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Das Monster in der Mine
»Monster! Monster!! Monster!!!« Vorarbeiter Flint ruderte mit den Armen und warf Blicke über seine Schulter, während er den langen Feldweg hinunter eilte, der ihn nach Hause führte. Flints Körper war in den letzten Jahren enorm in die Breite gegangen, was dafür sorgte, dass die Regulationssoldaten, die das Stadttor bewachten, den Stürmer ob seines Tempos mit einem anerkennenden Nicken bedachten, bevor sie das Tor hochzogen.
Da der füllige Vorarbeiter bereits in der Vorwärtsbewegung war, sah er nicht ein, vor dem Stadttor Halt zu machen, um seine Personalien überprüfen zu lassen. Er stieß einen Soldaten beiseite und warf sich zu Boden, um durch den Spalt in Sicherheit zu rutschen. Als er sich vergewissert hatte, dass ihm niemand gefolgt war, blieb er liegen und schnaufte schwer.
»Bist du noch zu retten, Mann?«, beklagte sich der zur Seite gestoßene Soldat und rappelte sich auf.
Flint wimmerte, rollte sich auf den Rücken und schnappte nach Luft.
Dem Hauptmann, der die ganze Szene beobachtet hatte, passte das Verhalten des Vorarbeiters nicht, der für die Aufsicht über eine ganze Gruppe Minenarbeiter verantwortlich war. »Was ist eigentlich los mit dir? Du schreist herum, als wäre der Teufel persönlich hinter dir her. Wo sind deine Leute?«
»Monster!«, wiederholte Flint.
»Monster?«, entgegnete der Hauptmann und zog die Mundwinkel lang. Er packte Flint am Kragen und zog ihn auf die Beine zurück. Sein Gegenüber nickte hektisch.
»Monster!«, antwortete er. Damit schien alles gesagt zu sein. Der Hauptmann nahm seinen Umhang ab, wickelte ihn um Flint und stützte ihn, um ihm den Weg zum Büro zu vereinfachen.
Zwei unbeteiligte Soldaten, die das ganze Schauspiel beobachtet hatten, sahen einander an. Irgendetwas musste ihnen entgangen sein.
»Habe ich gerade etwas verpasst?«, fragte ein Soldat, der ein Geschütz bemannte.
»Das ist wohl eine Art Jargon für Anführer«, vermutete ein Anderer, der den Dampfkessel eines Lastwagens reparierte. »Jeder weiß, dass die Leute aus den Führungsriegen nicht viele Worte brauchen, um eine Botschaft zu übermitteln.«
»Ah.« Der erste Soldat ließ die Trommel seines Geschützes rotieren und dachte über die Worte seines Kameraden nach. »Verstehe. Das scheint aber nur zu klappen, wenn sie untereinander reden.«
Eine längere Pause des Sinnierens schloss sich an.
»Vermutlich ist es die Art wie man das Wort ausspricht«, theoretisierte der Andere.
»Du meinst, dasselbe Wort kann ein oder mehrere Bedeutungen haben?«
»Mhm.«
»Monster. MON-ster. Mohnster. Moharnster.«
»Monster«, sang der über Funk zugestellte Kamerad im Tenor.
»Da ist was dran. Ich glaube, du hast Recht.«
Die Stute Kimba schritt gemächlich einen gewundenen Feldweg entlang, der links und rechts von erntereifem Korn flankiert wurde. Auf dem Rücken des Pferdes stöhnte der Jäger Geoff und hielt sich seine Hände vor die Augen, als er einige traditionell bekleidete Landbewohner passierte, die auf dem Feldweg tanzten.
»Es reicht«, murmelte er, »Ich bin von malerischen Landschaften so was von bedient. Überall sieht es aus wie auf einem Landschaftsgemälde.«
»Guten Tag, Meister Jäger!«, rief ein freundlicher Bauer, der auf einem Strohhalm herumkaute. Er winkte dem Reisenden zu und stützte sich auf seine rostige Sense.
»Du kannst mich kreuzweise!«, antwortete Geoff und formte mit den Fingern eine Geste, die aus Jugendschutzgründen nicht näher beschrieben werden soll. Der Sohn des Landwirtes, der in unmittelbarer Nähe seines Vaters Schmetterlingen nachjagte, begann zu weinen.
Eine in der Umgebung stattfindende Bauernhochzeit setzte dem Ganzen die Krone auf. Der Jäger hörte Leute singen. In der Ferne sah er einen Holzpfahl stehen, an dem bunte Girlanden hingen. Der Wind trug das heitere Gelächter der Leute zu ihm und wiegte das Korn wie eine Hand, die sanft durch das Fell eines Hundes strich. Geoff hielt sich die Ohren zu und knurrte.
»Ich darf jetzt keine Dummheiten machen, Kimba. Mir gefällt es hier auch nicht, aber Job ist Job«, murmelte er und griff nach dem Pergament mit der Auftragsausschreibung, das ihn an diesen Ort geführt hatte. Offenbar gab es ein Monsterproblem in einer der Minen von New Sidesvale. Geoff, Doktor und Meisterjäger im Fachgebiet „paranormale Aktivitäten“, hatte den Auftrag angenommen, ohne sich über das Umland schlau zu machen. Hätte ihm jemand gesagt, dass ihn die Hölle in Herbstfarben erwarten würde, wäre er vermutlich am Anschlagbrett vorbeigegangen.
»Wir brauchen das Geld, Kimba«, erklärte er seinem Pferd, das mit der Verwaltung seiner Aufträge überhaupt nichts zu tun hatte. »Du musst neu beschlagen werden und neues Zaumzeug würde dir sicher auch gefallen. Ich brauche Munition, Vorräte und Kleidung. Schließlich steht der Winter vor der Tür.«
»Halt!«, rief ein Soldat und streckte seine Hand nach vorne. »Gib mir fünf!«
»Was.« Geoff seufzte. »Ich habe keine Zeit für derartigen Unfug.«
»Kennst du das alte Sprichwort nicht, Meister Jäger? Gib einem Jäger fünf und du hast Glück!«
Natürlich kannte Geoff dieses Sprichwort und es ging ihm gehörig auf den Zeiger. An jeder Ecke stand irgendein Idiot und streckte ihm die Hand entgegen. Er hatte bereits vor langer Zeit aufgehört, diesem alten Brauch nachzukommen und tat stattdessen Folgendes: »Du hast das Sprichwort falsch verstanden. Gib dem Jäger fünf und es bringt dir Glück.«
»Das sagte ich doch.«
»Du meinst, dass sie meinen, du sollst mir fünf geben. In Wirklichkeit, und das sage ich als Jäger, meinen die Leute, dass du mir fünf Crowns geben sollst. Dann gibt es Glück.«
»Oh. Ach so?«
»Mhm.«
»Na, wenn das so ist ...« Der Soldat kramte fünf Münzen aus dem Beutel, der an seinem Gürtel hing und übergab sie dem Jäger. »Wann geht es denn los mit dem Glück?«
»Keine Ahnung.« Geoff zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Zeit, um mit dir darauf zu warten. Ich muss zum Hauptmann. Jägerangelegenheiten.«
»Ah, das Flugblatt? Ja! Er erwartet dich bereits in seinem Büro. Bring dein Pferd zum Stall und ich führe dich hin.«
»Da drin ist das Büro des Hauptmannes!«, sagte der Soldat, der auf dem Weg zur Kaserne in einen Eimer voller Jauche getreten war. Das passierte ihm nur, weil er einer schwarzen Katze ausweichen wollte, die ihm vor die Stiefel lief.
»Danke, Soldat.« Geoff klopfte dem jungen Mann auf die Schulter. »Vorsichtig, die Leiter ...«
»Huch! Das war knapp. Gut, dass ich noch rechtzeitig unter ihr durch gehen konnte.«
»Mhm.« Geoff klopfte an der Tür an. Es beunruhigte ihn, als er das Geräusch eines Reißverschlusses hörte, der hochgezogen wurde.
»Das kann doch nicht ...« Im Büro rumpelte es. Zwei Männer unterhielten sich und klangen getrieben. »Herein!«
Geoff zog die Brauen hoch und trat ein. Als er die Tür schloss, hörte er einen Spiegel zerbrechen.
»Oh weia«, rief ein Soldat.
Das Büro des Hauptmannes sah unaufgeräumt aus. Eine Büste des Bürgermeisters lag auf dem Boden. Vom Wandgemälde, das ein wunderschönes Landschaftsbild zeigte und Geoff wütend machte, fehlte ein Stück. Die Luft roch nach Wein, was wohl an der Karaffe lag, die umgefallen war und den Papierkram, der auf den Tisch lag, rot verfärbte. Auf einem Stuhl mit erstaunlich hoher Lehne saß der Hauptmann und bemühte sich um einen Funken von Autorität. In dem Durcheinander war es für ihn gar nicht einfach, ein gewisses Maß militärischer Korrektheit zu wahren. Neben ihm stand ein dicker Mann mit hochrotem Kopf und schwankte. Auf seinem grauen Gehrock befanden sich zahlreiche Weinflecken.
»Die Vase am Fenster brennt«, merkte Geoff an.
»Tut sie nicht«, entgegnete der dicke Mann und stieß sie aus dem offenstehendem Fenster.
»Aua!«, rief ein Soldat.
»Dein Haar! Es brennt!«, warnte ein anderer.
Geoff räusperte sich und hob das Ausschreiben hoch. »Ich bin wegen des Auftrags hier.«
Der Hauptmann zog die Brauen hoch und lehnte sich in die Pfütze, die sich auf seinem Schreibtisch gebildet hatte. »Na endlich. Hören Sie zu, ich möchte nicht, dass jemand fragt, wofür wir diesen Tee brauchen und warum es dreißig Tonnen sein müssen ...«
Geoff fuhr mit Nachdruck dazwischen: »Der Monsterauftrag.«
Der Uniformierte sah den Jäger an und faltete seine Hände. »Ach so.« Schweigen.
Die drei Herren betrachteten einander. Der dicke Mann schniefte.
»Vergessen Sie das mit dem Tee«, sagte der Hauptmann.
»Schon geschehen. Kommen Sie zum Punkt.«
»Vor einigen Tagen kam es zu einem Zwischenfall in einer unserer Minen. Vorarbeiter Flint, der hier neben mir steht, hat drei seiner Männer als vermisst gemeldet und von einem Monster berichtet, das sie angegriffen hat.«
»Details.« Geoff kämpfte gegen den inneren Drang, auf einem Stuhl Platz zu nehmen.
»Ich habe nicht viel gesehen, Meister Jäger. Es war dunkel im Stollen. Wir haben unsere Arbeit getan, als wir dieses unmenschliche Kreischen gehört haben. Als ich einen meiner Männer schreien hörte, hat mich die Panik gepackt und ich bin davongelaufen, ohne mich umzudrehen. Ich bin von der Mine bis nach Hause gerannt, ohne eine Pause zu machen.«
Geoff hob eine Braue und nickte. »Ich sehe mir die Mine mal an. Mein Grundhonorar beträgt 1000 Crowns. Je nachdem, was mich da drinnen erwartet, wird es einen Aufschlag geben und einen Gefahrenzuschuss verlange ich auch. 1200. Grundpreis. Nicht verhandelbar.«
»Aber wir haben …«
Geoff stöhnte und unterbrach den Hauptmann erneut: »... nicht so viel, weswegen wir in der Mittagszeit Wein in unsere Rüben kippen und mit feinen, handgemachten Gehröcken herumsitzen, während wir teure Kunstobjekte zerstören. Verkauft mich nicht für dumm. Für diese Frechheit möchte ich die Hälfte im Voraus, sonst könnt ihr euch einen anderen Idioten suchen.«
»Gib ihm das Geld, Hauptmann.« Der Vorarbeiter stand wie eine Eins.
»Warum? Du hast den Auftrag ausgeschrieben und es waren deine Männer!«
»Jetzt gib ihm das Geld!«
Der Hauptmann schimpfte leise und zahlte Geoff aus, der wie ein Adler auf der Jagd jede Münze beäugte, die ihm überreicht wurde.
Draußen rief ein Soldat: »Nein! Renn da nicht rein! Das ist doch das Schwarzpulversilo!«
Dann gab es einen Knall.
»Etwas stinkt da, Kimba.« Sein Pferd schnaubte. Es schien sich zu fragen, warum der Jäger jedes Mal mit ihm sprach, obwohl er genau wusste, dass es nichts dazu zu sagen hatte. »Flints Aussage schmeckt mir nicht.«
Der Jäger folgte dem Feldweg, passierte die Taverne der rückständigen Minna und bog an der ersten Gabelung rechts ab. Genau wie man es ihm erklärt hatte. Der Weg wurde derartig schmal und steinig, dass Geoff seine Stute zurücklassen musste. Er wusste, dass Kimba nicht ausbüxen würde und ließ das Pferd am Straßenrand grasen.
Geoff schulterte sein Gewehr und setzte seinen Lederhut auf. Er packte Munition, etwas heiliges Wasser und ein Kräutersäckchen in eine Gürteltasche. Man wusste schließlich nie, mit was man es zu tun haben würde.
»Hier ist es steil und gefährlich. Wenn er, wie er gesagt hat, vom Mineneingang aus bis nach Hause gerannt ist, hat er die Balance eines Seiltänzers ...«
Er folgte dem steilen Weg, bis er den Zugang zum Minenschacht erreichte. Vor der breiten Höhle lagen die Leichen von zwei Männern. Eine getrocknete Blutspur hatte es sich auf dem Weg bequem gemacht und mündete in einer roten Pfütze direkt vor seinen Stiefeln. Neben den Männern lagen Bergarbeiterhelme, deren Lichter noch brannten.
»Eigenartig«, brummte Geoff. »Sie sind vor einem Monster geflohen und haben ihre Helme abgenommen?«
Der Jäger untersuchte die Umgebung. Neben einer gefüllten Lore, in der sich hauptsächlich Kohle und Gestein befand, und einigen Fässern voller Öl fand er nichts Nennenswertes. Die Leichen waren wesentlich interessanter. Einer der Männer lag mit dem Gesicht zu Boden, der andere schaute mit einem Auge, das angemaltem Papier ähnelte, in den Himmel. Das zweite Auge fehlte, was Geoff dem riesigen Loch zurechnete, dass im Kopf des Toten klaffte.
»Der ist nicht geflohen«, stellte Geoff fest. »Sein Körper war im Ruhezustand, als der tödliche Schlag ihn erwischt hat. Sicher ist, dass er von irgendwas überrascht worden ist. Aber nicht von hinten. Die Klaue oder das Objekt wurde dem Burschen frontal in den Kopf geschlagen. Was auch immer es war, es muss eine Mordskraft gehabt haben. Der zweite Mann hat ähnliche Verletzungen, allerdings wurde er am Hinterkopf erwischt. Zwei Mal, wie es aussieht. Das erste Mal hat wohl nicht gereicht. Er wollte fliehen, aber nicht von der Mine weg, sondern in sie hinein. Interessant.«
Geoff sammelte einen der Helme auf und zog ihn über seinen Hut. Er betrat die Mine und pfiff laut. Sein Pfeifen drang in den Schacht und verstummte, als hätte man es verschluckt. Er erhielt keine Antwort.
»Hier sieht es nicht nach einer Flucht aus«, murmelte er. Ein Generator röchelte in seinen letzten Atemzügen und die Lampen, die er mit Energie versorgte, flackerten. Die Vorräte waren penibel aufgereiht. Einige Werkzeuge, Spitzhacken und Schaufeln, lagen sortiert in offen stehenden Kisten. Ein Fass enthielt Dynamitstangen, die nie zum Einsatz gekommen waren.
»Da hatte jemand weiterführende Pläne«, schlussfolgerte er und wagte sich vorwärts.
Die Luft im Schacht war kühl und wurde stickiger, je tiefer er in den Stollen hinein ging. Die Öllampen an den Wänden hatten ihren Dienst bereits eingestellt. Geoff folgte den verlegten Schienen, bis er eine Abzweigung erreichte. Der Geruch, der ihm in die Nase stieg, ließ keine Zweifel daran, in welche Richtung er zu gehen hatte: Fernab der Schienen, in einem Nebenstollen, verrottete ein Kadaver.
»Herzhaft«, brummte der hochgewachsene Mann und hielt sich seinen Hut vor die Nase. Einige Fußspuren gaben Aufschluss darüber, was an dieser Stelle geschehen war: »Hier hat jemand gewartet. Die Fußspuren sind tief genug, um daraus zu schlussfolgern, dass es Flint gewesen sein muss.« Der Fachmann betrachtete die Leiche, die mit dem Gesicht voran im Dreck lag. Der Schädel des Mannes war eingeschlagen worden. »Da hat aber jemand Abstand gehalten, als es gekracht hat ...«
Er schritt über den Toten hinweg und folgte einer Spur, die aussah, als wäre etwas über den Boden geschleift worden. »So, so«, kommentierte der Jäger, als er die Spitzhacke des Bergarbeiters fand, die auf dem Boden lag. »Die hat er fallen gelassen. Wollte wohl weg. Weg von ...« Er trat einige Schritte nach vorne, bis ein hektisches Rasseln einsetzte. »Dir!«
Der Jäger drehte den Kopf nach rechts und leuchtete mit der Helmlampe in eine Höhle, in der mehrere Felsen lagen. Wieder rasselte es und etwas zischte. »Eine Bohrwurmkolonie.«
Geoff beobachtete zahlreiche Drohnen, die so groß wie sein Fuß waren. Kleine Fühler ertasteten das Terrain vor ihnen. Als sie vom Licht des Helms getroffen wurden, quietschten die Kreaturen auf und rollten sich zu Bällen zusammen. Inmitten der Höhle lag ein riesiges Exemplar und fixierte den Eindringling, obwohl es keine Augen besaß. Es öffnete sein gigantisches Maul und präsentierte drei Reihen spitzer Zähne, während es mit dem Schweif, an dem sich eine runde Verhärtung befand, auf den Boden trommelte.
»Eine Matriarchin.« Geoff schaltete umgehend das Licht aus. Das Monster zischte und er konnte hören, wie es über den Boden kroch. »Du verteidigst deine Kolonie, mh?«
Der Jäger ging mehrere Schritte zurück und hielt still. Die Matriarchin kroch zu ihm, zischte ihm ins Gesicht und benetzte ihn mit Bohrwurmschleim.
»Ew.« Der Jäger schüttelte sich, verhielt sich aber weiterhin passiv.
Als die Matriarchin merkte, dass Geoff keine Gefahr für ihre Kolonie darstellte, kroch sie zurück. Der Jäger wusste, dass er unter strenger Beobachtung stand, wenn man dies so nennen konnte.
»Damit ist mir eigentlich alles klar«, sagte der Vollgeschleimte und entfernte sich langsam.
Bevor er die Mine hinter sich ließ, zündete er eine Dynamitstange und warf sie in den Hauptschacht. Die Detonation löste brüchiges Gestein, das die Höhle verschloss.
Flint wanderte über die generalüberholte Hauptstraße von New Sidesvale und klopfte mit seinem Gehstock den Takt einer Melodie, die er bei der Konferenz, von der er gerade kam, gehört hatte. Er summte leise.
Es war Nacht geworden und die Dunkelheit hatte die Straßen für sich eingenommen. In New Sidesvale war der Dampfwagen noch nicht weit verbreitet, weswegen der Vorarbeiter mitten auf der Fahrbahn gehen konnte. Ein elektrisches Surren breitete sich aus, als die Straßenlampen mit der Nachtschicht begannen.
»Ah!«, rief Flint, klatschte begeistert in die Hände und lächelte.
»Flint«, sagte jemand, der sich von hinten an den fülligen Mann herangeschlichen hatte.
Der Vorarbeiter erstarrte und nahm eine steife Haltung an. Der Gewehrlauf zwischen seinen Schulterblättern versprach nichts Gutes. »Meister Jäger.«
Der Jäger sagte nichts. Das Drücken des Laufs diktierte die Richtung und das Tempo. Flint atmete tief ein und langsam aus. Ein normaler Bürger wäre von einer wenig vorteilhaften Abendentwicklung ausgegangen, doch Flint hatte mit etwas Derartigem gerechnet.
»Du hast nicht ernsthaft geglaubt, dass ich die Bohrwurmkolonie zerstöre, mh?«, fragte der Jäger in einer Seitengasse. Eine Katze sprang von einer Mülltonne und suchte das Weite.
»Natürlich nicht.« Flint bewahrte Haltung. Sein Gesprächspartner ließ die Waffe sinken und trat vor ihn.
»Wusstest du von der Matriarchin?«
»Ja.« Flint stützte sich auf seinen Gehstock. »Bedauerlicherweise hat sie nur einen erwischt.«
»Und die zwei anderen?«
Flint schüttelte mit dem Kopf. »Eine Sauerei. Notwendig, leider, aber dennoch unschön.«
Der Jäger nickte. »Mhm. Warum habt ihr den Auftrag ausgeschrieben?«
»Das stellt die Bevölkerung ruhig. Wenn es heißt, ein Monster wäre für die Toten verantwortlich, stellt keiner unangenehme Fragen.«
»Nun.« Der Jäger presste dem Gehrockträger den Gewehrlauf an den Hals. »Ich bin Monsterjäger und gehe gerade meinem Beruf nach. Nenn mir einen guten Grund, warum ...«
Diesmal unterbrach Flint den Monolog: »Ich kann dir sogar mehrere Gründe nennen. Erstens: Ich bin ein angesehener Bürger dieser Stadt und mein Tod würde dafür sorgen, dass dir im Nu ein halbes Regulationsregiment folgt. Zweitens: Das Ableben dieser Männer ist bedauerlich, aber im großen Ganzen ein zumutbarer Rückschlag. Es reicht, wenn ich dir sage, dass sie Problemfälle waren. Drittens: Wenn die Geschichten stimmen, dann gilt die Jägergilde als Neutral. Sie mischen sich nicht in die politischen Belange unseres Kontinents ein und bekommen dafür an jeder Ecke Arbeit. Selbst, wenn sie zwischen zwei verfeindeten Nationen hin und her pendeln.«
»Du hast mich für irgendwelchen politischen Dreck benutzt?«, grollte der Jäger und drückte den Lauf fester an den Hals von Flint. Er schien seine Waffe mit einem Dolch zu verwechseln. Langsam wurde dem Vorarbeiter mulmig. Der Gedanke, dass seine Gleichung Fehler enthielt, ließ seinen Magen zu einem Stein zusammenschrumpfen.
»Bedauerlich, aber notwendig«, ächzte Flint. »Auf lange Sicht war das die richtige Entscheidung, Meister Jäger.«
»Diese Entscheidung hat das Leben von drei Männern gefordert und am Ende der Nacht könnten es vier sein.« Der Jäger entsicherte seine Flinte.
Langsam verlief die reservierte Kälte des Vorarbeiters wie die Schminke eines Clowns nach einem Dauerlauf. »Nun hör mich doch zu Ende an, Meister Jäger!«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil es sich für dich lohnt!«
Der Jäger brummte und senkte seine Waffe. »Sprich.«
Flinte atmete hastig, bevor er in einem Tempo antwortete, das üblicherweise von Gatten vorgelegt wurde, die von ihrer Frau in Flagranti erwischt worden sind: »Du bekommst natürlich das volle Gehalt für die Erledigung des Auftrags. Kein Beweis notwendig. Der Hauptmann ist darüber in Kenntnis gesetzt worden. Darüber hinaus verdopple, nein, verdreifache ich deine Belohnung. Geld spielt keine Rolle. Ich muss am Leben bleiben. Es ist wichtig! Ich bin wichtig! Entweder erledigst du mich hier und jetzt, was dir ein falsches Gefühl von moralischer Überlegenheit verschafft, weil du glaubst, das Richtige getan zu haben, was allerdings deinen Bauch nicht füllt und dich zu einem Vogelfreien macht, oder du vertraust mir dieses eine Mal und verlässt die Stadt als reicher Mann.«
Der Jäger haderte damit. Er fuhr sich durch die Haare, während er auf und ab ging. »Mit allen Aufschlägen sind das 5000 Crowns«, sagte er schließlich. Flint fiel ein riesiger Stein vom Herzen, der dem Kiesel, der früher sein Magen gewesen war, Gesellschaft leistete. »Dazu nehme ich meinen Grundbetrag als Schweigegeld und du legst neues Zaumzeug und den Hufbeschlag für Kimba drauf.«
»Geld spielt keine Rolle«, wiederholte Flint und lächelte warm. »Sag dem Hauptmann einfach „Der Wurm ist erledigt“ und er weiß Bescheid.«
Sein Gesprächspartner schnaufte wie ein Stier und raufte sich die Haare. »Geh mir aus den Augen. Sorge dafür, dass ich diese Entscheidung nicht bereue.«
Der Jäger schulterte sein Gewehr und setzte seinen Lederhut auf.
Flint sah ihm nach. »Das wirst du nicht, Meister Jäger«, sagte er leise, als der bewaffnete Mann in den Schein der elektrischen Lampen trat.
»Neues Zaumzeug!«, sagte Geoff zu Kimba, die störrisch schnaubte. »Stell dich nicht so an. Ich weiß, dass es noch ein wenig eng anliegt, aber du musst es eintragen. Nicht mal über deine neuen Schuhe hast du dich gefreut. Du bist schon eine verwöhnte Gans, weißt du das?«
Flint hatte Wort gehalten. Als Geoff dem Hauptmann den kryptischen Satz übermittelte, weiteten sich die Augen des Wächters und sie wurden noch größer, als er die Rechnung präsentiert bekam. Diesmal wurde er jedoch ohne Murren ausgezahlt. Das Einzige, was der Hauptmann zusätzlich verlangte, war eine Unterschrift unter einem Dokument, das die Existenz eines Monsters bestätigte. Geoff musste nicht lügen, schließlich waren Bohrwürmer Ungeheuer – wenn auch keine gefährlichen.
Der Jäger, um eine Erfahrung und 6200 Crowns reicher, machte sich zur Abreise bereit, als einige Lastwagen die Stadtmauer passierten.
»Huh«, machte er, »Die Zeiten ändern sich, was, Kimba? Wer weiß? Vielleicht bin ich irgendwann auch in einem Dampfwagen unterwegs und du bist arbeitslos.«
Kimba zeigte sich unbeeindruckt. Sie naschte von ihrem Hafer.
»Du hast Recht.« Er klopfte dem Tier auf die Flanke. »Deine Position ist überhaupt nicht in Gefahr.«
Geoff schwang sich auf den Rücken seines Pferdes und ließ sie losschreiten, als der letzte Lastwagen durch das Tor gefahren war.
»Jetzt hast du aber wirklich genug gefressen, Kimba. Am Ende gebe ich mein ganzes Geld für Hafer aus.«
Auf der Brücke begegnete ihm der Soldat, der ihm bei seiner Ankunft fünf Crowns übergeben hatte. Einer seiner Arme war bandagiert. In seinem Gesicht klebten einige Pflaster. Sein Kopf war frei von Haaren.
»Du bring-pscht überhauprrrt kein Glück«, beschwerte er sich. Seine Zunge flatterte und er hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben.
Geoff tätschelte seine Glatze und kommentierte: »Das ist doch gar nicht wahr. Sieh nur.« Er zeigte auf den Boden.
Der Soldat spazierte um sein Gewehr herum wie eine Tänzerin an der Stange und blickte zu Boden. »Oh. Eine Münze.«
»Das sind zehn Coronets, Kumpel. Dafür kannst du dir am Automaten einen Kaugummi holen.«
Der Glatzkopf lächelte und offenbarte einige Lücken, die zuletzt noch nicht da waren. »Du hascht Rescht!«
Während der Jäger sich entfernte, schwankte der Soldat zum nahegelegenen Kaugummiautomaten und warf die Münze ein.
Warum der Boden ihn daraufhin verschluckte und weshalb jemand etwas von einem Giganturax und der Münze der Herausforderung rief, ist eine andere Geschichte.