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Das Tor zu einer anderen Welt

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11.01.2002
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Das Tor zu einer anderen Welt

Sein Herz schlug schneller, als er den dunklen Gang mit schweren, nachhallenden Schritten durchquerte und, angelangt am Ende des Korridors, langsam den kalten, eisernen Türknauf hinunterdückte. Wie in Zeitlupe öffnete sich die Tür. Schleichend erschienen dunkle Wolken vor einem verregnetem Himmel, die Körper von Menschen, wie in einem Aquarel zerlaufend, auf das unvermeidlich kalte Tränen des Nachmittag niederschlugen. Die Tür öffnete sich weiter, sein Blick sank nach unten und erblickte das erwartete Fußpaar. Dieselben kleinen Füße, die in die Erinnerung gebrannten Jeans, die grüne zugeknöpfte Regenjacke, nur einen Meter vor ihm, doch dennoch so weit entfernt. Ihre Gesichter trafen sich. Von Weitem blitze es und erleuchtete die Kulisse hinter ihr.
Hallo. Was für eine Begrüßung, dachte er bei sich und erwiederte ebenfalls mit Hallo. Er starrte sie an, sie, die er so gut gekannt hatte. Doch dieses Mal war ihm ihr Erscheinen fremd, ihr Blick von einem anderen Stern. Kann ich rein kommen. Draußen ist es sehr kalt. Seine Gedanken schwammen gerade hin zu dem Tag, an dem er vor ihrer Tür gestanden hatte, ihr gemeinsame Tag. Ihr Blick durchbohrte ihn, er schreckte auf. Sicher, komm rein. Keine Umarmung nur ein distanzierter Blick in seine leeren Augen. Vier Füße die langsam die Treppe nach oben in den fünften Stock schritten, gleich denen, die zu einer Beerdigung schreiten.
Seine Zimmertür stand offen, überall Papiere, Kleidungsstücke wirr durcheinander geworfen, wie die Gedanken in seinem Kopf. Der Telefonhöhrer lag immer noch neben dem Telefon. Setz dich. Worte des Nichtssagens. Wie lange war es her, dass sie über etwas Sinnvolles gesprochen hatten? Lose Worte ohne Zusammenhang um die Stille zu überwinden. Der Mut hatte ihm gefehlt, das Unausweichliche nach so langer Zeit zu akzeptieren.
Ich wollte schon lange mit dir sprechen. Ihre Wort flossen mit den Tropfen am Fenster hinab, sinnlos sie aufzuhalten. Er wusste, was sie sagen würde. Dennoch zog sich alles in ihm zusammen. Der hämmemde Puls dröhnte überall, in jedem Teil seines Körpers. Ihre Worte, Schläge ins Gesicht, eine schwarze Hand, jeder Satz ein schmerzender Stich in sein Innerstes, jeder Blick ein gefrorenes Meer der Hoffnung. Die Leinwand seiner Augen zeigten einen schmalziger Hollywoodfilm, seine Ohren vernahmen "I´ll never leave you" von Ross Jutsum. Schluss! Er hattte nicht die Absicht melancholisch zu werden. Er hörte ihre Worte nicht, sie waren nicht wichtig. Die Tropfen an der Scheibe wurden erfasst, zu Seite gedrängt von einem starken Wind, der draußen wütete.
Sie erhob sich und tat stumm einige Schritte Richtung Tür. Dann, kurzes Innehalten, ihr Blick hinunter auf ihn, verkrümmt auf dem Stuhl. Wir werden doch Freunde bleiben? Obligatorisch und abzusehen. Er dachte an die Vielzahl Menschen, die diesen Satz schon in der gleichen Situation gehört hatten. Ein verzerrtes Lächeln über diese Ironie des Schicksals: Ich verbrenne dich zu Asche; Verzeihst du mir?
Langsam wandte er ihr sein Gesicht zu. Sicher...sicher. Seine Mundwinkel hoben sich flüchtig. Er stand auf und ging auf sie zu, um sich von ihr zu verabschieden. Sie wich jedoch zurück. Es ist besser so. Ich finde den Weg alleine. Die grüne Regenjacke entschwand. Das Zuschlagen der Haustür donnerte noch lange in seinem leeren Kopf. Er ließ sich zurückfallen auf sein weiches Bett und starrte, weit ausgestreckt, an die Decke seines Zimmers. Leise, immer lauter werdend, drang Ross Justum wieder zurück in seine Ohren. Ruckartig setzte er sich aufrecht hin, erfasste die Fernbedienung und zappte hastig durch das Nachmittagsprogramm der Privaten. Talkshows brachten ihn auf andere Gedanken.
Doch in seinem Unterbewusstsein erinnerte ihn das Zittern in seiner Hand immer wieder an das schwarze Loch, in das er gerade fiel, an die Kleidung, die ihm vom Körper gerissen wurde, um ihn vollständig bloß zu stellen. Wut stieg in ihm auf. Wut ohne Zukunft. Es dauerte Stunden, bis er begriff, dass nichts und niemand das Glück zurückholen konnte. Niemals bist du so verletzlich, wie wenn du liebst. Er spürte nun keine Schmerzen mehr. Der Wind schnitt in sein Gesicht, das offene Fenster, das Tor zu einer besseren Welt.

[Beitrag editiert von: Gina am 13.01.2002 um 02:41]

 

Für alle, die den Text lesen:

Keine Ahnung, ob die Kategorie richtig ist. Alltag war die einzige die einigermaßen zutraf.

Gruß, Gin

 

Ja Prost, Gin!

Auch wenn schon unzählige Menschen dieses Thema aufgegriffen haben, finde ich Deine Geschichte bzw. Deine Bestandsaufnahme äußerst gelungen. Sie trifft tief ins Herz. Kennst Du "Gute Freunde" von Wizo?

Ich weiß nicht, ob ich das hier veröffentlichen darf, weil es ja auf Platte erschienen ist. Deshalb ein Link:

http://www.hexenwinter.de/akkorde/wizo/wizoframeloader.htm

geh auf 'Vorschau' und such dann "Gute Freunde". Wenn Du Gitarre spielst und den Song kennst, hast Du doppelt gewonnen.

Gruß

Ralf

 

Eine schön-düstere Geschichte. Kompliment.

Der Stil ist ansprechend, besonders der erste Satz hat es mir angetan ("Sein Herz schlug schneller, als er den dunklen Gang mit schweren, nachhallenden Schritten durchquerte und, angelangt am Ende des Korridors, langsam den kalten, eisernen Türknauf hinunterdückte.").

Das P.S. am Schluß würde ich streichen, spricht es doch nur offensichtliches aus und schwächt damit die Wirkung der Geschichte.

"Ich zerstöre dich bis zum Knockout;" passt nicht ganz. "Zerstören" hat etwas existenzielles an sich "Knockout" hingegen nicht, verstehst du was ich meine ?

Knockoutende Grüße,

Batch

 

@Hexenmeister

Ich habe den Text von WIZO studiert und musste feststellen, dass sich Einiges mit der Geschichte deckte.

Jedoch besteht ein Unterschied zwischen der, typisch für WIZO, brutalen Reaktion des Liedes und der Geschichte. Ich glaube Hass und Rache sind sinnlos und unangebracht in solch einer Situation, schließlich hat das Mädel ja offensichtlich nichts falsch gemacht (sicherlich dennoch eine wahrscheinliche Handlung). Ich hätte es anders geschrieben, wenn ich gewollt hätte, dass der Mann mit einer negativen Intention (scheinbar) aus dem Leben scheidet.

Aber ansonsten magst du wohl Recht haben.

Gruß, Gin

[Beitrag editiert von: Gina am 13.01.2002 um 02:38]

 

@Batch

Als ich die Geschichte gestern schrieb wollte ich zuerst schreiben: Ich töte dich. Doch das fand ich zu extrem, angesichts der Tatsache, dass die Frau dann Schuld für den späteren Freitod wäre. Eine andere angeschwächte Variante fiel mir nicht ein. Ich habe den Text geändert und glaube, dass die Wortwahl etwas besser gelungen ist. Auch das P.S. habe ich nun anders eingebaut, denn als ich mir den Text gerade durchlas merkte ich, dass der Stil einen unbegründeten Bruch machte. Jetzt sitzt der Ausdruck meiner Meinung an einer passenderen Stelle.

Gruß, Gin

[Beitrag editiert von: Gina am 13.01.2002 um 02:49]

 

Hallo Gina,

ehrlich gesagt, hat mir diese Geschichte wesentlich besser gefallen als die erste.
Du benutzt schöne Umschreibungen für die Sachen, die wir alle kennen.
Das hat mir gefallen. Auch die bruchstückhaften, dazwischen geworfenen Dialoge wirken gut.

Ein paar kleine Fehler haben sich eingeschlichen. Aber ich denke, wenn du die Geschichte nochmal aufmerksam liest, findest du diese kleinen Flüchtigkeitsfehler.

Gruß, Pan

[Beitrag editiert von: Pandora am 13.01.2002 um 12:08]

 

Ich kann mich da meinen Vorrednern nur anschließen. Die Geschichte ist wirklich schön.

 

Hi Gina,

eine Situation, die wohl schon jeder von uns in der einen oder anderen Position erlebt hat.
Gut umgestzt und nicht zu schmalzig.

Gruss Franco

 

Ups, wo ist sie hin, meine Antwort? :eek:

Allsooo erneut:

Hi Gin,

besonders gut haben mir folgende Sätze gefallen:

Ihre Wort flossen mit den Tropfen am Fenster hinab, sinnlos sie aufzuhalten.
Ihre Worte, Schläge ins Gesicht, eine schwarze Hand, jeder Satz ein schmerzender Stich in sein Innerstes, jeder Blick ein gefrorenes Meer der Hoffnung.

Ist diese Geschichte Teil einer längeren Erzählung?

Gruß,
CST

 

@carmen

Wüsste nicht wie die Geschichte eine Fortsetzung oder ein erster Abschnitt eines Gesamtwerks sein könnte. Eigentlich nur eine kurze Schilderung der Umstände, darauf ausgerichtet, Emotionen hervorzurufen. Ich hoffe das ist einigermaßen gelungen.

Gruß, Gin

 

Ja, die WIZO-Texte sind krass, aber ein wahrer Kern ist meistens darin enthalten. Ähnlich wie bei den Onkelz.

Gruß

Ralf

 

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