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Das letzte große Ding

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06.01.2013
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Das letzte große Ding

Im Diner

"Ein letztes großes Ding, dann setzen wir uns ab!", Steinberg saß
Stellan leicht vornübergebeugt gegenüber, aus Angst, jemand könne ihr Gespräch mitverfolgen. Was niemand tat. Zwischen Steinberg und Stellan stand Stellans Mittagessen. Sie saßen zusammen in einem Diner, aber nicht, weil sie miteinander verabredet waren, nein, Steinberg, der miese Hund, hatte Stellan hier gefunden wie einen alten Pfennig im Rinnstein.

Und was Stellan nicht mochte, nie gemochte hatte, war, wenn man ihn beim Mittagessen störte. Aber das Schlimmste war, dass Steinberg ihn nicht nur störte, sondern auch in ein Leben zurückzerren wollte, mit dem er lange abgeschlossen hatte, und deswegen war Stellan nicht gut auf Steinberg zu sprechen.

"Scheiße. Ein letztes großes Ding? Du weißt selbst, dass alle "letzten großen Dinge" immer in die Hose gehen! Das ist quasi das Letzte-große-Ding-Gesetz, und dieses Gesetz gilt ebenso für Filme wie auch für die Realität! Und dieses Gesetz besagt: Wir werden entweder alle sterben oder in den Scheißknast gehen, und ich will nie mehr in den Scheißknast gehen. Und verdammt, ich bin auch noch zu jung um zu sterben. Also komm mir nicht mit der "Letzte-großes-Ding"-Nummer, klar? Das ging schon immer schief! Und es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass es diesmal nicht anders sein wird! Und jetzt lass mich in Ruhe essen."

"Nicht hier, das ist idiotensicher! Das Gesetz gilt in dem Fall nicht. Null Risiken. Rein, raus und ab in den Flieger nach sonst wohin! Verdammt, das wird reibungslos ablaufen, der Typ, sein Name ist Jens Morgan, der hat das alles sauber geplant."

"Ich kenne keinen scheiß Morgan! Und ich will auch keinen scheiß Morgan kennen! Ich will nichts mehr mit dieser Scheiße zu tun haben, Steinberg. Hab' ich mich da klar ausgedrückt, Steinberg? Haben wir uns da verstanden?"

"Scheiße, York, was ist nur los mit dir? Willst dir also lieber weiterhin für'n Hungerlohn den Rücken krumm machen, ohne dass ein ordentliches Sümmchen für dich dabei rausspringt?! Scheiße, Mann, wir brauchen jemanden wie dich, jemand, der im Falle eines Falls mit einer Waffe umgehen kann, der ein wachsames Auge hat! Ein letzter Coup, und dann setzen wir uns für immer ab. Kuba, Kolumbien, Mexiko. Komm schon, das eine Mal und dann sitzen wir im Flieger, bye bye Deutschland!", Steinberg schaute sich im Diner um und als er sich wieder vergewissert hatte, dass keiner lauschte, fügte er hinzu: "Hör zu, York, da sind eine halbe Million für jeden von uns drin! Mindestens. Eine halbe verfickte Million! Lass dir das mal für ein paar Minuten auf der Zunge zergehen. Wir bräuchten für's Erste keinen Finger mehr krumm machen, wenn wir das schlau angehen."

Stellan schüttelte mit dem Kopf, der Kerl schien nicht zu kapieren. Kapierte nicht, wie wenig Lust er verspürte, wieder zurück in das Leben zu kehren, das ihm inzwischen so verhasst war.

Eine der Kellerinnen trat zu ihnen an den Tisch und hielt eine halbvolle Kanne mit einer dunklen Flüssigkeit in der Hand. Sie stellten ihr Gespräch ein. Die Kellnerin hatte schwarzes, bis zu den Ohrläppchen reichendes Haar, einen Seitenscheitel, blasse Haut und blaue, traurig wirkende Augen, die im Kontrast mit dem Lächeln auf ihren Lippen standen. Sie fragte, ob Steinberg vielleicht einen Kaffee möchte oder etwas anderes bestellen wolle, doch Steinberg winkte sie weg, als wäre sie nur eine lästige Fliege. Wortlos verschwand die Kellerin, doch jeder Schritt ihrer klackenden Stöckelschuhe klang wie ein Fick-dich!

Stellan sagte: "Jetzt hör du mir mal zu, Steinberg, ich bin seit Jahren aus der Sache raus. Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich früher einmal war. Für mich gilt nur noch der rechtschaffende Weg und den werde ich weiter gehen. Kein Abweichen mehr. Und wenn ich mir für den Rest meines Lebens für'n Hungerlohn den Rücken krumm machen müsste, so ist das immer noch meine freie Entscheidung. Und ich lebe lieber in Freiheit als im Knast. Denn, nur für den Fall, dass die Sache schief läuft, werde ich vermutlich für den Rest meines Lebens im Knast versauern, und das möchte ich nicht. Ich möchte mich unter der Dusche in Ruhe nach der heruntergefallenen Seife bücken können, ohne dass mir irgendeine Knastschwuchtel an den Arsch geht. Ist das bei dir angekommen, Steinberg? Und ich kann mir auch kaum vorstellen, dass du oder dieser Morgan oder sonst wer, der bei der Sache mit eingestiegen ist, Lust darauf haben. Meinetwegen könnt ihr das durchziehen, aber ohne mich! Ich bin raus!", Stellan York nahm einen Schluck vom Kaffee und verzog angewidert das Gesicht.

Auf dem Teller vor ihm lagen Spiegeleier und gebratener Speck, zwei Scheiben dunkel getoastetes Sandwichbrot. Alles war noch unberührt. Sein Mittagessen. Der Lohn für seine Mühen.

"Scheiße, guck dir mal den Fraß an, den du dir tagtäglich zwischen die Kiemen schiebst! Wie lange willst du das noch durchziehen? Wie lange willst du dir noch für irgendwelche Wichser den Rücken kaputt machen? Was glaubst du, wie lange das noch gut geht? Das ist doch kein Leben!", Steinberg hieb mit der Faust auf den Tisch, die Leute im Diner schauten sich nach ihnen um.

Stellan packte Steinberg über den Tisch hinweg am Kragen. Seit dieser den Diner betreten hatte, juckte es Stellan an den Fäusten, wie früher einmal. In den alten Zeiten. Wo Stellan noch ein anderer Mensch gewesen war. Wo Stellan York erst zuschlug, und dann die Fragen stellte. Steinberg, eigentlich Jonathan Earl Steinberg, schnappte nach Stellans Hand und drückt diese, bis sie sich wieder lockerte und erst wieder zusammenballte, als sie neben der Tasse mit dem schwarzen Kaffee ruhte.

"Wie viel machst du die Woche? Zweihundert, zweihundertfünfzig?", spuckte Steinberg verächtlich aus.

"Dreihundert. Und was geht’s verdammt nochmal dich an? Das ist mein beschissenes Leben! Der Job ist okay, ich kann davon leben.", Stellan schob die Kaffeetasse unruhig hin und her.
Er starrte auf die dunkle, nach nichts schmeckende Plörre, die hier als Kaffee serviert wurde. Er schnaufte hörbar. Seine Faust ballte und lockerte sich immer wieder, schien eine imaginäre Kehle zu bearbeiten. Steinbergs Kehle.
"Das seh' ich ja! Lebst in einer beschissen Einzimmerwohnung im letzten Viertel und das nennst du dann Leben? Scheiße, so würde ich nicht mal meinen scheiß Hund leben lassen!" Jonathan Earl Steinberg war ein Mann um die Vierzig, blondes, kurz geschorenes Haar, mit blauen, weit auseinander stehenden Augen. Gerade, etwas spitze Nase. Ungesunde Gesichtsfarbe. Sein Körper wirkte drahtig.

"Ohne mich! Mein letztes Wort!", Stellans Augen funkelten Jonathan böse an. Stellan York war ein Mann mit breitem Rücken, muskulöser Brust, mechanisch kurz geschorenes, inzwischen graumeliertes Haar. Kantige Gesichtszüge, in denen man seine skandinavische Herkunft und zur Zeit blanken Hass ablesen konnte.

"Dein letztes Wort? Du willst's dir nicht nochmal überlegen?", Steinberg verzog sein Mund zu einem Lächeln.

"Nein! Und jetzt lass mich verdammt nochmal in Ruhe! Ich will dich hier in dieser Gegend nie wieder sehen, haben wir uns verstanden? Auch wenn du deine scheiß Großmutter besuchen willst!"

Steinberg schnaufte verächtlich, stand auf. "Wie du meinst!", dann neigte er sich ganz nah zu Stellan runter, sodass es für einen kurzen Moment so aussah, als wolle er ihn küssen, doch er flüsterte: "Das wäre deine Chance gewesen, endlich aus den Schulden raus zukommen, diesem Scheißleben zu entfliehen. Du hast drei Tage, um es dir nochmal zu überlegen. Danach verlöscht das Angebot und wir werden jemanden finden, der deinen Job mit Kusshand übernehmen wird. Und dieser Jemand würde sich auch beide Beine dafür ausreißen, um bei der Sache mitzumachen, jeder, der kein Idiot ist, würde bei der Sache mitmachen. Aber es ist deine Entscheidung. Wenn du weiterhin diesen Dreck in dich hineinstopfen möchtest", Steinberg deutet auf die Eier und den Speck und die verbrannten Toastscheiben " ist das okay. Ich werde dir eine Nachricht zukommen lassen, nein, besser, ich werde dir eine Karte von einen der schönsten Strände dieser Welt schicken, damit du zumindest einen kleinen Eindruck von dem bekommst, was du dir einfach durch die Finger hast gleiten lassen. Und ich werde an dich denken, während mir eine Brasilianerin mit geilen Titten den besten Schampus vom Schwanz lutscht. 'Was für ein Trottel doch dieser Stellan ist!' werde ich denken 'der hockt jetzt in seiner schimmelverseuchten Bude und rubbelt sich auf billige Pornomagazine einen runter, während ich hier nur die geilsten Nutten ficke!' Schade drum! Schade um die guten alten Tage, an denen du noch kein ängstliches Arschloch warst."

"Na hoffen wir mal, dass dir nicht ein Brasilianer mit 'nem riesigen Prügel in der Knast-Dusche in den Arsch fickt. Oder ich zu deiner Trauerfeier eingeladen werde. Wäre doch schade, oder, Steinberg? Ach, und, Steinberg, selber Arschloch!"

"Drei Tage, Stellan, danach kannst du dich mal ins Knie ficken!", er hielt ihm drei Finger vors Gesicht.

"Dito, Steinberg!", er hielt ihm den ausgestreckten Mittelfinger hin.

Das Glöckchen an der Tür vom Diner bimmelte. Steinberg hatte sich aufgelöst. War gegangen, wie er gekommen war: Ohne einen Gruß. Langsam drangen die Geräusche vom Diner wieder an Stellan Yorks Ohren. Steinberg hatte ihm ordentlich den Appetit verdorben. Plötzlich wurde ihm sein armseliges Leben umso bewusster. Der Job am Hafen. Die vielen, schlecht bezahlten Überstunden. Knochenarbeit. Scheiße! Aber es war ehrliche Arbeit. Er musste sich seit Jahren nicht mehr nach den Scheißbullen umsehen. Auch wachte er nachts nicht mehr auf, wenn er Schritte hörte. Schweißgebadet und mit pochendem Herzen. Er wollte diesen ganzen Scheiß nicht mehr. Aber das hier wollte er auch nicht mehr.

Er schaute sich im Diner um: Die obligatorischen Bauarbeiter, das durchschnittliche Bedienpersonal, der Koch mit der versifften Schürze. Die abgenutzten roten Polster der Sitze und Bänke. Er fluchte. Er fragte sich, was tatsächlich an der Sache dran war. Scheiße, er konnte eine halbe Million gut gebrauchen. Er hatte noch eine Menge Schulden. Er hatte seine Spielsucht zwar inzwischen in Griff, aber solange er seine Schulden nicht abbezahlt hatte, würde er immer mit dieser Zeit verbunden sein. Wie lange konnte er sie noch hinhalten? Wie lange würden die noch auf ihr Geld warten?
In schlichten Metallrahmen hingen Bilder amerikanischer Städte wie New York, Chicago und Los Angeles an den leicht vergilbten Wänden. Aufnahmen mit einer langen Belichtungszeit, sodass die Autos lange Lichtfäden hinter sich her zogen und selbst nur verwischte Silhouetten waren. Er ging jetzt seit Jahren hierher um zu essen. Nie war ihm das Diner so schäbig wie jetzt in diesem Moment vorgekommen. Alles hatte seinen Glanz verloren. War stumpf geworden. Die Fassade bröckelte. Warum war Steinberg ausgerechnet heute, nach all den Jahren hier aufgetaucht? Er sah den Batzen Kohle schon, schön aufgereiht, mit Banderole umwickelt auf seinem Bett liegen. Verflucht nochmal.

Drei Tage hatte er, um sich die Sache zu überlegen. Was hatte er eigentlich zu verlieren? Das kostbarste Gut auf der Welt hatte er zu verlieren: Seine Freiheit. Aber wie frei war er wirklich mit all den Schulden? Und was genau bedeutete für ihn, frei zu sein? Und was, wenn das Ding tatsächlich reibungslos verlief? Was, wenn er mit einer halben Million in einem Flieger sitzen könnte, auf den Weg in den Süden? Luxus konnte eine Art von Freiheit sein. Eine Art Freiheit, die er noch nie hatte kosten dürfen. Er könnte sich eine neue Existenz aufbauen, vielleicht einen Laden aufmachen. Ein kleines Restaurant.

So wie damals. Sie hatten einen Geldtransporter ausgeraubt, sie waren zu viert gewesen. Jeder von ihnen hatte sich mit seinen Anteil abgesetzt für ein paar Jahre. Er hatte sich eine kleine Existenz aufgebaut. Anfangs lief alles wie geschmiert, doch dann kamen die alten Dämonen. Sie hatten herausgefunden, wer bei der Sache mit dabei war. Und dann standen sie plötzlich vor seiner Tür. Aber da hatte sein Restaurant eh kaum noch etwas abgeworfen. Der Alkohol und die Spielschulden hatten bereits tiefe Löcher in sein kleines Vermögen gerissen. Der Laden lief dann immer schlechter. Er ging für ein paar Jahre in den Knast, kam raus wegen guter Führung. Und jetzt hatte er nur noch die Schulden am Hals und einen Job am Hafen. Stellan würde seine Schulden auf legale Weise tilgen. Nie wieder Knast. Nie wieder krumme Dinge mit alten Freunden. Nie. Wieder. Steinberg zog das Pech doch an wie Scheiße Fliegen. Und seit wann kannte ausgerechnet Steinberg jemanden, der etwas idiotensicher plante?

Kleinganove war in Steinbergs Fall ein Euphemismus. Man könnte ihn eher einen Volltrottel nennen. Und selbst das traf es nicht wirklich. Steinberg war sicher nur der Laufbursche für ein höheres Tier. Steinberg hatte nicht den Grips, um Sachen fehlerfrei zu durchdenken. Wer war dieser Morgan? Bei dem Namen klingelte es nicht. Stellan hatte den Namen noch nie zuvor gehört. Scheiße, dachte Stellan, was ist das für ein idiotensicheres Ding?

Eine halbe Million Euro – Scheiße!-, damit könnte er von vorne beginnen. Er starrte ratlos auf das Essen, rührte weder den Kaffee noch die anderen Dinge an. Da Samstag war, hatte er nicht arbeiten müssen. Er hatte bis Montag Zeit, es sich zu überlegen. Aber was gab es da groß zu überlegen? Entweder er sagte ja, oder er könne sich mal ins Knie ficken. Nein, er würde nicht mitziehen. Er würde weiterhin legal arbeiten. Da musste es einfach einen Haken geben. Warum war Steinberg nach all den Jahren zu ihm gekommen? Warum ausgerechnet zu ihm? Schon alleine das machte York stutzig. Er würde sich mal leise umhören. Mal sehen, was an der Sache dran war. Er verließ den Diner, ging schnurstracks auf seinen Opel zu und schloß ihn auf. Joseph Morgan? Hm, nie gehört, dachte York und ließ sich auf den Sitz gleiten. Er würde den Abend nutzen, um ein paar Bars abzuklappern, mal sehen, was er dabei erfuhr. Jemand musste ja was wissen. Irgendjemand wusste immer irgendwas. Gesetz der Straße.

Auf dem Beifahrersitz lag eine Flasche Whiskey, irgendein billiges Zeug, und lächelte York zu wie ein alter Freund es wohl auch getan hätte. Er würde aber warten, bis er wieder Zuhause war. Das Geld ging ihm nicht aus den Kopf. Und er dachte an seine Schulden und wie schnell er sie mit dem Geld los wäre. Er hatte sich vor sechs Jahren geschworen, nie wieder etwas Kriminelles zu machen. Seit sechs Jahren lebte er, ohne auch nur einmal das vorgeschriebene Tempolimit überschritten zu haben oder besoffen am Steuer gewesen zu sein. Nichts war im verhasster, als wieder zurück in den Knast gehen zu müssen. Die Sache war gegessen. Auf Steinberg und Jens Morgan und ihren risikolosen Plan geschissen. Und auf diejenigen geschissen, die noch vom ihm Geld erwarteten. Sie würden ihr Geld bekommen, aber er würde sich nicht unter Druck setzen lassen.
Er ließ den Wagen an und fuhr vom Parkplatz des Diners.
Er fuhr lange Zeit herum, spürte wie zweierlei Dinge an ihm nagten, einmal das angeblich so perfekt geplante Ding und ein tierischer Hunger.

Er hielt bei einem Drive-in und ordert über die Lautsprecheranlage ein Burgermenü bestehend aus McRib, Pommes und einem Erdbeermilchshake. Er fuhr bis zum ersten Fenster, und reichte einem jungen Asiaten das Geld. Der Asiate sagte zu Stellan, dass dieser am nächsten Fenster sein Essen bekommen würde.
Stellan nickte und fuhr ein paar Meter weiter. Eine heiße Brünette mit Pferdeschwanz, Ray-Ban-Hornbrille und Piercings in Lippe und Nasenflügel, reichte ihm das Essen und das Getränk. Stellan schaute ihr in die Augen, doch sie ignorierte seinen Flirtversuch.

Er fuhr weiter zum Parkplatzm, hielt den Wagen und trank seinen Erdbeermilchshake bis zur Hälfte aus, bevor er sich über die Pommes hermachte und nebenbei immer wieder in sein McRib biss. Soße bekleckerte seine Mundwinkel und tropfte ihm auf die Hose. Als er den Rest vom Milchshake trank, schloss er die Augen und stellte sich für einen kurzen Moment vor, wie die Brünette ihm einen blies. Scheiße, wenn er das Geld hätte, könne er sich eine Menge Frauen wie diese Brünette einfach kaufen. Sie würden ihm quasi die Türen einrennen, nur um mal ein bisschen am Reichtum schnuppern zu dürfen. Diese verfickten Fotzen, dachte Stellan verächtlich und drehte den Zündschlüssel um. Er legte den Gang ein. Er fuhr ohne weiteren Halt nach Oslebshausen. Er wohnte nur einen Katzensprung weit von der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen entfernt. Dort, wo er über fünf Jahre zugebracht hatte. Dort, wo er nie wieder hin zurück wollte. Es schien, als wäre er auf ewig mit jenen Teil der Vergangenheit verbunden. Mit dem schlimmsten Teil.

Das Labor

"Das soll doch hoffentlich nur ein verfluchter Scherz sein. Ein scheiß Labor? Was sollen wir aus einem verfluchten Labor klauen? Willst du scheiß Mäuse klauen? Ratten? Oder vielleicht Affen? Scheiße, ich geh' in kein scheiß Labor, Steinberg!"

"Nein, keine scheiß Mäuse oder Ratten oder Affen. Hör zu, in dem Labor, da werden Versuche gemacht. Die experimentieren dort mit so'nem Scheiß Virus, und das soll alles ziemlich geheim sein. Also, wenn wir an das Virus kommen, werden die ganz schön blöd dastehen, weil das nämlich alles streng geheim ist und niemand davon erfahren darf. Wir werden diese scheiß Wichser melken wie die Milchkühe. Die werden 'ne Menge Kohle locker machen, damit das nicht an die große Glocke gehängt wird. So sieht die Sache aus, York."

"Ist ein Witz. Sag mir, dass das ein verdammter Witz ist, Jonathan!"

"Kein Witz. Die meinen es ernst. Die verdammten Wichser habe 'ne Menge zu verlieren. Deswegen werden die jeden beschissenen Preis zahlen. Weil's eben niemand erfahren darf. Zumindest so lange sie mit ihren Forschungen noch in der Experimentierphase stecken."

"Scheiße, ich wusste ja, dass es da einen Haken gibt. Dass das mal wieder so ein faules Ei von dir ist."

"Es gibt dort einen Sicherheitsmann, sein Name ist Harold Lester, der wird geschmiert um uns reinzulassen. Der macht für eine halbe Stunde das Sicherheitssystem aus und wir können locker hineinmaschieren... dann schnappen wir uns das Virus und spazieren genauso cool wieder raus, ohne dass jemand auch nur einen Scheiß davon mitkriegt. Morgan, von dem hatte ich dir ja schon erzählt, der arbeitet dort als Laborassistent und der weiß, wo genau wir danach suchen müssen. Das wird wie geschmiert laufen, vertrau dem guten alten Steinberg."

York nippte am Bier, es schmeckte schal. Es schmeckte so schal wie das Ding, das sie drehen wollten und von dem er immer weniger überzeugt war. Er dachte, es würde um etwas Klassisches gehen wie einen Banküberfall, Überfall auf einen Geldtransporter, Entführung, Drogen. Aber ein verfluchtes Virus? Was war aus den guten alten Zeiten geworden? Jetzt drehte sich alles nur noch um Gentechnik und Forschungen, und wie der ganze Scheiß hieß. Er bereute es, sich bei Steinberg gemeldet zu haben.

Er dachte daran, wieder auszusteigen, noch war es nicht zu spät. Doch dann fiel ihm wieder ein, dass er sein gesamtes Gespartes verloren hatte. Irgendwelche Wichser waren bei ihm eingebrochen und sie hatten seine komplette Bude umgekrempelt, haben ihn um seine Ersparnisse gebracht. Zwölftausend Euro. Er war kurz davor gewesen, seine Schulden loszuwerden. Und nun fing er wieder bei Null an. Scheiße. Woher wussten die Typen von dem Geld? War es Zufall? Er konnte keine klaren Gedanken fassen. Er nahm noch einen Schluck vom Bier, wandte sich dann wieder Steinberg zu, der einer Frau in einem türkisfarbenem Kleid auf den fetten Arsch stierte. Er stieß Steinberg mit dem Ellenbogen an. Dieser wandte sich Stellan zu.

"Wenn das angeblich so geheim sein soll, wie kommt es dann, dass dieser Morgan davon erfahren hat? Ich meine, müssen die Wichser nicht irgend'n Scheiß unterschreiben, damit die nichts ausplaudern? Und wer genau steckt denn hinter diesem ach so geheimen Forschungsprojekt? Wer finanziert diese Eierköpfe? Wie heißt die Kuh, die wir melken wollen?"

"Irgend'ne reiche Type. Ziemlich einflussreich. Donald irgendwas. Soll angeblich aus Amerika sein. Hat früher mal 'ne Menge Kohle mit Brustimplantaten gemacht. Und nun soll er sich der Genforschung zugewandt haben. Ein sehr lukrativer Markt. Der macht damit ordentlich Kohle."

"Wie hoch ist die Gefahr, dass wir uns mit diesem Virus anstecken? Hast du mal daran gedacht? Oder dieser Morgan? Was, wenn die Scheiße runterfällt? Können wir dadurch draufgehen? Ich habe nämlich kein Bock an so 'ner scheiß genmanipulierten Supergrippe zu verrecken, das ist dir schon klar, oder?"

"Morgan sagt, dass die Behälter bruchsicher sind. Da kann gar nichts passieren."

"Komm mir nicht mit: da kann gar nichts passieren. Ich kann dir an die hundert Beispiele nennen, wo eben doch etwas passiert ist. Weil es ein weiteres ungeschriebenes Gesetz ist. Diese Ich-nehms-auf-die-leichte-Schulter-Attitüde passt mir nicht, Steinberg. Und ich weiß nicht, ob es das Risiko wirklich wert ist. Weil, was nützt mir das Scheißgeld, wenn hier eine scheiß Epidemie ausbricht und wir alle am Verrecken sind? Nichts! Weder dir noch Morgan oder mir. Niemanden!"

"Hattest du mir nicht vorhin erzählt, dass man dir die Bude ausgeräumt hat?"
"Weißte was: fick dich, Steinberg!"

"Soll das jetzt nein heißen?"

York schnaufte. Steinberg schaute ihn mit durchdringenden Augen an.Yorks Kiefer mahlten. Sollte Steinberg damit zu tun haben? Hatte er die Typen angeheuert, um bei ihm einzubrechen? Jetzt war er pleite, brauchte drigend Geld. Und die Gläubiger saßen ihm im Nacken. Er konnte sie noch auf ein paar Tage vertrösten.

"Ich weiß nicht, was es da noch lange zu überlegen gibt. Für mich war die Sache von Anfang an klar. Denn so leicht würde ich wahrscheinlich nie wieder an eine halbe Million Euro kommen. Und in deiner Situation würde ich nicht lange nachdenken. Ich mein, du hast alles verloren, deine gesamten Ersparnisse. Wie lange, glaubst du, werden die Kerle noch auf ihr Geld warten?"

"Ach, Scheiße!" Wie er es auch drehte und wendete, er saß in der Scheiße. Sollte York jedoch herausfinden, dass Steinberg dafür verantwortlich war, würde er ihn in Nullkommanichts den Hals umdrehen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Er behielt aber seine Vermutung erst einmal für sich. Er spürte wieder dieses Kribbeln in den Fäusten. Wie früher. Es war, als krieche ihm die Vergangenheit über die Knöchel seiner Fäuste, um sie noch härter zu machen. Er ballte sie unwillkürlich zusammen und er sah schon den roten Schleier fallen. Er wusste, dass er sich würde abregen müssen, sonst gäbe es Verletzte oder gar Tote. Doch er riss sich zusammen. Er brauchte das Geld. Er würde sich umhören, vielleicht wusste jemand, wer die Typen waren, die in seine Wohnung eingebrochen waren. Und sollte dabei auch nur einmal Steinbergs Name fallen, wäre dieser so fällig wie Fallobst

"Okay.", sagte Stellan und leerte das Bier. Steinberg klopfte ihm auf die Schulter. Stellan griff nach seiner Hand und hielt sie fest, er drückte sie so fest, dass er Steinberg aufstöhnen hörte, dann sagte er zu ihm: "Sollte auch nur ein kleiner Scheiß nicht so laufen wie geplant, bist du fällig, hast du mich verstanden?"

"Ja, und jetzt lass meine Scheißhand los!" Stellan ließ seine Hand los, stand auf und verließ die Bar. Er hielt es keine Minute länger mit diesem Bastard aus. Er stieg in seinen Wagen und machte das Radio an. Er ließ sich tief in den Sitz sinken und schloss die Augen. An seinen Schläfen spürte er den Puls schlagen.

In die Tat umgesetzt

"Also wir gehen rein, schnappen uns das Virus und latschen einfach wieder raus. Harold öffnet uns die Tür. Im zweiten Stock in einem Gefrierschrank finden wir das Virus. Das wird nicht länger als zehn Minuten dauern."

"Wie geht's dann weiter? Wie kommen wir an unser Geld?", Stellan saß breitbeinig auf einen alten Sessel. Steinberg flätzte sich auf einer durchgesessen Couch mit abgenutzten Stoff, dessen Farbe ein undefinibares Grau war. Steinberg trank Wodka. Stellan eine Coke.

"Im Anschluss treffen wir einen Mittelsmann, von dem bekommen wir unsere Kohle, danach ist das nicht mehr unser Problem. Wir sollen nur das Virus beschaffen, mehr nicht."

Stellan runzelte mit der Stirn. Steinberg lächelte optimistisch. Steinberg leerte sein Glas. Steinberg verschränkte die Arme hinterm Kopf.

"So einfach, hm?"

"So einfach."

"'Ich weiß nicht, Steinberg, das sieht doch ein Blinder mit'm Krückstock, dass die Sache irgendwie faul ist. Warum sind die bereit, so viel Kohle allein für die Beschaffung springen zu lassen? Ich meine, warum schmieren sie nicht diesen Sicherheitmann... wie war noch gleich sein Name - Lester so und so. Ich meine, der könnte doch einfach zum Gefrierschrank gehen und sich das scheiß Virus schnappen. Würden sie 'ne Menge Kohle bei sparen."

"Weil Lester keine Erfahrung in sowas hat. Der soll einfach nur das Sicherheitssystem ausschalten, mehr nicht. Mensch, York, sei doch froh drüber, dass die Sache so einfach ist. Wann bist du das letzte Mal so leicht an so viel Schotter gekommen, hm?"

"Der Grund ist, Steinberg, dass ich dir einfach nicht hundertprozentig über den Weg traue." Steinberg sprang wütend auf. Der Tisch erzitterte. Flaschen taumelten / kippten / leerten sich. Eine Sauerei entstand auf dem Tisch. Steinberg deutete mit zittrigem Finger auf Stellan. Schweiß auf der Stirn.
"Dann verpiss dich doch in dein scheiß Loch zurück. Los!" Stellan winkte besänftigend mit der Hand. Is' schon gut, is' ja gut.

"Also, ziehen wir's durch." Steinberg grinste.
Stellan war müde. Unrasiert. Er wollte einfach nur noch ins Bett, die Sache einfach nur vergessen.

Stellan hatte sich in den letzten Tagen durch zig Bars gesoffen. Ohne einen Scheiß über die Typen in Erfahrung zu bringen, die ihm um sein Erspartes gebracht hatten. Zwölftausend. Sie waren untergetaucht. Hatten offensichtlich die Stadt verlassen.

Deswegen schlief schlecht.

Träumte noch schlechter.

Er hatte zuviel gesoffen. Dabei musste er einen kühlen Kopf bewahren. Musste wachsam sein.

Er brauchte die Kohle. Er wollte von seinen Schulden weg. Er hasste Steinberg. Er würde Steinberg umbringen, falls die Sache schief lief.
Sie saßen im Auto. Steinberg lenkte den Mercedes durch die Nacht Richtung Uni. Stellan schwitzte. Er hatte sich mit Pulver zugedröhnt. In seinen Ohren rauschte es. Das Unigelände war riesig und in tiefe Schwärze getaucht. Sie sagten kein Wort. Zur Sicherheit hatten sie zwei Handfeuerwaffen mit. Neun Millimeter. Steinberg hielt und deutete auf das Gebäude. Im unteren Hausflur brannte Licht.

"Zweiter Stock. Harold ist unten und macht uns die Tür auf. Bereit?"
Stellan nickte.

Steinberg stieg aus und ließ die Tür zuknallen. Stellan folgte.
Sie traten gemeinsam vor die Tür. Die Waffen zwischen Hosenbund und Haut. Kaltes Metall auf der Haut, die Angst saß Stellan im Nacken.
Sie klopften. Nichts. Sie klopften erneut. Wieder nichts. Steinberg klingelte. Sie wurden nervös. Stellan schwitzte. Steinberg gab das Zeichen rein zu gehen. Stellan seufzte und nickte dann. Beide zückten sie ihre Waffe. Beide hatten sie die Flatter bekommen. Stellan bekam mächtig schlechte Laune. Die Tür ließ sich problemlos öffnen. Sie gingen hinein. Kein Geräusch war zu hören. Nur das elektrische Summen von Leuchtstoffröhren und anderer Elektronik. Steinberg bildete die Vorhut, Stellan war direkt hinter ihm. Der Gang war von mehreren Türen gesäumt, sie waren allesamt geschlossen. Circa zwanzig Meter weiter knickte der Gang nach rechts ab, dort herrschte Dunkelheit. Steinberg rief Harolds Namen, bekam aber keine Antwort. Stellan rüttelte an eine Tür mit der Aufschrift Security, doch sie war verschlossen. Sie bogen am Ende des Gangs nach rechts ab. Steinberg tastete nach einen Lichtschalter und fand ihn. Flackernd ging das Licht an. Ein weiterer leerer Gang, noch mehr verschlossene Türen und noch immer keine Spur von Harold Lester.

"Wo ist dieser Lester?", blaffte Stellan Steinberg an. "Steinberg, rede mit mir, verdammt! Was für eine Scheiße läuft hier? Warum ist Lester nicht hier, um uns zu empfangen?"

"Ich weiß es auch nicht, Stellan! Er sollte eigentlich irgendwo hier sein."

"Aber er ist es nicht. Wo ist er, Jonathan, wo?", Stellan war kurz davor auszurasten.

"Ist doch scheißegal, wir schnappen uns das Virus und verschwinden von hier. Vermutlich ist Lester einfach nur scheißen gegangen."

Sie erreichten die Tür zum Treppenhaus und gingen bis in die zweite Etage. Sie betraten einen Gang, in dem sich mehrere kleine Labore aneinander reihten, durch die Glasscheiben konnten sie die vielen Geräte, die für die Untersuchungen bereitstanden, und die vielen Reagenzgläser und Kolben und was nicht noch alles, sehen. Sie warfen immer nur einen kurzen Blick hinein, suchten nach dem Gefrierschrank.

Dann vernahmen sie ein leichtes Scharren oder Kratzen, als würden scharfe Zähne über Knochen oder Krallen an einer Wand kratzen. Ihre Hände umklammerten die Pistolengriffe eine Spur fester. Stellans und Steinbergs Herzfrequenz erhöhte sich. Niemand sagte ein Wort. Sie folgten den Geräuschen. Vorsichtig. Ließen ihre Umgebung nicht aus den Augen. Steinberg rief Lesters Namen, bekam aber wieder keine Antwort. Stellan wollte nur noch von hier verschwinden, hatte Lust, Steinberg einfach eine Kugel zu verpassen und anschließend zu verschwinden. Er wollte nur noch hier weg. Er bereute es zutiefst, sich doch noch auf Steinberg eingelassen zu haben. Jetzt saßen sie in der Scheiße, das spürte Stellan einfach. Er hatte es von Anfang an gewusst. Sein Instinkt hatte ihn davor gewarnt. Und nun hatte er den Salat. Sie kamen dort an, wo die Geräusche herkamen, hielten ihre Waffen schussbereit in den Raum gestreckt. Was sie sahen, ließ sie zusammenzucken. Ein junger Mann im Laborkittel hockte über einen weiteren Mann, der die dunkle Uniform eines Sicherheitsmannes trug.

Der Mann im Laborkittel hatte sich über die Kehle des Mannes am Boden hergemacht. Hatte ein regelrechtes Massaker angerichtet. Überall war Blut in den Raum verspritzt worden. Der Sicherheitsmann, Stellan vermutete, dass es sich dabei um Harold handelte, rührte sich nicht mehr, hatte die Augen starr zur Decke gerichtet. Er lag in einem See seines eigenen Blutes. Aus einer offenen Wunde am Oberkörper hingen wie Luftschlangen von einer Decke seine Innereien heraus.
Stellan taumelte, noch immer die Waffe auf den Laborassistenten gerichtet. Steinberg übergab sich an Ort und Stelle. Er keuchte. Sie versuchten zu verstehen, was sich dort vor ihren Augen abspielte, doch es gelang ihnen nicht, es war einfach zu absurd. Der Laborassistent war dabei Harold Lester zu fressen, direkt vor ihren Augen. Dann gingen sämtliche Lichter aus. Die Dunkelheit liße sie blind werden. Grelle, stroboskopartige Lichtblitze erhellten für wenige Augenblicke die Szene, als beide augenblicklich mit dem Schießen anfingen. Der Krach der Schüsse ließ sie fast taub werden Flink wie ein Tier bewegte sich der Laborassistent auf sie zu. Immer wieder durch die Mündungsfeuer erhellt, bewegte er sich wie im Zeitraffer. Sie trafen nicht ein einziges Mal, verschossen ihr gesamtes Magazin auf Wände, von denen anschließend Putz herabregnete und auf Glas, das augenblicklich zersplitterte. Stellan lief blindlings den Gang zurück. Dann hörte er einen grellen Schrei. Doch er achtete nicht weiter darauf, sondern lief einfach weiter und weiter.

Im Halbdunkel sah er die Tür zum Treppenhaus, doch bevor er sie erreichte, spürte er, wie ihn etwas zu Boden riss und wie sich Zähne in seinen Hals gruben. Stellan schrie auf, wehrte sich mit aller Kraft, hieb immer wieder mit der Waffe auf Körper und Kopf des Angreifers ein. Er hörte ein leises Knacken, doch er schlug immer weiter auf den Kopf ein, und spürte das warme Blut des Laborassistenten auf sich herabregnen. Der Körper über ihn erschlaffte dann bald darauf und blieb regungslos liegen. Stellan atmete schwer.
Seine Nerven lagen blank. Er schob den leblosen Körper zur erst Seite, dann richtete er sich wieder auf. Die Wunde am Hals blutete stark. Benommen ging er die Treppen ins Erdgeschoss hinunter und verlor eine Menge Blut dabei. Mit seiner Hand versuchte er Druck auf die Wunde auszuüben, was ihn nur mäßig gelang. Einmal wäre er fast mehrere Treppen runter gestolpert, konnte sich aber gerade so noch vor den Sturz retten.
Er trat durch die Tür des Gebäudes und kühle Luft schlug ihm entgegen. Er taumelte bis zum Auto, schaffte es sogar noch, sich auf den Fahrersitz zu hieven, doch dann brach er erschöpft zusammen.
Als er aus der Ohnmacht erwachte, hatte er einen unglaublichen Appetit auf rohes Fleisch.

 

Servus Eraserhead,

deine Geschichte beginnt recht flott und spannend. Also den ersten Sätzen, dieser Szene im „Diner“, gelang es schon mal, mich reinzuziehen, ich ahnte wo das vielleicht hinführt.
Das könnte so eine düstere, schnelle Gangsterstory sein, dachte ich mir, über das letzte, endgültige Scheitern abgetakelter Kleinganoven, dunkel, böse und hoffnungslos.
James Elroy und Dashiell Hammet stehen hier möglicherweise Pate, und auch die Atmosphäre, die du zu erzeugen versuchst, deutet in diese Richtung. Die Namen der Figuren (York Stellan, Earl Steinberg, Morgan), das „Diner“, die Kellnerin, die Kaffee nachschenkt … damit willst du dem Ganzen wohl so eine Art amerikanisches Flair verleihen, wie wir es aus den einschlägigen Büchern und Filmen kennen.
So richtig funktioniert das allerdings nicht.

„(…) und dann sitzen wir im Flieger, bye bye Deutschland!"

Dieser Satz irritiert mich und lässt deinen Kunstgriff mit der originellen Namenswahl einigermaßen bemüht wirken.
Und genauso unentschlossen geht es dann weiter. Immer wieder schreibst du wirklich gute, prägnante Sätze, teilweise auch fetzige, stimmige Dialoge, aber irgendwie hatte ich beim Lesen das Gefühl, du traust dich nicht, diese Rasanz konsequent durchzuziehen. Du beginnst bald, dich in der Beschreibung des immer wieder selben zu verzetteln, z.B.:
Aber wie frei war er wirklich mit all den Schulden?
Er hatte noch eine Menge Schulden. Er hatte seine Spielsucht zwar inzwischen in Griff, aber solange er seine Schulden nicht abbezahlt hatte, würde er immer mit dieser Zeit verbunden sein. Wie lange konnte er sie noch hinhalten? Wie lange würden die noch auf ihr Geld warten?
Und er dachte an seine Schulden und wie schnell er sie mit dem Geld los wäre. Er hatte sich vor sechs Jahren geschworen, nie wieder etwas Kriminelles zu machen.
Scheiße, wenn er das Geld hätte, könne er …
Er brauchte die Kohle. Er wollte von seinen Schulden weg.
Usw., usw.

Hammett, Elroy, Chandler, wer auch immer dir eventuell als Vorbild diente, zeichnen sich u.a. durch die Ökonomie der von ihnen eingesetzten Mittel aus. Bei dir dagegen wird viel zu ausgiebig herumerzählt und wiederholt.

Tja, und das Ende!
Bitte nicht böse sein, aber das Ende fand ich einfach nur lächerlich und billig. Zombies, du meine Güte, ich fühlte mich richtiggehend verarscht.
Und meinte plötzlich auch zu erkennen, dass du vielleicht nur deshalb während der Geschichte immer wieder auf der Stelle getreten bist, weil du selbst um das schwache Ende wusstest und dieses möglichst lange hinauszögern wolltest.

Würdest du stattdessen dir einen wirklich originellen (ja, meinetwegen auch blutrünstigen) Schluss einfallen lassen und obendrein die gesamte Story gehörig straffen und verdichten, könnte echt was werden draus, glaube ich, ich sehe da wirklich gute Ansätze drin.

Aber du musst natürlich auch auf Kleinigkeiten, auf Nuancen achten, als Beispiel diese Dialogzeile:

„… Verdammt, das wird reibungslos ablaufen, der Typ, sein Name ist Jens Morgan, der hat das alles sauber geplant."
der Typ, dieser Morgan, … Das klingt doch so gleich viel lebendiger, echter.
Solche Kleinigkeiten entscheiden für mich über Wohl oder Wehe eines Textes, und damit bin ich sicher nicht alleine.

Und apropos Wohl oder Wehe:
Wie schon in deinen ersten Texten finden sich auch hier wieder haufenweise Fehler, die aufzuzählen mir momentan leider die Zeit fehlt. (Sollten sich nicht ohnehin die unermüdlichen Lektoren Schwups und dotslash der Fehler annehmen, mache ich es beizeiten gerne.)

Also, ich empfehle dir, die Geschichte noch einmal zu überarbeiten, weil, wie gesagt, stellenweise ist sie schon sehr stark geschrieben.

offshore

 

Vielen, vielen Dank für deine Ausführungen. Das Ende, ja. Das habe ich in aller Schnelle einfach hingetippt, ohne mir wirklich über die Konsequenten Gedanken gemacht zu haben. Das ist Ende ist nicht das eigentliche, für die Geschichte gedachte Ende, da diese Situation - was ich selbst inzwischen als ziemlich dumme sehe - Teil eines größeren Ganzen sein sollte und ich nun als Kurzgeschichte eingestampft habe. Tja, schade drum. Diese Rechtschreibfehler machen mir auch zu schaffen, ich sollte und werde in Zukunft meine Geschichten von jemand anderes Korrektur lesen lassen. So ist das nur ärgerlich für die hiesige Leserschaft. Mich hat sehr gefreut, dass du, offshore, auch Positives in meiner Geschichte gefunden hast.

Vielen Dank offshore.

 

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