Das Tor zu einer anderen Welt
Sein Herz schlug schneller, als er den dunklen Gang mit schweren, nachhallenden Schritten durchquerte und, angelangt am Ende des Korridors, langsam den kalten, eisernen Türknauf hinunterdückte. Wie in Zeitlupe öffnete sich die Tür. Schleichend erschienen dunkle Wolken vor einem verregnetem Himmel, die Körper von Menschen, wie in einem Aquarel zerlaufend, auf das unvermeidlich kalte Tränen des Nachmittag niederschlugen. Die Tür öffnete sich weiter, sein Blick sank nach unten und erblickte das erwartete Fußpaar. Dieselben kleinen Füße, die in die Erinnerung gebrannten Jeans, die grüne zugeknöpfte Regenjacke, nur einen Meter vor ihm, doch dennoch so weit entfernt. Ihre Gesichter trafen sich. Von Weitem blitze es und erleuchtete die Kulisse hinter ihr.
Hallo. Was für eine Begrüßung, dachte er bei sich und erwiederte ebenfalls mit Hallo. Er starrte sie an, sie, die er so gut gekannt hatte. Doch dieses Mal war ihm ihr Erscheinen fremd, ihr Blick von einem anderen Stern. Kann ich rein kommen. Draußen ist es sehr kalt. Seine Gedanken schwammen gerade hin zu dem Tag, an dem er vor ihrer Tür gestanden hatte, ihr gemeinsame Tag. Ihr Blick durchbohrte ihn, er schreckte auf. Sicher, komm rein. Keine Umarmung nur ein distanzierter Blick in seine leeren Augen. Vier Füße die langsam die Treppe nach oben in den fünften Stock schritten, gleich denen, die zu einer Beerdigung schreiten.
Seine Zimmertür stand offen, überall Papiere, Kleidungsstücke wirr durcheinander geworfen, wie die Gedanken in seinem Kopf. Der Telefonhöhrer lag immer noch neben dem Telefon. Setz dich. Worte des Nichtssagens. Wie lange war es her, dass sie über etwas Sinnvolles gesprochen hatten? Lose Worte ohne Zusammenhang um die Stille zu überwinden. Der Mut hatte ihm gefehlt, das Unausweichliche nach so langer Zeit zu akzeptieren.
Ich wollte schon lange mit dir sprechen. Ihre Wort flossen mit den Tropfen am Fenster hinab, sinnlos sie aufzuhalten. Er wusste, was sie sagen würde. Dennoch zog sich alles in ihm zusammen. Der hämmemde Puls dröhnte überall, in jedem Teil seines Körpers. Ihre Worte, Schläge ins Gesicht, eine schwarze Hand, jeder Satz ein schmerzender Stich in sein Innerstes, jeder Blick ein gefrorenes Meer der Hoffnung. Die Leinwand seiner Augen zeigten einen schmalziger Hollywoodfilm, seine Ohren vernahmen "I´ll never leave you" von Ross Jutsum. Schluss! Er hattte nicht die Absicht melancholisch zu werden. Er hörte ihre Worte nicht, sie waren nicht wichtig. Die Tropfen an der Scheibe wurden erfasst, zu Seite gedrängt von einem starken Wind, der draußen wütete.
Sie erhob sich und tat stumm einige Schritte Richtung Tür. Dann, kurzes Innehalten, ihr Blick hinunter auf ihn, verkrümmt auf dem Stuhl. Wir werden doch Freunde bleiben? Obligatorisch und abzusehen. Er dachte an die Vielzahl Menschen, die diesen Satz schon in der gleichen Situation gehört hatten. Ein verzerrtes Lächeln über diese Ironie des Schicksals: Ich verbrenne dich zu Asche; Verzeihst du mir?
Langsam wandte er ihr sein Gesicht zu. Sicher...sicher. Seine Mundwinkel hoben sich flüchtig. Er stand auf und ging auf sie zu, um sich von ihr zu verabschieden. Sie wich jedoch zurück. Es ist besser so. Ich finde den Weg alleine. Die grüne Regenjacke entschwand. Das Zuschlagen der Haustür donnerte noch lange in seinem leeren Kopf. Er ließ sich zurückfallen auf sein weiches Bett und starrte, weit ausgestreckt, an die Decke seines Zimmers. Leise, immer lauter werdend, drang Ross Justum wieder zurück in seine Ohren. Ruckartig setzte er sich aufrecht hin, erfasste die Fernbedienung und zappte hastig durch das Nachmittagsprogramm der Privaten. Talkshows brachten ihn auf andere Gedanken.
Doch in seinem Unterbewusstsein erinnerte ihn das Zittern in seiner Hand immer wieder an das schwarze Loch, in das er gerade fiel, an die Kleidung, die ihm vom Körper gerissen wurde, um ihn vollständig bloß zu stellen. Wut stieg in ihm auf. Wut ohne Zukunft. Es dauerte Stunden, bis er begriff, dass nichts und niemand das Glück zurückholen konnte. Niemals bist du so verletzlich, wie wenn du liebst. Er spürte nun keine Schmerzen mehr. Der Wind schnitt in sein Gesicht, das offene Fenster, das Tor zu einer besseren Welt.
[Beitrag editiert von: Gina am 13.01.2002 um 02:41]