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Das heilige Kind von La Guardia

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25.03.2003
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Das heilige Kind von La Guardia

(Überarbeitete Version weiter hinten!)
Astorga (Provinz von Toledo) im Jahre des Herrn 1490

Es dämmerte bereits, als der Wollweber Benito Garcia aus La Guardia die Herberge in Astorga betrat. Er befand sich auf dem Rückweg von Santiago de Compostela wohin er, wie es sich für einen guten Katholiken gehörte, eine Pilgerreise unternommen hatte. Benito war noch nicht lange Christ. Erst vor zwei Jahren hatte er sich von seinem jüdischen Glauben abgewandt und war zum Christentum konvertiert.

Müde ließ sich der Wollweber an einem der Tische nieder und bestellte etwas zu essen und einen Krug Wein. Er hatte den ganzen Tag noch nichts zu sich genommen, und so zeigte der Wein auch sofort seine Wirkung.
Hastig schlang er den Eintopf hinunter und legte sich danach in einer Schlafkammer nieder. Er war so müde, dass er nicht einmal bemerkte, dass er seinen Reisesack in der Gaststube vergaß.

Während Benito Garcia den erschöpften Schlaf der Gerechten schlief, durchwühlten einige neugierigen Gäste in der Wirtsstube sein Gepäck. Sie hofften, ein paar Maravedis oder sonstige Wertsachen zu finden.
„Was mag hier drin sein?“, rief einer der Männer und hielt eine kleine Schachtel in die Luft.
Er nahm den Deckel ab, schaute hinein und erblasste. Sobald auch die anderen Umstehenden den Inhalt inspiziert hatten, brach ein Tumult los.
„Dieser jüdische Bastard!“
„Ein Hostienschänder!“
„Ich wusste gleich, dass dieser Kerl keiner von uns ist. Das muss sofort der Inquisition gemeldet werden“, riefen sie durcheinander.
Mittlerweile waren auch der Wirt und die übrigen Gäste auf das Geschrei aufmerksam geworden und wollten wissen, was passiert sei.
„Wir haben einen von diesen elenden Konvertierten entlarvt“, rief Enrique Ortega, ein Tuchhändler aus Segovia. „Diese scheinheiligen Schweine! Nach außen hin wirken sie wer weiß wie fromm, und in ihren Häusern praktizieren sie weiterhin ihren heidnischen Glauben.“
„Und dieser hier ist außerdem ein Verbrecher, ein Hostiendieb und –schänder!“, bemerkte ein anderer. „Seht her, was wir in seinem Reisesack entdeckt haben.“ Sie hielten dem Wirt die Schachtel entgegen. Dieser schüttelte fassungslos den Kopf.
„Die jüdischen Hunde benutzen die Hostien, um schwarze Magie zu betreiben, damit wir ehrlichen Christenleute elendig zugrunde gehen.“
„Lasst uns den Kerl sofort beseitigen! Das Judenschwein verdient den Tod!“
Die Wirtshausgäste stachelten sich gegenseitig immer mehr auf in ihrem religiösen Wahn. Der Wirt hatte alle Mühe, sie davon abzuhalten, den Wollweber auf der Stelle zu erschlagen.
So zogen sie am frühen Morgen einen völlig ahnungslosen, schlaftrunkenen Benito von seiner Strohpritsche und zerrten ihn vor den für die Region zuständigen Vertreter der Inquisition.

„Benito Garcia! Du willst dich also nicht zu den Freveln bekennen, die du verbrochen hast?“, erklang wenig später die tiefe Stimme des Inquisitionsvertreters Pedro de Villega. Der Dominikanermönch war eine furchteinflößende Erscheinung in seiner langen schwarzen Kutte. Auf seiner Brust ruhte an einer Kette, unübersehbar das Zeichen des christlichen Glaubens – ein hölzernes Kreuz. Außer de Villega befanden sich noch zwei weitere Mönche und ein Sekretär im Raum. An der Wand hinter de Villega prangte das Wappen der heiligen Inquisition: Kreuz, Olivenzweig und Schwert.
Mit strengem Blick musterte der Inquisitor den vor ihm stehenden Angeklagten.
„Wir bringen dich schon zum Reden, Benito Garcia. Brüder, waltet Eures Amtes!“, forderte de Villega die beiden ihm zur Seite stehenden Dominikanermönche auf.
Die Angesprochenen ergriffen Benito und führten ihn eine Steintreppe hinab in einen düsteren Raum. Dort erwartete sie bereits ein Folterknecht, der den Wollweber mit dem Gesicht zur Wand an zwei Eisenringen fest kettete. Ehe dieser wusste wie ihm geschah, prasselten die ersten Stockhiebe auf seinem Rücken nieder. Immer und immer wieder schlug der Folterknecht auf ihn ein. Zunächst presste Benito die Lippen aufeinander und kein Schmerzenslaut entwich seinem gequälten Körper. Als jedoch seine Haut aufplatzte und das Blut zu fließen begann, da schrie er seine Pein heraus. Nach etwa hundert Schlägen hatte sich sein Rücken in eine rohe Fleischmasse verwandelt, doch noch immer folgte Hieb um Hieb.
„Benito Garcia!“, erklang erneut die Stimme des Inquisitors. „Bekennst du dich nun schuldig, den mosaischen Glauben weiterhin im Verborgenen praktiziert zu haben, sowie in böser Absicht eine Hostie geraubt und geschändet zu haben?“ De Villega wies den Inquisitionshelfer an, mit den Schlägen innezuhalten. Ein Wimmern war aus Benitos Mund zu vernehmen.
„Rede deutlich, Jude! Ich kann dich nicht verstehen.“
„Ja, ich gestehe alles, nur hört in Gottes Namen mit den Schlägen auf!“, brachte Benito mit Mühe hervor.
„Nimm den Namen Gottes nicht in deinen dreckigen Mund, Jude!“, donnerte Pedro de Villega.

Ein Geständnis – das war es, was er hatte hören wollen. Ein Lächeln umspielte die schmalen Lippen des Inquisitors. Und doch – so ganz konnte er noch nicht zufrieden sein. Er brauchte weitere Namen von anderen Schein-Christen, mit denen Benito Garcia seine Verbrechen gegen Gott und den wahren Glauben verübt hatte. Also forderte er den Wollweber auf, auch diese preiszugeben.
Benito war jedoch in eine gnädige Ohnmacht gefallen und so brachte der Inquisitor nichts mehr aus ihm heraus. Er wies die Mönche an, Benitos Wunden notdürftig zu versorgen und ihn in eine der Kerkerzelle zu schaffen.

Ein paar Tage später wurde Benito erneut vor Pedro de Villega geführt. Er hatte eine scheußliche Zeit verbracht, in dem nach jeglichen menschlichen Ausdünstungen stinkenden Gefängnis. Die Wunden auf seinem Rücken wollten nicht heilen und hatten zu eitern begonnen.
„Nun Benito“, begann der Inquisitor. „Ich will, dass du mir die Namen der Personen nennst, von denen du weißt, dass sie ebenfalls noch dem jüdischen Irrglauben nachgehen.“
„Ich kenne niemanden, der dies tut. Alle meine Freunde und Bekannten sind schon lange Christen. Sie verehren Jesus und Unsere Liebe Frau und besuchen regelmäßig die heilige Messe“, erklärte Benito mit Bestimmtheit. Er konnte sich kaum aufrecht halten, so sehr schmerzte ihn sein Rücken.
„Du kennst also niemanden. Nun gut, wir werden dir helfen, dein Gedächtnis ein wenig aufzufrischen“, erwiderte Pedro de Villega.
Erneut schleppten sie Benito in den Folterraum. Diesmal wurde er jedoch nicht stehend an der Wand fest gekettet, sondern liegend auf einer Holzbank festgebunden. Der Knecht, der ihm beim letzten Mal die Schläge verpasst hatte, stopfte nun ein Stück Linnen in Benitos Mund und Nase. Dann begann der Inquisitionshelfer Wasser auf das Linnen zu gießen, bis dieses sich langsam voll sog und Benito keine Luft mehr bekam. Der Wollweber wandte sich hin und her in seiner Qual, sodass die Fesseln tief in das Fleisch seiner Hand- und Fußknöchel einschnitten. Als sein Gesicht bereits eine blaue Verfärbung annahm und er zu ersticken drohte, wies de Villega den Folterknecht an, das Stück Stoff aus Benitos Mund zu entfernen. Röchelnd und hustend schnappte der Gequälte nach Luft. Als de Villega ihn erneut aufforderte, weitere Namen preiszugeben, schrie Benito alles heraus, was seine Peiniger hören wollten. Um nichts in der Welt konnte er diese bestialischen Quälereien noch länger ertragen.
Er gab zu, seinen Freund Ca Franco und dessen beiden Söhne Moses und Yucé bei der Praktizierung der jüdischen Rituale beobachtet und auch selbst daran teilgenommen zu haben, ebenso wie seine eigenen Brüder, die Getreidehändler Franco und Alonso Garcia aus La Guardia.

Pedro de Villega war äußerst zufrieden mit dem Ergebnis der peinlichen Befragung. Er hatte unverzüglich die zuständigen Inquisitoren benachrichtigt, welche wiederum die sofortige Verhaftung und Einlieferung von Ca Franco, seinen beiden Söhnen, sowie den Brüdern von Benito in das Inquisitionsgefängnis von Segovia veranlasst hatten. Dies schien eine größere Sache zu werden und so entschied de Villega, den Generalinquisitor von Kastilien und Aragón, Tomás de Torquemada, über den Vorfall zu unterrichten.
Torquemada, der eigentlich vorgehabt hatte, die königlichen Majestäten Isabel und Fernando zum Kriegszug gegen die Mauren nach Granada zu begleiten, zog es vor in Avila zu bleiben und den Fall selbst unter die Lupe zu nehmen. Er ließ die Angeklagten in das Dominikanerkloster Santo Tomás bringen, welchem er als Prior vorstand.
Einer nach dem anderen wurde vor Torquemada geführt.
Dieser saß in einem thronartigen Sessel am Ende eines langen Tisches und begann mit strenger Stimme, die Angeklagten zu verhören. Doch weder die erhabene Autorität, die der Großinquisitor ausstrahlte, noch die Aussicht auf die Errettung ihrer fehlgeleiteten Seelen, die den Juden zu teil kommen würde, sollten sie ein Geständnis ihrer Schandtaten ablegen, vermochte, ihnen ein solches zu entlocken.
Ohne ein Geständnis konnten jedoch keine ordentliche Gerichtsverhandlung und die abschließende Verurteilung erfolgen, sodass Torquemada zunächst eine List anwendete.
Er ließ die Angeklagten in eine Gefängniszelle schaffen, welche mit einer Abhörmöglichkeit versehen war. Mehrere Tage belauschten Inquisitionshelfer die Insassen der Zelle, in der Hoffnung, belastendes Beweißmaterial zu erlangen. Doch nicht ein falsches Wort kam über die Lippen der Angeklagten.

So gab es nur eine Lösung – die peinliche Befragung. Als erstes brachten die Helfer Torquemadas Yucé Franco in die tiefen Kellergewölbe des Inquisitionsgefängnisses.
Neben dem Generalinquisitor, der den Folterakt selbst überwachte, waren noch etliche Mönche, sowie der Sekretär Torquemadas zugegen. Die Talglichter, die an den Felswänden befestigt waren, tauchten den Raum in ein dämmeriges Licht, und ließen die weiße Kutte Torquemadas geradezu gespenstig leuchten.
„Hast du uns noch etwas mitzuteilen, Jude, bevor die Folterknechte mit ihrer Arbeit beginnen?“, fragte der Inquisitor.
„Alles ist bereits gesagt worden“, entgegnete Yucé mit belegter Stimme. Die Angst vor dem, was ihn erwartete, ließ ihn würgen. Er hatte schon einige Schauergeschichten über die Folterkeller des Inquisitionsgefängnisses von Avila gehört und betete im Stillen, Gott möge ihm die Kraft geben, die kommenden Qualen durchzustehen.
Die Folterknechte banden ihn auf einer Holzpritsche fest und legten ihm eiserne Beinschrauben an, die so genannten „Spanischen Stiefel“. Schweiß bildete sich auf Yucés Stirn und die Angst ließ seine Blase schwach werden. Die Inquisitionshelfer begannen, die Schrauben anzuziehen, immer fester und fester, und als Yucés Schienbeine bereits zu einer blutigen Masse zerquetscht waren, da schrie er aus Leibeskräften: „Haltet ein, ich gestehe alles!“
Torquemada wies die Folterknechte an, die Schrauben zu lockern und forderte Yucé auf, mit seinem Geständnis zu beginnen.
„Im letzten Jahr traf ich den Getreidehändler Alonso Garcia“, begann der Gepeinigte mit zitternder Stimme. „Er erzählte mir, dass er seinen Übertritt vom jüdischen zum christlichen Glauben sehr bereut hatte und etwas zu seiner eigenen Rehabilitierung unternehmen wollte. So hatte er sich am damaligen Osterfest an der Kreuzigung eines Christenkindes beteiligt.“
Ein Raunen ging durch die anwesenden Inquisitoren. Dies war das schlimmste Verbrechen, welches ein Ungläubiger gegen das Christentum verüben konnte.
„Und warum hast du diesen infamen Vorfall nicht, wie es deine christliche Pflicht gewesen wäre, sofort der zuständigen Inquisition gemeldet?“, herrschte Torquemada Yucé an.
„Somit hast du dich dieser grausamen Tat ebenso schuldig gemacht. Du wirst bis zu deiner Verurteilung in diesem Gefängnis bleiben.“

Der Generalinquisitor veranlasste sofort die peinliche Befragung Alonso Garcias.
Die Aufklärung dieses unglaublichen Vorfalls und die Verurteilung aller daran Beteiligten duldeten keinerlei Aufschub. Nach einer zweistündigen Foltertortur hatten die Inquisitoren das ganze Ausmaß dieser tragischen Geschichte aus Alonso Garcia herausgebracht.
Am Osterfest vor zwei Jahren entführten ein paar Juden und Conversos, unter anderem Alonso Garcia, auf dem Jahrmarkt von La Guardia den dreijährigen Sohn eines Fassbinders. Sie trieben den Jungen, auf einem Esel reitend, in eine Höhle ganz in der Nähe und vollzogen an ihm den Leidensweg Christi. Sie geißelten ihn, setzten ihm die Dornenkrone auf, und schlugen ihn schließlich ans Kreuz. Dann schnitt Alonso dem toten Christenkind das Herz aus der Brust und bewahrte es in einer Schachtel auf.
Ein paar Monate später trafen sich die an der Kreuzigung Beteiligten mit dem jüdischen Arzt Tarazé, der Familie Franco und einem Bettler in La Guardia. Der Arzt hatte den Anwesenden versichert, dass er mit Hilfe der Schachtel bewirken könnte, dass alle Inquisitoren von der Tollwut befallen und somit elendig zu Grunde gehen würden, wenn sie nicht aufhören würden, die Juden und Conversos zu verfolgen. Jucé und die anderen waren jedoch der Ansicht, dass die Zaubersprüche des Arztes nicht stark genug seien und so hatten sie einstimmig beschlossen, einen mächtigeren Magier in Zamora aufzusuchen.
Aus diesem Grund war Benito Garcia mit der Schachtel auf Reisen gegangen und in der Herberge von Astorga hatte schließlich das Dilemma seinen Anfang genommen.

Alonsos erzwungenes Geständnis besiegelte das Schicksal der elf beteiligten Juden und Conversos. Sie wurden allesamt verurteilt und am 16. November im Jahre des Herrn 1491 in Avila öffentlich verbrannt, obwohl zu besagtem Zeitpunkt weder verzweifelte Eltern das Verschwinden ihres Sohnes angezeigt hatten, noch jemals der Körper des toten Jungen gefunden worden war.
Der Mythos des gekreuzigten Kindes verbreitete sich schon bald im ganzen Land, und jedermann sprach von dem „Heiligen Kind von La Guardia“.

Für Tomás de Torquemada bedeutete dieser Fall und seine Aufklärung mehr als nur die Beseitigung weiterer Glaubensabtrünniger. Vielmehr konnte er nun dem katholischen Königspaar beweißkräftig vor Augen führen, dass eine dauerhafte Lösung gefunden werden musste, die Conversos dem schädlichen Einfluss ihrer ehemaligen Glaubensbrüder zu entziehen.

Am 31.März im Jahre des Herrn 1492 unterzeichneten Isabel und Fernando ein Edikt, welches besagte, dass sämtliche Juden, die sich nicht taufen lassen wollten, Spanien binnen drei Monate zu verlassen hatten und das Land nie wieder betreten durften.

Conversos: zum Christentum übergetretene Juden
Peinliche Befragung: Anwendung der Folter

 

Hallo Blanca,

das die Geschichte gut ist, dürfte dir klar sein. Sie ist auch längst in dem Bereich, wo sie veröffentlicht werden könnte.
Trotzdem habe ich etwas auszusetzen, wie immer: Der Geschichte fehlt die Tiefe an den Stellen mit den Folterungen, wo du den narrativen Gestus aufbrechen müsstest. Denn dort fehlen die Emotionen, der Schmerz, das langsame Zerbrechen der Folteropfer.
Zudem solltest du insgesamt die Personen mehr ausleuchten, etwas mehr über sie und ihre Geschichte erzählen. Denn die Inquisitatoren werden recht eindimensional dargestellt, und auch die Conversos würden etwas mehr Hintergrund verdienen.

Gruss

Bluomo

 

Hallo Bluomo,
danke für deine Kritik.
Ja, die Folterszenen könnten bestimmt noch etwas mehr Emotionen vertragen. Ich denke allerdings, dass es nicht einfach ist, das richtige Maß zu finden, damit es nicht zu dick aufgetragen und somit kitschig wirkt. Das Problem, dass ich beim Schreiben dieser Geschichte hatte, ist, wie du so gut ausgedrückt hast, der narrative Gestus. Ich weiß nicht, ob die Geschichte nicht letztendlich zu berichtend und nicht lebendig genug geworden ist.Vielleicht sollte ich wirklich versuchen, die Charaktäre noch mehr auszuleuchten.
Die Legende soll übrigens wirklich passiert sein. Zumindest wird in La Guardia bis heute "das heilige Kind" noch verehrt und einmal im Jahr mit einer Fiesta "befeiert".
Ich persönlich glaube allerdings nicht, dass die Juden und Conversos damals wirklich katholische Kinder gekreuzigt und wie man sagte, deren Blut getrunken haben sollen, wenn man nur alleine bedenkt, dass die Juden die Tiere, die sie geschlachtet haben, vollkommen ausbluten ließen, damit nur ja kein Tropfen Blut mehr am Fleisch war.
Wer weiß, was Benito Garcia wirklich in der Schachtel aufbewahrte, was die Christen dann in ihrem Wahn als Hostie ansehen wollten. Die anschließenden Geständnisse unter Folter zählen eh nicht. Außerdem steht auch in den Überlieferungen, dass niemals in La Guardia ein Kind als vermisst gemeldet worden ist oder ein toter Kinderkörper gefunden worden ist.

LG
Blanca :)

 

Hallo Blanca,

deine Geschichte aus dem Mittelalter hat mir gut gefallen.

Zwei Bemerkungen hätte ich nur:

Dass er seinen Reisesack in der Gaststube vergaß, und was dies für Folgen mit sich bringen würde, sollte er erst später erfahren.

Diesen Satz würde ich weglassen, denn der Leser muss nicht unbedingt daraufhingewiesen werden, dass später noch Schreckliches passieren wird. Dass er seinen Reisesack vergessen hat, kannst du in dem nächsten Absatz einfügen.

Als zweites kann ich nicht ganz glauben, dass Benito so lange mit Stöcken geschlagen wurde und dabei keinen Laut von sich gegeben hat. Meiner Meinung nach, kommen die ersten Schmerzensschrei schon in dem Moment, wo die Haut aufplatzt.

Zu deiner Bemerkung

das richtige Maß zu finden, damit es nicht zu dick aufgetragen und somit kitschig wirkt.

Ich finde in der MA-Zeit können die Schilderungen nicht grausam genug sein. Ich habe schon oft in historischen Romanen solche Szenen gelesen, die wirklich sehr schauerlich waren, aber keineswegs überladen wirkten. Die Zeit damals war nun mal sehr grausam.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass du die Grausamkeit der Inquisitionszeit recht gut erfasst hast.

Viele Grüße
bambu

 

Hallo bambu,
danke fürs Lesen. Schön, dass dir die Geschichte gefallen hat.
Ja, du hast recht, das war schon eine grausame Zeit damals. Ich bin froh, dass ich da nicht leben musste, und trotzdem lese ich alles, was ich kriegen kann über diese Zeit.
Deine beiden Vorschläge habe ich im Text übernommen. Danke für die Hinweise.
Fandest du die Geschichte lebendig genug oder doch etwas zu berichtend?

LG
Blanca :)

 

Hallo Blanca,

beim nochmaligen Überfliegen der Geschichte ist mir eine Stelle aufgefallen, die du vielleicht noch ein wenig erweitern könntest.

Einer nach dem anderen wurde vor Torquemada geführt. usw.

Es könnte lebendiger wirken, wenn du hier das Verhör ein wenig schilderst. Die Festgenommen wissen wahrscheinlich gar nicht, weshalb sie angeklagt sind. Sie können ihre Schuld abstreiten. Hier wäre eine ideale Stelle, noch einen kleinen Dialog (Verhör) einzubauen.

Eine Kleinigkeit ist mir noch aufgefallen und zwar schreibst du den Namen Yucé
einmal mit Y und einmal mit J. Ich würde dir hier zu einer Schreibweise raten. Es hat mich etwas irritiert, da die Namen für mich sowieso ein wenig ungewohnt waren, aber für die damalige Zeit schon passend.

Ansonsten hat sich die Geschichte gut gelesen und ich empfand sie nicht als berichtend sondern eher anschaulich geschrieben.

Viele Grüße
bambu

 

Hallo bambo,
die Idee, das Verhör mit Torquemada noch etwas zu erweitern, finde ich nicht schlecht. Muss ich mir nochmal durch den Kopf gehen lassen.
Yucè werde ich gleich mal abändern.
Übrigens kam es bei solchen Verfahren im MA oft vor, dass die Angeklagten zunächst erst einmal gar nicht wussten, warum sie überhaupt angeklagt worden sind. Man ließ die Beschuldigten oft wochenlang im Gefängnis schmoren, bevor man sie verhörte. Warscheinlich, um sie weich zu kriegen, die Armen. D)

LG
Blanca :)

 

Hallo Blanca

durchwühlten einige von Neugier geplagte Gäste
das "geplagte" stört mich.
Ich wäre für: einige neugierige Gäste

Die Wirtshausgäste stachelten sich gegenseitig immer mehr auf in ihrem religiösen Wahn. Der Wirt hatte alle Mühe, sie davon abzuhalten, den Wollweber auf der Stelle zu erschlagen.
Das ist mir persönlich schon zu erzählend, würd ich zugunsten der Atmosphäre streichen. Besonders das "religiöse Wahn" passt mir gar nicht.

Also forderte er den Wollweber auf, auch diese preiszugeben.
Ich fänds schöner, wenn du das in wörtliche Rede verpackst.

erwiderte Pedro de Villega scheinheilig.
"scheinheilig" streichen.

Also ich weiß nicht, am Ende wird deine Geschichte fast zu einer Zusammenfassung der Geschehnisse. Der erste Teil mit Benito gefällt mir noch sehr gut. Besonders auch die Schonungslosigkeit, mit der du die Folter beschreibst.
Doch dann eben nur noch eine Abhandlung... ich bin sehr zwiegespalten. Lange zeit hatte ich auch überhaupt keine Ahnung, worauf du nun hinaus mit deiner Geschichte willst. Zurückblickend ist es natürlich schwer die Geschichte vom heiligen Kind von La Guardia aus einer Perspektive zu erzählen, wie ich es mir persönlich gewünscht hätte.

Leider fand ich es nur informativ, nicht unterhaltend.
Dennoch nicht bereut zu lesen.

Eike

 

Hallo Blanca,

die Geschichte ist gut, keine Frage. Allerdings ging es mir wie Starsailor und ich habe es eher als eine Berichtserstattung empfunden, als eine Geschichte.
Warum? Du bemühst dich sehr viele Informationen in deine Geschichte zu bringen - das ist sicherlich wichtig zum Verständnis der Geschichte - allerdings wirkt es hier etwas überladen, zumal die Gefühle, Gedanken deiner Prots. sehr kurz kommen.
Natürlich empfand ich beim Lesen mitleid, aber eher im Allgemeinen mit den Menschen, denen so etwas widerfahren ist und weniger mit deinem Prot. - mir kam er ein bisschen vor wie das Mittel zum Zweck: Eine Person, die du brauchtest, um deine Geschichte erzählen zu können.

Sehe das bitte nicht als Verriss an, so ist es nämlich nicht gemeint. Wie gesagt: Ich finde die Geschichte gut, bin aber der Meinung, dass du noch einiges herausholen könntest.

Eine Kleinigkeit:

Er hatte den ganzen Tag noch nichts zu sich genommen, und so zeigte der Wein auch sofort seine Wirkung, indem er Benitos Sinne benebelte.

Den fetten Teil würde ich streichen. Ist ja eigentlich klar, wie der Wein seine Wirkung tut.

LG
Bella

 

Hallo Starsailor und Bella,
genau das, was ihr sagt, dass die Geschichte zu berichtend wirkt, hatte ich ja auch schon befürchtet. Das trifft besonders auf den zweiten Teil zu. Den ersten finde ich eigentlich okay so.
Ich werde mich also noch mal dransetzen und versuchen, den zweiten Teil lebendiger zu gestalten. Wenn ihr da noch konkret ein paar Vorschläge hättet, nur her damit!

LG
Blanca :)

 

Hallo Blanca,

schön, dass du dich an den zweiten Teil noch einmal dransetzt - ich würde jedoch bereits im ersten Teil versuchen den Protagonisten dem Lesen etwas näher zu bringen. Du solltest neben den allgemeinen Informationen über seine Person etwas tiefer gehen: Er könnte über seine kleine Tochter nachdenken, über seine Frau, über einen Traum, den er verwirklichen möchte etc.

Der zweite Teil ist etwas schwierig, aber die Erzählperspektive ist mir momentan noch zu neutral. Ich schätze aber, dass sich das von selbst ergibt, wenn man den Protagonisten etwas besser kennt.

Allgemein könnte ich sagen, dass die Geschichte gerne noch viel länger sein könnte. :)

LG
Bella

 
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Friedvolle Grüße

Im wesentlichen kann ich mich der Kritik meiner Vorschreiber anschließen. Sie haben bereits auf die Mängel der Geschichte hingewiesen. Ich möchte Dir aber empfehlen, beim lebendigeren Ausgestalten der Geschichte Dein Augenmerk alleine auf Deinen Hauptcharakter Benito zu legen. Ansonsten ist der Text nicht mehr "kurzgeschichtig" genug. An ihm könntest Du die unmenschlichen Verhörmethoden der Inquistion und deren Auswirkung auf den Verhörten detailiert beschreiben. Bei den Nebencharakteren reicht die Erwähnung, das sie verhört wurden. Der Leser kann sich dann vorstellen, was ihnen angetan wurde.

Kritik habe ich an dem Auslöser des ganzen. Die Kneipengäste durchwühlen den Reisesack Benitos auf der Suche nach Wertsachen. Das ist unrealistisch! Die Menschen bestanden damals, wie auch heute, nicht aus einer Bande von Dieben, zumal die gemeine Strafe für Diebstahl damals Abschlagen der Hand darstellte. Realistischer wäre, das ein Gast dem Wirt den Reisebeutel zur Aufbewahrung geben will, und dabei die Schachtel heraus fällt.

Ich finde in der MA-Zeit können die Schilderungen nicht grausam genug sein. Ich habe schon oft in historischen Romanen solche Szenen gelesen, die wirklich sehr schauerlich waren, aber keineswegs überladen wirkten. Die Zeit damals war nun mal sehr grausam.

Dem Zitat von bambu muß ich widersprechen. Keine Schilderung ist grausamer als die Phantasie des Lesers. Die Auswirkungen der Folter auf die Psyche der Opfer ist sicher das wichtigere Element. Wenn der Protagonist zum Beispiel auf einem Stuhl festgeschnallt, seine Finger fixiert werden und der Folterknecht fünf Nägel auspackt, sind blutige Details absolut unnötig. Zu erwähnen, das der Folterknecht den zweiten Nagel benutzen will, reicht aus, um ein Brechen des Protagonisten zu rechtfertigen.

Kane

 

Hallo Kane,
danke fürs Lesen und deine Kritik. Wie ja bereits von mir geschrieben, werde ich mich, sobald ich Zeit habe noch mal an die Geschichte setzen und sie überarbeiten.

Du schreibst, dass du es unrealistisch findest, dass ein paar von den Kneipengästen Benitos Reisesack durchwühlen. Das finde ich nicht. Die meissten Leute, die in solchen Herbergen abstiegen, waren eh arm und als sie dann gesehen haben, dass Benito den Rucksack dort stehengelassen hat, waren sie halt neugierig, was er mit sich führte.
Zum anderen ist diese Geschichte nach einer Legende entstanden, und so ist diese
überliefert worden.

Deinen Vorschlag, mich bei den Verhörmethoden und deren Auswirkungen überwiegend auf Benito zu konzentrieren, werde ich mir mal durch den Kopf gehen lassen. Bei den anderen Personen diese jedoch nur zu erwähnen, könnte dann wieder zur Folge haben, dass es wieder zu berichtend wird. Mal schauen, was ich mache.

LG
Blanca

 

Hallo Gaius,
Danke für deinen Kommentar. Sorry, dass ich erst jetzt darauf antworte und auch nur in Kurzform, aber ich habe im Moment ziemlich viel um die Ohren und kaum Zeit, mich um die Schreiberei zu kümmern. (Bin gerade dabei, bei uns in Spanien ein Literaturcafé aufzumachen, d.h. Café mit Buchverleih, ca. 1000 deutschsprachige Bücher. Die muss ich jetzt alle katalogisieren und Karteikarten anlegen.)
Deswegen habe ich es auch immer noch nicht geschafft, die Geschichte zu überarbeiten. Wird aber auf jeden Fall bald passieren. Dann werde ich deine Anmerkungen mit berücksichtigen. Dein Vorschlag, das Verhör von Alonso ausführlicher zu schildern, um so das Geschehen um das heilige Kind mehr in den Vordergrund zu rücken, gefällt mir gut.

LG
Blanca :)

 
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Hi,
hier endlich die überarbeitete Version der Geschichte. Ich hoffe, ich habe den zweiten Teil nun etwas spannender gestaltet.
LG
Blanca

Das heilige Kind von La Guardia ( überarbeitete Version)

Astorga (Provinz von Toledo) im Jahre des Herrn 1490

Es dämmerte bereits, als der Wollweber Benito Garcia aus La Guardia die Herberge in Astorga betrat. Er befand sich auf dem Rückweg von Santiago de Compostela, wohin er, wie es sich für einen guten Katholiken gehörte, eine Pilgerreise unternommen hatte. Benito war noch nicht lange Christ. Erst vor zwei Jahren hatte er sich von seinem jüdischen Glauben abgewandt und war zum Christentum konvertiert. Nicht, dass er es aus Überzeugung getan hätte, aber die Zeiten waren unsicher und gefährlich für die Juden Kastiliens und Aragons.

Müde ließ sich der Wollweber an einem der Tische nieder und bestellte etwas zu essen und einen Krug Wein. Er hatte den ganzen Tag noch nichts zu sich genommen, und so zeigte der Wein auch sofort seine Wirkung.
Hastig schlang er den Eintopf hinunter und legte sich danach in einer Schlafkammer nieder. Er bemerkte nicht einmal mehr, dass er vor lauter Müdigkeit seinen Reisesack in der Gaststube vergaß.

Ein paar Männer, die Benito schon eine Weile beobachtet hatten, durchwühlten kurz darauf sein Gepäck, in der Hoffnung, ein paar Maravedis oder sonstige Wertsachen zu finden.
„Was mag hier drin sein?“, rief einer der Männer und hielt eine kleine Schachtel in die Höhe.
Er nahm den Deckel ab, schaute hinein und erblasste. Sobald auch die anderen Umstehenden den Inhalt inspiziert hatten, brach ein Tumult los.
„Eine Hostie, dieser jüdische Bastard!“
„Und schaut nur, womit er sie geschändet hat! Das ist ja abscheulich!“
„Ich wusste gleich, dass dieser Kerl keiner von uns ist. Das muss sofort der Inquisition gemeldet werden!“, riefen sie durcheinander.
Mittlerweile waren auch der Wirt und die übrigen Gäste auf das Geschrei aufmerksam geworden und wollten wissen, was passiert sei.
„Wir haben einen von diesen elenden Konvertierten entlarvt“, rief Enrique Ortega, ein Tuchhändler aus Segovia. „Diese scheinheiligen Schweine! Nach außen hin wirken sie wer weiß wie fromm, und in ihren Häusern praktizieren sie weiterhin ihren heidnischen Glauben.“
„Und dieser hier ist außerdem ein Verbrecher, ein Hostiendieb und –schänder!“, bemerkte ein anderer. „Seht her, was wir in seinem Reisesack entdeckt haben.“ Sie hielten dem Wirt die Schachtel entgegen. Dieser schüttelte fassungslos den Kopf.
„Die jüdischen Hunde benutzen die Hostien, um schwarze Magie zu betreiben, damit wir ehrlichen Christenleute elendig zugrunde gehen.“
„Lasst uns den Kerl sofort beseitigen! Das Judenschwein verdient den Tod!“
Die Wirtshausgäste stachelten sich gegenseitig immer mehr auf in ihrem religiösen Wahn. Der Wirt hatte alle Mühe, sie davon abzuhalten, den Wollweber auf der Stelle zu erschlagen.
So zogen sie am frühen Morgen einen völlig ahnungslosen, schlaftrunkenen Benito von seiner Strohpritsche und zerrten ihn vor den für die Region zuständigen Vertreter der Inquisition.

„Benito Garcia! Du willst dich also nicht zu den Freveln bekennen, die du verbrochen hast?“, erklang wenig später die tiefe Stimme des Inquisitionsvertreters Pedro de Villega. Der Dominikanermönch war eine furchteinflößende Erscheinung in seiner weißen Kutte und dem langen, schwarzen Kapuzenmantel. Auf seiner Brust ruhte unübersehbar das Zeichen des christlichen Glaubens an einer Kette – ein hölzernes Kreuz. Außer de Villega befanden sich noch zwei weitere Mönche und ein Sekretär im Raum. An der Wand hinter de Villega prangte das Wappen der heiligen Inquisition: Kreuz, Olivenzweig und Schwert.
Mit strengem Blick musterte der Inquisitor den vor ihm stehenden Angeklagten, der immer noch keinen Laut von sich gab.
„Wir bringen dich schon zum Reden, Benito Garcia. Brüder, waltet Eures Amtes!“, forderte de Villega die beiden ihm zur Seite stehenden Dominikanermönche auf.
Die Angesprochenen ergriffen Benito und führten ihn eine Steintreppe hinab in einen düsteren Raum. Dort erwartete sie bereits ein Folterknecht, der den Wollweber mit dem Gesicht zur Wand an zwei Eisenringen festkettete. Ehe dieser wusste wie ihm geschah, prasselten die ersten Stockhiebe auf seinem Rücken nieder. Immer und immer wieder schlug der Folterknecht auf ihn ein. Zunächst presste Benito die Lippen aufeinander und kein Schmerzenslaut entwich seinem gequälten Körper. Als jedoch seine Haut aufplatzte und das Blut zu fließen begann, da schrie er seine Pein hinaus. Nach etwa hundert Schlägen hatte sich sein Rücken in eine rohe Fleischmasse verwandelt, doch noch immer folgte Hieb um Hieb.
„Benito Garcia!“, erklang erneut die Stimme des Inquisitors. „Bekennst du dich nun schuldig, den mosaischen Glauben weiterhin im Verborgenen praktiziert zu haben, sowie in böser Absicht eine Hostie geraubt und geschändet zu haben?“ De Villega wies den Inquisitionshelfer an, mit den Schlägen innezuhalten. Ein Wimmern war aus Benitos Mund zu vernehmen.
„Rede deutlich, Jude! Ich kann dich nicht verstehen.“
„Ja, ich gestehe alles, nur hört in Gottes Namen mit den Schlägen auf!“, brachte Benito mit Mühe hervor.
„Nimm den Namen Gottes nicht in deinen dreckigen Mund, Jude!“, donnerte Pedro de Villega.

Ein Geständnis – das war es, was er hatte hören wollen. Ein Lächeln umspielte die schmalen Lippen des Inquisitors. Und doch – so ganz konnte er noch nicht zufrieden sein. Er brauchte weitere Namen von anderen Schein-Christen, mit denen Benito Garcia seine Verbrechen gegen Gott und den wahren Glauben verübt hatte. Also forderte er den Wollweber auf, auch diese preiszugeben.
Benito war jedoch in eine gnädige Ohnmacht gefallen, und so brachte der Inquisitor nichts mehr aus ihm heraus. Er wies die Mönche an, Benitos Wunden notdürftig zu versorgen und ihn in eine der Kerkerzellen zu schaffen.

Ein paar Tage später wurde Benito erneut vor Pedro de Villega geführt. Er hatte eine scheußliche Zeit verbracht, in dem nach jeglichen menschlichen Ausdünstungen stinkenden Gefängnis. Die Wunden auf seinem Rücken wollten nicht heilen und hatten zu eitern begonnen.
„Nun Benito“, begann der Inquisitor. „Ich will, dass du mir die Namen der Personen nennst, von denen du weißt, dass sie ebenfalls noch dem jüdischen Irrglauben nachgehen.“
„Ich kenne niemanden, der dies tut. Alle meine Freunde und Bekannten sind schon lange Christen. Sie verehren Jesus und Unsere Liebe Frau und besuchen regelmäßig die heilige Messe“, erklärte Benito mit Bestimmtheit. Er konnte sich kaum aufrecht halten, so sehr schmerzte ihn sein Rücken.
„Du kennst also niemanden. Nun gut, wir werden dir helfen, dein Gedächtnis ein wenig aufzufrischen“, erwiderte Pedro de Villega.
Erneut schleppten sie Benito in den Folterraum. Diesmal wurde er jedoch nicht stehend an die Wand gekettet, sondern liegend auf einer Holzbank festgebunden. Diese hatte die Form einer Dachtraufe und war so konzipiert, dass der Kopf des Gepeinigten niedriger lag, als seine Füße. Der Knecht, der Benito beim letzten Mal die Schläge verpasst hatte, stopfte nun ein Stück feuchtes Linnen in dessen Mund und Nase. Dann begann der Inquisitionshelfer Wasser auf das Linnen zu gießen, bis dieses sich langsam voll sog. Benito versuchte, die Feuchtigkeit herunterzuschlucken und gleichzeitig ein wenig Luft einzuatmen. Er wandte sich hin und her in seiner Qual und bei jedem Aufbäumen seines geschundenen Körpers, zogen die Marterknechte die Stricke fester an, sodass die Fesseln tief in das Fleisch der Hand- und Fußknöchel des Wollwebers einschnitten. Benito schloss die Augen und sah das Gesicht seines Weibes und seiner beiden Kinder vor sich. Was sollte nur aus ihnen werden, wenn er nicht mehr wäre? Als sein Gesicht bereits eine blaue Verfärbung annahm und er zu ersticken drohte, wies de Villega den Folterknecht an, das Stück Stoff aus Benitos Mund zu entfernen. Röchelnd und hustend schnappte der Gequälte nach Luft. Als de Villega ihn erneut aufforderte, weitere Namen preiszugeben, schrie Benito alles heraus, was seine Peiniger hören wollten. Um nichts in der Welt konnte er diese bestialischen Quälereien noch länger ertragen.
„Ich habe meinen Freund Ca Franco und seine beiden Söhne Moses und Yucé bei der Praktizierung jüdischer Rituale beobachtet und schließlich auch selbst daran teilgenommen“, begann Benito. Dabei wurde sein Redefluss immer wieder durch Hustenanfälle unterbrochen.
„Des weiteren haben meine eigenen Brüder, die Getreidehändler Franco und Alonso Garcia aus La Guardia daran teilgenommen“, fuhr er röchelnd fort, bevor ihm schließlich die Beine wegknickten und er besinnungslos auf den Boden sank.

Pedro de Villega war äußerst zufrieden mit dem Ergebnis der peinlichen Befragung. Unverzüglich verständigte er die zuständigen Inquisitoren, welche wiederum die sofortige Verhaftung und Einlieferung von Ca Franco, dessen beiden Söhnen, sowie den Brüdern von Benito in das Inquisitionsgefängnis von Segovia veranlassten. Dies schien eine größere Sache zu werden und so entschied de Villega, den Generalinquisitor von Kastilien und Aragón, Tomás de Torquemada, über den Vorfall zu unterrichten.
Torquemada, der eigentlich vorgehabt hatte, die königlichen Majestäten Isabel und Fernando zum Kriegszug gegen die Mauren nach Granada zu begleiten, entschloss sich, in Avila zu bleiben und den Fall selbst unter die Lupe zu nehmen. Er ließ die Angeklagten in das Dominikanerkloster Santo Tomás bringen, welchem er als Prior vorstand, um dort die Befragungen vorzunehmen.

Es war ein trüber, finsterer Tag, an dem das Inquisitionstribunal tagte. Torquemada hatte bereits in seinem thronartigen, mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Sessel Platz genommen. Zu seiner rechten und linken Seite saßen die Inquisitionsräte.
Vor ihnen befand sich ein ovaler, mit einem schwarzwollenen Tuch bedeckter Tisch, auf dem ein aufgeschlagenenes Evangelienbuch lag. An der Wand hinter Torquemadas Thron hing ein elfenbeinfarbenes Kruzifix auf schwarzem Hintergrund. Vor dem Tisch war ein dreieckiger Balken, der als Sitzbank dienen sollte, aufgestellt, an dem in Kürze die Angeklagten sitzen würden. Ein kleinerer Tisch an der Wand diente zwei Dominikanermönchen als Schreibpult, um die Aussagen der Angeklagten und Zeugen festzuhalten. Des weiteren befanden sich noch mehrere Ordensbrüder in dem Saal. Als erster wurde Yucé Franco herein geführt. Durch den langen Aufenthalt in den Kerkern des Inquisitionsgefängnisses war er matt und abgemagert. Mit langsamen Schritten ging er zwischen den beiden Familiares, welche ihn in den Saal geführt hatten, vorwärts, um sich wenig später so gut es eben ging auf dem unbequemen Balken niederzulassen. Mit hochaufgerichtetem Blick schaute er die drei Mitglieder des Inquisitionstribunals an. Torquemada erwiderte den Blick nicht minder fest und wandte sich mit strenger Stimme an den Beschuldigten: „Angeklagter, tretet vor und schwört auf das Evangelium, die Wahrheit zu sagen.“
Yucé erhob sich, legte eine Hand auf das heilige Buch und rief mit fester Stimme: „Im Namen von Jesus Christus und der Heiligen Jungfrau, schwöre ich, die Wahrheit zu sagen.“

Dann begann Torquemada mit der Befragung.
Doch weder die erhabene Autorität, des Großinquisitors, noch die Aussicht auf die Errettung ihrer fehlgeleiteten Seelen, vermochten Yucé und den anderen Angeklagten ein Geständnis zu entlocken. Ohne ein solches konnten jedoch weder eine ordentliche Gerichtsverhandlung, noch die abschließende Verurteilung erfolgen.
So gab es nur eine Lösung – die peinliche Befragung. Als erstes brachten die Helfer Torquemadas Yucé Franco in die tiefen Kellergewölbe des Inquisitionsgefängnisses.
Neben dem Generalinquisitor, der den Folterakt selbst überwachte, waren noch etliche Mönche, sowie der Sekretär Torquemadas zugegen. Die Talglichter, die an den Felswänden befestigt waren, tauchten den Raum in ein dämmeriges Licht, und ließen die weiße Kutte Torquemadas geradezu gespenstig leuchten.
Drei Stunden mussten die Marterknechte ihres Amtes walten, bevor Yuce geständig wurde.
„Im letzten Jahr traf ich den Getreidehändler Alonso Garcia“, begann der Gepeinigte mit zitternder Stimme. „Er erzählte mir, dass er seinen Übertritt vom jüdischen zum christlichen Glauben sehr bereut hatte und etwas zu seiner eigenen Rehabilitierung unternehmen wollte. So hatte er sich am damaligen Osterfest an der Kreuzigung eines Christenkindes beteiligt.“
Ein Raunen ging durch die anwesenden Inquisitoren. Dies war das schlimmste Verbrechen, welches ein Ungläubiger gegen das Christentum verüben konnte.
„Und warum hast du diesen infamen Vorfall nicht, wie es deine christliche Pflicht gewesen wäre, sofort der zuständigen Inquisition gemeldet?“, herrschte Torquemada Yucé an. Dieser schwieg beharrlich.
„Somit hast du dich dieser grausamen Tat ebenso schuldig gemacht“, donnerte er. „Du wirst bis zu deiner Verurteilung in diesem Gefängnis bleiben.
Bringt den Gefangenen zurück in seine Zelle“, wandte er sich an die Inquisitionshelfer, „und schafft als Nächstes Alonso Garcia herbei! Die Aufklärung dieses unglaublichen Vorfalls und die Verurteilung aller daran Beteiligten dulden keinerlei Aufschub!“


„Hast du uns noch etwas mitzuteilen, Jude, bevor die Folterknechte mit ihrer Arbeit beginnen?“, fragte der Inquisitor wenig später Alonso Garcia, einen hageren Burschen von mittlerem Wuchs. Auch an ihm war die Kerkerhaft nicht spurlos vorübergegangen.
„Alles ist bereits gesagt worden“, entgegnete Alonso mit belegter Stimme. Die Angst vor dem, was ihn erwartete, ließ ihn würgen. Er hatte schon einige Schauergeschichten über die Folterkeller des Inquisitionsgefängnisses von Avila gehört und betete im Stillen, Gott möge ihm die Kraft geben, die kommenden Qualen durchzustehen.
Die Folterknechte banden ihn auf einer Holzpritsche fest und legten ihm eiserne Beinschrauben an, die so genannten „Spanischen Stiefel“. Schweiß bildete sich auf Alonsos Stirn und die Angst ließ seine Blase schwach werden. Die Inquisitionshelfer begannen, die Schrauben anzuziehen, immer fester und fester, und als Alonsos Schienbeine bereits zu einer blutigen Masse zerquetscht waren, da schrie er aus Leibeskräften: „Haltet ein, ich gestehe alles!“
Torquemada wies die Folterknechte an, die Schrauben zu lockern und forderte Alonso auf, mit seinem Geständnis zu beginnen.
„Bitte, Eure Eminenz, bitte gebt mir erst einen Schluck Wasser“, flüsterte der Gepeinigte. „Meine Kehle ist so trocken.“ Mit einem Wink gab Torquemada den Helfern zu verstehen, Alonsos Bitte nachzukommen. Gierig schluckte der Getreidehändler das kühle Nass hinunter, bevor er mit stockender Stimme zu sprechen begann:

„Am Osterfest vor zwei Jahren entführte ich zusammen mit ein paar Juden und Conversos, auf dem Jahrmarkt von La Guardia den dreijährigen Sohn eines Fassbinders. Wir trieben den Jungen, auf einem Esel reitend, in eine Höhle ganz in der Nähe und vollzogen an ihm den Leidensweg Christi. Wir geißelten ihn, setzten ihm die Dornenkrone auf, und schlugen ihn schließlich ans Kreuz.“
Immer wieder unterbrach Alonso seinen Redefluss, da ihm die Schmerzen in seinen Beinen den Verstand zu rauben schienen.
„Dann schnitt ich dem toten Christenkind das Herz aus der Brust“, fuhr er fort, „und bewahrte es zusammen mit einer Hostie in einer Schachtel auf.“ Mit vor Ekel verzerrten Gesichtern bekreuzigten sich Torquemada und die anwesenden Dominikanermönche.
„Ein paar Monate später trafen wir uns mit dem jüdischen Arzt Tarazé und der Familie Franco in La Guardia. Tarazé hatte uns versichert, dass er mit Hilfe des Inhalts der Schachtel bewirken könne, dass alle Inquisitoren von der Tollwut befallen und somit elendig zu Grunde gehen würden, wenn sie nicht aufhörten, die Juden und Conversos zu verfolgen. Wir anderen waren jedoch der Ansicht, dass die Zaubersprüche des Arztes nicht stark genug seien und so hatten wir einstimmig beschlossen, einen mächtigeren Magier in Zamora aufzusuchen.
Aus diesem Grund ist mein Bruder Benito mit der Schachtel auf Reisen gegangen und in der Herberge von Astorga entdeckt worden.“
„Du bist des Todes, Jude! Die Flammen werden dich verzehren.“ Hasserfüllt blickt Torquemada auf Alonso Garcia. „Schafft ihn zurück in den Kerker!“

Alonsos erzwungenes Geständnis besiegelte das Schicksal der elf beteiligten Juden und Conversos. Sie wurden allesamt verurteilt und am 16. November im Jahre des Herrn 1491 in Avila öffentlich verbrannt, obwohl zu besagtem Zeitpunkt weder verzweifelte Eltern das Verschwinden ihres Sohnes angezeigt hatten, noch jemals der Körper des toten Jungen gefunden worden war.
Der Mythos des gekreuzigten Kindes verbreitete sich schon bald im ganzen Land, und jedermann sprach von dem „Heiligen Kind von La Guardia“.

Für Tomás de Torquemada bedeutete dieser Fall und seine Aufklärung mehr als nur die Beseitigung weiterer Glaubensabtrünniger. Vielmehr konnte er nun dem katholischen Königspaar beweiskräftig vor Augen führen, dass eine dauerhafte Lösung gefunden werden musste, die Conversos dem schädlichen Einfluss ihrer ehemaligen Glaubensbrüder zu entziehen.

Am 31.März im Jahre des Herrn 1492 unterzeichneten Isabel und Fernando ein Edikt, welches besagte, dass sämtliche Juden, die sich nicht taufen lassen wollten, Spanien binnen drei Monaten zu verlassen hatten und das Land nie wieder betreten durften.

Conversos: zum Christentum übergetretene Juden
Peinliche Befragung: Anwendung der Folter
Familiares: Gehilfen der Inquisition

 

Hallo Blanca!

Eine sehr interessante Geschichte hast Du da geschrieben! Sie liest sich auch sehr schön und flott – stilistisch hast Du sie also auch gut hinbekommen. :)

Was ich mir inhaltlich noch gewünscht hätte, wäre ein bisschen Innensicht, also was in Benito vorgeht, während sie ihn foltern und er anschließend ein Geständnis ablegt. Das wäre dann das sogenannte Sahnehäubchen. ;) Obwohl ich es mir natürlich schwierig vorstelle, das unterzubringen, da der Leser ja erst am Schluß erfährt, was wahr ist, und die Gedanken dann vermutlich zu viel verraten würden. – Ich weiß nicht, wie wichtig es Dir ist, das vor dem Leser so lange zu verbergen, ich denke, es würde der Geschichte nichts an Spannung nehmen, wenn man es schon früher weiß. Möglicherweise könnte es die Geschichte sogar noch spannender machen, das käme auf die Umsetzung an. (Wobei ich mich ja frage: Wenn das alles nur erfunden war, warum hat er dann gleich so viele Namen genannt?)

Sehr schön finde ich, wie Du hier aufzeigst, wie durch solche Foltermethoden falsche Geständnisse erpreßt und Menschen unschuldig hingerichtet wurden. Grausamkeiten im Namen des Christentums – die Methoden, die die sich ausgedacht haben, sprechen ja eher die Sprache des Teufels …
– Da fällt mir noch eine winzige Kleinigkeit auf: »im Jahre des Herrn« sollte darauf hinweisen, daß der Erzähler Christ ist? Ich würde ihn eher neutral lassen. ;)

Man merkt der Geschichte auf jeden Fall an, daß Du gut recherchiert hast bzw. mit der Zeit schon sehr vertraut bist. :)

Ansonsten hab ich nicht viel zum Meckern gefunden:

»Er bemerkte noch nicht einmal mehr,«
– würde das »noch« streichen

»Auf seiner Brust ruhte an einer Kette, unübersehbar das Zeichen des christlichen Glaubens«
– würde ich umstellen: Auf seiner Brust ruhte unübersehbar das Zeichen des christlichen Glaubens an einer Kette

»der den Wollweber mit dem Gesicht zur Wand an zwei Eisenringen fest kettete.«
– zusammen: festkettete

»Er wies die Mönche an, Benitos Wunden notdürftig zu versorgen und ihn in eine der Kerkerzelle zu schaffen.«
– in eine der Kerkerzellen

»„Des weiteren haben meine eigenen Brüder, die Getreidehändler Franco und Alonso Gacia aus La Guardia daran teilgenommen“,«
– Garcia

»Vor dem Tisch war eine Sitzbank, beziehungsweise ein dreieckiger Balken, der als solche dienen sollte, aufgestellt, an dem in Kürze die Angeklagten sitzen würden.«
auf dem in Kürze
– würde das umstellen: Vor dem Tisch war ein dreieckiger Balken, der als Sitzbank dienen sollte, aufgestellt, …

»„Im Namen von Jesus Christus und der Heiligen Jungfrau, schwöre ich die Wahrheit zu sagen.“«
– schwöre ich, die Wahrheit

»„und schafft als nächstes Alonso Garcia herbei!«
– als Nächstes

»einen Schluck Wasser“, flüsterte der Gepeinigte „Meine Kehle ist so trocken.“«
– entweder »… Gepeinigte. „Meine …« oder »… Gepeinigte,meine …«

»Vielmehr konnte er nun dem katholischen Königspaar beweißkräftig vor Augen führen,«
– beweiskräftig

»Spanien binnen drei Monate zu verlassen hatten und das Land nie wieder betreten durften.«
– Monaten


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Liebe Susi,
vielen Dank für deine Kritik. Tut mir Leid, dass ich erst jetzt darauf antworte.
Ich bin zur Zeit nur sehr selten auf der Seite, da ich angefangen habe, einen historischen Roman zu schreiben, der auch in der Inquisitionszeit spielt. Wie du dir sicher vorstellen kannst, ist das sehr zeitaufwendig, da man erst mal sehr viel über die Zeit lesen muss. Und dann hab ich ja auch noch nebenbei ein bisschen was zu arbeiten, und meine Familie schreit auch manchmal nach mir. :D.
Die Fehler habe ich alle verbessert. Dass man immer noch so viele übersieht.
Willst du nicht beim Roman meine Lektorin sein, hehe? :D

Liebe Grüße
Sylvia :)

 

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