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Das Image zählt mehr als der Inhalt

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10.11.2003
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Das Image zählt mehr als der Inhalt

"Das Image zählt eben mehr als der Inhalt" - sagt der Psychologe Christian Fichter von der Universität Zürich. Er hat ein und denselben Artikel über Mobilfunkanbieter in zwei verschiedenen Zeitungen platziert: in dem Boulevardblatt Blick und in der Qualitätszeitung Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Der NZZ-Beitrag sei wesentlich besser als derselbe Artikel in Blick, meinten Testleser einhellig.

Und natürlich ist auch der Name des Autors wichtig. Oder eines Menschen, der sich um eine Stelle bewirbt: Durchschnittsnamen werden bevorzugt, fremde oder altertümliche mit Negativem oder Unattraktivem assoziiert.

Vorurteile sind offenbar emotional bedingt oder zumindest mit Gefühlen verknüpft. Und da Gefühle als echt gelten, werden sie nicht hinterfragt: Wir können uns gegen sie kaum wehren.

Das gefällt mir nicht, basta – wird dann gesagt, auch hier in manchen Kommentaren zu Geschichten. Manche versuchen ihre Haltung rational zu begründen, aber für ein Urteil, das in Wirklichkeit auf einem Vorurteil basiert, kann man schwer Argumente finden.

Aus einem aktuellen Anlass habe ich vor Jahren (wieder) eine Geschichte geschrieben, für die ich angegriffen wurde – fast ausnahmslos wegen des Themas, das manche Moralvorstellungen so sehr verletzte, dass sie die Geschichte gar nicht richtig lesen konnten: Die Wut hat sie blind gemacht.

Aber auch ich habe mich schon dabei erwischt, aus einem Vorurteil heraus einen Verriss geschrieben zu haben. Das habe ich jedoch erst hinterher gesehen, deshalb vermeide ich es nach Möglichkeit, Kommentare spontan zu schreiben, obwohl sie gerade dann besonders authentisch klingen und vielleicht auch sind - weil aus Gefühl, d.h. Vorurteil heraus geschrieben.

Wie ist eure Meinung dazu?

 

Ich denke, mit den Urteilen ist es so wie mit Handlungen. Wenn jemand sich z.B. bewusst dazu entscheidet, nach seiner Kaffetasse zu greifen, war dieser Entschluss in Wahrheit schon längst beschlossene Sache. Das hat man kürzlich mit einem sogenannten funktionalen Magnettomografen herausgefunden, mit dem man das Gehirn während seiner Arbeit in Echtzeit beobachten kann.
Man könne also deine Frage noch mehr verallgemeinern. Welche Instanz führt im Oberstübchen eigentlich Regie? Wie viel ist von unserem bewussten Denken nur Illusion? Und was können wir dagegen tun?
Aber zurück zum Ausgangsproblem. Da hast du wahrscheinlich schon die einzig richtige Antwort gegeben:

deshalb vermeide ich es nach Möglichkeit, Kommentare spontan zu schreiben,
Also sein spontanes Urteil nocheinmal zu überdenken. Wie hilfreich das nun ist, keine Ahnung. Bei mir sieht jedenfalls der Kommentar hinterher im Detail etwas anders aus. Aber eine 180 Grad Wende, etwa von Wortmüll hin zu super, schreib einen Roman davon, konnte ich bei meinen Kritiken noch nie feststellen. Der Grundtenor war der gleiche geblieben.
Als Fazit kann ich nun verkünden:
Hätte dir gern eine unzweideutige Antwort gegeben, hab´s aber nicht geschafft.
Tut mir Leid.

Gruß
Asterix

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Dion,

das würde auf den Nenner gebracht und auf kg.de übertragen bedeuten, dass jene mit einem schlechten Image selbst über gute Inhalte kein Bein auf die Erde bekämen. Und im Umkehrschluss: die mit dem guten Image könnten auch Müll produzieren, und fänden damit immer wohlwollenden Anklang.

Daran glaube ich nicht so recht. Das mag zwar hier und da eine gewisse Bedeutung haben, entwickelt aber meines Erachtens längst nicht die Dynamik, die draußen über Imagepflege/Marketing erreicht werden kann (und oft auch erreicht wird) - draußen im wirklichen Leben.

Die begleitenden Marketingmaßnahmen, die du hier zur Imagepflege nutzen kannst, sind begrenzt. Man kann sich über gute Texte (und auch über schlechte selbstverständlich) einen gewissen Namen aufbauen, der dann für sich allein gesehen zumindest eine Art Weichenstellung für die folgenden Texte ist. Das beeinflusst im weiteren Verlauf ganz sicher die Erwartungshaltung. Ansonsten kannst du dein Image über grundsätzliches Forumsverhalten prägen. Das war's doch, oder? Den Rest muss zwingend der Inhalt schaffen, oder meinetwegen auch ein reißerischer Titel.

Das (in meinen Augen) schlechte oder negative Image eines Forumskollegen kann allerdings dazu führen, dass ich die Texte ab einem gewissen Zeitpunkt grundsätzlich meide, wenn ich irgendwann feststelle, dass diese einfach nicht mein Ding sind und ich mit Lesen und Kritisieren nur meine kostbare Zeit verschwende.

Darüber hinaus glaube ich aber nicht, dass ein gutes Image auch ein guter Schutz davor ist, sich inhaltlich nicht mehr anstrengen zu müssen. Im Gegenteil! Hat einer beispielsweise das (gute) Image erzielt, immer anspruchsvolle Geschichten zu schreiben, wird er daran gemessen, da schadet es eigentlich eher, wenn er sich mal an "luftigeren" Sachen ausprobieren will. Ein gutes Image verhilft insofern meiner Ansicht nicht automatisch zu einer positiven Beurteilung. Das war bei mir schon in der Schule so, wenn unter einem Aufsatz stand: "Das kannst du besser - 4"!

Und jemand, der immer nur Müll schreibt, und mit diesem Image behaftet ist, kann über eine gute Idee und einen durchschnittliche geschriebenen Text schon Lobeshymnen ernten, weil man - basierend auf dem Image - den Fortschritt viel deutlicher zur Kenntnis nehmen kann - sofern man natürlich die Entwicklung entsprechend über eine gewisse Zeit verfolgt hat.

Nein, ich glaube nicht, dass deine zur Diskussion gestellte Kernaussage 1:1 auf dieses Literaturforum übertragbar ist. Ich glaube vielmehr, dass sich guter Inhalt in der Regel durchsetzt, und gutes Image sich immer wieder neu beweisen muss. Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel!

Rick

 

Ich bin da ehrlich. Es gibt User, die sich bei mir durch ihr Verhalten im Forum unbeliebt gemacht haben. Deren Texte kann ich kaum vorurteilsfrei lesen, Kritiken fallen bei Nichtgefallen des Textes sicherlich härter aus, als bei anderen Usern. Wenn ich dann auch noch sehe, dass gerade diese User und Produzenten von (in meinen Augen) höchst mittelmäßiger Texte in der allgemeinen Verflachung schon Lobeshymnen kassieren, weil sie vielleicht die Rechtschreibung beherrschen, kann es schon vorkommen, dass ich mir von allen deren Texten den schlechtesten raussuche, um diesen ordentlich zu verreißen.
Ich brauche in meiner kindlichen Trotzphase etwas Zeit, bis ich auch das Gute entdecken kann. Und zu dem Zeitpunkt eines Verrisses will ich das gar nicht. Da will ich das Schlechte sehen, Lob gab es schließlich (für mein Gefühl) schon viel zu viel.
Und ehrlich gesagt, meist verliere ich dabei, weil ich mich in unnötige Ausseinandersetzungen verstricke, im Grunde ja um den Fehler meinerseits weiß, aber trotzdem nicht wieder herausfinde.
So gesehen ist das Image natürlich wichtiger als der Inhalt.

Trotzdem stört mich in solchen Überlegungen immer die negative Konnotation zu "Vorurteil". Ein Vorurteil ist jedes erste noch nicht auf Überprüfung basierende Urteil, also auch die sprichwörtliche "Lliebe auf den ersten Blick".

Was die Härte von Kritik betrifft, trifft sich das übrigens irgendwann wieder. Denn wenn die Beziehungsebene zwischen mir als Rezensent und einem Autor keine Rolle mehr spielt, weil wir uns unseres Respekts oder unserer Zuneigung füreinander sicher sind, wird auch die Kritik wieder ehrlicher und möglicherweise härter, wenn auch sicher respektvoller.

Ich würde also deine wiedergegebene These ergänzen: Nicht nur das Image bestimmt die Kritik, sondern auch die bewusste oder unbewusste persönliche Erwartung an den Urheber des Textes.

 

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