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Das Singen des Mondes

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11.05.2006
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Das Singen des Mondes

Das Singen des Mondes
Das schillernde Glänzen des Mondes umspielt die Ruinen der Trümmer. Das kräftezehrende Tauziehen mit der endlos tickenden Uhr der Vergangenheit hinterlässt seine Spuren, so als würde die kalte Wintersonne mit ihrer unsäglichen Geduld das Bild der Stadt abstumpfen und verblassen, anstatt ein Lächeln auf der Menschen Gesichter zu zaubern, die der Stadt ihr Leben einhauchen.
Auch sein Leben ist von Abstumpfung und Zauber gekennzeichnet, jedoch keine Magie, die einen in den Bann zieht, sondern eine Magie, die von Schrecken und Angst lebt. Sie macht sein Leben zu einer einzigen Jagd, denn er kämpft, um seine Identität nicht zu verlieren, einen winzigen Tropfen Ehre zu bewahren, die sein Leben lebenswert macht.
Er viel der Trivialität des Schicksals zum Opfer. Aus ihm, dem Jäger wurde der Gejagte. Er unterlag der Vernunft. Dies ist die Geschichte eines Mannes, der auf der Suche nach seinem Schicksal verloren ging und nie gefunden wurde. Dies sind seine Gedanken. Die Gedanken eines Mörders.

Es ist seine Stadt, denn er glaubt sie zu lieben, da es der einzige Ort ist, wo er je war, er ist nie über die Grenzen der Ruinen hinweggekommen. Sie sind für ihn wie unüberwindbare Berge, denn er hat Angst sie nie wieder zu finden, würde er sie hinter sich lassen. Er ist sensibel, aber auch sehr melancholisch. Diese Melancholie hat sein Leben zerstört.
Es fing ganz langsam an. Zart, fast feinfühlig durchzog Wehmut sein ganzes Leben und er verlor Freunde, Familie, eigentlich alles was ihm lieb war. Nun lebt er allein, gespalten von jedem, verächtet. Er existiert nur noch als Geist, nicht wirklich als Teil des Ganzen sondern nur noch als Schatten der Gesellschaft, introvertiert, als Teil seiner Welt. Er hat sein eigenes Reich. Er liebt seine Straße, er lebt in seinem Haus, allein, abgeschieden, aber in völliger Ruhe. Ruhe die ihn langsam auffrisst, ohne das er es merkt, sodass sie wie eisige Winterkälte langsam von außen seinen Körper durchdringt und gemächlich alles ansteckt, bis alles nach innen hin in völliger Kälte erstarrt und er seine endgültige Ruhe findet. Ewige Ruhe.
Dämmerung. Wenn er wüsste, wie die Nacht sein Leben beeinflussen wird, wäre er wahrscheinlich nie losgezogen, hätten seine müden Knochen noch so sehr nach ein bisschen Bewegung gelechzt. Er geht seine übliche Runde. Sie sollte sein Leben grundsätzlich verändern.
Die kalte Winterluft schneidet durch seinen Backenknochen und lässt Gaumen und Zahnfleisch, die schon von zuviel Alkohol und Zigaretten gereizt sind, gefrieren. Er zündet sich eine Zigarette an, um Mund und Kehle zu wärmen. Er spürt, wie der milde Dampf sich sanft auf seine Zunge legt. Die Kälte dringt ihm durch Mantel und Kleider und greift mit eisigen Fingern nach seinen Schenkeln und Knien. Sein ganzer Rumpf juckt, als ob der Frost ihn mit Reif überzogen hätte, und dann steigt Übelkeit in ihm auf, als sich die Kälte auf den Alkohol in seinem Magen schlägt. Der Kopf dreht sich ihm, und er hat den Drang sich zu erbrechen, aber er spannt seine Nackenmuskeln und kämpft gegen den Reiz an.
Er sieht ein Haus. Ein Haus von dem er denkt es schon mal gesehen zu haben. Ist es das Haus? Er glaubt zu träumen. Er hält drauf zu. Die Fassade des Hauses hebt sich nur geringfügig von der der anderen ab. Risse und Öffnungen, durch die Verletzungen von Zeit und Wetter hervorgerufen, bilden das Gesamtbild. Die Tür öffnet sich knatternd, als er mit seinen steifen Finger die letzte Kraft aufbringt, um sie zu öffnen. Leise hört er wie sich Staub vom Putz der Decke löst, wie eine Sanduhr durch deren Glas schier endlos Sand verrinnt und letztendlich dann doch das letzte Sandkorn durch den Hals der Uhr fällt. Der aufgewirbelte Staub flimmert in den durch die Risse hereinfallenden Sonnenstrahlen wie glänzendes Gold in einer schwarzen Nacht. Er geht die Treppe hinauf, klopft an einer Tür. Stille. Ihm kommt alles so unwirklich bekannt vor, wie als ob er es schon einmal geträumt hat. Er ist barfüßig, doch fühlt er nichts. Müdigkeit übermannt ihn plötzlich. War er schon mal hier?
Er tritt in den einsamen Raum hinein, setzt sich in eine Ecke, versucht zu schlafen, der Nähe der Nacht zu entfleuchen. Doch grausame Wachheit spiegelt sich auf seinen Augen wieder. Plötzlich umgibt ihn Hitze. Fieber? Würde das seine Erlösung sein?
Sein Körper selbst ist auf einmal so heiß, als ob er schon in der Hölle braten würde. Mit Händen stößt er sich ab, und als er sich aufrappelt, quillt ihm plötzlich eine dicke, braune Welle von Erbrochenem aus dem Mund.
Plötzlich regt sich am Ende des Raumes etwas.
Er kann in seinem Todeskampf gegen die Kälte jedoch nichts erkennen. Er ist schweißüberströmt. Tropf. Tropf. Verrinnt so das Leben? Von ganz weit weg, kann er noch wahrnehmen, wie jemand ihm zu Hilfe kommen will. Nein! Im Knien speit er alles aus, das faulende Fleisch und den zu Galle gewordenen Alkohol.
Glasscherben und Schutt reißen seine Hände blutig, auf die er sich in dem verfallenen Haus stützt. Doch er merkt sowieso nichts mehr.
Er ist jetzt ganz leer. Er will aufstehen.
Er sieht den warmen Schein einer Kerze, in welchem er den seltsamen Gesichtsausdruck einer Frau gepaart mit Ekel und Angst zu sehen glaubt. Plötzlich und mit aller grausamen Gewalt wird er in die Realität von zurückgeworfen. Er weiß wo er ist, wer er ist. Seine Gedanken klaren sich, er überblickt alles. Damit beginnt ihn auch seine Vergangenheit wieder einzuholen, er weiß, warum ihm alles bekannt vorkam, sodass ihn der Schmerz seiner vergangenen Tage einholt und völlig rasend macht. Er beginnt zu toben. Er sieht das Gesicht der Frau, ihre sanften Züge, vollen Lippen und erröteten Wangen. Er meint sie zu kennen. Oder doch nicht? Unwillkürlich in all seinem Schmerz über seine Vergangenheit fällt er nach vorne um, weshalb sich die Frau hilfssuchend über ihn wendet. Er weiß nicht warum, wofür oder wann, aber auf einmal finden seine Hände den Weg zu ihrem Hals. Er fühlt nichts als Leere. Er spürt ihre Wärme, ihr Leben, das durch ihren Körper strömt. Dann unwillkürlich schließen sich seine Finger immer stärker und fester um ihren zarten Hals. Ihre Augen werden immer größer, sie scheinen von weiter Ferne wie immer größer werdende Sterne zu funkeln. Ihr Mund öffnet sich, sie schreit, er fühlt den Schrei ihrem Mund entrinnen, doch er hört nichts, er fühlt nur langsam ihr leben durch seine Hände verrinnen. Wie durch einen Schleier sah er plötzlich ein leuchten, sie erstrahlte in einer unbegreifbaren Helligkeit, heller als die kalte Wintersonne, das war der letzte Lebensstrahl der ihr Leben bezeichnete.
Dann überkommt ihn Schwärze. Unendliche Schwärze. – Er schlägt die Augen auf. Er scheint nicht zu sehen. Wirr und in Trance taumelt er durch die Tür, wirbelt Staub auf. Doch diesmal dunklen schwarzen dreckigen Staub, er wird wohl nie wieder aus seinen Sachen rausgehen. Er verlässt das unheimliche Gemäuer, schließt knarzend die Tür hinter sich. Gänsehaut. Die gewohnte Kälte kriecht wieder an seinem Mantel hoch.
Er verlässt das Haus. Es bleiben keine Erinnerungen. Er hat schon zu viele.

Der Mond steht am Himmel und macht die Stadt zu einem grauen, verlassenen Elfenland. Mit ineinander verschlungenen Nebelfetzen und Staubfahnen flechtet er feine Spinnengewebe, um daraus über der Erde einen eigenen sphärischen Raum zu bilden, so als ob die Menschen noch im Leben dem Schlaf des Todes so nahe und doch so fern sein mochten.
Das Kinn im Kragen seines dicken Wollmantels vergraben, geht er die Straße hinab. Er spürt wieder die eisige Kälte und seine schmerzenden Knochen, und als er so durch die Straßen geht, ergießt sich das fahle, farblose Licht des Mondes nicht weniger grausam und mitleidlos als die Sonne auf die Wunden der Stadt, so als würde es von einem leblosen, metallischen Instrument ausgesendet, und spiegelt sein eigenes Bild auf der Erde, auf ihren unfruchtbaren Kratern und bleiernen Narben.

 

Liebes bored child,

die Geschichte ist derart dicht umkränzt von sprachlichen Raffinessen, daß der Mord, das großartig angekündigte Zentrum der Geschichte, wie ein unbedeutendes Nebenereignis vorübergeht, quasi als Collateral Damage dieser Mischung aus barockem Trip-Bericht, esoterischem Märchen und archetypischem Psychodrama. Für einen Krimi ist es fast zu lyrisch, für eine Dokumentation zu sehr verspielt und für ein Experiment bereits zu ausgetüftelt. Das Singen des Mondes wirkt wie eine überfüllte Schatzkammer voller Ideen. Als phantastischen Schnappschuß Deiner Studentenzeit lasse ich sie gelten, Philosophisches erkenne ich überhaupt nicht. Die Sorge, ob der schwarze Staub jemals wieder aus den Klamotten zu waschen sei, hat mich jäh ins Diesseits zurückbefördert. Ich weiß Deinen Sinn für´s Überladene zu schätzen: ich würde gerne an einem Büffet stehen, das Du zusammengestellt hast. Dem von guten Geschichten verwöhnten Leser jedoch schmeckt das Verzieren und Ornamentieren schnell nach Stilunsicherheit. Solche Leser schauen bereits früh, wie lang die Geschichte ist und lesen dann erleichtert weiter.

MFG eco

 

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