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Cornwall und seine Literaten

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19.11.2001
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Cornwall und seine Literaten

Cornwall und seine Literaten

Die alte Frau schrieb und schrieb und schrieb. Die Schreibmaschine ächzte und ächzte und ächzte. Und Cornwall wurde bekannter und bekannter und bekannter. Aber die Touristen sagten: „Also das hätte ich mir anders vorgestellt.
***
Menschen redeen eifrig, hinter Zeitungen versteckten sich müde Gesichter, die Bänke sind besetzt, jemand schlürft heißen Tee, Schreie und Rufe schallen über den Bahnhof, ein Mann verkauft Brötchen und Kaffee. Ein Zug fährt ein. Mit quietschenden Eisen kommt es zum stehen. Der Lautsprecher gibt die Ankunft bekannt. Wenige Leute steigen aus, leere Gesichter, die Mäntel über dem Arm drapiert, Koffergriffe gepackt. Entschlossen. Das Geld fürs Taxi bereits abgezählt in der Jackentasche. Unter ihnen ein Mann, eine Frau, ein Junge. Eine Familie. Sie verlassen den Bahnhof und verschnaufen auf den Stufen.
Die Frau sagt: „Spürt ihr sie auch, die satte, süße Luft, die salzige Prise, die uns umweht wie ein Seidentuch auf nackter Haut? Spürt ihr den Hauch der Unendlichkeit?“
Der Mann sagt: „Nö.“
Der Junge sagt: „Ich will Eis.“
***
Die Sache sah nicht besonders gut aus. Böse und breitbeinig wie ein zu groß geratener Tintenfleck auf einem Löschblatt, wie eine riesige Ölfläche im Orient hatte sich das schwarze Monster auf dem Röntgenbild ausgebreitet, das der Arzt an die Wand geheftet hatte. Den Mann, der betont gefasst auf dem aufgeplatzten Ledersessel hockte, überkamen heiß-kalte Schauer der Angst, Schweiß rann in klebrigen Strähnen seinen Rücken herab ins Hemd, dass er ein Taschentuch aus der Hose zog und sie aufwischte. Auf dem Schreibtisch standen duftende Frühlingsblumen.
„Nun ja, ich will ehrlich mit ihnen sein“, sagte der Arzt und setzte den bedeutendsten Blick ein, den er auf Lager hatte, „ihr Leben kann jeden Moment vorbei sein. Bereiten sie sich auf den Tod vor.“
Der Mann dachte an seine Familie. Die kastanienbraunen Haare seiner Frau, die nach frischem Heu rochen. Das süße Kinderlachen seiner zweijährigen Tochter, seinen Hof, die Pferde. Alles würde ihm genommen werden.
***
Kinder wirbeln um Holztische, Männer saufen Bier und spielen Karten, Frauen tauschen Dorfklatsch aus. Zigarettendunst liegt in der Luft. Jemand sucht die Toilette, ein anderer bezahlt und ist im Begriff aufzustehen.
Eine Frau sagt: „Aber es muss doch, so steht es im Buch.“
Der Wirt sagt: „Nein, ich kenne hier niemanden, der an Krebs erkrankt ist, wirklich nicht.“
Die Frau gibt nicht nach. Sie sagt: „Ganz sicher nicht?“
Der Wirt sagt: „Ganz sicher nicht. Aber wenn sie mir nicht glauben, dann klappern sie doch die Häuser hier ab.“
Was eher als Scherz gemeint ist, nimmt sie dankend an. Sie sagt: „Das werde ich machen. Kommt wir gehen.“
Der Mann sagt: „Muss das sein?“
Der Junge sagt: „Ich will Eis.“
Denn das hat er noch immer nicht bekommen. Die Frau sagt: „Wir suchen jetzt den Ölfleck des Todes.“
***
Sie erinnerten sich an Früher. An unbeschwerte Zeiten ohne Kummer. Ohne den trüben Schleier der Gegenwart. Wie sie sich im Mondlicht vereinigten, den silbernen Schein auf den wogenden Körpern, der sie sanft wirken lässt, unschuldig fast. Zwei Menschen, die ihre Liebe ganz dem anderen hingaben, die in eine goldene Welt eintraten, in denen sie König und Königin waren. Das leise Stöhnen gefährdete die Stille nicht, die geheimnisvolle Ruhe der Liebe und in diesem Moment waren sie sich ganz na, nur sie, innig verliebt, unzertrennlich spürten die salzigen Lippen auf glänzender Haut und...“
„Wir sind Geschwister, Mary“, sagte er, ohne sie dabei anzusehen, „ich bin dein Bruder und du bist meine Schwester.“
Und der grelle Schrei der Frau zerriss die Stille, das Seidentuch der Idylle.
***
Ein Café am Strand. Menschen trinken Tee, Mineralwasser und Säfte. Löffeln Eis oder blättern geschäftig in Zeitungen. Geschwätziges Geschnatter.
Eine Frau sagt: „Sie sind nicht die erste, die fragt.“
Sie hält die Hand ihres Gegenübers.
Die Frau sagt: „Und was ist?“
Die andere Frau sagt: „Nein.“
Die Frau sagt: „Wie, nein?“
Die andere Frau sagt: „Nein heißt, dass wir sind keine Geschwister sind.“
Die Frau sagt: „Aber in dem Buch...und außerdem woher wollen sie das wissen? Haben sie bereits einen Test machen lassen?“
Ihr Mann stößt sie unauffällig an.
Er sagt, so leise wie möglich: „Der Mann ist schwarz, sie ist weiß.“
Das Paar hört sie nicht.
Die Frau sagt: „Das hat nichts zu sagen. Nun ja irgendwen werde ich schon noch finden.
***
Der Regen klatschte monoton und bedrohlich auf die Schrägfenster im Wohnzimmer. Ein Hund jaulte sein Leid in die Nacht hinaus und am Horizont zuckten Blitze auf und erhellten für einen kurzen Moment die in Dunkelheit getauchte Strandidylle. Der Polizist stand am Eingang, seine Dienstkleidung durchweicht, sein Blick fest. Die Frau öffnete die Tür, zuckte bei seinem Anblick unwillkürlich zurück und rückte ihren Bademantel zurecht. Der Polizist seufzte schwer: „Es tut mir leid, ihnen das mitteilen zu müssen, aber ihr Mann ist heute Abend bei einem Autounfall ums Leben gekommen.“
Die Frau knickte ein, noch ehe er die Worte zu Ende gesprochen hatte, und versank in verzweifeltem Stöhnen. Ihre Hände krallten sich in den Stoff ihres Bademantels, als wolle sie sich festhalten.
***
Der Mann sagt: „Nein, ich werde nicht zulassen, dass du jetzt an diesem Haus schellst und fragst, ob hier jemand mit dem Auto verunglückt ist. Ich werde überhaupt nirgendwo mehr hinfahren. Mach doch, was du willst, ich reise ab.“
Sie drehte sich zu ihm, die Zähne gefletscht.
Sie sagt: „Das wirst du nicht tun, wir werden diesen Urlaub gemeinsam verleben. Hast du das verstanden? Gemeinsam!“
Sie ist in Rage. Sie sieht den LKW nicht, der zu weit auf ihrer Straßenseite fährt.

 

Allmählich scheint es sich zu lohnen, dass ich um diese Zeit noch die Geschichten durchforste...


Zu deiner Geschichte, raff 18,

knapp ausgedrückt: ich bin entzückt! :thumbsup:
An wenigen Stellen - inhaltlich gesehen - noch verbesserungsbedürftig, aber ansonsten ziemlich gut.
Abgesehen vom Amüsement ist diese Geschichte Kausalität pur. Das Durcheinander im Aufbau unterstreicht den ursächlichen Zusammenhang bloß und ist als Stilmittel richtig eingesetzt. ;)

Gruß, Hendek

 

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