er zitterte immer noch. Plötzlich rannte er los. Es kam ohne Vorwarnung und er wusste nicht, ob seine Beine oder sein Kopf entschieden hatten. Er wusste nur, dass er um sein Leben rannte. Tränen liefen ungebremst über seine Wangen und er schluchzte laut. Er drehte sich nicht mehr um und rannte, bis er endlich seine Haustür erreicht hatte.