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Das Gebiß - eine unglaubliche story aus dem Baumarkt!
Das Gebiss
Gut gelaunt, ein fröhliches Liedchen vor mich hin pfeifend, arbeite ich mich mit dem Ordersatz durch das Regal mit Bauchemie und Klebern, als sich ein Kunde nähert. Mit langsamen, schleppenden Schritten, schwer auf einen schwarz lackierten Gehstock gestützt, kommt er angeschlurft. Schnaufend bleibt er vor mir stehen und presst japsend ein „Moin, Moin“ hervor. „Moin, Moin“, lächele ich ihn an, „was kann ich Ihnen denn Gutes antun?“ – „Junger Mann“, wispert er und wirft einen verschwörerischen Blick in die Runde, „ich hab´ da ein Problem. Haben Sie wasserfesten Schnellzement?“ Ratlos starre ich ihn an. „Jau, genau, und ungiftig muss er sein!“ Er wühlt in seiner ausgebeulten Hosentasche und zerrt ein zerknülltes, schmieriges Taschentuch hervor. Langsam öffnet er den Lappen und präsentiert mir – ich glaube ich träume – ein künstliches Gebiss. Zartrosa glänzend liegt das ekelerregende Ding auf seiner zittrigen Hand. Schnell wende ich den Blick ab, um dem Brechreiz zuvorzukommen. „Junger Mann, gucken Sie mal, hier ist ein Zahn weggebrochen.“ Er zwingt mich dazu einen ausgiebigen Blick auf diesen widerlichen, rosa-weißen Klumpen zu werfen. „Der Zahnklempner will dafür 350,- Euro haben. Das kriegen wir doch selbst billiger hin, oder?“ Mit einem verschmitzten Grinsen hält er mir das zerbrochene Gebiss unter die Nase.
Das böse Teufelchen in meiner Seele überschlägt sich fast vor lauter gemeinen Ideen. Blitzschnell durchstöbert mein Gedächtnis das Kleberregal auf der Suche nach dem teuersten Produkt. Und nur ganz, gaaaanz langsam gewinnt das brave Engelchen in mir wieder die Oberhand und flüstert mir irgendwas von Beratungshaftung und Verantwortungsbewusstsein ins Ohr. Ich setzte ein erschrockenes Gesicht auf und schüttele betrübt den Kopf. „Mensch, das geht doch nicht!“ Ich sabbele mir den Mund fusselig, um ihn von der Notwendigkeit eines medizinischen Spezialklebers zu überzeugen. Mit blühender Fantasie und in den schillerndsten Farben schildere ich dem Opa das grausige, schmerzhafte, todbringende Dahinsiechen bei einer langsam schleichenden Vergiftung.
Lange ruht der Blick des alten Mannes auf mir, ehe er das Gebiss langsam wieder in seinem Taschentuch verschwinden lässt. „Junger Mann, eigentlich macht das nix. Das ist doch das Gebiss meiner Frau!“ Sprach´s, schnappt sich seinen Krückstock und schlurft langsam zum Ausgang – vorbei an der Palette mit dem phänomenalen neuen Universalkleber.
Ulrich Repp