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Das Mondkalb
Kennt ihr das auch? Kommt das Mondkalb bei euch auch öfter vorbei? Bei uns muß es erst wieder ordentlich gewütet haben!
Letzen Sonntag bei den gemeinsamen Frühstücksvorbereitungen: Der Zuckertopf muß aufgefüllt werden. Xaver öffnet den Vorratsschrank und entnimmt das Zuckerfaß. Beim Nachfüllen murmelt er leise vor sich hin: „Welches Mondkalb hat denn hier wieder den Löffel herausgenommen?“ Kurz überlege ich, ob ich reagieren muß, aber nein – ich bin ja kein Mondkalb.
Also weiter geht’s mit den Frühstücksvorbereitungen. Xaver stellt den Backofen an. Die Brötchen müssen aufgebacken werden. Tüte raus, aufgeschnitten, gewünschte Anzahl entnehmen, Ofen auf 180° C, Ofentür auf und ... die Aluschale, auf die eigentlich die Brötchen kommen – weg, einfach weg. Fragend schaut Xaver mich an. Vorsichtshalber zucke ich unschuldig mit den Schultern. Xaver: „Muß wohl ein Mondkalb entsorgt haben!“ Na, Gott sei Dank, hatte ich doch schon kurz gezweifelt, ob ich die Aluschale beim letztenmal in den Müll geworfen habe, aber auch das war das ominöse Mondkalb.
Inzwischen kochen die Eier, der Teekessel pfeift, die Uhr für die Brötchen klingelt. Gutes Timing, alles ist auf einmal fertig. Jetzt bräuchte man mehr als nur zwei Hände pro Person. Alles schnell ab- und aufgegossen, Brötchen aus dem Backofen nehmen und den Tisch zu Ende decken. Puh, Xaver und ich nehmen Platz. Tee eingegossen, Eier aufgeschlagen und Griff zum Salz. Salz? Hach, wo ist das Salz? Vergessen? Xaver: „Das kommt davon, wenn einem ein Mondkalb beim Frühstück machen hilft.“ Komisch, denke ich, außer mir und ihm habe ich gar keinen in der Küche gesehen. Achselzuckend frühstücke ich weiter ...
Tage später. Ich kann nicht schlafen, der Vollmond scheint vorwitzig durch den Gardinenspalt direkt in mein Gesicht. Von links nach rechts gedreht, vom Rücken auf den Bauch, vom Bauch auf die Seite und zurück. Nee, das hat keinen Zweck mit dem Schlafen. Da kommt mir eine Idee: Vollmond gleich Mondkalb? Ob da wohl ein Zusammenhang besteht? Schnell aufgerichtet, die Decke zurückgeschlagen, schwups, die Beine rechts aus dem Bett, Füße in die Filzpantoffeln, den geblümten Morgenrock übergeworfen und auf geht’s ... zur Suche nach dem Mondkalb. Die Kirchturmuhr schlägt. Zwölf Mal ... Geisterstunde.
Im Dunkeln tapse ich aus dem Schlafzimmer und mache mich auf den Weg in die Küche, obwohl ... vorgestern hat Xaver seinen Nagelknipser im Bad gesucht und nicht gefunden. Seiner Meinung nach hatte auch da wieder ein Mondkalb zugeschlagen ... Ach was, erst mal die Küche, entscheide ich mich. Leise und auf Zehenspitzen schleiche ich die Treppe herunter Richtung Küche. Nichts ist zu hören, nur das Schlurfen meiner Pantoletten auf dem Parkett.
Da, da blinkt doch etwas in der Küche ... und ein ganz leises Geräusch ist auch zu hören. Meine Hand schnellt zum Lichtschalter vor und betätigt ihn. Die Küche erstrahlt in hellem Licht und auf den Fliesen stehen völlig überraschte, kleine Heinzelmännchen. Mit roten Zipfelmützen auf ihren Köpfen, große Filzpantoffeln an den Füßen, graue Jäckchen mit schwarzen Knebelknöpfen, braune Hosen mit akkuraten Bügelfalten – so gekleidet stehen sie wie auf einer Bühne im Scheinwerferlicht. Vor Schreck lassen sie einfach alles fallen und laufen kreuz und quer durcheinander auf der Suche nach einem Versteck.
„He, zu spät“, flüstere ich ihnen zu, „ich habe euch doch längst gesehen." Verdutzt bleiben sie stehen, einer tritt aus der Gruppe heraus, zieht seine Zipfelmütze vom Kopf und sagt schüchtern: „Äh ... guten Tag, eh, gute Nacht ... darf ich mich kurz vorstellen ... Heinz ist mein Name ... Heinz der 24.“ Verdutzt schaue ich ihn an. „Mein Name ist Berta und ich wohne hier“
„Ach“, sagt Heinz der 24., „das trifft sich ja gut, wir auch“.
„Was macht ihr eigentlich um diese Zeit in der Küche?“ frage ich.
„Also, das ist so ... unser Mietvertrag ist zeitlich befristet und gilt nur jede Nacht für die Zeit von 0.01 bis 0.59 Uhr und in der Zeit versuchen wir alle Dinge, die das Mondkalb verbusselt hat, wieder an den richtigen Ort zu bringen" ,erwidert Heinz der 24. auf meine Frage. Ach, die kennen das Mondkalb auch, denke ich kurz.
Ich schaue mich um. Auf den Küchenfliesen liegt ein kleiner Löffel, ein Nagelknipser, unser Salzfaß und noch vieles mehr. Ich frage: „Wo wollt ihr denn mit dem kleinen Löffel hin?“
„Na stell dir vor, den hat doch dieses Mondkalb im Zuckerfaß vergessen. Der gehört doch in den Besteckkasten", antwortet Heinz der 24.
„Und die Aluschale?“ lautet meine nächste Frage.
„Die hat das Mondkalb im Backofen vergessen, obwohl diese benutzt war. Die gehört doch dann in den Müll!“ meldet sich ein mir namentlich unbekanntes Heinzelmännchen zu Wort.
„Und wo habt ihr den Nagelknipser her?“ frage ich erneut.
Verlegen scharrt Heinz der 24. mit seinen Füßen auf den Fliesen herum und antwortet mit hochrotem Kopf: „Na, der lag im Badezimmerschrank, wo er hingehört. Aber wir wollten das Mondkalb auch einmal ein bißchen ärgern und haben den Nagelknipser einfach so zu den Haushaltsscheren gelegt.“
Die Kirchuhr schlägt. Es ist 0.30 Uhr. Ich überlege kurz und sage dann: „Na dann will ich euch mal nicht länger aufhalten. Ihr habt bestimmt noch viel zu tun.“
„Oh ja, unsere Zeit ist ja bald rum und das Mondkalb hatte wohl am Wochenende gar keine Zeit, um aufzuräumen, so durcheinander wie das ist.“ Ich nicke Heinz dem 24. und den anderen Heinzelmännchen kurz zu, strecke meine Hand wieder zum Lichtschalter aus und betätige ihn erneut. Dunkelheit umfängt mich. Ich mache mich auf den Weg zurück ins Schlafzimmer.
Angekommen, öffne ich leise die Tür, schlüpfe hinein und nehme das vor mir liegende Bild in mir auf. Der Mond scheint immer noch durch den Gardinenspalt, aber nun in das Gesicht von Xaver, der tief schläft und leise vor sich hinschnarcht. Ich lege mich neben ihn, schau ihn schmunzelnd an und denke, wenn du wüßtest, du kleines liebes Mondkalb.
Die Kirchuhr schlägt wieder ... 1.00 Uhr. Ich kuschel mich in mein Bett, ziehe die Decke ganz hoch und schlafe ein.