Was ist neu

Brennende Sichel

Mitglied
Beitritt
09.12.2001
Beiträge
117

Brennende Sichel

Mit einer Splittergranate in der Hand, trat ein junger Mann auf die Straße, schrie „haut ab, ich sprenge mich jetzt weg“ und wartete, ehe alle Menschen aus seiner Reichweite geflohen waren.
Dann zog er den Stift der Waffe heraus, hielt letztere in die Luft und wartete auf seinen Abschied.
Boom!
Außer dem jungen Mann war keiner zu Schaden gekommen. Er war allerdings ziemlich hinüber, was der erste Arzt vor Ort bestätigte.
Ein anderer Mann in der Nähe hatte diese Akt des Selbstmordes, ebenso wie viele sonstige Fußgänger, beobachtet. Er, nennen wir ihn Erwin, fragte sich danach, aus welchem Grund ein Mensch solch eine Tat begehen kann.
Also ging Erwin nach seiner Mittagspause pünktlich zurück an seinen Arbeitsplatz. Dort wartete sein Vorgesetzter mit einer dicken Ladung zu erledigender Papiere und drohte bei einer möglichen Nichterledigung vorher schon einmal mit einer Abmahnung. So setzte sich Erwin also an seinen kleinen, miefigen Arbeitsplatz und sah seufzend aus dem Fenster. Dort sah er nur eine dreckige Straße, mit einem noch dreckigeren Gebäude gegenüber. Seine Mitarbeiterin, am Tisch daneben, machte wie jeden Tag Anstalten, er solle gefälligst mit seiner Arbeit beginnen, schließlich arbeite sie ja schließlich auch so hart, um den Umsatz der Abteilung hochzuhalten. Nach dieser spitzzüngigen Bemerkung stand sie auf und ging mit gezückter Zigarettenschachtel in die Kantine und kam eine halbe Stunde später mit einer Tasse Kaffee zurück.
Als Erwin gerade so richtig in seine banale Arbeit vertieft war, wurde er von seinem Kollegen Joseph mal wieder von der Seite angestoßen. Die folgende, beleidigende Bemerkung bezog sich zu diesem Zeitpunkt auf Erwins „bescheuerte“ Brillenfassung und den Streit mit seiner Vermieterin, die ihm drohte den Mietvertrag zu kündigen. Woher Joseph diese Information hatte, wußte er selbst nicht genau. Jedenfalls lachten alle Kolleginnen und Kollegen spöttisch, als sie diesen hämischen Angriff auf ihn hörten und machten sich noch vereinzelt über seine Unfähigkeit lustig.
Als die elfte Arbeitsstunde anbrach, war Erwin mit seinem Papierkram erledigt und konnte nun endlich, nach allen anderen, nach Hause gehen.
Nach etlicher Warterei, in dem von Autostaus überfüllten Großstadtdschungel, kam er nach einer Stunde endlich Zuhause, in seiner kleinen aber teuren Mietwohnung an, wurde aber noch vor deren Betreten von der Hausvermieterin aufgehalten und musste sich einen langen, zermürbenden Vortrag über Mietrecht und Anstand von ihr anhören. Als er das hinter sich hatte, spielte er, bevor er sich die neun Uhr Nachrichten ansehen würde, den einen eingegangenen Anruf auf seinem Anrufbeantworter ab. Es war die nette, weibliche Bekanntschaft, die er gestern getroffen hatte. Nach ihrer Nachricht zufolge, hatte sie aber kein weiteres Interesse an Erwin, sondern hielt als Ausrede, ihre Rückkehr zu ihrem ehemaligen Freund für sinnvoller.
Die Nachrichten hatten wieder einmal wenig neue Informationen zu bieten, Erwin sah sie sich aber dennoch überzeugt an. Schließlich waren sie das Einzige, was ihn von seinem Leben ablenkte. Diesmal war ein kurzer Bericht über die gewaltigen Völkermorde in Afrika im Programm, dann kam eine große und lange Reportage über die USA und ihren Rachefeldzug gegen die Terroristen, nach dem Motto: „Welche Waffe tötet einen Araber am brutalsten?“ Danach folgte ein kleiner, unbedeutender Bericht über die Entführung, den Mißbrauch und die Mißhandlung eines Kindes und anschließend ein knapper Kommentar zu dem Mord zweier Eltern an ihrem Zögling.
Nach den Nachrichten stand Erwin auf und holte sich eine kalte Cola aus dem Kühlschrank in seiner Küche. Als er wieder vor dem Fernseher Platz nahm, lief gerade eine Talkshow. Das Thema lautete: „Mein Auto is viel besser getuned, darum krieg ich alle Weiber ab!“ Vielmehr ging es aber darum, seinem Diskussionspartner klarzumachen wie „doof“ und „blöde“ der ist und um gleichzeitig lässig zu wirken, seine „Alte“ mit Worten wie „Fotze“ und „Schlampe“ abzuspeisen. Um dem noch einen draufzusetzen rief der - alles andere als neutrale (was er eigentlich als Diskussionsführer sein sollte) - Moderator eine Dame herein, die sich als „heiße Rockerbraut“ verstand und ihrer Aussage nach am liebsten mit allen Tuning- Freaks in die Kiste hüpfen würde. Und zwar gleichzeitig.
Danach folgte eine Late-Night- Verkaufssendung, die Erwin mit einem Staubsauger, „der in alle Ecken kommt“ beinahe den Hirntot beschert hätte. Zu seinem Glück ist er rechtzeitig vor dem Fernseher eingeschlafen.
Als er am nächsten Morgen wieder die Augen öffnete, bemerkte er an Zeitanzeige auf dem Teletext, der sich über Nacht offensichtlich verselbstständigt hatte, dass er um ganze fünfzig Minuten zu spät wach geworden war.
Auf dem Weg zur Arbeit machte sich Erwin schwerlich Gedanken darüber, was er seinem Arbeitgeber zu diesem Vorfall an Verspätung sagen sollte. Schließlich waren auch noch alle Straßen bis obenhin mit Autos gefüllt, was das Vorankommen nicht gerade förderte. Die anderen Fahrer hupten und riefen oft nach ihm. Das alles früh am Morgen.
Angekommen in der Firma, stiefelte natürlich zuerst sein Chef mit ernstem Gesicht auf ihn zu und stauchte ihn erst mal als Begrüßung, vor allen anderen Mitarbeitern zusammen. Der Rest des Vormittags lief wie immer. An seinem Platz lag schon ein riesiger Stapel mit undurchsichtigen Akten und sonstigem endlosen Papierkram, das sonst keiner erledigen wollte. Seine Kollegen nervten und erniedrigten ihn, nahmen ihn hoch, zum Teil auch wegen des zu späten, morgendlichen Auftretens und der Kündigungsdrohung des Arbeitgebers.
Kurz vor der Mittagspause hatte Erwin dann doch noch einmal Hoffnung auf Besserung seines Lebens. Eine seiner Arbeitskolleginnen brachte ihm einen Kaffee aus der Kantine mit. Aber als er aus dem Plastikbecher trinken wollte, sah er ein totes Insekt in der dampfenden, braunen Flüssigkeit treiben. Eine zermatschte Fliege. Und alle lachten freudig.
Diese Mittagspause lief anders als sonst. Normalerweise zog sich Erwin in das Cafe von nebenan oder in seinen Wagen zurück, doch dieses mal war das nicht so.
Er ging in einen ominösen Laden, in dem er zuvor nie gewesen war. Und als er nach ein paar Minuten wieder hinaus trat, hatte er einen schwarzen Revolver in der Hand und hielt ihn sich auf offener Straße an die Stirn.
„Achtung, bitte in Deckung gehen. Ich schieße mir jetzt in den Kopf.“
Die Passanten waren bereits aus seiner Nähe geflohen, da ertönte der Schuß.
Bang!
Außer Erwin hatte zum Glück niemand Schaden genommen. Er war allerdings ziemlich tot, was der erste Arzt, der ihn begutachtete, schnell bestätigte.
Ein anderer junger Mann in der Nähe, hatte den Selbstmord auch beobachtet. Er, nennen wir ihn Youare Thenext, fragte sich danach, aus welchem Grund ein Mensch sich so etwas antun könnte und zuckte mit den Schultern.
Also ging Youare Thenext zurück an seinen schlecht klimatisierten Arbeitsplatz...

 

Eine stream of consciousness-Kritik:

Hmm, eine weitere "Selbstmord"-Geschichte. Ein Bisschen originellerer Versuch, die Idee mit der "endlosen Kette". Aber: Warum müssen die Gründe für den Selbstmord so schrecklich banal sein? Dem (den) Protagonisten fehlt nix, wenn man es mit der Situation anderer Leute auf der Welt vergleicht. Er ist ein weinerlicher Jammerlappen. Es soll eine "Kritik" an unserem banalen Alltagsleben darstellen, vermute ich. Eine fliege im Kaffee? Abgesehen davon, dass mich diese Situation an den Film "Falling Down" erinnert hat, ist diese Idee, dass eine scheinbar kleine und unwichtige Sache "das Fass zum überlaufen" bringt, nicht ganz neu. Kennt man. Aber sehen wir uns den Rest der Motive an: Job gefällt nicht? Such dir 'nen anderen. Pipifax. Seine Bekanntschaft will nichts von ihm wissen? Geht vielen so. Schlechtes Fernsehprogramm? Lies Bücher. So geht es weiter. Man hätte sich vielleicht ein richtiges Problem ausdenken können, nicht so ein Banalitäten-Kabinett. Auch in gehäufter Form vermag das nicht zu überzeugen, ebensowenig wie das Live-Miterleben eines Selbstmordes mittels Granate auf offener Straße als Inspiration taugt, das auch mal zu versuchen. Man fühlt einfach nicht mit dem Protagonisten, der Text weckt null Emotionen.
Weiterhin fällt auch negativ auf:
-Was ist der genaue Grund, weswegen ihn die Vermieterin anmeckert und den Vertrag kündigen will?
-Weshalb sind die Nachrichten das einzige, was ihn von seinem Leben ablenkt (obwohl sie natürlich Teil seines Lebens sind)?
-Weshalb heißt die Geschichte "Brennende Sichel"?
-Der möglicherweise satirisch gemeinte Versuch einer politischen Kritik mit dem Titel der Sendung "Welche Waffe tötet einen Araber am brutalsten?" kommt extrem aufdringlich und stößt sauer auf.
-Was ist das für ein "ominöser Laden"? Fällt einem da keine bessere Lösung ein, um den Plot voranzutreiben?
-Der Name "Youare Thenext" ist nicht lustig.
-Rechtschreib- und sonstige Fehler, wie "Als die elfte Arbeitsstunde anbrach, war Erwin mit seinem Papierkram erledigt" oder " Nach etlicher Warterei". Manchmal wechseln die Zeiten. Die Formulierung des Satzes "Dann zog er den Stift der Waffe heraus, hielt letztere in die Luft und wartete auf seinen Abschied" ist in die Hose gegangen: "letztere" braucht man nicht zu sagen, da nur eine "sie" in diesem Satz vorhanden ist (die Waffe). Das wirkt unnötig umständlich. An den Sätzen müsste man also noch feilen.
-Die Wiederholung des Satzes "Er war allerdings ziemlich hinüber, was der erste Arzt vor Ort bestätigte" in abgewandelter Form kommt auch nicht gut, auch wenn die Ereignisse ähnlich sind. Und die Formulierung "ziemlich tot" war vielleicht vor zwanzig Jahren mal originell, wenn überhaupt.
Fazit:
Als Charakterstudie taugt es nichts und als Gesellschafts- oder Medienkritik taugt es erst recht nix.
Da fragt man zu recht: War auch etwas Gutes daran?
Oh ja: Das Bild des Mannes, der sich mit vorheriger lauter, öffentlicher Ankündigung auf der Straße erschießt (oder sprengt) war ganz ordentlich.
Leider kommt der Rest da nicht mit.

 

Hallo Ben,

ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, warum man meine Geschichten immer falsch versteht. Ich denke ernsthaft darüber nach, alles Zukünftige in „Philosophisches“ einzustellen (da versuchen die Leser wenigstens für sich selbst einen Sinn im Text zu erkennen). Hier mein Kommentar zu deinen Thesen:
Falsch, es geht hier nicht um die Geschichte eines „normalen“ Durchschnittsbürgers, der aus „einfachen“ und „unsinnigen“ Gründen Selbstmord begeht. Wenn ich der Geschichte sonderbare und ausgefallene Gründe zu einem Selbstmord geben würde, wäre es ja auch nur eine „Geschichte“. Der „normale“ (schon wieder), banale Tagesablauf, wie ihn jeder „normale“ (und noch einmal) Durchschnittsarbeiter kennt, betrifft eben jene Personen, die spät nach hause kommen und vor dem Fernseher einschlafen um am nächsten Tag wieder ihr Leben der sklavereienartigen Arbeit ausliefern. Und das sind nunmal viele von uns, mich eingeschlossen.
- Das Motto lautet: „Physical pain is for the weak!“ Sicher, Menschen in Kriegsgebieten und der dritten Welt leiden an Hunger, Angst und Existenzlosigkeit.
Wir Mitteleuropäer sind der „Sklaverei“ versprochen. Das Geld, das wir verdienen, geben wir für Konsumgüter wie Fernsehen aus (das uns ja so unglaublich befriedigt). Die Kohle landet letzendlich doch wieder in der Regierung, die es an Firmen verteilen, welche dich bezahlen. Das ist der Kreislauf des Kapitalismus. Wir bekommen niemals etwas für unsere Mühen. Für unser sogenanntes „Leben“.
- Wenn du von deiner Arbeit nach hause kommst, liest du kein Buch. Du „entspannst“ dich vor dem Fernseher um herauszufinden was es Neues gibt.
- Als ich zum letzten Mal eine Story mit Emotionen geschrieben habe („Wut&#8220 ;) , war ich danach auf mich alleine gestellt. Das Ergebnis ist allgemein bekannt.
- Die Nachrichten (Fernsehen) sind sein einziges Gedankengut, unter der Woche, nach dem Feierabend (und verblödet uns inzwischen wirklich / da hat Großmutter doch einmal recht behalten!). Jetzt frägst du: Was ist mit dem Wochenende? Da bescheren wir uns jedes Mal per Alkohol den Hirntot, weil wir den „Schmerz“ in uns nicht verstehen und ertragen können.
- „Brennende Sichel“, weil der Protagonist seine Identität (symbol. Sichel), wie viele von uns verloren hat. Er ist eine Maschine des Systems, ohne Gefühle und Gedanken. Bildlich brennt sein Individuum.
- „Welche Waffe tötet einen Araber am brutalsten?“ Es wird die Waffe sein, die die amerikanischen Invasoren beim nächsten Krieg selbst töten wird. Ich finde die Kritik an der „Weltmacht“ durchaus passend.
- „Youare Thenext“ ist nicht lustig gemeint. Vielleicht bin ich oder ein Leser der nächste, der nur noch den „Wahnsinn“ in der Welt sieht und seine Konsequenzen zieht. (Ich leide unter den Schmerzen, die wir uns gegenseitig zufügen)
-Die Kritik an den Fehlern im Satzbau und dem „ziemlich tot“ ist berechtigt.

Zum Schluß noch eine kleine Frage an dich:
Wo laufen Menschen amok? Unter welchen Bedingungen kaufen sie sich in einem ominösen Laden, in dem sie nie zuvor gewesen waren (natürlich ein Waffengeschäft) eine Waffe und töten damit sich selbst?
Dort wo wir uns gegenseitig zu „Monstern“ machen. Wo deine Kinder mit anderen Kindern „spielen“. Wo wir versuchen zu (über)leben.
Wir erschaffen diese Wahnsinnigen. Jeder einzelne von uns. Wir erkennen nicht und wundern uns über diese Ausraster.
Als Kommunist sage ich: „Wir sind Produkte einer kranken Maschine! Wir laufen als Zahnräder in ihrer Produktion.“

masterplan

 

Humba Täterä.

Falsch, es geht hier nicht um die Geschichte eines „normalen“ Durchschnittsbürgers, der aus „einfachen“ und „unsinnigen“ Gründen Selbstmord begeht.
Hm, hm. Wie du meinst. Aus dem Text geht das jedenfalls nicht hervor.

Dass eine Sichel ein Symbol für "Identität" sein könnte, ist mir jedoch neu. Wie soll man auf sowas kommen? Hast du das aus der Psychoanalyse oder einem ähnlichen Bereich?

 

Das Geld, das wir verdienen, geben wir für Konsumgüter wie Fernsehen aus (das uns ja so unglaublich befriedigt). Die Kohle landet letzendlich doch wieder in der Regierung, die es an Firmen verteilen, welche dich bezahlen. Das ist der Kreislauf des Kapitalismus.

Hui. Also als Kommunist solltest du dich besser informieren wie der Kapitalismus funktioniert.

Ursprünglich las ich die Geschichte, nur um Ben zu sagen, dass er Unrecht hat ;) . Leider hatte er Recht (also hab ich nichts gepostet). Nach deiner Stellungnahme allerdings will ich doch anbringen, dass deine Geschichte leider zu 'farblos' geworden ist, und mir die Symbolik ebenfalls nicht klar war.

Aber du denkst nach ! Das mag trivial klingen,ist es aber nicht.

Gruss,

Batch

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom