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Bunter Herbstbeginn
Bunter Herbstbeginn
Haakon schüttelte sich. „So ein Mist!“, schimpfte er leise und schaute sich seine farbverschmierten Finger an. Es war einfach nicht sein Tag.
Versehentlich hatte Haakon nämlich ein paar Hundert Jahre geschlafen und war ausgerechnet an einem Morgen, kurz nach Herbstbeginn wieder aufgewacht. Eine der stressigsten Zeiten für norwegische Trolle, die bei Herbstanfang bekanntlich dafür zuständig sind, die grünen Sommerblätter der Waldbäume bunt zu färben. Und es gibt eine Menge Blätter in den nordischen Wäldern. Haakon hatte sie einmal versucht zu zählen, war aber bei diesem Versuch, wie so oft, eingeschlafen.
Verärgert blickte der schläfrige Troll auf den Farbkasten, den er heimlich einem Mädchen, das am Waldrand wohnte, gemopst hatte. Seine eigene Herbstblättermalfarbe war während seines Nickerchens in den Pilztöpfen vertrocknet, und da er dringend die Blätter bemalen musste, war ihm auf die Schnelle keine andere Lösung eingefallen.
Irgendetwas stimmte mit den Farben jedoch nicht. Das hatte Haakon gemerkt, als er in der Baumkrone gehockt hatte. Nur mühsam hatte sich die mehr oder weniger bröckelige Farbe mit dem Pinsel auf die Blätter streichen lassen, ganz anders als die Farben die Haakon sonst benutzte. Stundenlang hatte er damit verbracht den Baum in herbstliche Töne zu hüllen. Und gerade als er fertig gewesen war, hatte sich eine riesengroße Regenwolke über ihm entleert.
Haakon wippte wütend auf seinem Ast auf und ab. Mit einem Male waren all die leuchtenden Farben abgewaschen worden.
Die Blätter waren wieder sommergrün, Haakon dagegen kunterbunt. Nicht nur die Farben der Blätter hatten sich fröhlich bunt auf seiner mit Haarfilz bewachsenen Haut verteilt, auch die zuvor trocken gewesene Farbe aus dem Kasten.
Wütend nahm Haakon den Kasten in seine beschmierten Hände und las die Aufschrift: WASSERFARBE.
„Was soll denn das heißen?“, murmelte er motzig, „ Eine Farbe, die bei Wasser gleich wegschwimmt? Wozu braucht man denn so etwas?“ Zum Bäume bemalen jedenfalls nicht, beschloss Haakon und kletterte, kunterbunt und knatschig wie er war, vom Baum wieder herunter. So eine Wasserfarben-Erfindung konnte nur von den Menschen kommen, dachte er und brachte den Kasten schnell wieder zurück.
„Aber das hat man wohl davon, wenn man sich ungefragt etwas ausborgt“, stellte Haakon fest und ließ sich dann von der Regendusche wieder rein waschen. Dabei grübelte er, wie er nun an richtige Herbstblättermalfarbe kommen könnte. Er hockte sich auf einen Stein und überlegte und überlegte und irgendwann schlief er dann von den Strapazen des Tages erschöpft ein. Vielleicht für ein paar Stunden, vielleicht aber auch wieder für viele Wochen oder sogar Monate. Das ist nicht weiter schlimm, denn Trollen passiert so etwas nun mal. Zum Glück aber nicht allen, denn sonst wären die Wälder im Herbst immer noch grün und würden nicht so schön leuchten und einem gelb-rot-orangenen Blättermeer gleichen. Und so ist es doch viel schöner, oder?