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Das Fressen

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25.02.2009
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Das Fressen

Das Fressen

Mann, ist das heiß heute!, dachte Doreen und knöpfte sich auch noch den zweiten Knopf ihrer Bluse auf. Die alte Frau, neben ihr auf der Bank, zog entrüstet ihre Augenbrauen hoch und schnaubte durch die Nase. Sie strich ihren grauen Wollrock glatt und legte eine ihrer faltigen Hände schön ordentlich auf ihre Oberschenkel, während die andere ihre karierte Handtasche festhielt.
Doreen schaute zur Standuhr auf der gegenüberliegenden Straßenseite. 20.28 Uhr! Sie stieß einen Seufzer aus. Der Bus hatte schon fünfzehn Minuten Verspätung. Längst hätte sie bei ihrer Freundin sein und ein Glas Sekt mit Eis trinken können, hätte sie nicht ihre Haare noch mal zurecht gemacht und somit den Bus früher verpasst, den sie eigentlich hatte nehmen wollen. Na egal, dann bin ich eben etwas später da; wird trotzdem ein cooler Frauenabend, dachte sie und lächelte voller Vorfreude.
Sie wühlte in ihrer Tasche nach der kleinen Metalldose mit den Pfefferminzbonbons, fand sie und steckte sich gleich zwei davon in den Mund. Den erfrischenden Geschmack genoss sie, wie eine kühle Brise, die ihr durch die Mund- und Nasenhöhle zog.
Von hinten nahten sich plötzlich Schritte an sie heran.
„Kommen ... sie ... schnell!“, forderte ein junger blonder Mann. Außer Atem beugte er sich leicht nach vorn und stütze seine Hände auf seinen Beinen ab. „Kommen ... sie!“
Er erhob sich wieder zu seiner vollen Größe, eilte zur Vorderseite der Bank und ergriff die Hände der Frauen, um sie mit sich zu ziehen.
Völlig überrumpelt brachte Doreen kein Wort heraus. Die alte Frau hingegen protestierte laut und befreite ihre Hand, in der sie ihre Handtasche hielt, aus seinem Griff.
„Lassen sie mich los!“, schrie sie. Ihre Stimme zitterte gleichsam vor Angst und Empörung.
„Taschendieb!, rief sie so laut sie konnte.
Der Mann kümmerte sich jedoch nicht weiter um sie, sondern wendete nun all seine Kraft auf, um Doreen von der Bank weg zu bringen. Doreens schmächtiger Körper vermochte nichts gegen seine Stärke auszurichten.
Er zog sie hastig einige Meter weiter in die nächste Seitenstraße. Dann blieb er abrupt stehen und schaute sich ängstlich um.
„Was ist?“, fand Doreen ihre Stimme wieder.
Doch er antwortete ihr nicht, nicht sofort jedenfalls, sondern hockte sich hinter eine Mülltonne und zog sie ebenfalls zu sich hinunter.
Seine Augen weiteten sich plötzlich.
„Was ist los?“, wollte Doreen endlich wissen.
Der Mann wies mit zittriger Hand zur Bank an der Bushaltestelle hinüber, die von hier aus gut sichtbar war. In der Annahme der Dieb sei entkommen, hatte sich die alte Frau wieder beruhigt und saß kerzengrade da. Doch sie war es nicht, worauf er zeigte.
Er meinte den riesenhaften Schatten, der zielstrebig auf die Bank zukroch, und eine lange Schleimspur hinter sich ließ.
„Was ist das?“, hauchte Doreen ohne den Blick davon abzuwenden. Bevor der junge Mann antworten konnte, sah sie es auch schon. Es glich einer Nacktschnecke, einem fürchterlich großen gliberigen Tier, aus dessen unförmigen Maul unzählige kurze spitze Zähne ragten, die in mindestens zwei Reihen angeordnet waren. Rotglühende Adern durchzogen den gesamten Leib des Monstrums und pulsierten heftig unter seiner grauen Haut. Es zog seinen voluminösen Körper in schmatzenden Geräuschen über das Straßenpflaster. Doreen verzog angeekelt ihren Mund, doch ihre weit aufgerissenen Augen folgten jeder seiner Bewegungen.
Immer näher rückte das Schneckenmonstrum der Bank, doch die alte Frau bemerkte nichts.
Doreen wollte sie warnen, öffnete ihre Lippen, doch mehr ein erstickter kurzer Ton kam nicht hervor. Die schweißfeuchte Hand des jungen Mannes hatte sich fest auf ihren Mund gepresst und verharrte dort so lange, bis kein gemurmelter Laut des Widerstandes mehr hinter seiner Handfläche hervor kam, sondern Doreen nickte. Sie hatte verstanden.
Schon hatte das Monstrum die Alte erreicht. Sie wurde erst darauf aufmerksam, als es direkt hinter ihr zum Stehen kam. Sie wandte neugierig ihren Kopf und wurde sogleich im Ganzen von der riesigen Nacktschnecke verschlungen.
„Das gibt es doch gar nicht. Das Ding hat ... es hat sie einfach gefressen. Hat es doch, oder?“ Doreens Stimme hüpfte in Anflug von Panik. Sie wollte fliehen, doch ihre Glieder fühlten sich steif an wie Beton, der fest mit dem Boden verankert war.
„Es taucht nur in sehr heißen Sommernächten auf, wie dieser, und geht auf Nahrungssuche.“, erklärte der Mann und ließ dabei das Schneckenmonstrum, das genüsslich schmatzend noch bei der Bank verharrte, nicht aus den Augen.
„Woher kommt das? Ich habe so was da noch nie gesehen. So was darf es doch gar nicht geben?“, flüsterte sie.
„Ich bin ihm schon einige Male entkommen. Bitte frag nicht weiter. Ich weiß auch nicht viel mehr.“ Er seufzte und senkte seinen Blick.
„Auf Nahrungssuche hast du gesagt.“, murmelte Doreen.
Das riesige Monstrum hatte derweil zu Ende gekaut und einen kleinen Klumpen unverdaulicher Knochen- und Hautreste der Alten ausgespuckt.
Ekel und Entsetzen krochen wie eisige Finger Doreens gesamten Körper entlang.
„Und das war erst seine Vorspeise.“, sagte der junge Mann kaum hörbar.
„Was will es denn noch?“
„Sie!“
Doreen starrte nun ihn an. Was hatte er da gerade gesagt? Sie musste sich verhört haben. Sie schüttelte ihren Kopf.

Schade, dachte er, und ließ seinen Blick über ihr Gesicht und ihren wohlgeformten Körper gleiten. Sie ist besonders hübsch und nett scheint sie auch zu sein. Wirklich Schade.
Doreen wartete auf eine Erklärung oder hoffte darauf, dass jemand gleich hervorspringen und schadenfreudig „Reingefallen!“ rief; dass all dies hier gar nicht wirklich passierte.
„Wenn es sie nicht frisst, dann mich.“, gab er ihr zu verstehen. Er flüsterte nicht mehr, sondern sprach nun extra laut. „Ich habe einen Deal mit dem Ding da. Wenn ich ihm in solchen Nächten Fressen beschaffe, dann lässt es mich in Ruhe. Ich bin einige Male umgezogen, doch es findet mich immer wieder. Tut mir leid, aber ich kann nicht anders.“
Mehr konnte Doreen nicht ertragen. Sie sollte die Nachspeise sein? Und neben ihr saß ihr Henker. Dieser beschissene Bus, dachte Doreen und erhob sich ruckartig, um die Flucht zu ergreifen.
Doch der Mann hatte damit gerechnet. So machten es alle, wenn er es ihnen erzählte. Er hielt den Arm der jungen Frau fest im Griff. Und so sehr sie sich bemühte, von ihm loszukommen, um so schmerzhafter schlossen sich seine Finger um ihr Handgelenk.
„Entweder sie oder ich.“, wiederholte er. Er war fest entschlossen, auch dieses Mal wieder dem Monstrum zu entkommen. Es war nun das vierte Jahr, dass er es zu ahnungslosen Menschen in eine unbelebte Straße geführt hatte, um dann mit anzusehen, wie es seine Opfer gierig, fast ausgehungert zerkaute.
An einem heißen Sommerabend stand er diesem Ding plötzlich zum ersten Mal gegenüber, starrte in das nach Fäulnis stinkende Maul und sah sich schon kleingemampft im schleimigen Verdauungstrakt des Schleimmonstrums liegen.
In seiner Furcht bot er diesem an, ihm anderes schmackhafteres Fressen zu besorgen, wenn es nur sein Leben dafür verschonte. Obwohl er nicht damit rechnete, dass es ihn verstehen könne, tat es das scheinbar doch. Es ließ von ihm ab, folgte ihm aber solange, bis er seinen Teil der Abmachung einlöste. Der Mann eilte nach Hause, holte Fleisch aus seinem Kühlschrank und warf es vor das Monstrum. Es roch daran, dann kam ein quietschendes Knurren aus seinem Maul hervor. Es wollte was Lebendiges. Ihm blieb nichts anderes übrig als in einsamen Straßen auf die Suche nach leichter Beute für das Monstrum zu gehen.
Nun hockte er hier, hielt den Arm der hübschen unschuldigen Frau fest umklammert und würde sich eines weiteres Mordes schuldig machen.
„Bitte!“, flehte sie, und warf ihre Blicke hastig zwischen dem Mann und dem Monster hin und her. Dieses war inzwischen auf die beiden aufmerksam geworden und schob seine schleimige pulsierende Körpermasse über die ruhige Straße direkt auf sie zu. Je näher es rückte, desto stärker vibrierte sein Maul, als ob es sie witterte.
Der junge Mann hatte das ebenfalls nicht ohne eine Spur von Angst, die über sein Gesicht strich, bemerkt. Er hoffte, dass Monstrum würde sich auch dieses Mal an die Abmachung halten und vielleicht sogar nach der alten Frau satt sein, und sie beide verschonen. Vielleicht! Aber wahrscheinlich war das nicht. Wenn es genügend zu fressen gab, dann landete alles im Schlund des riesigen Monstrums.
Doreen spürte, wie sich sein Griff lockerte, ergriff den Moment, riss sich los, und rannte. Erst die lange Gasse entlang und bog dann fast stolpernd in die nächste Seitenstraße ein.
Damit hatte der Mann nicht gerechnet. „Verdammt!“, fluchte er und schaute nach dem Monstrum. Es war weg. „Mist!“ Seine Mundwinkel verzogen sich zu einer panischen Fratze, griff sich ins Haar und überlegte. Wo immer das schleimige Monster jetzt sein mochte, es würde ihn finden. Weglaufen hatte keinen Sinn. Es würde ihn aufspüren und fressen. Nein, so wollte er nicht enden. Er musste die Frau einfangen. Schnell!
Er lief ihr hinterher, durch die Gasse und in die Seitenstraße. Er musste sie einholen. Warum war er ihr nicht sofort gefolgt? „Verdammter Mist.“, fluchte er abermals.
Doch da erkannte er den braunhaarigen Hinterkopf und die grüne Bluse der Frau vor sich. Nur wenige Meter trennten sie. Er lief schneller.
Doreens schnelle laute Atemzüge waren wie das Ticken einer Uhr, das sie antrieb. Immer wieder schaute sie zurück. Die Worte rasten durch ihren Kopf. Oh, nein. Bitte. Nein. Bitte! Ihr Herz schien ihr fast aus der Brust zu springen, die Luft zog sich schneidend durch ihre Lungen.
Erst hörte sie seine festen schnellen Schritte, dann sah sie in hinter sich. Der Mann verfolgte sie.
„Lauf! Lauf!“, spornte sie sich selbst an. Gleich hatte sie den Supermarkt erreicht. Nur noch ein paar Meter um die Ecke. Bis zehn Uhr war geöffnet. Sie musste es dorthin schaffen, dort hin, wo andere Menschen waren, wo es ein Telefon gab, und vor allem Türen, die man zusperren konnte, wo man sich verstecken konnte bis Hilfe kommt. Dort hin, wo man nicht so eine leichte Beute für das Monstrum war, für dieses ekelhafte schleimige Schneckenvieh, das-
„Oh nein!“ Doreen blieb abrupt stehen.
Es war direkt vor ihr, hatte sein riesiges stinkendes Maul aufgerissen und ihr den Weg versperrt.
Sie schaute in den weiten braunfleischigen Schlund mit den spitzen Zähnen, die bereit waren, sie zu zerfleischen. Ein lauter hoher Schrei entwich Doreen. Sie wandte sich keuchend um, wollte zurück. Da schnappte es zu. Doreen zappelnder Körper verschwand im Maul des schleimigen Monstrums. Ihr Wimmern wurde erstickt vom Zermalmen ihrer Knochen. Das Monstrum kaute zufrieden, dann spuckte es den Rest auf den grauen Betonboden.
Der Mann hatte alles gesehen. Seine Stirn war schweißnass, seine Augen angsterfüllt groß und schauten in die dunklen schmalen Augen des Monstrums vor ihm. Es beugte seinen grauen Oberkörper zu ihm hinunter bis dicht vor das Gesicht des Mannes, und sein Maul vibrierte wieder, berührte ihn, wanderte dabei über seine Wangen, seine Nase, sein Kinn und hinterließ darauf dünnen weißen Schleim, der aus seinem Maul tropfte.
Der junge Mann wagte kaum zu atmen. Wenn er jetzt etwas falsch machte, etwas, was dem Monster missfiel, dann würde er so enden wie die junge Frau. Vielleicht hat es noch Hunger, befürchtete er und hörte schon das Knacken seiner brechenden Knochen im widerlich stinkenden Maul des schleimigen Monstrums.
Doch es ließ von ihm ab, kehrte ihm seinen wulstigen pulsierenden Rücken zu und schleppte sich davon.
Der Mann jedoch rührte sich nicht von der Stelle, bis es seinem Blick gänzlich entschwunden war.
Er lehnte seinen wackeligen Körper an die Mauerwand hinter ihm, atmete tief durch und vermied dabei den fleischigen Klumpen auf dem Boden in seiner Nähe anzusehen.
Morgen schon sollte es kühler werden. Gott sei dank, dachte er.
Doch die heißen Sommernächte würden wieder kommen, wenn nicht mehr dieses dann bestimmt nächstes Jahr und mit ihnen dieses Schneckenmonstrum, wieder und wieder und wieder. Und er wird ihm Fressen besorgen müssen, warten, bis es seine Opfer zermalmte und dabei genüsslich schmatzte, während er um sein eigenes Leben bangte, wieder und wieder und wieder.
Ein Bus näherte sich. Er hielt und öffnete schnaufend seine Türen. Mit dreißig Minuten Verspätung fuhr er auch an der vorherigen Haltestelle vorbei. Dort hielt er nicht, denn niemand wartete, niemand wollte einsteigen. Nur eine karierte Handtasche lag einsam auf der Bank, von der sich eine lange schleimige Spur über den nächtlichen Boden zog.

 

Hallo Caluna!

Und ein Willkommen auf dieser Seite!

Ich finde deine Geschichte lustig. Leider wirst du das nicht beabsichtigt haben, aber bei der Vorstellung einer riesigen Nacktschnecke mit Appetit auf Menschenfleisch muss ich eben grinsen.
Man merkt es der Geschichte an, dass du eine spontane Idee mit viel Effekt verarbeiten wolltest. Dabei schleichen sich aber gerne Fehler ein, welche die Geschichte ins Lächerliche ziehen.
Da ist der Mann, der mit dem Vieh einen Deal machte. Er besorgt lecker Fresschen, indem er Mädels in Nebengassen lockt. Aber wozu denn, wenn das Vieh in aller Ruhe die Oma von der Bank leckt? Was hat die Schnecke davon? Dann läuft Doreen weg, der Mann kann sie nicht einholen - und die schnecke erweist sich als wieselflink und überholt Doreen locker (und effektheiserisch...)
Wozu braucht die Schnecke also den Mann? Offensichtlich nur um eine Geschichte unnötig aufzuplustern und um ein wenig Action willen.

Sprachlich ist das ganze okay, der Erzählfluss stimmt, aber die Geschichte ist in sich leider nicht stimmig. Manchmal macht es eben Sinn, sich nicht nur von einer spontanen Idee leiten zu lassen, sondern den Handlungsverlauf auf Tempo und Logik und Spannung zu prüfen. Denn dann könnte die Schnecke tatsächlich gruselig werden - und nicht zum Grinsen verleiten! :D

Also, schärfe die Feder, und auf ein Neues!

Pit

 

Hallo Pit!
Recht vielen Dank für deine Kritik. War berechtigt. Manchmal sieht man Dinge als Autor einer Geschichte nicht, die andere vom objektiven Standpunkt aus besser sehen. Das Motiv der "Schnecke" (obgleich es doch eigentlich keine ist - ein dringender Grund dieses zu ändern!!!) ist für den Leser wirklich nicht ersichtlich geworden. Werde es überarbeiten. Also Danke nochmal.

 

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