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Das Spiel
Schon wieder spiele ich dieses Spiel.
Wie gelähmt von der eisernen Stille, die mich umgibt, sitze ich einfach nur so da.
Und spiele.
Ich höre den lautlosen Lärm um mich herum, sehe Silhouetten, Gestalten, die mich umgeben, doch nehme ich nichts davon wahr. Was ich wahrnehme, sind fehlender Eifer und Mut, sowie die Versuchung, aufzuhören.
Doch ergäbe das keinen Sinn.
Ich darf es nicht tun. Dann war alles umsonst, alles vergeblich.
Ich habe keine andere Wahl. Beleidige mich als gefühlloses Stück Dreck, verachte mich, doch zwing mich nicht dazu, dieses Spiel schon so früh zu beenden.
Du erwartest, dass ich Mitgefühl zeige und ebenfalls trauere, obwohl es mich nichts angeht.
Es hat mich nicht zu interessieren, dass sie gestorben ist. Es ist dein Problem, nicht meins.
Ich spiele nur mit dir, weiter nichts.
Es ist außer Kontrolle geraten, so weit hätte es nicht kommen dürfen. Du hast mir erzählt, dass sie gesprungen ist und wie viel sie dir bedeutet hat. Hast mir gesagt, dass ich der einzige Mensch sei, der das verstehen könne, doch du irrst dich. Ich misch mich nicht in die Angelegenheiten anderer ein. Der Tod erwartet jeden von uns, das kann man nicht ändern. Auch bei deiner besten Freundin war er nicht vermeidbar. Natürlich spiele ich dir trotzdem eine gewisse Trauer vor und tu so, als würde es mich dazu bewegen, dir Trost zu schenken. Es ist selbstverständlich, dass ich dich umarme und dir sage, dass ich dich liebe. Ich sage dir, dass du das einzige Mädchen für mich bist, und dass ich bei dir bleibe, egal, was geschieht. Denn du bist viel zu leichtsinnig und gutgläubig, um zu realisieren, dass es nur ein Spiel ist. Du lebst in deiner eigenen Welt, in der alle Menschen glücklich und zufrieden sind, solange sie jemanden haben, den sie mit ihren Problemen belasten können. Doch ich halte nichts davon.
So schwer es auch sein mag, ich ziehe es bis zum Ende durch.
Ich gebe zu, es fällt mir nicht leicht, denn du bist anders. Du bist keine von denen, die andauernd eifersüchtig werden und anfangen, mir auf die Nerven zu gehen. Und ich sehe auch ein, dass ich die Spielregeln gebrochen habe, indem ich begann, dich zu mögen. Dennoch ändert es nichts daran, dass bald die Zeit für dich kommt, in der du einsehen musst, dass ich nur mit dir spiele. Du musst akzeptieren, dass ich die ganze Zeit nur darauf aus war, von stetiger Gesellschaft umrahmt zu sein und mir die Langeweile zu vertreiben.
Denn im Gegensatz zu dir lebe ich in der realen Welt, in der es nur darum geht, die eigenen Bedürfnisse auszuleben und auf die Probleme anderer zu scheißen. Andere auszunutzen, um selbst glücklich zu sein, das ist Sinn und Zweck des Spieles. Das musst du verstehen.
Merkwürdigerweise ist es mit dir anders als mit den anderen. Bisher kannte ich nur die Befriedigung, die ich durch das Halten einer gewissen Distanz erhalten habe. Doch in deiner Nähe, mit dir zusammen, fühle ich mich nicht so alleine.
Ob es jene Nähe ist, die mich dazu bringt, dich zu mögen, oder ob es deine Art andere zu respektieren ist, weiß ich nicht. Aber mir ist dennoch klar, dass ich für dich keinerlei positive Gefühle entwickeln darf, deswegen nehme ich jetzt Abschied.
Das Spiel ist noch nicht vorbei, denn erst, wenn ich dir die Wahrheit offenbare, dir sage, wer ich in Wirklichkeit bin, ist es beendet.
Noch immer nehme ich nichts wahr, auch nicht, als du mir einen Kuss auf die Wange gibst, um dich zu verabschieden. Ich realisiere nicht, dass du aus dem Restaurant schreitest und mir ein „bis morgen“ zu rufst.
Trotzdem stehe ich auf, laufe dir hinterher und hasse mich in diesem Moment dafür.
Hasse mich dafür, dass es so weit kommen konnte, dass du es geschafft hast, mich in deine Welt zu führen und mir zu zeigen, wie gut sie doch tut.
Als ich deinen Namen rufe, bist du bereits auf der Straße.
Du drehst dich um.
Ich stehe auf dem Bürgersteig.
Du fragst mich, was los sei.
Ich verstehe dich nicht.
Es ist der Lärm. Der Lärm, den ich plötzlich wieder wahrnehme.
Es ist jener, welcher immer lauter wird und schließlich von einem lauten Knall übertönt wird. Ich höre laute Schreie und sehe Lichter, die mich blenden.
Du liegst da, regungslos und mit kaltem Blick, der überhaupt nicht zu deinem sonst so fröhlichen Gesicht passt. Ich kann mir nicht erklären, warum ich mir wünsche, dieses Geschehen nicht gesehen zu haben. Oder warum ich deinen Namen laut rufe und zu dir laufe, dich in meine Arme schließe und dich langsam hin und her wiege. Dein Blut, das ich in meinen Händen spüre, ist warm. Nicht so wie die Wärme, die ich bei der Berührung deiner Haut verspürte, oder jene, die mein kaltes Herz zum Schmelzen brachte. Es ist eine Wärme, die sich, ungewöhnlicherweise, kalt anfühlt.
Es sieht ganz so aus, als wäre das Spiel nun beendet, doch es ist nicht das, was ich erreichen
wollte.
Ich wollte nicht, dass es so früh endet.
Und irgendwie war es doch kein Spiel mehr.
Jetzt sitze ich hier, umgeben und wie gelähmt von der eisernen Stille, die ich mehr als sonst wahrnehme.
Mehr als je zuvor wünsche ich mir, nicht alleine zu sein.
Ständig verspottete ich insgeheim deine Welt, und glaubte nur an meine.
Doch in diesem Moment wird mir klar, dass es nur eine Welt gibt und das ist deine.
Ich verspreche dir, dass ich nicht mehr spielen werde, denn du hast mir gezeigt, dass es auch anders geht. Du hast mir bewiesen, wie angenehm die vertraute Gesellschaft und das Verständnis anderer sein kann, wie gut es tut, zu wissen, dass dir jemand zuhört.
Das Spiel ist endgültig vorbei.