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Das Egomännchen

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05.03.2013
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Das Egomännchen

Er bot ein Bild des Jammers: mein langjähriger Freund Walter, Cellist beim LebensSinnQuartett. Blutig im Gesicht und mit zerrissenem Anzug stürzte er in meine Wohnung, warf mir sein wertvolles Cello vor die Füße und verkündete: »Ich bin am Ende, zerstört mein Leben, mein Cello vernichtet!«
Nach seinem Konzert mit Bach Suiten für Cello solo habe ihn eine Gruppe Jugendlicher zusammengeschlagen und sein Cello zertrümmert: »You fucking face«, sollen sie geschrien haben. Mit dem Wunsch, in meiner Wohnung übernachten zu dürfen, begann er, sich bei mir einzunisten. Er könne nach diesem Schock nicht mehr allein leben. Ich hieß ihn willkommen.
Alle Konzerte hatte er abgesagt. Er sicherte die Wohnungstür mit drei Sicherheitsschlössern. Die Wohnung verließ er nicht mehr. Den ganzen Tag lag er herum; mal bekam er einen Tobsuchtsanfall, dann weinte er stundenlang, dann war er tagelang nicht ansprechbar.
Nach einem Vierteljahr war ich am Ende meiner Nerven. Nachdem er schon so lang hier lebte, konnte ich ihn doch nicht mehr hinauswerfen. Das Cello lag noch immer mitten im Wohnzimmer; machte ich Anstalten, es zu entfernen, schrie er mich an, ob ich ihn vernichten wolle.
Da erinnerte ich mich an die Sage vom Egomännchen, die mir meine Oma erzählt hatte. Das Egomännchen quäle Menschen so lange, bis sie das Richtige tun. Man müsse solchen Menschen nur vom Egomännchen erzählen, dann ginge alles von selber. Also erzählte ich Walter von unserem Nachbarn Heinrich Fürgott. Statt seinen Bauernhof anständig zu bewirtschaften, verprasste er beinahe sein ganzes Einkommen im Wirtshaus. Die gesamte Familie litt darunter. Deshalb habe ihm die Oma vom Egomännchen erzählt. Als er am nächsten Tag sein Bier trinken wollte, wurde ihm schlecht und er musste sich übergeben. Dem Wirt erzählte er, er habe im Traum ein kleines Männchen gesehen, das vor ihm gesessen sei und ihn angestarrt habe. Seither habe er so ein komisches Gefühl im Bauch. Auch am nächsten Tag musste er sich übergeben, als er sein Bier trinken wollte. Nach drei Wochen schaute er kein Bier mehr an. Er sei ein ordentlicher Bauer geworden, versicherte meine Oma.
Walter kommentierte diese Geschichte mit »Verarschung, Dummheit und Aberglauben« und ging ins Bett.
Mitten in der Nacht polterte er aus der Wohnung und kam erst nach drei Tagen zurück. Völlig verwandelt schleppte er eine Schlagzeugbatterie ins Wohnzimmer, stellte sie gleich neben dem kaputten Cello auf und begann zu trommeln. Ein Männchen, so erzählte er, habe sich auf seine Schultern gesetzt und mit Trommelstöcken auf seinen Kopf eingeschlagen. Um diese unvorstellbaren Kopfschmerzen zu lindern, habe er intuitiv das Schlagzeug gekauft. Mit dem Kauf sei der Schmerz verschwunden. Und was ein Wunder: Mit dem ersten Schlag auf die Bass-Drum war der Korpus des Cellos wieder ganz geworden.
In Vertrauen auf das Egomännchen erduldete ich die nächsten Wochen das rhythmische Getöse, Walter schien sich immer wohler zu fühlen. Ich habe mir Ohropax gekauft.
Nach zwei Monaten sprang er urplötzlich vom Abendessen auf und verschwand. Wieder blieb er drei Tage weg: Als er hereinkam, schrie er: »Unvorstellbare Qualen habe ich erlitten. Das Egomännchen hat ununterbrochen auf mich eingeredet.« Während er dies erzählte, war plötzlich das Griffbrett des Cellos mit Hals und Wirbelkasten heil. Und Walter redete zwei Monate ohne Unterlass, rezitierte Gedichte, erzählte selbst erfundene Geschichten; sogar im Schlaf plapperte er weiter. Den Redefluss begleitete er tagsüber mit seinem Schlagzeug; im Bett mit Zuckungen.
Einmal hörte ihn ein Künstleragent durch das offene Fenster und vermittelte innerhalb weniger Tage eine Konzertlesung. Der Erfolg war ungeheuerlich: Ein Wolfgang Neuss der Moderne oder Oskar Matzerath reloaded, las man in den Zeitungen.
Bei einem anderen Konzert in der Berliner Philharmonie stand er plötzlich auf und verließ den Saal.
Nach drei Tagen kam er zurück und summte, pfiff, sang und schrie mich an: »Das Egomännchen hat mir so viele Melodien vorgesungen, dass sie meinen Körper zum Platzen bringen!«
Nun hörte ich den ganzen Tag Melodien von »O mio babbino caro« bis »In München steht ein Hofbräuhaus!« Dann erfand er auch noch eigene. Das Cello war nun ganz heil geworden und hatte an Klangschönheit sogar gewonnen.
Nun saß er den ganzen Tag im Wohnzimmer und trommelte, spielte das Cello, sang dazu oder las Geschichten und Gedichte vor, kombinierte Rhythmik, Melodik und Texte in immer neuen Variationen. Nach weiteren drei Wochen zog er in sein eigenes Haus. Er gründete das »Trio in one« und tourt jetzt, nach einem Jahr, mit größtem Erfolg durch die ganze Welt. Was war ich froh, als er auszog.
Dann aber überschattete eine dunkle Wolke mein Leben. Zitternd an allen Gliedern lag ich wochenlang im Bett. Als ich eines Tages meine Emails abrufen wollte, sprang ein kleines Männchen aus dem Computer auf die Tastatur und hüpfte darauf herum. Es kreischte fürchterlich, wenn ich nicht den Buchstaben drückte, auf dem es gerade stand. So leitete es mich zum Schreiben dieser Geschichte an. Das Zittern war verschwunden. Jetzt sitzt das Egomännchen auf dem Computer und schaut mich erwartungsvoll an.

 

Dieser Text bezieht sich auf eine Lesung in einer Kunstausstellung mit Bildern von Musikern. Zu einem davon sollte in beliebiger Form ein Text geschrieben werden, dessen Vortrag ungefähr vier Minuten dauert. Aus Copyrightgründen kann ich das Bild nicht einstellen. Im Internet ist es nicht zu finden.
Fröhlichst
Wilhelm

 

Hallo Wilhelm

Hach, welch schönes Märchen für Erwachsene! Gleich der Einstieg nahm mich in den Bann, eröffnete mir in den ersten Sätzen Bilder. Dabei war es nicht das Schreckliche des Geschehens, das mir dabei oben aufschwang, stärker dessen Kombination mit dem Namen des Quintetts und der Vorstellung des beschädigten Cellos. Eine tragische Eröffnung mit viel Ausdruck. Solche Fülle in der Kürze kann leicht ins Auge gehen, doch Dir ist es hier überzeugend gelungen.

Die Entwicklung ist wirklich märchenhaft, die eingetretene Einbildung aufgrund der Erzählung als therapeutisches Element. Dies wirkt mir sehr geglückt. Dem Schluss hätte ich dann eine etwas stärkere Nuance gegönnt, die Veränderung für den Leser förmlich fühlbar werdend.

Nur eine Kleinigkeit, ein Wort, liess mich einen Moment nachdenken und zögern im Lesefluss:

Statt seinen Bauernhof anständig zu bewirtschaften, verprasste er sein ganzes Geld im Wirtshaus.

Sein ganzes Geld assoziiert allzu leicht sein volles Vermögen, was das Bauerngut einbezogen hätte, dies ist aber nicht der Fall. Statt Geld fände ich hier deshalb den Ausdruck Einkommen klarer.

Ich wünsche dem Stück insbesondere auch die Aufmerksamkeit jener Leser, die als Schreibanfänger hadern, wie sie ihre Intention in den Rahmen einer Geschichte binden können. Nicht kopierend, aber als Fingerzeig, wie mit überlegten Fügungen und Wechselwirkungen in der Spannung, der Kerngedanke sich zu einer Geschichte rahmen lässt.

Es war mir vergnüglich unterhaltend zu lesen. :)

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

Hach, welch schönes Märchen für Erwachsene!
über das »Hach« am Anfang deiner Anmerkungen habe ich mich sehr gefreut. Denn es kommt als Ausruf der Freude »von ganzem Herzen«.
Dabei war es nicht das Schreckliche des Geschehens, das mir dabei oben aufschwang, stärker dessen Kombination mit dem Namen des Quintetts und der Vorstellung des beschädigten Cellos.
Es gibt Schlägereien oder andere Verletzungen der Person, die man folgenlos wegsteckt. Manche, auch kleinere Verletzungen, können tiefer wirken. Hier ist das Cello mehr als sein Leben.
Der Satz
»Ich bin am Ende, zerstört mein Leben, mein Cello vernichtet!«
zeigt die aufsteigende Wertung Ich – Leben- Cello.

Die Entwicklung ist wirklich märchenhaft, die eingetretene Einbildung aufgrund der Erzählung als therapeutisches Element
Schön hast du das therapeutische Element in dem Märchen erkannt. Wie die Heinzelmännchen das Haus aufräumen, räumt das Egomännchen die Persönlichkeit auf.
Dem Schluss hätte ich dann eine etwas stärkere Nuance gegönnt.
Da hast mich in eine Zwickmühle gebracht. So scheint es mir, dass ich einen neuen Schluss schreiben musste. Denn wenn ich vorher dachte, den armen Erzähler einfach liegen zu lassen, musste ich die Kurve nehmen, dass ja das Schreiben dieser Geschichte seine »Erlösung« durch das Egomännchen ist.
Andererseits kann man auch sagen, dass das Egomännchen nicht zu jedem kommt. Aber Märchen verlangen einen positiven Schluss (meistens wenigstens). Vielleicht kommt noch das Egomännchen zu mir und gibt mir Bescheid.
Sein ganzes Geld assoziiert allzu leicht sein volles Vermögen, was das Bauerngut einbezogen hätte, dies ist aber nicht der Fall. Statt Geld fände ich hier deshalb den Ausdruck Einkommen klarer.
Deine Bedenken sind natürlich gerechtfertigt. Ich ändere das.
Deine so positive Rückmeldung ist mir sehr wertvoll.
Ich wünsche dem Stück insbesondere auch die Aufmerksamkeit jener Leser, die als Schreibanfänger hadern, wie sie ihre Intention in den Rahmen einer Geschichte binden können.
Was kann sich ein Autor Besseres wünschen als diese Aussage.
Vielen Dank für deine freundliche Einschätzung und die Hinweise und fröhliche Grüße von
Wilhelm Berliner

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Wilhelm,

ist ja schon ein recht modernes Märchen. Zumindest ist ein Merkmal von Märchen, nämlich das sie Zeit- und Ortlos sind, ziemlich nicht vorhanden :). Als ich mich also vom Märchengenre in Gedanken gelöst hab, lief es gleich viel besser für mich. Die Geschichte vom Egomännchen hat mir gefallen. Egoisten mit ihrem eigenen Ego zu quälen, finde ich super! Und ja, sie sind Energiesauger und ich konnte deinem Protagonisten sehr gut nachfühlen. Allerdings ist es ja eigentlich kein "quälen", sondern das Egomännchen ist ja eher so was wie eine gute Fee, es macht ja nicht nur alles gut, es macht alles noch besser.

Nach seinem Konzert mit Bach Suiten für Cello solo habe ihn eine Gruppe Jugendlicher zusammengeschlagen und sein Cello zertrümmert: »You fucking face«, sollen sie geschrien haben.

Ist sicher eine traumatische Erfahrung. Und Musiker und ihre Instrument, das ist ja eine ganz eigene Beziehung. Ob es am Ende reicht, um in eine derartig starke Depression zu fallen, schwierig. Ich will da gar nicht urteilen, ich denk, ich würde da anders mit umgehen, deshalb fiel mir es hier schwer, diesen Moment als Auslöser nachzuvollziehen. Aber Menschen sind verschieden, mag sein, es reicht. Aber der Hintergedanke, quäle deine Figuren, tue ihnen weh, den man ja haben soll beim Schreiben, den hätte man hier ruhig ein wenig mehr auskosten können, für mein Empfinden.

Mit dem Wunsch, in meiner Wohnung übernachten zu dürfen, begann er, sich bei mir einzunisten. Er könne nach diesem Schock nicht mehr allein leben. Ich ließ ihn einziehen.
Alle Konzerte hatte er abgesagt. Er ließ drei Sicherheitsschlösser anbringen. Die Wohnung verließ er nicht mehr.

eijeijei

... mal bekam er einen Tobsuchtsanfall, dann weinte er stundenlang, dann war er tagelang nicht ansprechbar.
Nach einem Vierteljahr war ich am Ende meiner Nerven. Nachdem er schon so lang hier war, konnte ich ihn doch nicht mehr hinauswerfen. Das Cello lag noch immer mitten im Wohnzimmer; wollte ich es entfernen, bekam er einen Tobsuchtsanfall.

Kann man sicher auch geschickter formulieren.

Da erinnerte ich mich an die Sage vom Egomännchen, die mir meine Oma erzählt hatte. Das Egomännchen quäle Menschen so lange, bis sie das Richtige tun. Man müsse solchen Menschen nur vom Egomännchen erzählen, dann ginge alles von selber. Also erzählte ich Walter von unserem Nachbarn Heinrich Fürgott. Statt seinen Bauernhof anständig zu bewirtschaften, verprasste er beinahe sein ganzes Einkommen im Wirtshaus. Die gesamte Familie litt darunter. Deshalb habe ihm die Oma vom Egomännchen erzählt. Als er am nächsten Tag sein Bier trinken wollte, wurde ihm schlecht und er musste sich übergeben. Dem Wirt erzählte er, er habe im Traum ein kleines Männchen gesehen, das vor ihm gesessen sei und ihn angestarrt habe. Seither habe er so ein komisches Gefühl im Bauch. Auch am nächsten Tag musste er sich übergeben, als er sein Bier trinken wollte. Nach drei Wochen schaute er kein Bier mehr an.

Das war meine Lieblingsstelle im Text. Das ist doch ein hübsches Märchen, würde man es auf 3000 Zeichen ausschreiben.

Völlig verwandelt schleppte er eine Schlagzeugbatterie ins Wohnzimmer, stellte sie gleich neben dem kaputten Cello auf und begann zu trommeln.

Hehe. Ja, welch eine Freude. Tausche deprimierten Mitbewohner gegen Schlagzeug. Scheiß Deal :).

Die Genesung verläuft dann tatsächlich wie im Märchen. Und da überlege ich mir doch, ob ich jetzt auch fix so ein Egomensch werden sollte, nur damit ich auch so ein Männchen bekomme. Sehr moderne Moral!

Dann aber überschattete eine dunkle Wolke mein Leben. Zitternd an allen Gliedern lag ich wochenlang im Bett. Als ich eines Tages meine Emails abrufen wollte, sprang ein kleines Männchen aus dem Computer auf die Tastur und hüpfte darauf herum. Es kreischte fürchterlich, wenn ich nicht den Buchstaben drückte, auf dem es gerade stand. So leitete es mich zum Schreiben dieser Geschichte an. Das Zittern war verschwunden. Jetzt sitzt das Egomännchen auf dem Computer und schaut mich erwartungsvoll an.

Das finde ich nur konsequent, dass er da nun auch eins hat. Er war ja auch egoistisch, in seinem Wunsch, den Freund wieder loszuwerden.

Habe ich gern gelesen. Egomännchen sind ab heute meine Helden.
Beste Grüße, Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Ja, da geb ich meinen Vorrednern recht, das ist ein feines Märchen über eine doppelte, wundersame Heilung,

lieber Wilhelm,
die zudem zeigt, dass der Konjunktiv lebt!

Da ich mir gestern abend den Text kopiert hab, weiß ich nun nicht, ob ich da jetzt ins Fettnäpfchen tret, denn in einem muss ich Anakreon widersprechen, wenn er zu der Stelle

Statt seinen Bauernhof anständig zu bewirtschaften, verprasste er sein ganzes Geld im Wirtshaus.
anmerkt
Sein ganzes Geld assoziiert allzu leicht sein volles Vermögen, was das Bauerngut einbezogen hätte, dies ist aber nicht der Fall. Statt Geld fände ich hier deshalb den Ausdruck Einkommen klarer
, denn gerade das ist es (nicht nur im Märchen) gerade nicht (der Bauernhof erinnert geradezu ans Naturaleinkommen).

Sicherlich wird das Geld (ob bar oder angespart) von den Meisten als ihr eigenes, gesamtes Vermögen angesehen, sofern sie von ihrer Hände/Köpfe Arbeit leben müssen, selbst wenn sie Mobiliar und Automobil besitzen und auch tatsächlich deren Eigentümer sind. Die „eigene“ Wohnung ist es i. d. R. nicht. Man besitzt sie zwar, zahlt aber dem Eigentümer Miete.

Ich denk schon, dass der durchschnittliche Lohn-/Gehalts-/Transfereinkommensbezieher das geronnene Vermögen, wenn man so will, die Kapitalanlage „Bauernhof“ vom Bar-Geld unterscheiden kann. Und bis aufs letzte Hemd oder bis zur Unterhose wird’s der Wirt ja nicht kommen lassen – es sei denn, er hätte ein Interesse an fremden Gut und Boden … Das wäre dann aber ein anderes Genre ...

Wie immer gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo Fliege,

vielen Dank für den Besuch beim Egomännchen.

ist ja schon ein recht modernes Märchen. Zumindest ist ein Merkmal von Märchen, nämlich das sie Zeit- und Ortlos sind, ziemlich nicht vorhanden .
Der Begriff modernes Märchen ist sicher schillernd. In diesem Märchen weisen der englische Ausdruck und der PC darauf hin. Geht man ins Mittelhochdeutsche, so bedeutet »maere« Kunde; Bericht von einer wundersamen Begebenheit. In diesem Sinne könnte man die Einordnung von »Egomännchen« auffassen.

Die Geschichte vom Egomännchen hat mir gefallen. Egoisten mit ihrem eigenen Ego zu quälen, finde ich super! Und ja, sie sind Energiesauger und ich konnte deinem Protagonisten sehr gut nachfühlen. Allerdings ist es ja eigentlich kein "quälen", sondern das Egomännchen ist ja eher so was wie eine gute Fee, es macht ja nicht nur alles gut, es macht alles noch besser.
Gut erkannt. Egoisten sind Menschen, deren Ego deformiert ist, weil sie an ihren schöpferischen Möglichkeiten arrogant vorbeigehen. Sie haben das Egomännchen verloren, d. h. den Zugang zur eigenen Lebenskraft. Wenn das Egomännchen sie quält, verklemmen sich die Egoisten so, dass es wehtut. Entweder sie nutzen die Chance zu Änderung, oder sie nehmen eine Kopfwehtablette.
Und Musiker und ihre Instrument, das ist ja eine ganz eigene Beziehung. Ob es am Ende reicht, um in eine derartig starke Depression zu fallen, schwierig. Ich will da gar nicht urteilen, ich denk, ich würde da anders mit umgehen, deshalb fiel mir es hier schwer, diesen Moment als Auslöser nachzuvollziehen.
Natürlich gibt es Übertreibungen im Märchen. Aber auch geringere Ereignisse hinterlassen große Spuren, auch in der Realität. Es kommt sehr auf die Persönlichkeitsstruktur und die Situation an.
Das war meine Lieblingsstelle im Text. Das ist doch ein hübsches Märchen, würde man es auf 3000 Zeichen ausschreiben.
Meine Situation war auf ca. vier Minuten eingeschränkt.

Die Genesung verläuft dann tatsächlich wie im Märchen.
»Die Wachstumsschmerzen sind's, Palestrina.« (Aus dem I. Akt von «Palestrina« von Pfitzner.) Die Geburtswehen vor einem großen Werk oder bei einem Reifungsprozess.
Und da überlege ich mir doch, ob ich jetzt auch fix so ein Egomensch werden sollte, nur damit ich auch so ein Männchen bekomme.
Versuch es doch mit einem Schlagzeug.
Sehr moderne Moral!
Die Künstlerproblematik der Romantik. Nur wer Extremsituationen erlebt, kann Künstler sein.
Habe ich gern gelesen. Egomännchen sind ab heute meine Helden.
Freut mich, dass ich für die Egomännchen wenigstens einen Abnehmer gefunden habe. Deine stilistischen Anmerkungen sind eingearbeitet.
Vielen Dank, für heute Nacht habe ich dem Egomännchen frei gegeben. Vielleicht kommt es zu dir.
Fröhliche Grüße
Wilhelm

 

Lieber Friedel,

Ja, da geb ich meinen Vorrednern recht, das ist ein feines Märchen über eine doppelte, wundersame Heilung,
Nach der Änderung ja eine dreifache. Das erzwang die Logik: Das Schreiben des Erzählers hat das Egomännchen erzwungen. Übrigens meine ich fast, dass es ohne Egomännchen keine Literatur gäbe – vielleicht?
die zudem zeigt, dass der Konjunktiv lebt!
Ich schätze den Konjunktiv wegen seiner Offenheit. Der Indikativ setzt fest (Wirklichkeitssinn), der Konjunktiv eröffnet (Möglichkeitssinn).
Ich denk schon, dass der durchschnittliche Lohn-/Gehalts-/Transfereinkommensbezieher das geronnene Vermögen, wenn man so will, die Kapitalanlage „Bauernhof“ vom Bar-Geld unterscheiden kann. Und bis aufs letzte Hemd oder bis zur Unterhose wird’s der Wirt ja nicht kommen lassen – es sei denn, er hätte ein Interesse an fremden Gut und Boden … Das wäre dann aber ein anderes Genre ...
Da ich wirklich mit dem Umfang eingeschränkt bin, passt mir Einkommen auch, denn wenn er Hab und Gut versäuft, brauche ich ein paar Sätze, um die Familie zu schildern.
Zum Wirt: Wenn ihm so etwas in den Schoß fällt, warum nicht (Siehe Der kleine und der große Klaus von Andersen).


Es freut mich, dass der Text doch ein gewisses Gefallen bei dir geweckt hat.
Vielen Dank für deinen Diskussionsbeitrag und die positive Einschätzung des Märchens.
Fröhliche Grüße
Wilhelm

 

Hallo Wilhelm,

ich hab dein Märchen schon heut morgen gelesen und jetz noch einmal. Das Ende hast du umgeschrieben, oder?
Die Idee mit dem Ego-Männchen finde ich zum Niederknien, da bin ich neidisch drauf!
Die Umsetzung, hm. Irgendwie behagt mir die Sprache nicht. Ohne es an speziellen Dingen festmachen zu können, finde ich den Ton etwas eckig. Das liegt auch am vielen Indirekten. Ich bin da kein Fan von.
Auch den Einstieg finde ich persönlich etwas sperrig.

Ich bin am Ende, zerstört mein Leben, mein Cello vernichtet!
die Reihenfolge finde ich gut, aber flüssig zu lesen ist es nicht. Das zerstört müsste hinter Leben kommen. So klingt das zwar märchenhaft antiquiert, springt aber aus dem sonstigen Ton und irritiert mich
Auch im Kontrast mit fucking face. Ist das eine Meta-Anspielung, die ich nicht verstehe?
Also wenn nicht, dann ist da eine Menge Gewicht drauf, das ich überdenken würde.

machte ich Anstalten, es zu entfernen, schrie er mich an, ob ich ihn vernichten wolle.
seltsame Wortwahl. Vielelicht sind es solche Dinger, die den kantigen Eindruck bei mir unterstützen.

Weiß nicht, ob dir das jetzt hilft, hast ja genug positive Meinungen bekommen. Und auch ich habs mit einem Lächeln gelesen, aber für die finale Fassung halte ich das noch nicht ;)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Wilhelm Berliner!

Ein schönes Märchen ist dir da gelungen. Zunächst fand ich das hochfrequentive Nutzen des Konjunktivs gewöhnungsbedürftig, aber ich kam schnell zu dem Schluss, dass es zum Ton deiner Geschichte einfach passt. Überhaupt hat mir deine Sprache gefallen. Durch ihren geschickten Einsatz gelingt es dir, den Leser direkt hineinzuziehen in die Welt des Egomännchen.

Eine Kleinigkeit ist mir aufgefallen:

Das Egomännchen hat ununterbrochen auf mich eingeredet.« Während er dies erzählte, war plötzlich das Griffbrett des Cellos mit Hals und Wirbelkasten heil. Und Walter redete zwei Monate unterunterbrochen,[...]

Sofern es sich bei der zweiten Fettmarkierung nicht um ein Wortspiel handelt, das ich nicht verstehe, würde ich vermuten, dass es "ununterbrochen" heißen soll. Damit hättest du eine Wortwiederholung, die sich vermeiden ließe, wenn du eines der beiden Wortvorkommnisse durch "ohne Unterlass" oder so etwas ersetzen würdest.

Die Grundidee der Geschichte find ich sehr schön. So manch einer könnte sicherlich eine Begegnung mit dem Egomännchen gut gebrauchen. Wie passend, dass selbst der Erzähler seine Geschichte erst erzählen kann, nachdem ihm das Egomännchen erschienen ist.

Gerne gelesen

Mix

 

Lieber weltenläufer,
vielen Dank für deinen Kommentar.

Das Ende hast du umgeschrieben, oder?
Anakreon hat mich dazu gebracht, den Schluss nochmals zu durchdenken und zu ändern (optimistischer, als ich es meinte).
Die Idee mit dem Ego-Männchen finde ich zum Niederknien, da bin ich neidisch drauf!
Es ist schön, so etwas zu lesen.
Die Umsetzung, hm. Irgendwie behagt mir die Sprache nicht. Ohne es an speziellen Dingen festmachen zu können, finde ich den Ton etwas eckig. Das liegt auch am vielen Indirekten. Ich bin da kein Fan von.
Deine Beobachtung »eckig« »Indirekten« ist richtig und eigentlich von mir durchaus beabsichtigt. Wie Handlungen in der Wirklichkeit nicht glatt ablaufen, so will ich das auf die Sprache übertragen. Gerade bei direkter und indirekter Rede fällt dies schön auf. Dazu kommt noch ein anderes Element:
Auch den Einstieg finde ich persönlich etwas sperrig.
Ich bin am Ende, zerstört mein Leben, mein Cello vernichtet!
die Reihenfolge finde ich gut, aber flüssig zu lesen ist es nicht. Das zerstört müsste hinter Leben kommen. So klingt das zwar märchenhaft antiquiert, springt aber aus dem sonstigen Ton und irritiert mich
Dieser Satz ist theatralisch-pathetisch, beinahe verlogen, und spiegelt damit die Unechtheit von neurotischen Verhaltensweisen wieder; er zeigt das »neurotische Theater«. Deswegen springt er aus dem sonstigen Ton. Er ist, finde ich, sehr gut durch der Voranstellung des Verbs entlarvt worden als eine Übertreibung.
Auch im Kontrast mit fucking face. Ist das eine Meta-Anspielung, die ich nicht verstehe?
Also wenn nicht, dann ist da eine Menge Gewicht drauf, das ich überdenken würde.
Dies ist der Einbruch einer anderen Welt in die der Cellosonaten. Früher hätte man gesagt. »Mir gefällt deine Visage nicht.« Die Menge an Gewicht ist ja deshalb wichtig, weil hier sprachlich die körperlich und vor allem seelische Schädigung gezeigt werden soll.
Weiß nicht, ob dir das jetzt hilft,
Darin sehe ich den Vorteil unserer Plattform, dass wir uns auseinandersetzen können. Die meisten Bemerkungen helfen: Man nimmt etwas auf und verwirklicht es. Oder man wird in seinen Ansichten nach der Auseinandersetzung bestärkt und sicherer. Es hilft auf jeden Fall.

aber für die finale Fassung halte ich das noch nicht
Ich gehe davon aus, dass ich keine finalen Texte produzieren kann (was ich bedauere). Jedes Mal, wenn ich einen Text lese, finde ich Mängel. Und wenn ich ihn fünf Mal durchgearbeitet habe und abschicke oder poste, sehe ich sofort den nächsten Fehler bzw. Mangel.
Deine Kommentare haben richtig den Stil beschrieben. Meine andere Einschätzung habe ich begründet. Die Brüchigkeit sehe ich in der Existenz des Menschen (nicht nur heute) begründet. Eine glatte, schöne Sprache könnte die Illusion einer heilen Welt erzeugen.
Aber ich fand deine Einwände hilfreich, weil ich mir Rechenschaft darüber ablegen musste, ob ich das tatsächlich so wollte, oder ob es »nur so« reingerutscht ist. Dafür vielen Dank und für die insgesamt ja positive Einschätzung
Fröhliche Grüße
Wilhelm

 

Hallo Mix,
vielen Dank für deine so positive Rückmeldung, die mich sehr gefreut hat.
Insbesondere die Bemerkung

Zunächst fand ich das hochfrequentive Nutzen des Konjunktivs gewöhnungsbedürftig, aber ich kam schnell zu dem Schluss, dass es zum Ton deiner Geschichte einfach passt. Überhaupt hat mir deine Sprache gefallen. Durch ihren geschickten Einsatz gelingt es dir, den Leser direkt hineinzuziehen in die Welt des Egomännchen.
Der Konjunktiv hat für mich etwas Distanzierendes. So soll der Leser ein Wechselbad von direktem Erleben und distanziertem genießen können wie die kalte Dusche nach der Sauna.
Die Grundidee der Geschichte find ich sehr schön. So manch einer könnte sicherlich eine Begegnung mit dem Egomännchen gut gebrauchen. Wie passend, dass selbst der Erzähler seine Geschichte erst erzählen kann, nachdem ihm das Egomännchen erschienen ist.
Ich glaube, dass wir alle das Egomännchen haben, manche sperren es ein, manche spielen mit ihm, bei manchen spielt es mit ihm.
Fröhliche Grüße

Wilhelm Berliner
Das Unterunterbrochen ist weg.

 

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