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Bananenrepublik Altenheim

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24.12.2001
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Bananenrepublik Altenheim

Bananenrepublik Altenheim

Hierarchie-Leitfaden für Außenstehende


Der Heimleiter:

Sieht alles, weiß alles...vergißt alles; besonders wenn es um Zusagen gegenüber Mitarbeitern geht. Umgibt sich gern mit der Aura des Allwissenden (daher auch die Bezeichnung "lieber Gott des Altenheimes"), obwohl er als Kaufmann (oder Sozial-Futzi oder "christliche Persönlichkeit") überhaupt keine Ahnung von Pflege hat. Vielleicht auch gerade deswegen....(man meldet sich nicht zu einem Frontkommando, wenn man clever
genug wäre, einen ruhigen Posten in der Etappe zu ergattern).


Die Pflegedienstleitung:

Sieht alles, weiß alles....vergißt nie etwas; besonders wenn Untergebene Widerworte gegeben haben. Hauptaufgabe Krisenmanagment. Standard-Grußformel: "Wer war das?" Oberste Fachkraft, meistens kompetent, was aber niemandem auffällt, da sie es sich nicht leisten kann, schlauer zu erscheinen als der Heimleiter. Versucht daher, härter zu erscheinen als Krupp-Stahl.


Der Vorstandsvorsitzende des Trägers:

Sieht nichts, weiß nichts.... merkt sich aber alles; weil er auf Gerüchte und Verräter angewiesen ist. Kommt nur ins Heim, wenn Feiern anstehen (Alkohol!), hält dann
unvermeidlicherweise eine Rede, in der er so tut, als hätte er den gesamten Etat des Hauses mit seinen eigenen Händen durch Kohlen-Schleppen bestritten. Setzt sich anschließend in seinen Dienstwagen (8 Zylinder, 250PS) und fährt nach Hause. Die anderen müssen bleiben und arbeiten.

Der Betreuungsdienst:

Sehen alles, verstehen nichts und erzählen es dann weiter. Alles Doppelagenten, weil sie der Station erzählen, der Vorstandsvorsitzende wäre Alkoholiker und würde seine Frau schlagen und dem Vorstandsvorsitzendem erzählen, die Bewohner würden schlecht versorgt.

Die Stationsleitung:

Undankbarster Job in einem Altenheim, für alles verantwortlich und von keiner Seite Hilfe. Wird beim kleinsten Fehler vom HL zur Schnecke gemacht; Hat was geklappt, war es das Verdienst des Allmächtigen (siehe Heimleiter). Sieht es gar nicht ein, für BAT KR6 (2900 Euro brutto) den Helden zu spielen und gibt folgerichtig den Druck nach unten weiter.


Die stellvertretende Stationsleitung:

Wie die Enkel von Willy Brandt: warten ewig auf ihre Chance und wenn sie da ist vermurksen sie es. Meistens eine examinierte Kraft, die ab und zu wichtig tun darf und dafür von ihren Kollegen geschnitten wird.


Examinierte Fachkräfte:

Sehen, was zu tun ist, wissen, was getan werden könnte, entscheiden, was getan werden soll, verantworten, was tatsächlich getan wird. Prototyp des "Front-Schweins". Tragen die Hauptlast der Stationsarbeit, weil sie neben ihrer eigenen Arbeit auch noch hinter allem, was unausgebildet arbeitet, her sein müssen und von diesen immer alles zugeschoben bekommen. Haben alle Hände voll zu tun, sich gegen Leute zu wehren, die alles besser wissen. Irgendwann kommen sie auf die bescheuerte Idee, sich für einen Job zu bewerben, der für eine Lohnstufe mehr noch viel schlimmer ist.....Stationsleitung.

Hilfskräfte:

Befinden sich ständig im Konflikt zwischen "Geht mich nichts an" und "Ich bin der Stations-Profi". Haben die Indianapolis-Position (wenn's eng wird, bin ich als erster weg). Zeigen ihre Inkompetenz dadurch, daß sie sich einbilden, mit Kompetenz glücklicher zu sein. Ansonsten unverzichtbar als unterste Stufe der Pflegehierarchie. Die Betroffenen trösten sich mit Intrigen gegen Examinierte.

Zivildienstleistende:

Die Stars der Station, da a: männlich (stark wie der Terminator, und genauso blöd, jede Arbeit zu übernehmen) und b: ober-cool, weil sie keinen Vorgesetzten zu fürchten haben. Machen deswegen was sie wollen und das immer zum Nutzen der Bewohner.

Raumpflegerinnen:

Geliebt, weil sie einem so häßliche Arbeiten abnehmen, gefürchtet, weil fast alle eine Verwandte unter den Bewohnern haben und wenn nicht, dann wenigstens eine Vertraute, und so jeden Fehler des Pflegepersonals als erste entdecken und einem natürlich gleich aufs Brot schmieren. Alles in Allem Grund genug, sie an der kurzen Leine zu halten.


Praktikanten von Altenpflege-Schulen:

Geliebt, weil Überstunden abgebaut werden, wenn sie kommen, gefürchtet, weil sie alles besser wissen, sie auch noch meistens recht haben und so echten Stress verbreiten. Niemand will schließlich hören, daß er seit zehn Jahren falsch Insulin gespritzt hat, hat sich ja auch noch keiner beklagt, oder? Spielen sich oft als Robin Hood der Bewohner auf und die Bewohner finden das auch noch gut.

Beschäftigungstherapeuten:

Der natürliche Feind des Altenpflegers. Nicht nur, daß diese Burschen etwas tun, wozu man selbst auch qualifiziert ist, sie machen auch noch so tolle Sachen wie Strick-Papageien oder Reißwolle-Mobilees, die dann überall hängen und die Bewunderung von Heimleiter und PDL finden. Die Altenpfleger fühlen sich zum Windel-wechsel-Dienst degradiert. Wenn die BT's dann anfangen, an der Pflege herumzunörgeln (Oma Krause's Windel war wieder naß, stellen sie das ab), weicht die kooperative, ganzheitliche Turbo-Pflege einem alles verschlingenden Blutrausch.

Sozialarbeiter:

Völlig überflüssiger Traumtänzer, der als einziger noch glaubt, es ginge im Heim sozial zu.


Supervision:

Andere Bezeichnung für bezahlte Langeweile, weil a: keiner weiß, was Supervision auf Deutsch heißt und b: niemand so dämlich ist, seine Kritik am Boß vor allen Leuten rauszulassen und sich so ans Messer zu liefern. Wird von Psychologen abgehalten, die sich dabei selbst blöd vorkommen.

Sozial-Pädagogen:

Meist als Heimleitungen oder deren Berater anzutreffen. Prototyp des Klugscheissers, weil sie die Zeit haben, dauernd über tolle Neuerungen zu lesen und diese dann in arroganter Weise dem werktätigen Volk aufs Auge drücken. Haben keine Ahnung, daß 1. die betreffenden Artikel gelogen oder mindestens stark geschönt sind, und 2. es sie gar nicht interessiert, was die Fachleute davon halten, oder ob es wirklich gemacht wird, oder ob es durchführbar ist, oder ob .. . Die einzigen Fachleute sind eben sie selbst. Träumt weiter, Sozial-Fuzzi's!

Der Arzt:

Kleinkarierte Type, unfreundlich und in Eile, will nichts rezeptieren. Redet selbstgefällig in übertriebener Fachsprache um zu zeigen, daß die Schwester für ihn nur der geduldete Blödi ist. Aber wenn er ledig wäre und sich anbaggern ließe......

Bewohner:

In der komplizierten Welt des Personals absolut störend. Alles würde wunderbar funktionieren, wenn nicht dauernd die Bewohner irgendein Problem hätten und Probleme gibts auch ohne Bewohner schon genug. Meist hilft nur noch die Flucht ins Stationszimmer.

Verwandte:

Die Pest! Wissen absolut alles besser, weil sie a: ihre Oma so gut kennen (darum hassen sie sich vermutlich auch so sehr) und b: im Geschwollenen Blatt ein Bericht stand. Meistens geht es in Wirklichkeit nur darum, alte Rechnungen zu begleichen oder irgendwie an die Erbschaft zu kommen.

Stationszimmer:

Trutzburg des Pflegepersonals. Wird mit zwei magischen Sprüchen kraftvoll verteidigt. 1: Ich bin beschäftigt. 2. Wir haben jetzt Pause. Optional kann bei beiden Sprüchen der Halbsatz: "Pinkeln sie in ihre Windel, dafür ist die ja da" beigefügt werden. Ansonsten beherbergt das Stationszimmer die Dokumentation, die Rapport-Kladde, das Nachtwachen-Buch, das Heft für Besonderheiten, das Spezial-Buch für persönliche Botschaften zwischen den Schichten und jede Menge Merkzettel.


Die Pflege:

Tätigkeit zwischen zwei Intrigen.


Die Kaffee-Kasse:

Gibt es gar nicht, und wenn es sie gäbe, wär's bestimmt nicht für Kaffee.


Dienstzeit:

Die Zeit, in der man das beschauliche und ruhige Zuhause verläßt um mit ein paar Hexen unter Aufsicht eines unfähigen Ekels Bestien zu hüten. Man hätte weiß Gott besseres zu tun, aber wir sind ja soo sozial und hilfsbereit.


Altenheim:

Getreues Abbild eines mittelamerikanischen Kleinstaates, mit Elementen einer deutschen Endlos-Serie aus dem Fernsehen, nur dichter, rasanter und gefährlicher, eben

REALITÄT!

 

:D Sehr gut, gefällt mir! Streng genommen handelt es sich natürlich um keine Kurzgeschichte, doch tolerant wie wir Ösis sind drücke ich eines meiner drei Augen mal zu.

Ob die Zustände in Altersheimen tatsächlich so sind weiß ich nicht: Ich wohne zwar bei einem und habe mal ein Praktikum in einem gemacht; aber wer lässt sich schon freiwillig den Tag versauen??? Mit anderen Worten: Ich meide solche Orte... :(

 

Sehr gut. Haargenau so isses. Und eigentlich fast überall. Ein Altenheim ist auf jeden Fall ein autarkes Stück Gesellschaft mit eigenen Hierarchien und sozialen Abhängigkeiten.

Irgend jemand bewahre uns davor, darin zu enden.

Heiko

 

Zunächst: Hat mir gut gefallen und liest sich prima.
Keine Kurzgeschichte und wohl auch keine Satire, sondern wahrscheinlich wirklich einfach nur pure Realität.
Habe zwar zum Glück noch keine Erfahrung mit Altenheimen, aber wenn man Altenheim durch 'Krankenhaus', 'Kindergarten', 'Deutscher Bundestag' etc. ersetzt, kommt es jedenfalls hin. Also doch Satire ??

 

Wenn ich mal ins Altenheim kommen soll, hoffe ich, dass ich noch so fit für nen Selbstmord bin.

Arsch super erzählt!

 

Wunderbar geschrieben :) ! Die Hölle liegt um die Ecke & wird mit Sicherheit nicht ins Vorabendprogramm kommen, schon weil viel zu viele schlechte bezahlte Menschen diese Institutionen names Altersheim bevölkern. Gibt nichts her fürs Auge.
Sehr sympathischer Text und um manches spannender als manche "Kurzgeschichte".

 

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