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Das Nachtgeständnis

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25.10.2006
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Das Nachtgeständnis

Ich wate schweigend durch das gelbe Getreide.
Meine Hände streifen das raue Korn. Klischeehafter Herbstabend. Blasses Gold verharmlost die einkühlende Luft. Ich werfe einen Blick über die Schulter. Es zwitschern keine Vögel mehr im Herbst, selbst am Rande des Stadtwaldes.
Ich erinnere mich noch ganz genau, wie wir es hier getrieben haben. Wir hatten uns gestritten, du hattest geweint. Es war ein glücklicher Sommertag am Anfang unserer Beziehung. Als ich dich in die trockene Wiese warf, hast du dich nicht mehr gewehrt. Du hast mich in den Hals gebissen wie ein Vampir. Du bist gekommen und recktest dein verknittertes Gesicht gen Himmel und rangst nach Luft wie eine Ertrinkende. Wir hatten davor schon oft miteinander geschlafen. Aber dieses Mal war anders gewesen. Vielleicht, weil es das einzige Mal war, dass wir vögelten und nicht Liebe machten.
Ich hocke mich tief ins Gras. Vorsichtig bohre ich meine Finger in die frostige Erde. Sparsam deckt die Sonne den Wald mit einem letzten Schimmer ein. Graulila Wolkentupfen melieren den Himmel.

Nun lässt es mir keine Ruhe. Vermisse ich dich etwa? Warum sollte ich? Unsere Trennung ist zwei Jahre her und ich habe seither selten an dich gedacht. Aber heute, an diesem spätschimmrigen Herbstabend streune ich durch dumpfige Felder und den alten Stadtwald und denke an dich. Wie ein Fuchs der Fährte eines verbotenen Glücks folgend, dem Puschel eines weißen Häschens hinterher. Ich schüttele mich ob des morbiden Vergleiches. Ich bin ein einsamer Mann Ende zwanzig, vielleicht werde ich verrückt. Das soll es ja geben. Stoische Ruhe begleitet den Gedanken.
Wie war deine Augenfarbe?
Ein Stern blinkt sich langsam in den dunkelnden Himmel. Mit einem Ruck erhebe ich mich und setze meinen Weg fort.
Wie war deine Augenfarbe? Ich kann mir nicht erklären, warum ich mich nicht erinnere. Wir waren neun Monate zusammen, die kälteste Winterzeit haben wie ohne einander verbracht. Meine kürzeste ernste Beziehung. Ich sehe dein Gesicht, dein schmales, zartes Gesicht in allen Details vor mir. Es ist als könnte ich deine bebende, von der Bewegung gerötete Haut berühren, der weiche Flaum auf deiner warmen Haut. Deine fein umrandeten dünnen Lippen, deine schwachen Lippen, mit denen du mich am liebsten totgeküsst hättest. Einmal hast du gelacht und gesagt Halt den Mund, ich liebe dich halt, ich werde dich einfach totküssen.
Das war das zweite und vorletzte Mal, dass du von Liebe sprachst. Aber wo ist deine Augenfarbe? Deine Wimpern sind fein und gebogen, ungeschminkt und morgens immer sehr verklebt. Ich erinnere mich sogar an die Form deiner Nasenlöcher, rund und klein wie die eines Kindes. Deine großen knochigen Hände. Ich erinnere mich an jedes Muttermal.
Wie war deine Augenfarbe?
Auf dem Rückweg verlaufe ich mich. Es ist finster im Wald und ich bewege mich auf belaubten Wanderpfaden. Welche Abzweigung ist die Richtige? Ich suche den Himmel nach den kantigen Hochhäusern der Stadt ab, doch die Baumwipfel versperren den Blick. Es ist so still und nirgends raschelt es. Ich ängstige mich nicht, warum sollte ich, es ist ja nur dunkel. Innehaltend fallen mir plötzlich deine Ohren ein. Deine Ohren waren wunderschön. Ja, du hattest die süßesten und schönsten Ohren, die ich jemals geküsst habe. Nicht, dass es derer so unendlich viele gewesen wären - aber deine Ohren waren besonders. Ein verborgener Schatz unter deinem krausen braunen Haar. Kaum habe ich mir deine Ohren vorgestellt, vernehme ich ein fernes Geräusch. Ein tiefes Summen. Ich orientiere mich dank der Landstraße in der Nähe und folge dem Laut der verklingenden Motoren.
Endlich trete ich aus dem Wald, direkt an den Rand der Straße. Der Himmel ist schwarzblau und graue Wolkenfelder umrauchen den halben Mond wie ein Geheimnis. Weißer Atem flieht mir von den Lippen und steigt auf in diese kindliche Ewigkeit der Gestirne. Die Hände tief in den alten Hosentaschen vergraben, folge ich der Straße bis zum Parkplatz mehrere lange Minuten.
Es ist heute zwei Jahre her, dass wir uns getrennt haben. Du hast mich verlassen, weil du mich nicht mehr geliebt hast. Das war das dritte und letzte Mal, dass ich dich von Liebe sprechen hörte.
Deine Augenfarbe, habe ich sie damals überhaupt gekannt?
Der Ledersitz meines großen Autos ist kühl und schmiegt sich weich um mein Becken. Sitzheizung an. Ich fröstele.
Auf dem Weg zurück bin ich unkonzentriert und rase. Als ich zu Hause bin, blicke ich auf dein Foto. Du hast mich verlassen, weil ich dich betrogen hatte. Ich hatte mit einer guten Freundin nach einem tollen Abend geschlafen, kaum, dass du fünf Tage auf Reise warst.
Ich erinnere mich an die Augen dieser Affäre. Sie waren der eigentliche Grund dafür.
Sie waren graublau, zart, so ähnlich wie deine. Ihnen fehlte nur der ewige weiche Morgen, das Erstehen in der profunden Unverfrorenheit Blickes, ihnen fehlte der Reiz dieser Ahnung - dass du mich nicht so sehr geliebt hast, wie ich dich, mein graubeäugtes, schönzartes Mädchen, grau und sanft wie der Morgen vor meinem Fenster, und deine Lippen so rot wie der Horizont.

 

Hallo Anabel,

schwierig sind die Geschichten, in denen der Leser mit dem "du" konfrontiert wird, von vorneherein. Ich bin doch nicht der, mit dem der Protagonist redet. Das stülpt dem Leser eine Rolle über, die er wahrscheinlich oft gar nicht einnehmen will. Das mal prinzipiell, denn in einer anderen KG bedienst du dich der gleichen Form.

Ich wate schweigend durch die gelben Gräser.
Getreide wäre besser


Als ich dich in die trockene Wiese warf, hast du dich nicht mehr gewehrt. Du hast mich in den Hals gebissen wie ein Vampir. Du bist gekommen und recktest dein verknittertes Gesicht gen Himmel und rangst nach Luft wie ein Ertrinkender.
Jetzt fängt mein Problem an, ohne es noch zu wissen: Die Du-Person ist nun männlich, denn der Autor nennt ihn einen Ertrinkenden und keine Ertrinkende.
Das wird später zu Verwirrungen führen.

Ich bin ein einsamer Mann Ende zwanzig, vielleicht werde ich verrückt. Das soll es ja geben. Stoische Ruhe begleitet den Gedanken.
Oh, der Erzähler ist doch männlich. Nun wirds kompliziert.

Ihnen fehlte nur der ewige weiche Morgen, das Erstehen in der profunden Unverfrorenheit deines kühlen graublauen Blickes, ihnen fehlte der Reiz dieser Ahnung - dass du mich nicht so sehr geliebt hast, wie ich dich, mein graubeäugtes, schönzartes Mädchen, grau und sanft wie der Morgen vor meinem Fenster, und deine Lippen so rot wie der Horizont.
Dies ist ein typischer Satz für deine Art zu schreiben. Ich sag jetzt mal frei Schnauze: Du hast Talent. Aber du versuchst, alles, was du so in petto hast, zu verwursteln. Weniger wäre manchmal mehr. So Sätze wie: das Erstehen in der profunden Unverfrorenheit deines kühlen graublauen Blickes, sind eine Ansammlung von Worthülsen.
Werde schlichter, dann wirds.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo bernadette,

Danke für deine Kritik! Sie ist wie so oft sehr hilfreich und ich sehe all deine Punkte ein. Die Gräser und der Ertrinkende sind schon ausgetauscht. Ebenso habe ich mir am Ende die Kühle und Graubläue des Blickes gespart - viel bringt das vielleicht gar nicht, aber ich fand die beiden Adjektive im Nachhinein auch überladend. :)

Mit der Anrede finde ich das schon etwas schwieriger. Geht denn nicht etwas von der persönlichen Intensität und Unmittelbarkeit des Erzählers verloren, wenn ich von der Betroffenen in der dritten Person spreche? Bilde ich mir das ein? Würde sich das wirklich lohnen? Vielleicht schreibe ich es für mich einfach nochmal anders, um es auszuprobieren.

Danke und gute Nacht :)

Anabel

 

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