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Das Gefühl zu fallen
Josefs schallendes Lachen füllt seinen alten Berlingo: „Ja, klar. Deswegen hat er den Film mit faden Dialogen verhunzt. Authentisch schlecht halt.“
„-auf den Inhalt der Dialoge achtgibt, was du eindeutig nicht tust–„
„Weil sie fad sind! Hör halt du zu für nen Moment. Wieso soll ich mich drauf konzentrieren, wenn es zum Wegpennen ist, weil sich niemand die Mühe gemacht hat mich zu unterhalten?“
Johann wirft die Hände gen Himmel: „Es ist Charakterisierung! Der Dialog ist eindeutig Charakterisierung und nur ein subtiler Augenwink hinüber zu dem Genre, das es imitiert! Oh Gott, hilf mir der Mann versteht nichts von Film!“
„Passt scho, Professor Doktor Filmwissenschaft. Die Expertise hab ich jetzt ned. Ich hab aber etz genug Filme in meinem Leben geschaut, um zu wissen, wenn jemand nur Zeit schinden will. Und das unnütze Geplapper von den Weibern war nur ein Lückenfüller. War die erste Version von dem Film nicht die, die damals zusammen mit Planet Terror im Kino geloffen ist, ned a halbe Stunde kürzer?“
„Ja war sie. Damals wollten die Kinos wahrscheinlich noch keine so langen Filme zeigen, deswegen wollten sie das Double Feature wohl auch unter drei Stund-„
„Schau einer an! Und die Verfolgungsjagd wird er sicherlich ned gekürzt haben! Brauch ich mehr Argumente?“
„Mehr als die eine Information, die du dir mit deinem Smartphone in der Hand auf IMDB durchgelesen hast während du hättest aufpassen sollen als die Protagonistinnen in dem Diner gegessen und miteinander über ihre Zeit zusammen geREDET haben?“
Josef schüttelt den Kopf, wechselt den Gang, setzt den Blinker und biegt auf die Autobahnauffahrt ab.
Er sieht es zuerst.
„He? Was ist des bitte? Siehst du den da auch?“
„Hm, was mei– oh was zum? Was macht der direkt neben der-?“
Danach herrscht für mehrere Minuten Stille, während der Wagen durch die Nacht gleitet.
Johann hält mit seiner rechten Hand das Armaturenbrett vor sich umklammert als Josef die Stille bricht: „Was macht der denn bitte direkt neben der Autobahnauffahrt mitten in der Nacht?“
„Weiß ich nicht…der war bestimmt betrunken und wollte nur irgendwo pinkeln. Welchen Grund sollte er sonst gehabt haben?“
„Ne, das akzeptier ich aso jetzt ned! Der hat direkt angestarrt als wir an ihm vorbei sind. Und dazu waren das sicherlich a paar Meter den überwachsenen Hügel rauf, um an dem Platz neben der Leitplanke zu stehen.“
Erneut herrscht Schweigen zwischen den beiden während Josef den Wagen in eine Parklücke manövriert. Er atmet dabei schwer.
Johann betrachtet die Fenster seiner Wohnung im dritten Stock, direkt gegenüber des Parkplatzes. Immer wieder ballt er seine Hände zu Fäusten und entspannt sie dann wieder: „…Hast du ihm in die Augen gesehen?“
„Ne! Ich wollt mich ned komplett von der Straße ablenken lassen. War was mit seine Augen?“
„Wenn du nur ganz kurz hingesehen hast, wie kannst du dann wissen das er UNS angesehen hat? Er wird wohl sicherlich zu betrunken gewesen sein um mehr als die Scheinwerfer gesehen zu haben.“
„Woher weißt DU das er besoffen war? Und es hat sich halt so angefühlt als ob.“
„Ein Gefühl beweist überhaupt nichts! Das kam dir nur so vor! Vielleicht war es auch nur ein Pappaufsteller, den irgendein Komiker da platziert hat.“
„Der war eindeutig a echter Mensch. Was war jetzt des über seine Augen? War mit dene irgendwas?“
„Das war nur wegen dem Scheinwerferlicht so seltsam. Passt schon.“
Josef verpasst seinem Lenkrad einen Schlag mit seiner rechten Hand: „Garnix passt! Jetzt sag was du gesehen hast! Du machst mich total kirre!“
Bevor er antwortet, holt Johann tief Luft und atmet langsam aus: „Ich hab mir was eingebildet. Du hast mich nervös gemacht und ich war überrascht wegen dem Typen. Also dachte ich das ich für einen Moment etwas in seinen Augen gesehen hab, in Ordnung? Mehr war da nicht. „
„Kannst du es nicht probieren zu beschreiben?“
Sein Beifahrer hält sich die Hand vor den Mund. Unterbewusst beginnt er an seinem Zeigefinger zu kauen: „Das sah aus wie…das klingt total melodramatisch jetzt…wie als ob seine Iris geflackert hat irgendwie.“
Josef schüttelt sich als wäre ihm kalt: „Wah alter, das ist sauber zu viel für mich gerade. Ich fahr die Streck sicher ned zurück!“.
„…war nur meine Einbildung in dem Moment. Also Stress dich nicht so. Außerdem: was willst du dann machen, wenn du so nicht heim fährst? Bei mir übernachtest du heute sicher nicht wegen so einem…Schwachsinn!“
„Ne, nene! Das hat mir nur jetzt wirklich nen Schreck eingejagt. Ich fahr einfach über a andere Auffahrt zurück. Dich hat´s aber auch gut derwischt, wenn du schon irgendwelche Sachen in seinen Augen siehst.“
Johann entkommt ein etwas zu lautes Lachen: „Stimmt. So was sieht man halt auch nicht alle Tage.“
„War sicher nichts mehr als einer von den Gespinnerten aus dem BKH oder so der halt jetzt da am Straßenrand lauert.“
„Wenn es nur das ist, sehr beruhigend Josef, sehr beruhigend. Also ich mach mich jetzt mal davon. Ich hab morgen noch Uni.“
„Jo, machs gut. Nächste Woche Mittwoch dann wieder?“
„Wahrscheinlich. Bis dann.“
„Servus.“
Josef
Servus Joh.
Wie schauts bei dir dann aus für morgen?
Wie immer bei mir?
20:20
Hab die Tage nicht geschlafen.
20:40
Warum des jetzt? Bist krank?
20:40
Hast dich schon getestet?
20:42
Muss ich mich testen lassen?
20:43
die Tage nicht draußen gewesen.
21:07
Seit letzter Woche nicht mehr, oder wie?
21:08
?
21:12
21:15
Also bist du doch krank, oder nicht?! Jetzt stell
dich ned so an. Das passiert jedem gerade.
Hab mich erst vor zwei Wochen wieder testen
lassen wegen einer Arbeitskollegin.
Außerdem musst du dringend zum
Arzt wenn du schon die ganze Woche zuhause
bleiben musstest. Welche Symptome hast?
21:20
Du machst mich nervös. Jetzt sag
endlich was mit dir los ist.
21:40
21:55
weiß das er draußen wartet.
Bin sicher.
21:57
Im Schlaf sehe ich Flackern.
22:04
Verpasster Sprachanruf um 22:06
Verpasster Sprachanruf um 22:08
Du hast nen Schlag.
22:12
Das war nur irgendein Penner. Sonst nichts. Ich
traue dir das du mir nicht einfach Angst
einjagen willst jetzt mit dem Ganzen -
also glaubst du das wirklich jetzt? Warum
denkst du er ist da draußen?
22:15
Wie soll er überhaupt wissen wo du wohnst?
22:17
um Post zu holen vor Uni.
Gefühl zu fallen war plötzlich da.
Wie nach dem ich Augen zuerst gesehen hab. Der Himmel ist
plötzlich dunkler gewesen. Das Gefühl kam aus
der Richtung die wir gefahren sind.
Danach ging das Gefühl nicht
mehr weg.
22:25
Also hast du niemanden gesehen?
22:26
22:27
wäre schlecht.
22:30
Ich wache auf und habe Angst.
22:32
Aber ich kann mich nur an Flackern erinnern.
Mehr und ich zittere.
22:35
Warum willst du jetzt nicht telefonieren?
Du hast eine Panikattacke Joh. Du musst
runterkommen.
22:37
Fenster
Ich darf nicht sehen.
22:40
Verpasster Sprachanruf um 22:43
hören wenn sie wieder rüttelt. Er will
22:44
einbrechen.
22:45
Ich komme vorbei.
Bis gleich.
22:46
darfst ihn nicht sehen.
22:46
Mit viel Kraft legt er das Smartphone auf den Tisch neben sich. Johann will nicht mehr einschlafen, aber er ist sehr müde. Immer wenn er für einen Moment weg nickt, schreckt er erneut auf und betrachtet nervös seine Haustür.
3.
Als er klopft hört Josef ein schwaches Wimmern hinter der Tür. Er erkennt im ersten Moment die Stimme nicht und hat Angst das er sich aus Nervosität vor die falsche Tür gestellt hat, nachdem er gehetzt durch die offene Haustür das Treppenhaus hinauf gewandert ist.
„Ich bins Joh. Hab dir doch geschrieben das ich vorbei schau. Du reagierst nicht auf deine Klingel.“
In der Wohnung ist ein Poltern zu hören. Josef drückt seine Ohren an die kalte, graue Oberfläche der Tür und wartet ab. Er glaubt Johan erschöpft atmen zu hören. Für einen Moment erlischt das Licht im Gang. Dann flammt es erneut auf als Josef gegen die Tür hämmert.
„He, hörst du mich ned? Ich hör dich doch in deiner Küche! Jetzt mach halt auf verdammt!“
Erneut ertönt gedämpft die schwache, ausgezerrte Stimme: „…, wenn ich aufmache, dann sehe ich ihn nochmal. Er steht hinter der Tür.“
„Niemand steht hier außer mir.“ erwidert Josef still. Die Haare auf seinen Armen haben sich aufgestellt: „Alles nur in deinem Schädel. Du brauchst Hilfe, und zwar fix. Komm mach auf jetzt!“
Er hört langsame Schritte, die näher kommen. Als das Licht im Gang erneut aussetzt, muss er sich auf die Unterlippe beißen, um nicht aufzuschreien. Johanns Stimme ist nun deutlicher zu hören. Direkt gegenüber: „…aber, das Gefühl ist so stark. Es dreht sich…“
„Ok…, wenn du mir nicht aufmachst, rufe ich an Notruf. Die müssen die Tür aufbrechen. Hier steht niemand außer mir. Es dreht sich alles, weil du nicht schläfst! Weil irgendetwas nicht mir dir richtig ist! Jetzt mach die Scheißtür auf!“
Der letzte Satz hallt verzweifelt durch den Hausgang. Entfernt kann Josef eine Tür in einem anderen Stockwerk klicken hören. Während er wartet, hört er das Klicken erneut. Dann bewegt sich etwas und er hört wie sich der Schlüssel im Schloss herum dreht.
Was vor ihm steht als sich die Tür öffnet kann er kaum noch als seinen Freund erkennen. Ausgemagert und schmutzig wankt was von Johann übrig ist hin und her. Unfreiwillig macht Josef einen Schritt zurück.
Mit einem trüben Blick lächelt ihn der erschöpfte Johann an. Im nächsten Augenblick öffnen sich die Augen erschreckend weit. Alles verzerrt sich zu einer angsterfüllten Maske so grotesk, dass der Schock so laut in seinem Kopf ist, dass sie die kreischenden Schreie übertönen. Als das kreischende Ding zu Boden fällt zeigt sein knochiger Arm auf etwas hinter Josef.
Das Licht erlischt ein letztes Mal als er sich umdreht. Das Flackern der Augen hebt sich aus dem Dunkel des Ganges hervor. Und Josef hat plötzlich ein Gefühl als würde er fallen.