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Das nächste Mal
Fünf Jahre waren seit dem letzten Treffen vergangen und doch dachte Linda noch oft an ihn. Die Beziehungen die sie in der Zeit hatte, schienen ihr belanglos im Vergleich zu der Liebe, die sie für ihn empfand. An keinen wollte sie je wieder ihr Herz verschenken, ebenso war sie nicht in der Lage allein zu sein.
Momentan war sie mit Stephan zusammen, einem jungen Krankenpfleger. Er war weder besonders eloquent noch aufregend und wenn sie sich ehrlich fragte, warum sie ihn zu sich kommen ließ, dann wohl weil sein warmer Körper in ihrem kalten Bett besser war, als allein zu schlafen. Nicht mehr und nicht weniger.
Sie wusste dass Sören in die nächst größere Stadt gezogen war, da sie manchmal fragte, was er so tat. Beiläufig natürlich, da ja jeder wusste was zwischen den beiden vorgefallen war. Linda war oft allein in ihrer WG und verbrachte viel Zeit am Computer.
So war es auch an jenem Abend, als draußen der erste Schnee fiel. Vertieft in die aktuellen Nachrichten saß sie im dunklen Zimmer und das Licht des Bildschirms fiel auf ihr Gesicht. Um sie herum war absolute Stille, während sie las. Plötzlich blinkte ein kleines Kästchen in der rechten unteren Ecke des Monitors auf: Sören ist online. Ein flaues Gefühl begann sich von ihrem Magen auszubreiten und endete bei einem Kloß in ihrem Hals, den sie sooft sie es auch versuchte, einfach nicht herunterschlucken konnte. Sie starrte auf das Kästchen und traute sich nicht, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. "Hallo, na wie geht’s so?"
Ihr Herz schlug in ihren Ohren, als sie die Nachricht immer und immer wieder las und sich klar zu machen versuchte, dass sie von ihm war.
Von Sören, dem sie vor langer Zeit alles geben wollte. Von Sören, der immer nur eines von ihr wollte. Von Sören, für den sie alles getan hätte. Von Sören, den sie in all der Zeit nie aufgehört hatte zu lieben...
Langsam bewegten sich ihre Hände zur Tastatur und sie legte ihre Fingerspitzen leicht auf die Tasten. Zögernd begann sie zu schreiben: "Gut und dir so?", nur um es gleich wieder zu löschen. So konnte sie das nicht schreiben.
Zweiter Versuch: "Ganz gut und selbst?". Eingabe und weg war sie. Sie schluckte und ärgerte sich, dass sie nicht doch das Erste geschickt hatte.
"Kann nicht klagen. Wohn jetzt wieder in Nürnberg, wegen der Arbeit... Du bist doch in Bamberg, oder?"
Schneller und sicherer begann sie ihre Finger zu bewegen: "Ja, genau. Wir haben uns schon lang nicht mehr gesehen. Du kommst nicht mehr oft nach Hause oder?"
"Nein. Fährst du denn jedes Wochenende?"
"Nicht, wenn ich Blockseminare habe. Manchmal bleib ich auch einfach so hier, damit ich nicht ständig Stress mit meiner Mutter habe, das Verhältnis hat sich nicht wirklich gebessert..."
"Wollt ich grad fragen. Bamberg ist nicht weit weg. Ich wohn hier gleich an der Autobahn."
Ihr Herz klopfte stärker und sie fühlte wie ihre Hände zu zittern begannen. Würde er es ernsthaft noch mal versuchen, nach allem was er ihr angetan hatte? Warum schrieb er so was? Er hatte sich kürzlich von seiner langjährigen Freundin getrennt, das wusste sie. Er brauchte sicher nur was zum ficken. Als ob er sich jemals ändern würde. Sie schüttelte den Kopf und eine dicke braune Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht.
"Was hast du heute Abend vor?" leuchtete es in dem kleinen Fenster. Es war unglaublich, dass er es wagte sie das zu fragen. Nach allem was er ihr angetan hatte. Und doch musste sie urplötzlich lächeln. Es war ein breites Lächeln, das ihr Gesicht im Schein des bläulichen Lichtes des Bildschirms zu einer Fratze werden ließ.
"Nichts.", hämmerte sie auf die Tasten ein und ehe sie noch einmal darüber nachdenken konnte, stand die Nachricht schon da.
Sie erschrak vor ihrer Tat und hielt sich die Hand vor den Mund. Er würde es wieder tun und sie würde es mit sich machen lassen. Diese Erkenntnis schoss ihr wie ein Blitz durch den Kopf und ließ weiße Sterne vor ihren Augen zurück.
„Lust auf einen Wein?“
Die Frage stand da, starr und fordernd ehe sie sich besinnen konnte. In diesem Moment fiel ihr Stephan ein. Er war nicht ihre große Liebe und würde es wohl auch nicht werden, aber er würde sie morgen besuchen kommen. Das stand fest und hatten sich die beiden schon vor längerer Zeit ausgemacht. Das konnte…
„Yes or no?“ wurden ihre Gedanken jäh unterbrochen. Ihr Herz schien nun alles Blut, das in ihrem Körper war in ihren Kopf zu pumpen. Sie überlegte nicht und klopfte ein bestimmtes und gehetztes „JA“ in die Tastatur.
Flach und schnell, kaum hörbar, atmete sie und starrte gebannt auf das kleine Kästchen.
„Ne Stunde?“ Woher wusste er, wo sie wohnte? Sie zählte im Kopf alle Dinge zusammen, die sie noch zu tun hatte, bevor er kam.
„OK, findest du es?“ schrieben Lindas Hände fast automatisch ohne abzuwarten, was ihr Kopf dazu zu sagen hatte.
„Ja, deine Nummer zur Sicherheit?“ erschien sofort, und veranlasste sie dieselbe schnell und fehlerfrei einzutippen.
„Bis gleich.“ Sören verlässt das Gespräch.
Linda saß da und wusste nicht, was sie tun sollte. Er würde zu ihr kommen, nein, er ist auf dem Weg. Hektisch sprang sie vom Schreibtisch auf und machte das Licht an. Zuerst würde sie duschen und ihre Haare waschen. Als sie danach mit der Hand den beschlagenen Spiegel frei wischte, fragte sie sich warum sie ausgerechnet heute einen Pickel am Kinn hatte und schon eine halbe Stunde vergangen war, seit sie die letzte Nachricht von ihm gelesen hatte. Weitere zwanzig Minuten später stand sie fertig angezogen am Fenster und schaute auf die Straße. Die Lichter der Autos zogen vorbei und die Schneeflocken tanzten vor dem Schein des Fensters. Ihr Handy klingelte. Sie ging sofort ran.
„Hallo Schatz“, Flötete es. Stephans Stimme ließ sie erstarren. „Ich wollte nur schnell anrufen und dir Bescheid sagen, dass ich krank geschrieben bin. Bin in der Notaufnahme. Hab mich beim Arbeiten verhoben.“.
„Ist es schlimm?“ fragte sie so kalt, dass sie selbst davor zurückschrak. „Nein, ich komm morgen trotzdem, ja? Ich meld mich noch mal. Hab dich lieb, Maus. Bis dann.“
„Bis dann“, sagte sie und legte das Handy weg. Es war nicht richtig was sie tat, dass wusste sie sehr wohl, dennoch war es ihr größter Wunsch Sören endlich in ihre Arme zu schließen. Egal, was heute Abend passieren würde, würde sie nicht bereuen. Eine Minute mit ihm würde allen Qualen, die sie erleiden musste, wegwischen wie eine Träne, die die Wange eines traurigen Kindes herunterrollte. Unruhig, wie ein Tiger im Käfig ging sie auf und ab.
Es klingelte. Hastig rannte sie zur Tür und drückte den Summer. Linda öffnete die Wohnungstür und wusste, dass er das Licht im Flur gerade angemacht hatte. Seine Schritte waren es, die sie die Treppe herauf kommen hörte. Mit jedem Schritt näherte er sich. Sie wollte weglaufen, nicht stehen bleiben, nicht so aussehen als würde sie sehnsüchtig auf ihn warten. Sie sah seinen Rücken zuerst, jetzt waren es nur noch wenige Stufen die Linda von ihm trennten. Ein Lächeln lächelnd, das ihr neu war, sah sie im grellen Licht des Flures sanft aus, wissend, ja fast glücklich. Er schaute sie an und lächelte ebenfalls. Sie wusste, dass es kein Fehler war. Er hatte vor 5 Jahren etwas zu ihr gesagt, dass sie bis heute nicht vergessen hatte: „Trust me.“, und das tat sie noch immer.