Bewerbung
Sehr geehrte Frau Heinrich,
das allererste was Sie jetzt tun müssen, ist lediglich eine Telefonnummer wählen. Nur eine Telefonnummer; die Telefonnummer von Herrn Völker (Tel. 089 – 23 60 80), den Sie ja bereits schon kennen. Sie wissen sicherlich, dass Herr Völker bei der Zeitung „SZ“ für den Stellenanzeigeteil zuständig ist; rufen Sie ihn an und sagen Sie ihm, dass Sie die Stellenanzeige ab sofort nicht mehr brauchen. Denn Sie haben ja jetzt mich gefunden. Und einen besseren Arbeitnehmer als mich werden Sie niemals finden. Aber es wartet noch mehr Arbeit auf Sie; Sie müssen ihre Sekretärein hereinrufen, ihr bescheid sagen, dass den anderen Bewerbern abgesagt werden muss, da die Stelle vergeben ist. Dann müssen Sie der Firmenleitung das exorbital hohe Gehalt für mich erklären, das Sie an mich zahlen müssen. Nachdem Sie sich dann tapfer geschlagen haben, müssen Sie auch noch die Absagen an meine Mitbewerber, die den Fehler gemacht haben, sich vor mir zu bewerben, durchlesen, die von ihrer Sekretärin aufgesetzt worden ist. Oder Sie verwenden einfach die Vorlage, die ich Ihnen profilaktisch schon einmal mitgeschickt habe, dann sparen Sie Zeit und können mit der Firmenleitung ein noch höheres Gehalt für mich herausschlagen. Als Argumente können Sie der Firmenleitung deutlich machen, dass ich mich natürlich noch stärker angagieren werde, je höher das Gehalt sein wird, und je stärker ich mich angagiere, desto mehr Umsatz wird die Firma erwirtschaften, dann hat die Firma ja mehr Geld und kann mir ein noch höheres Gehalt zahlen. Und das läuft dann solange, bis ich genug Geld habe, um mir die Firma komplett zu kaufen. Mein Lebensstil wird sich dadurch zwar kaum ändern, aber mein Einfluss in der Firma wird größer werden; ich werde dann auch in der Lage sein, Personalentscheidungen zu treffen, die eine deutliche Veränderung in der Firma hervorrufen werden, die sich selbstverständlich nur positiv auf unseren Gewinn auswirken wird. Als erstes wird ein Kosten- Nutzungsplan aufgestellt, mit dessen Hilfe dann systematisch strukturelle Optimierung betrieben wird. Dies wird sich sowohl im Bereich der Produktion, der Produktionsplaung, der Qualitätssicherung, dem Einkauf, der Verwaltung, der Buchhaltung usw. auswirken. Kurzum, die Firma wird das unübertroffene Optimum an Produktivität in der ganzen Umgebung sein. Die Firma wird so produktiv sein, dass man dann nicht mehr von Produktivität im eigentlichen Sinn reden kann, es wird vielmehr eine Gewinnproduktions- und Optimierungsfirma sein, mit dem Ziel, nur noch mehr Gewinn zu erwirtschaften. Diese Erfolgswelle wird natürlich auch nicht negativ an den Mitarbeitern vorrüberschreiten. Im Gegenteil, es wird alles für die Optimierung des Personals getan werden, um einerseits den Gewinn meiner Firma zu steigern, und andererseits den Gewinn der anderen, zwar zu diesem Zeitpunkt nicht mehr relevanten Mitstreiterfirmen, zu reduzieren, indem ich die miserabel ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen, zum Wohl meiner Firma wieder dem freien Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen werde. Selbstverständlich werde ich vor der Personalabteilung auch nicht halt machen und ihren Arbeitsplatz ebenfalls wegrationalisieren, indem ich das bisschen Arbeit, mit welcher sie der Firma heute noch vorgaukeln, dass sie so wichtig ist, dass die Firma ihnen auch noch einen Bruchteil ihres bis zu diesem Zeitpunkt mikrigen Gewinns zahlen soll, selbst übernehmen werde, denn da meine Firma bis zu diesem Zeitpunkt bis auf mich, personallos Gewinn erwirtschaftet, werde ich nur noch dazu gebraucht, den Ansturm an Bewerbern mit Hilfe meines Absageformulars klar zu machen, dass sie aus Optimierungsgründen in meiner Firma leider nicht aufgenomen werden können, da sonst der Gewinn ungerecht aufgeteilt werden müsste, und ich dann im Teufelskeis der Arbeitslosigkeit ertrinken würde oder ich an Gewinnoptimierungsautorität verlieren würde, was Entscheidungen zur Optimierung von Gewinnen meiner Firma negativ beeinflussen würde. Sie sehen also, Frau Heinrich, dass sie es sich und meiner Firma überhaupt nicht leisten können, mich nicht einzustellen. Deshalb kommen Sie morgen, na sagen wir um 10:00 Uhr, in mein Büro, damit wir meinen Arbeitsvertrag, und ihre indirekte Kündigung unterschreiben können.
Hochachtungsvoll der neue Firmenbesitzer