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Bingo
"Bingo!"
Opa neben mir zuckte zusammen und mit ihm 30 weitere Senioren. Oma Hilde sprang auf, stellte sich zum Entsetzten aller auf den Stuhl und fuchtelte mit ihrer Karte in der Luft herum.
"Frau Schmelzer, wie schön", säuselte der dicke Herr hinter dem Tresen, legte ein Blatt mit der Aufschrift einer 20 beiseite und rückte seine Krawatte zurecht.
"Sie verletzen sich noch Frau Schmelzer, nun kommen sie schon nach vorne und lassen sie einmal sehen..."
Meine Oma hüpfte vom Stuhl und stolzierte erhobenen Hauptes die Reihen hinunter. Nach der ersten sportlichen Überraschung des Tages ließ meine Großmutter nun eine weitere folgen. Auf Höhe des Sitzplatzes von Herrn Maier blickte sie kurz zu diesem herunter, spitzte ihre Lippen und Pfiff in voller Lautstärke den "Imperial March" vor sich her. Mein Mund öffnete sich und jener von Herrn Maier tat das Gegenteil. Genervt drehte er sich zur Seite.
"Ah, Bach"
"Nein, Beethoven", hörte ich hinter mir.
" Er komponierte dieses Stück nach einem Treffen mit Goethe, quasi als Titelmusik für eines seiner Gedichte".
"Ach Rosa, es ist erstaunlich, wie viel du doch von Musik verstehst".
Dies war der Moment, an dem ich mich entschied, die beiden älteren Damen im Glauben zu lassen, Beethoven sei für dieses futuristische Werk verantwortlich und schenkte meiner Oma die volle Aufmerksamkeit. Diese hatte inzwischen den dicken Herrn erreicht und knallte die Bingokarte auf den Tresen. Auf einen Augenblick der Stille folgte ein Augenblick des Fremdschämens...
"Also Frau Schmelzer... Sie können doch in eine Reihe nicht dreimal die 20 eintragen..." Der Herr in Krawatte wollte noch etwas sagen, doch meine Oma fuhr ihm ins Wort:
"Ach nein?", lachte sie. "Haben sie schon einmal darüber nachgedacht, dass ich somit 3 Fliegen mit nur einer Klappe schlagen kann".
" Das mag sein, aber erlaubt ist es nicht".
Herr Maier blickte deutlich zufriedener in die Runde und zwinkerte meiner Oma zu. Die zeigte sich jedoch unbeeindruckt von ihrem Patzer und war fest davon überzeugt, im Recht zu sein.
"Sie überreichen mir jetzt sofort eines dieser Körnerkissen, oder...".
Schon beim Betreten der umfunktionierten Turnhalle wunderte es mich, was die beiden Security Leute am Eingang zu bedeuten hatten, doch jetzt wurde es mir klar. Der eine hielt seinen rechten Zeigefinger an seinen kleinen Lautsprecher im Ohr, setzte seine Sonnenbrille auf und stürmte auf meine Oma zu.
"Wie im Film", dachte ich... Nur, dass die Rolle des kampferprobten Actionhelden hier von meiner Großmutter eingenommen wurde.
Während ich mich krampfhaft am Stuhl festklammerte, schlürfte Opa neben mir seinen Tee und begutachtete seine Bingokarte. Entweder es interessierte ihn gar nicht, dass seine Frau gerade von zwei Schränken in die Mangel genommen wurde, oder er bemerkte es nicht. Doch dann die Wende. Meine Oma zückte ein langes Küchenmesser aus ihrer Tasche und fuchtelte damit herum. Ich ertappte mich dabei, wie ich die rechte Armlehne aus dem Stuhl herausriss und sie auf den Boden fiel. Die Security Männer wichen vor meiner Oma zurück und zeigten sich doch, wie soll man sagen, überrascht. Als ich dachte, ich hätte schon alles gesehen, stieß mein Opa den Tisch um und ging dahinter in Deckung. Mit dem Zeigefinger zeigte er mir an, es ihm gleichzutun.
Auf dem Familienfest im letzten Sommer faselte mein Opa durchgehend, er müsse sich unbedingt eine Signalpistole zulegen, um Hilde, seine Frau, in den Griff zu bekommen. Meine Mutter zeigte sich peinlich berührt, als der Rest der Familie sich sprachlos zu ihnen drehte.
"Ist ja gut Vater, wir werden dir ein schönes Heim suchen, wo du unter Gleichgesinnten bist", antwortete sie dann. Doch jetzt wurde mir klar, was mein Opa gemeint hatte. Denn wie ich da so dasaß, steckte mein Opa seine rechte Hand in seine Tasche und zog einen Revolver hervor. Mir entfuhr darauf ein spitzer Schrei und ich konnte meinen Großvater nicht mehr davon abhalten, einen Schuss in Richtung Ende der Halle abzugeben. Die rote Leuchtkugel traf einen der Schränke im Anzug, welcher sofort zu Boden ging. Meine Oma klatschte vergnügt in die Hände und ich war bedient. Entgeistert starrte ich den Möchtegern Guerilla neben mir an, welcher mit zitternden Händen versuchte, einen weiteren Schuss vorzubereiten. Plötzlich knallte es und schwarz bekleidete Personen betraten die Bühne. Sie trugen, wie sollte es auch anders sein, schwere Waffen und sahen so aus, als würden sie Gebrauch von ihnen machen.
Auf mir unerklärliche Weise gelang es meinem Opa, gleich zwei von ihnen mit seiner Signalpistole niederzustrecken, bevor sich die Gestalten auf ihn stürzten. Als auch meine Großmutter zu Boden ging, hielt ich es nicht mehr aus, sprang auf und schrie: "AUFHÖREN!!". Im nächsten Moment traf mich etwas Hartes an der Schläfe, wohl ein Gummigeschoss, und es wurde schwarz um mich.
"Guten Morgen Schatz", das alte Gesicht meiner Oma blickte mir entgegen.
"Auf gehts, heute ist Bingo Tag, dein Opa sitzt schon im Wagen". "Er ist schon ganz nervös und spielt ständig mit dem Gas", zwinkerte sie mir zu. Als sie den Raum verließ, setzte ich mich auf die Bettkante und fasste mir an die Schläfe. "Mein Gott", stammelte ich und schlürfte ins Bad.
Dort drehte ich das Radio auf und steckte mir die Zahnbürste in den Mund. Diese klatschte jedoch schon wenige Sekunden später auf die Fliesen, als ich hörte, was da im Radio lief. Der Imperial March...