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Das Richtige tun

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29.06.2018
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Das Richtige tun

Die Matte war mal beige, jetzt war sie schmutzig braun, „vermutlich seit 30 Jahren dieselbe“, dachte ich und steckte den großen Schlüssel in das untere Schloss. Darüber war nachträglich noch ein zweites, kleines Sicherheitsschloss angebracht, hier passte der andere Schlüssel. Auf die Matte hatte jemand den Generalanzeiger seit einigen Tagen säuberlich gestapelt, auf der aktuellen Titelseite ging es um eine Überschwemmung in Bangladesch und um Vorschläge zur Umsatzsteuer. Ich hatte den Stapel heute Morgen bemerkt, aber gar nicht richtig wahrgenommen.

Die Tür sprang beim vierten oder fünften Versuch auf. Ein Geruch von alten Polstermöbeln und Teppichen, Wintermänteln an der Garderobe, Aftershave und runzeligen, parfümierten Seifenstückchen auf dem Waschbecken stand in der Wohnung. Ich öffnete das Fenster in der Küche und ließ die erste Frühjahrsluft hinein. Es war früher ein Haus, das zu seiner Zeit eines der besseren in der Stadt war. Die Toiletten auf der halben Treppe waren längst entfernt, jede Wohnung hatte nun eine eigene, aber für eine Dusche reichte der Platz nicht, die war in jeder Wohnung in eine Kabine in die Ecke der großen Küche gebaut, das war in meiner Wohnung auch so. Fast alle alten Bewohner waren inzwischen ausgezogen oder verstorben und Studenten waren eingezogen und oben im vierten Stock auch zwei Familien mit Asylbewerbern aus Mali und dem Irak, die Iraker hatten schon einen Ausreisebescheid, Katja hatte für sie übersetzt.

Das Foto sollte im Schlafzimmer auf dem alten Frisiertisch stehen, der dem alten Mann seit einigen Jahren nur noch als Ablage diente, darauf ein Stapel Fernsehzeitschriften, ein Stapel Kicker und eine Schale mit einigen Brillen sowie zwei Eheringen. Das Foto war in einem einfachen Rahmen, ein Hochzeitsbild aus dem zweiten Weltkrieg, der Bräutigam in Uniform, die Braut schüchtern daneben, halb im Schatten, beide unsicher lächelnd. Kurt redete sehr oft von Clara, den Reisen die sie gemacht hatten, in den Bayrischen Wald, einige Male nach Grömitz und einmal auch bis nach Ungarn an den Plattensee. „Im Urlaub haben wir es uns immer gut gehen lassen“, erzählte Kurt dann, jeden Tag Schnitzel oder Cordon Bleu, abends Bier und Eis. Kurt und Clara hatten ein bescheidenes Leben geführt, keine Kinder, kaum Bekannte, täglich drei Spaziergänge mit dem Rauhaardackel. Clara war kurz nach dem Hund gestorben, die Bauchspeicheldrüse, und Kurt ging die Runden ab dann allein. Dabei traf ich ihn manchmal, grüßte einige Male, und irgendwann hatten wir vom Supermarkt aus denselben Heimweg. Ich erzählte von meinem Architekturstudium, meinen Plänen, von Katja und meinen Freunden. Kurt freute sich für mich, „da ist ja einiges los bei Dir“, er erzählte von Clara und schien mir nicht einsam und mit seinem Leben zufrieden zu sein. Ich ging ihm nie aus dem Weg, manchmal grüßten wir nur, manchmal sprachen wir ein wenig.

Ich hatte die Polizisten im Hausflur stehen sehen, als sie sich erkundigten, die Iraker waren schnell nach oben gegangen, Katja und ich konnten nur sagen, dass Kurt allein wohnt und wohl keine Angehörigen hat. Die Polizisten duften nichts Genaues sagen, aber Katja konnte schon immer solche Situation meistern. Er war im Marienhospital, „kritischer Zustand“, ich fuhr noch am selben Tag hin. Er hatte die Zähne nicht im Mund, rechts und links auch alte Männer, Privatsphäre durch Vorhänge, dahinter röchelnder Atem, flüsternde Angehörige, deprimierend. Ich nahm seine Hand und er öffnete die Augen, erkannte mich trotz meiner Maske und des Kittels und versuchte ein Lächeln. Der Sauerstoffschlauch in der Nase störte ihn, der Herzfrequenzmonitor war lautlos, warf aber ein schwaches Licht auf uns. Ich fragte nach Einzelheiten, wollte wissen wie es ihm geht, aber ich sah in seinen Augen, dass er nicht reden wollte. Er wusste es und eigentlich wusste ich es auch. „Clara“, sagte er, „das Foto in meinem Schlafzimmer, bitte.“ Der Schlüsselbund war im Nachttisch, die kleine, speckige Geldbörse auch, seine einzigen persönlichen Gegenstände.

Es war nicht richtig, was ich tat, aber es war in guter Absicht. Ich wollte nicht nur mit dem einen Foto zurückkommen, ich wollte ihm eine letzte Freude machen. Es musste doch ein Album geben, von Bayern, von Grömitz und dem Plattensee. Es gab ein lautes Knacken als ich die Flügeltür an dem großen Wohnzimmerschrank öffnete, darin Kristallgläser, Geschirr, ein Stapel Tischdecken, einige Flaschen Likör und eine Flasche Schnaps mit vergilbtem Etikett, Hausbrand war noch zu lesen, dahinter, angedeutet, eine bayrische Fahne. In der Mitte zwei Schubladen, in der oberen ein Stapel Briefe, Feldpost, und ein Telefonbuch, in der unteren eine Schachtel, das konnten die Fotos sein. Ich öffnete sie und sah ein dickes Bündel 100-Mark-Scheine mit einer Kordel ordentlich zusammengebunden und vier Goldbarren, jeweils 500g. Meine Hände wurden feucht und mein Mund ganz plötzlich trocken. Ich legte alles zurück, schob die Schublade zu, schloss den Schrank und sah mich um. Natürlich hatte mich niemand gesehen, ich war ja allein. Mit klopfendem Herzen schloss ich die beiden Schlösser ab, rannte nach unten, musste noch einmal umkehren, um das Hochzeitsfoto zu holen, und hetzte dann zum Krankenhaus, beinahe wäre ich in der U-Bahn gestürzt. Ich wollte nichts davon erwähnen, das war seine Sache. Die Stationsschwester sah mich kommen und hielt mich auf, „Ihr Großvater ist eben eingeschlafen, er hatte keine Schmerzen, es tut mir leid.“

Mit einem dumpfen Schwindel saß ich auf der Stufe neben dem Eingang zum Krankenhaus, der Schlüsselbund drückte in meiner Hosentasche. Ich bedauerte, nicht zu rauchen, dann hätte ich gewusst, was ich nun tun könnte. Ich wollte das Richtige tun.

 

Hallo MarcCaesar,

ich fange ganz radikal an. Den gesamten ersten Absatz, mit Altbausanierung und Asylbewerberfamilien (plus 2. Mal, später im Text), braucht deine Geschichte meiner Meinung nach nicht. Und „Die Tür sprang beim vierten oder fünften Versuch auf…“ wäre ein super Einstieg. Danach kommen schöne Bilder, mit denen der Leser die Handlung gut verorten kann.

ein Stapel „Kicker“
Um es von der wR abzugrenzen, könntest du solche Eigennamen kursiv setzen.
„kritischer Zustand“,
Vlt. auch kursiv oder durch Gedankenstriche abgegrenzt?

Ich fragte nach Einzelheiten, wollte wissen wie es ihm geht, aber ich sah in seinen Augen, dass er nicht [darüber] reden wollte. Ich sah, dass er es wusste und eigentlich wusste ich es auch. „Clara“ sagte er, „das Foto in meinem Schlafzimmer, bitte“.
Er will nichts sagen, sagt dann aber doch etwas. Du könntest als Ausdruck der Wandlung/Umentscheidung, was ergänzen. Verstehst du, was ich meine?

Es gab ein lautes Knacken als ich die Flügeltür an dem großen Wohnzimmerschrank öffnete
Da dachte ich kurz, der Horror-tag fehlt und Clara kippt mumifiziert vornüber aus dem Schrank. :sconf:

Ich legte alles zurück, schob die Schublade zu, schloss den Schrank und sah mich um. Natürlich hatte mich niemand gesehen, ich war ja allein.
Schöne Stelle, wie du seine Gedanken wiedergegeben hast.

Benommen saß ich auf der Stufe neben dem Eingang zum Krankenhaus, der Schlüsselbund drückte in meiner Hosentasche. Ich bedauerte, nicht zu rauchen, dann hätte ich gewusst was ich nun tun sollte. Ich wollte das Richtige tun.
„Benommen“ könntest du besser beschreiben, als es nur zu „tellen“. :Pfeif:
Warum hätte rauchen ihm geholfen, die richtige Entscheidung zu treffen? Der letzte Satz könnte für mich auch weg, weil er ein bissle aufgesetzt rüberkommt.

Ach und am Titel, würde ich auch noch kürzen :D : „Das Richtige“

Alles nur Kleinkram. Ich mag deine Art zu schreiben. Ein ruhiger Ton trägt deine Geschichte, mit guten Bildern, ohne zu gefühlsduselig zu werden.

Gern gelesen.
Viele Grüße
wegen

 

Hallo marcCeasar,

deine Art, wie du deine Gedanken in Worte fasst, mag ich. Du schreibst meiner Meinung nach sehr "nüchtern" und das finde ich schön.

Ein klein wenig Kritik: Ich stimme wegen zu, dass du den Anfang auch einfach weglassen kannst. Das trägt zu deiner Geschichte keine wichtigen Informationen bei und zieht alles nur unnötig in die Länge.

Außerdem ist mir aufgefallen, dass du gerne Schachtelsätze verwendest. Ich würde dir raten, ab und zu einfach Gedankenstriche zu setzen und bei den Parataxen (z. B. „Ihr Opa ist eben eingeschlafen, er hatte keine Schmerzen, es tut mir leid“) auch mal einen Punkt zu schreiben. Das macht deinen Text dann um einiges übersichtlicher.

Ansonsten schön geschrieben :)

Viele Grüße
Mer

 

wegen und Mer, hallo zusammen.

Vielen Dank für Eure Anmerkungen und das Lob, da freue ich mich. Die Eigennamen schreibe ich nun kursiv (schon geändert) und "benommen" ist jetzt ein "dumpfer Schwindel" - das ist sicher besser.

Ich teile die Meinung zum ersten Absatz nicht ganz, weil ohne diesen nicht klar würde, dass die beiden gar nicht so eine einfache Wohnung mit einer Dusche in der Küche haben müssten, sie könnten sich etwas Besseres leisten (übrigens war das genau die Wohnung meiner Großeltern, die ich hier beschreibe). Und dass es erst anch einigen Tagen auffällt, dass Kurt nicht mehr da ist soll der Stapel Zeitungen auf der Matte deutlich machen.

Das Wort "Parataxen" kannte ich noch gar nicht. Da will ich einmal drüber nachdenken, aber ich glaubee dass die kurzen Sätze meinen Stil so verändern würden, dass er mir nicht mehr entspricht. Mal sehen.

So oder so, ein ganz dickes Danke an Euch beide

MarcCaesar

 
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Hi MarcCeasar,

ich finde deine Geschichte insgesamt auch ganz ansprechend. Jetzt mache ich aber den Quälgeist und lege meine Stimmt dafür ein, dass du den ersten Absatz streichst. Teil davon können ja später vorkommen, z.B, der Zeitungstapel beim Rausgehen, da schaut er beim Abschließen drauf, wie er immer noch da liegt (nimmt die Zeitungen dann vielleicht mit?).
Ich könnte mir sogar vorstellen, dass du noch später einsetzt, als vorgeschlagen. Hier z.B.:

Das Foto sollte im Schlafzimmer auf dem alten Frisiertisch stehen

Ich verstehe nicht ganz, warum es dir so wichtig erscheint, dass man weiß, der Mann könnte in einer besseren Wohnung leben. Die Goldbarren am Ende sprechen doch für sich - sagen zwar nicht genau das aus, aber doch, dass er nicht am Existenzlimit gelebt hat. Wirkt das nicht besser, wenn das erst dann dämmert? Noch dazu hat sich zumindest bei mir der beabsichtigte Eindruck nicht eingestellt. Woran sollte ich erkennen, dass es dem Mann nicht so schlecht ging? Daran, dass die Wohnung früher einen besseren Status hatte? Macht Sinn, aber so schnell schalte ich in dem Moment nicht unbedingt.

Dann habe ich aber noch ein großes Verständnisproblem: Was hat der Ich den falsch gemacht? Er hat in guter Absicht in der Wohnung rumgegruschtelt, das darf er nicht, schon klar. Dann legt er Geld und Gold wieder weg, fertig. Ist doch nicht passiert. Oder wolltest du den Eindruck erwecken, dass das Geld usw. schmutzig sei? Ein vages Gestühl dieser Art erzeugst du in mir, aber klare Hinweise finde ich nicht, deswegen lasse ich de Gedanken wieder fallen. Dann weiß ich aber wieder nicht, worin der Konflikt besteht.

Schwierig fand ich auch die Rückblende mit den Polizisten. Hab ich auch nicht reibungslos gecheckt, dass das eine Rückblende ist. Man merkt es schon, aber es glutecht irgendwie an der Stelle nicht.

Jetzt noch ein, zwei Details:

„vermutlich seit 30 Jahren dieselbe“, dachte ich
Er ist ja nicht zum ersten Mal da. Fällt ihm das erst jetzt auf? Möglich wäre: " ... dachte ich jedes Mal"

auf der aktuellen Titelseite ging es um eine Überschwemmung in einem fernen Land
Der Ich-Erzähler weiß sicher Beschied, alle haben die Überschwemmung mitgekriegt. Ich würde das konkretisieren: "Die Überschwemmung in Bangladesch", oder wenn du kein Land nennen willst, kannst du ja einen Fluss, eine Küste oder ein Region anderer Art nehmen.

Die Tür sprang beim vierten oder fünften Versuch auf und ein Geruch kam mir entgegen, der nur in der Wohnung älterer Leute steht
Das Urteil würde ich dem Leser überlassen. Entweder erkennt er den Geruch als einen, der nur und er Wohnung älterer Leute steht, oder er wird es auch nicht, wenn du es behauptest. Wenn du es nicht behauptest, hast nichts verloren. Wenn du es behauptest und man folgt dir nicht, dann fühlt man sich in eine Richtung gedrückt, in die man nicht gehen will. Ich habe zum Beispiel durchaus einen Geruch von Wohnungen älterer Leute in der Nase, aber ob es da nach durchdringendem Aftershave riecht? Kann sein, bringe ich aber nur schwer damit in Verbindung.

Ganz hübsch finde ich, wie du erst von den Reisen sprichst:

den Reisen die sie gemacht hatten,
und man denkt sich wunder was es da zu erzählen gibt, und dann holst du einen zurück auf das bescheidene Terrain:
in den Bayrischen Wald, einige Male nach Grömitz und einmal auch bis nach Ungarn an den Plattensee.
Auch das beschiedene Gut-gehen-lasse: Sehr hübsch.

Das hier:

aber Katja konnte schon immer solche Situation meistern.
find ich nicht sooo toll, wenn du nicht zeigst, wie. Dann besser: "... aber so viel ließen ließen sie doch heraus ..." o.ä.

Das hier find ich dann im Zusammenhang mit dem Geld und Gold merkwürdig:

Ich wollte nichts davon erwähnen, das war seine Sache
Was war denn seine Sache? Wem gegenüber sollte er etwas erwähnen? Dem Mann gegenüber - braucht er nicht, der weiß das ja. Den Schwestern? Warum sollte er? Nichts davon erwähnen, dass er herumgewurschtelt hat wäre schon einleuchtender aber das wäre seine Sache, also "meine" aus der gewählten Perspektive ... Ich frage mich, ob eben das ein Hinweis sein soll, dass mit dem Geld etwas nicht in Ordnung sein könnte. Dann ist mir aber unklar, wie der Ich darauf kommt.

Auch nicht ganz klar gespurt - wenngleich von der Idee her irgendwie nicht übel - finde ich diese Überlegung:

Ich bedauerte, nicht zu rauchen, dann hätte ich gewusst was ich nun tun sollte.
Stimmt ja genau genommen so nicht. Er hätte dann in der Sache auch nicht gewusst, was er tun soll. Er hätte vielleicht gewusst, was er tun kann, um halt irgendwas zu tun und nicht nur rumzusitzen. Von sollen kann da aber eigentlich ohne - für mich störenden - stillschweigenden Bedeutungswechsel nicht die Rede sein.
Und bis zum Schluss verstehe ich eben nicht, was ihn so belastet. Was soll er denn tun? Nichts. Vielleicht wird der Mann gesund, dann geht den Ich das alles eh nichts an. Vielleicht stirbt er, dann kann er versuchen, darauf zu achten, dass das Gold nicht untergeht - wenn er das Bedürfnis verspürt. Juckt es ihm in den Fingern, das zu klauen? Das muss ihm keine Sorgen machen. In zehn Minuten hat er den Schlüssel wieder abgegeben, dann kommt er eh nicht mehr dran. Ich wälze es hin und her und versteh's einfach nicht ...

Besten Gruß
erdbeerschorsch.

P.S.: Wie peinlich, beim zweiten Durchgang hab ich doch glatt überlesen, dass der Mann gestorben ist. Beim ersten Mal hatte ich das noch mitbekommen ...

 
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Danke erdbeerschorsch für die Mühe mit meiner kleinen Geschichte. Ich sehe mir die Punkte an und denke darüber nach, auch insbesondere über den ersten Absatz - vielleicht packe ich ein paar Infos später rein.

Dass er nun tot ist hast Du ja dann beim zweiten Mal gesehen, das kann passieren.

Was mir etwas Sorgen macht, ist dass der Konflikt des Ich-Erzählers nicht richtig klar ist. Darum eine ergänzende Frage an wegen und Mer : geht Euch das auch so? Danke für eine kurze Anwort...

 

Hallo MarcCaesar,

das ist überhaupt nicht mein Text, deswegen erspar ich dir eine detaillierte Kritik.

Wollte dir nur kurz dalassen, dass ich das Problem auch nicht verstehe. Vermutet der Erzähler hinter dem Geld und dem Goldbaren irgendwelche dubiosen Machenschaften, Spionage? Ein Verbrechen? Überlegt er zur Polizei zu gehen? Aber der alte Mann ist jetzt tot, von daher ist es auch egal ...?
Habe den Text nochmal durchforstet, nach Hinweisen gesucht und nichts gefunden. Also ich bin genauso ratlos wie der Erdbeerschorch.

Liebe Grüße,
NGK

 
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Merkwürdige Geschichte, in die ich da hineingerate,

lieber MarcCaesar -

es ist die Kombination Deines Pseudonyms aus Marc(us Antonius) und (Julius) Caesar, der im ahd. lautmalerisch zum „kaisar“ wurde, und noch denkwürdiger, dass ich gerade die Biografie Lothar-Günther Buchheims („Das Boot“, „Die Festung“ u. a.) zu lesen beginne, Vergangenheitsbewältigung noch und nöcher (wenn ich das mal so sagen darf), gesammelte (und in Deiner Geschichte gestapelte) Erinnerungen hier wie dort, womit für mich der erste Abschnitt seine Berechtigung hat – geronnene Erinnerungen,die mit der (nicht mehr nur potentiellen) Wohnungsauflösung verschwinden werden. Aber der 69. unseres Heimatministers kann‘s nicht gewesen sein – dieser Tag, denn dort ging der Flug in die friedlichen Gefilde Afghanistans.

Nun, ob Rauchen das Richtige wäre, um überhaupt was zu tun, halte ich für eine Ersatzhandlung – und ob etwas richtig war, weiß man immer erst nachher,

und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts!

Du klebst an der Schulgrammatik, was ja nicht unbedingt falsch ist. Aber nicht richtig ist es, sich freiwillig der Diktatur eines Bündnisses der Hilfsverben mit den Partizipien hinzugeben (keine bange, ein Partizipienreiter wird man dadurch nicht). Grundlos, obwohl das Partizip „gewesen“ ja nur durch die Vorsilbe sich von „verwesen“ unterscheidet und damit Form und Inhalt in einen vermeindlichen Gleichklang versetzt.

Nehmen wir den ersten Absatz (das auf jeden Fall nachzutragende Komma zum letzten Nebensatz, ist durch „[,]“ gekennzeichnet)

Die Matte war mal beige gewesen, jetzt war sie schmutzig braun, „vermutlich seit 30 Jahren dieselbe“, dachte ich und steckte den großen Schlüssel in das untere Schloss. Darüber war noch ein zweites, kleines Sicherheitsschloss nachträglich angebracht worden, dazu passte der andere Schlüssel. Auf die Matte hatte jemand den Generalanzeiger seit einigen Tagen säuberlich gestapelt, auf der aktuellen Titelseite ging es um eine Überschwemmung in Bangladesch und um Vorschläge zur Umsatzsteuer. Ich hatte den Stapel heute Morgen bemerkt[,] aber gar nicht richtig wahrgenommen.

"Die Matte war … gewesen, jetzt war … Darüber war … angebracht worden, …" usw.

Nun gibt es im Deutschen nur zwei einstellige Zeiten, Gegenwart und Vergangenheit, selbst das einfache Futur ist zwostellig (Ich werde kommen), das Futur II wird man nur mit nüchternem Kopf hinkriegen (Morgen werde ich wohl gekommen sein), Konj. II wird allein wegen seiner Form Konjunktiv Präteritum genannt, an sich sind Konjunktive zeitlos, haben nix mit der Zeitenfolge zu tun und treten nur im Unterschied von Potentialität und Aktualität (= Indikativ) auf.

Das Futur I liefert im „historischen“ Futur ein Beispiel, wie man eine zusammengesetzte Zeit umgehen kann (um beim Beispiel zu bleiben: Morgen komm ich), indem ein Zeitpunkt/-raum genannt wird, der sich vom hier und jetzigen unterscheidet.

Für die „hinter“ uns liegende Zeit lieferstu im ersten Satz bereits im „jetzt“ das Stichwort „Die Matte war mal beige …, jetzt war sie schmutzig braun, ...“, was durch die 30-Jahre-Vermutung eher noch verstärkt wird. Zu den Schlössern passt ein „nachträglich“, um die Zeiten-/Reihenfolge aufzuzeigen, für die Tageszeitung „seit Tagen“.

Versuch mal selber – bin überzeugt, dass es gelingt!, denn es gibt noch einiges zu bereden. Schon hier

... und ein Geruch von alten … kam mir entgegen.
Nur keine falsche Bescheidenheit im Entgegenkommen, der Geruch, der einem auffällt, kommt einem nicht entgegen, er ätzt, beißt, sticht, wird unangenehm empfunden. Manch feinbenaster mag sich ekeln, Liebhabern des Wolfes und seiner Derivate ist dieser Ekel fremd, sonst wäre ein Leben mit Wölfen im Schafspelz (Wolf wie Hund weiß sich durch buchstäbliches Wälzen in fremder Scheiße zu tarnen) unmöglich. Jetzt musstu auch noch ein Gleichnis ertragen! Die Natur kennt keine industriellen Standard an gleichschaltenden Gerüchen. Da hilft nur waschen ... und frische Luft.

Exemplarisch sei noch der Satz gewählt, um im Thema zu bleiben:

Es war früher ein Haus gewesen, das zu seiner Zeit eines der besseren in der Stadt war,
weil es „sein“ als Hilfs- und Vollverb verwendet und das Adjektiv „früher“ anbietet, zugleich aber gezeigt werden kann, dass Hilfs- und Vollverb gleichberechtigt sind: „Es war früher ein Haus …, das … zu den besseren der Stadt zählte.“

Trivialeres

Hier musstu den abschl. Punkt einfangen

„Clara“ sagte er, „das Foto in meinem Schlafzimmer, bitte“.
Kommt nochmals vor -Zufall oder falsche Regel im Kopf?

Und hier ist ein Komma nachtragen

Mit klopfendem Herzen schloss ich die beiden Schlösser ab, rannte nach unten, musste noch einmal umkehren, um das Hochzeitsfoto zu holen[,] und hetzte dann zum Krankenhaus, …
(Infinitivsatz zu Ende)

Da isser

„Ihr Großvater ist eben eingeschlafen, er hatte keine Schmerzen, es tut mir leid“.

Hier ist ein „d“ zu viel!
Mit einem dumpfend Schwindel ...

Nun, jeder Mensch entwickelt kriminelle Energie, wenn die Bedingungen es erzwingen -
den Irakis drück ich auf jeden Fall den Daumen, dass sich ein Verwaltungsgericht ihrer erbarme (der Heimatminister hat's mit Säuberungen eilig) und den Afrikanern natürlich auch! -
oder die Gelegenheit ergibt ...
Die Verlockung ist groß und eine Zigarette lässt ein offenes Ende.

Nun, da ist noch viel Arbeit, aber ich denk, es wird was draus. Handke wurd anfangs auch mit Beschreibungsliteratur verwechselt.

Tschüss

Friedel

 

Hallo MarcCaesar,

Was mir etwas Sorgen macht, ist dass der Konflikt des Ich-Erzählers nicht richtig klar ist. Darum eine ergänzende Frage an @wegen und @Mer : geht Euch das auch so? Danke für eine kurze Anwort...

Dazu vermutete Nichtgeburtstagskind gar
irgendwelche dubiosen Machenschaften, Spionage? Ein Verbrechen?

:shy: Ach was. Ich habe im Text ehrlich gesagt gar nicht nach solch tiefschürfenden, verworrenen Hintergründen gesucht. Der alte Herr hat Geld und währungsverfallsicheres Gold bei sich zu Hause gebunkert, während er selbst recht sparsam und einfach lebte. Das ist doch keine Besonderheit für die Generation, oder? Und der Ich-Erzähler überlegt, ob er es einsteckt, weil es keine Hinterbliebenen geben wird. Á la Gelegenheit macht Diebe. Du könntest noch einen Grund, eine Geldnot einbringen. Reelle Geldsorgen und Existenzängste würden seine Überlegungen vielleicht nachvollziehbarer machen. Es ist im Moment kein Wahnsinnskonflikt. Mich hat deine Art zu schreiben trotzdem angesprochen.

Viele Grüße
wegen

 

Ich noch mal,

nicht erschrecken,

es werden zwo Überschriften angedient, neben dem offensichtlich falschen

Das Richtige Tun
, wahrscheinlich von angloamerikanischen Vorbildern (Play With Fire) beeinflusst und den Möglichkeiten des Deutschen "das richtige Tun" oder "das Richtige tun", was wie selbstverständlich unterschiedliche Interpretationen ermöglicht ... Wer mag da die flexiblere Sprache haben?

Good night

Friedel

 
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Guten Morgen Friedrichard,

wenn Du schon wach bist, nach der Nacht mit der Biographie von Lothar-Günther B. (habe neulich gelesen, dass aktuell Das Boot neu verfilmt wird).

Ich habe meinen Text durchforstet und die Hilfsverben für die Vergangenheitsformen versucht zu vermeiden (dass sie überflüssig sind, wenn aus dem Text die Zeit hervorgeht hatte ich gaaaaanz schwach in Erinnerung, aber zu weit unten - es lohnt sich doch immer mal wieder, mit klugen Menschen in einen Austausch zu kommen).

Das Richtige tun soll die Geschichte heißen, das war wohl beim ersten Einstellen ein Fehler von mir, den ich aber selbst nicht korrigieren kann - ich werde die Administratoren um Hilfe bitten.

Ganz herzlichen Dank Dir und einen schönen Tag

M. Aurelius und Julius C.

P.S. Ich sende gleich noch eine PN mit einer Bitte

 
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es lohnt sich doch immer mal wieder, mit klugen Menschen in einen Austausch zu kommen).

Das Richtige tun soll die Geschichte heißen, das war wohl beim ersten Einstellen ein Fehler von mir, den ich aber selbst nicht korrigieren kann - ich werde die Administratoren um Hilfe bitten.


Bin nicht klüger als andere auch,

lieber MarcCaesar,

was ich wahrscheinlich mehr hab als andere ist die Portion Sturheit. Und wie Deine Geschichte "korrekt" zu betiteln sei, eschließt ich aus dem Text heraus.

Ich schau dann noch mal kurz durch, ich kann ja auch was übersehen haben, und siehe, direkt zu Anfang

Die Matte war mal beige, jetzt war sie schmutzig braun, „vermutlich seit 30 Jahren dieselbe“[,] dachte ich ...

Hier in diesem Block, der beginnt
Es war früher ein Haus, das ...
, ließe sich die "Sein"s-Flut (getarnt als "war/en" auch eindämmen. Da darfstu auch keine Angst vor Ellipsen haben. Versuch erst mal selber ...

„Im Urlaub haben wir es uns immer gut gehen lassen“[,] erzählte Kurt dann, ...

„Clara“[,] sagte er, „das Foto
...

Da kannze ma' sehn, was das Zeiten-Gedönse von andern Dingen abgelenkt hat, wörtl. Rede endet immer bei einem "übergeordneten" (Duden-Deutsch), einem fortlaufenden Satz wie "...", sagte er ..."
mit Komma nach den auslaufenden Gänsefüßchen, endet die wörtl. Rede als bloße Aussage, gibt's vor den auslaufenden Gänsefüßchen KEINen Punkt - aber in allen anderen Fällen ein "?" oder "!"

So, erst mal genug. Wir lesen von ein ander!

Friedel

 

Hi marcCeasar,

nachdem nun ein paar weitere Kommentare eingetrudelt sind und sich die Geschichte zugleich bei mir weiter gesetzt hat, verfestigt sich der Verdacht, dass der innere Konflikt also wirklich darin bestehen sollte, dass der Mensch versucht ist, sich die Geld und Gold unter den Nagel zu reißen. Das geht natürlich, wenngleich mich dieser Konflikt nicht besonders mitreißt. Anderes wäre das, wenn du, wie wegen anregt, den Ich unter Geldnot leiden lassen würdest, am besten noch so, dass das Geld fehlt, um jemand Nahestehendem etwas Wichtiges (Gesundheit, Ausbildung ...) zu ermöglichen.
Denn wie es da steht, würde ich doch dabei bleiben, dass es für jemanden, der "das Richtige tun" will, eine ganz einfache Möglichkeit gibt: Er gibt den Schlüssel schnell der Stationsschwester und ist fertig damit. Danach kann er sich dann ja schwarz ärgern über die verpasste Bereicherung, das Falsche zu tun wird ihm gar nicht mehr möglich sein.

Damit nun also das Ringen mit sich wirklich das richtige Tun zum Gegenstand hat - und nicht etwa auf der einen Seite das richtige und auf der anderen das falsche - müsstest du eine Brücke bauen, damit ich beide Möglichkeiten aus der je entsprechenden Perspektive als richtig auffassen kann.

Eine einfachere Möglichkeit wäre es natürlich, den letzen Satz zu streichen. Aber dann dreht der Titel durch ...

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Herzlichen Dank erdbeerschorsch,

ich möchte es bewusst nicht weiter erklären, auch auf die Gefahr, dass ich nicht alle mitnehme.

Ich lasse es offen, weil ich denke, dass jeder, ober er nun gute Absichten hat oder nur egoistisch ist, in dieser Situation darüber nachdenken würde, ob es richtig ist, das Geld zu nehmen, auch wenn keiner zu Schaden kommen würde und das Geld "nur" an die Staatskasse ginge.

Danke trotzdem für Deinen Hinweis und beste Grüße

MarcCaesar

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo MarcCaesar,

der Titel hat mich gereizt, weil ich auf einen schwierigen Konflikt gehofft habe. Ich sehe ihn darin, dass der Protagonist tatsächlich überlegt, ob er das Geld nehmen darf, da er ja keinen materiellen Schaden anrichtet, aber immerhin gegen Gesetze verstößt.
Der Konflikt kommt mir etwas abstrakt vor, weil er ja noch nicht dagegen verstoßen hat. Wenn jemand solche Zweifel hat, dann geht er nicht mehr in die Wohnung zurück. Bei dem Wertesystem des Protagonisten, der eine Freundin hat, die in der Flüchtlingshilfe tätig ist, kann ich mir eine solche kriminelle Energie nicht richtig vorstellen.

Nicht, dass du denkst, mir gefiele die Geschichte nicht . Ganz im Gegenteil. Es fehlt nur an einigen Stellen etwas Dramatik und auch Spannung.

... und oben im vierten Stock auch zwei Familien mit Asylbewerbern aus Mali und dem Irak ...

Ich hatte die Polizisten im Hausflur stehen sehen, als sie sich erkundigten, die Iraker waren schnell nach oben gegangen.

Da hast du mich auf eine falschen Fährte gelockt. Ich dachte, die hätten etwas mit der Wohnung des Verstorbenen zu tun. Da dies nicht der Fall ist, würde ich hier radikal kürzen.

Überhaupt kürzen: Der ganze erste Abschnitt kann weg, alles, was darin zur Atmosphäre steht, kommt in späteren Abschnitten genau so gut oder besser zur Geltung. Ich hatte die Wohnung und den Lebensstil des alten Paares ganz genau vor Augen, glaube auch, dass zwischen dem Prota und dem alten Herrn eine Art Bindung besteht, die für den späteren Gewissenskonflikt von Bedeutung ist.

Ich ging ihm nie aus dem Weg, manchmal grüßten wir nur, manchmal sprachen wir ein wenig.

Hier wäre ein gute Gelegenheit, dass der Prota in ihm einen Ersatz für den verstorbenen und sehr vermissten Großvater sieht. Vielleicht kannst du Parallelen andeuten. Vielleicht drückt er es einmal gegenüber seiner Freundin aus.
Möglicherweise wundert sie sich sogar über sein Interesse an dem alten Mann.

Also, der Konflikt sollte emotional aufgerüstet werden. Der Prota steckt vielleicht spontan einen Goldbarren ein, stürzt aus der Wohnung, eilt wieder zurück und legt ihn zurück, rast mit dem Foto und schlechtem Gewissen ins Krankenhaus ..

Ich bedauerte, nicht zu rauchen, dann hätte ich gewusst, was ich nun tun könnte.

Dieser Satz ist für mich missverständlich. Ist er ein Nicht-mehr-Raucher, der früher erst eine Zigarette brauchte, um "richtig" zu handeln? Er sollte lieber seine Freundin Katja fragen.;)

Freundliche Grüße
wieselmaus

 

Hallo MarcCaesar,

du hast einen sehr angenehmen Schreibstil, machst erfreulich wenige Fehler und vermagst es, Spannung aufzubauen. Das verschafft mir ein schönes Leseerlebnis, danke dafür. Die Rückblicke werden geschickt von der aktuellen Rahmenhandlung eingefasst. Du holst mich anfangs direkt in den Text, benutzt die Einschübe dann, um Spannung aufzubauen und falsche Fährten zu legen, bevor du auf den finalen Twist zusteuerst. Das wirkt beinahe routiniert und lässt mich annehmen, dass du nicht erst seit einem Monat schreibst, denn da weiß jemand, was er tut. Zum Twist später mehr.

Zuvörderst Textkram:

Fast alle alten Bewohner waren inzwischen ausgezogen oder verstorben und Studenten waren eingezogen und oben im vierten Stock auch zwei Familien mit Asylbewerbern aus Mali und dem Irak, die Iraker hatten schon einen Ausreisebescheid, Katja hatte für sie übersetzt.
Da würde ich zwei Sätze raus machen. Die Iraker ...

„Im Urlaub haben wir es uns immer gut gehen lassen“ erzählte Kurt dann
Komma nach wörtlicher Rede

er erzählte von Clara und schien mir nicht einsam und mit seinem Leben zufrieden zu sein
meinst du vllt: mir nicht einsam und mit seinem Leben unzufrieden zu sein?

Ich bedauerte, nicht zu rauchen, dann hätte ich gewusst was ich nun tun könnte.
Komma vor was?

Du hast mich echt gepackt und ich habe der Auflösung entgegengefiebert. Ich dachte, er findet im Schrank Beweise für die Nazi-Verbrechen des alten Mannes. Hmm, Goldbarren und Geld, auch ok, aber da bügelst du - für mein Empfinden - zu schnell drüber.
Wie soll ihm da eine Zigarette helfen? No way. Du lotest die Tiefe des Gewissenskonfliktes nicht aus. Die Frage muss doch an der Stelle lauten: "Welche Art von Mensch will ich sein?" Die muss er sich in irgendeiner Form stellen und da sollte er zu einer Position finden, oder zumindest den Konflikt stärker erleben. Meine Meinung, mach was du willst.

Gut gemacht. Peace, linktofink

 

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