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Das Fragezeichen

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02.02.2005
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Das Fragezeichen

„Das kann nicht dein Ernst sein, Doris!“ Karl Baumann sah seine Tochter verständnislos an. „Du willst wirklich mit dem Kerl nach Amerika auswandern?“
„Der Kerl heißt Mike und ich liebe ihn.“ Doris’ Gesicht nahm einen verklärten Ausdruck an.
„Ich liebe ihn“, äffte sie ihr Vater nach. „Weißt du überhaupt was Liebe ist? Wie lange kennst du ihn? Zwei – drei Wochen?“
„Sechs, wenn du es genau wissen willst“, bekam er leise zur Antwort.
„Was treibt er denn so in der Bar, dein Mike? Ist er Türsteher oder fegt er nach der Sperrstunde noch den Laden aus?“
„Mike ist Geschäftsführer einer Reihe von Lokalen. Sein Chef hat ihn vorige Woche angerufen und gebeten eine Weile in die USA zu kommen.“
„Hat der Kleine Mist gebaut oder weshalb bestellt ihn der große Boss zu sich?“
„Nein, er soll dort ein größeres Unternehmen aufbauen. Dir Firma plant, eine riesige Kette von Bars und Tanzlokalen, verteilt in ganz Amerika. Wenn alles klappt, dann wird Mike an der Seite seines Chefs den Konzern leiten.“

Doris saß ihrem Vater gegenüber. Ihrem Gesichtsausdruck konnte er entnehmen, dass es sehr schwierig werden würde, ihr diese Schnapsidee auszureden. Seine Tochter befand sich zurzeit nicht in der Realität. Sie schien seine Argumente gar nicht zu verstehen oder verstehen zu wollen.
Sie schien nicht zu ahnen, dass Karl Baumann ihren Freund bereits kannte. Doch damit wollte er sie im Moment noch nicht konfrontieren.
Ihr Vater kannte ihren verträumten Blick, wenn sie unsterblich verliebt war. Aber jedes Mal war sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekommen. Manchmal auch mit einem Schlag, der ihr sehr wehgetan haben musste.
Dieses Mal sah die Sache anders aus. Ihre Augen verrieten, dass die Beziehung etwas Ernsthaftes war, wenigstens von ihrer Seite.

Karl Baumann hatte sich in seinen Stuhl zurückgelehnt, die Arme über seinem Waschbrettbauch verschränkt. Nur sein Blick durch die dunkle Nickelbrille war wachsam auf die Tochter gerichtet. Er durfte den klitzekleinen Moment nicht verpassen, in dem sich ein kleines Fragezeichen auf ihrem Gesicht abzeichnen würde. Dann waren die Menschen angreifbar, konnten überzeugt werden. Das kannte er von seinem Beruf her.
Im Augenblick war der Panzer, den seine Tochter um sich gebaut hatte, undurchdringlich. Wie sie vor ihm saß, einer zarten Blume gleich, den Kopf leicht mit der Hand abgestützt, schienen ihre Gedanken in die Weite zu schweifen, fern ab jeglicher Realität. Fest umklammerte sie mit ihrer Hand eine Tasse, deren Inhalt inzwischen wohl kalt geworden war.

Baumann wagte einen neuen Versuch.
„Was hat er dir von sich erzählt, von seinem Leben, bevor er dich kennen gelernt hat?“
Noch immer war ihr Blick verträumt, als sie zu sprechen begann. „Mike ist in Florida aufgewachsen. Seine Eltern hatte er sehr früh bei einem Verkehrsunfall verloren und kam in ein Heim. Er war seinem jetzigen Boss aufgefallen, als dieser dort auftauchte, um dem Heim eine großzügige Spende zu machen. Seitdem lebte er bei der Familie seines Chefs und wurde vor einem Jahr nach Deutschland geschickt, um hier eine Kette von Bars aufzubauen.“
„Warst du schon einmal in einem solchen Etablissement?“, fragte ihr Vater.
„Nein, Mike sagte, ich bräuchte mir keine Gedanken über seine Arbeit zu machen. Es sei alles legal. Nur wollte er mir die betrunkenen Besucher nicht zumuten, die hin und wieder handgreiflich würden. Aber dafür hätte er seine Bodyguards.“
„Du weißt also nicht, welche Art von Geschäften er betreibt?“
Als Doris den Kopf schüttelte, fuhr Baumann fort: „Jetzt muss ich dir etwas erzählen, was dir wahrscheinlich nicht gefallen, viel mehr sogar wehtun wird. Dein Mike betreibt im Bahnhofsviertel mehrere Puffs.“
Bei diesem Wort schreckte Doris hoch. Nun hatte Baumann die Stelle getroffen. Das Fragezeichen, auf das er gewartet hatte, war erschienen. Groß und fett stand es auf ihrem Gesicht geschrieben. Die Worte des Vaters hatten sie erreicht.
„Das ist nicht wahr“, schrie sie. „Du und deine kriminalistischen Gedanken. Kannst du nicht einmal das Gute in einem Menschen sehen!“
Zornig stellte sie die Tasse mit einem lauten Knall auf den Tisch. „Mike ist nicht einer von dieser Sorte. Gut, es gibt gewisse Tanzeinlagen, von denen er mir erzählt hat. Aber das hat mit Prostitution doch nichts zu tun.“
„Mädchen, wach endlich auf!“ Karl Baumann beugte sich zu seiner Tochter und schüttelte sie an dem Schultern. „Was meinst du, weshalb er sich an dich herangemacht hat? Er wollte ausspionieren, ob die Polizei ihn bereits im Visier hat, wie weit die Ermittlungen gegen die Bars sind. Genau vor sieben Wochen hat unser Revier begonnen, nähere Untersuchungen in den Bordellen durchzuführen. Sehr diskret noch. Aber es muss doch etwas durchgesickert sein. Seitdem läuft dort alles ganz legal.“
„Da siehst du es, Paps“, hakte Doris ein. „Mike ist einer von den Guten. Er macht nichts Verbotenes.“
„Nein. Er macht sich die Finger nicht schmutzig. Dafür hat er seine Leute. Leute, die von ihm gut bezahlt werden, um Prostituierte aus Osteuropa hier nach Deutschland einzuschleusen, die er dann in seinen so genannten Tanzlokalen vermarktet und damit das große Geld kassiert.“
„Und konntest du ihm das nachweisen?“ Doris funkelte ihren Vater wütend an.
„Bis jetzt noch nicht. Was wollte Mike über meinen Beruf wissen? Über was hat er dich ausgefragt?“
Doris schwieg und ließ den Kopf hängen.
„Aha, da haben wir’s. Was hast du ihm erzählt?“ Baumann hob das Kinn seiner Tochter nach oben und schaute ihr streng in die Augen.
„Nicht viel. Er hat sich sehr für deinen Beruf interessiert.“ Plötzlich stockte sie. „Paps, ich glaube ich habe einen gewaltigen Fehler gemacht. Damals, als du zu einer Razzia weg musstest, habe ich mich mit Mike verabredet, ihn in unsere Wohnung eingeladen. Als er nach dir fragte, habe ich ihm gesagt, dass du im Bahnhofsviertel dienstlich unterwegs seiest. Danach hatte er es furchtbar eilig, telefonierte laufend herum und machte komische Andeutungen, die ich nicht verstand.“
„Mike hat seine Kollegen in den Bars vor uns gewarnt. Wir standen am Ende da, wie die Trottel. Ich glaube, Doris, du packst deine Koffer schnellstens wieder aus. Für dich werden wir irgendwann auch noch einen passenden Mann finden. Und jetzt muss ich mal dringend telefonieren.“

 

Hi Bambu,

irgendwie hätte ich eine Pointe erwartet. So läuft mir die Geschichte zu glatt und wendungsarm durch. Es fehlt ein überraschendes Element. Dadurch fehlt es ein bisschen an Spannung.
Details:

„Ich liebe ihn“, äffte sie ihre Vater nach
ein e zu viel
Mike ist Geschäftsführer von einer Reihe von Lokalen.
erstes "von" ist überflüssig
Noch ahnte sie nicht, dass Karl Baumann ihren Freund bereits kannte. Doch damit wollte er sie im Moment noch nicht konfrontieren
doppeltes noch. Zu umgehen durch "sie schien nicht zu ahnen ...
Aber dafür hätte er seine Boddyguards
Bodyguards
„Jetzt muss ich dir etwas erzählen, was dir wahrscheinlich nicht gefallen, viel mehr sogar wehtun wird
nicht was, sondern das (in Folge: das, was oder (et)was, das)
Groß und fett stand es nun auf ihrem Gesicht geschrieben.
"nun" überflüssige Wortwiederholung.
um Prostituierte aus Osteuropa hier nach Deutschland einzuschleusen, die er dann in seinen so genannten Tanzlokalen vermarktet und das große Geld kassiert.“
grammatischer Zusammenhang zu "und das große Geld kassiert" fehlt.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

ich hoffe, dass dich die Geschichte nicht ganz enttäuscht hat.
Ich hatte eigentlich mit dem Schlusssatz, dass jetzt Baumann (als Funktion als Kommissar) an der Reihe ist, durch seinen Anruf den Mädchenschieber ans Messer zu liefern, eine gewisse Pointe setzen wollen.
Vielleicht ist Pointe in diesem Fall nicht der richtige Ausdruck. Ich wollte eben aufzeigen, dass jetzt die Guten am Zug sind, was auch hier wieder durch einen Anruf getätigt wurde.
Ist mir wohl nicht so ganz gelungen.
Vielen Dank auch fürs Fehlerfinden. Werde sie in Kürze ausbessern.

Viele Grüße
bambu

 

Hallo bambu,

finde die KG und auch den Stil ganz gut. Insbesondere den ersten Absatz finde ich klasse gemacht: 'Schöner' Konflikt. Gut finde ich auch das langsame Herauskristallisieren der Tatsache, daß der Vater Polizist ist. Für mich war der Verrat der Polizeiaktion durch die Tochter eine Art Pointe. Könnte man aber vielleicht noch etwas 'dramatischer' darstellen.

Was mich etwas irritierte, war das relativ schnelle Einlenken der Tochter. Selbst unter diesen glasklaren Umständen ist das bei einer blinden Verliebtheit nicht realistisch.

Ein weiterer Punkt: Erst führst Du schön aus, daß der Vater auf das Fragezeichen wartet - das Fragezeichen, das zum Titel führte - und dann startet er doch wieder einen neuen Angriff - ohne darauf zu warten. So wie Du es dargestellt hast, führte das bei mir zu einem deutlichen Stutzen, nochmal zurücklesen, überlegen, irritiertem Kopfschütteln und weiterlesen.

Eine offene Frage: Mike will offensichtlich nach Amerika, weil ihm der Boden unter den Füßen zu heiß wird. Aber wenn er Doris wirklich nur benutzte, um an den Vater heranzukommen, wieso will er sie dann mitnehmen? Er könnte ihr auch genauso gut erzählen, er käme bald wieder. Dann wäre er sie unkompliziert los geworden.

Es grüßt

Richard_K

 

Hallo Richard_K,

freut mich, dass dir Stil und Inhalt meiner Geschichte fallen hat, wenigstens im großen und ganzen.
Fangen ich mal mit deinem letzten Punkt an. Es könnte ja sein, dass er Doris im letzten Moment noch fallen lässt und zwar, dass er kein Flugticket für sie gekauft hat und sie dann auf dem Flughafen einfach stehen lässt. Solche Zuhälter sind skrupellos.

An der Stelle, über die du beim Lesen gestolpert bist, könnte ich vielleicht den Satz "Baumann wagte einen neuen Versuch." weglassen. Da wird es nicht so abrupt und die Unterhaltung zwischen den beiden geht einfach weiter. Wäre das eine Möglichkeit?

Der Punkt mit dem Einlenken der Tochter ist mMn Geschmacksache. Ich würde da doch etwas hellhörig werden, wenn mir jemand sagt, dass mein Geliebter Bordelle betreibt. Sie hat es ja dann im Laufe der Geschichte noch etwas herunterspielen wollen und den Vater nach Beweisen gefragt.

Über den Anfang möchte ich noch sagen, dass ich es auch bei anderen Geschichten gern habe, wenn man direkt ins Geschehen hineingeworfen wird.

Nochmals Danke für deine Anmerkungen, die mir wieder ein gutes Stückchen weiter geholfen haben.

Viele Grüße
bambu

 

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