Was ist neu

Das verlorene Herz

Mitglied
Beitritt
11.10.2001
Beiträge
18

Das verlorene Herz

Das verlorene Herz

Die Haustür fiel krachend ins Schloss. Jessica stürmte auf ihr Auto zu, das direkt vor ihrem Hauseingang stand. Verzweifelt versuchte sie den Schlüssel ins Türschloss zu stecken. Ihre Hände
zitterten. „Ganz ruhig jetzt“, ermahnte sie sich selber. Sie schloss für einen kurzen Augenblick die Augen und atmete tief durch. So – die Tür ging auf. Schnell sprang sie ins Auto und fuhr kurz darauf
mit quietschenden Reifen davon.
Das Krankenhaus war fünf Straßen entfernt; und genau dahin wollte sie. Der Verkehr kam ihr heute noch dichter vor als sonst. Man hatte das Gefühl kaum von der Stelle zu kommen. Jessica wunderte sich, dass sie überhaupt noch halbwegs ruhig dabei blieb.

Sie war gerade vom Einkaufen wieder zu Hause gewesen als das Telefon klingelte. Zögernd griff die junge Frau zum Hörer. Als sie ihn abhob, überkam sie ein ungutes Gefühl. Woher wusste sie nicht, doch sie spürte wie eisige Kälte in Sekundenschnelle in ihr hoch kroch. Angst kam auf, als sich das Krankenhaus am anderen Ende meldete. Wie durch eine Nebelwand nahm sie die Stimme des Arztes wahr. Er berichtete ihr von einem Unfall. Es dauerte etwas, ehe sie die ganze Tragweite seiner Worte begriff. Robert, ihr Mann, hatte einen schweren Unfall und lag auf der Intensivstation.

Auf dem Weg ins Krankenhaus versuchte sie sich die Worte des Arztes noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Doch es war vergebens. Klare Gedanken verschwammen wie ein Spiegelbild im aufgewühlten Wasser. „Herrje, warum fahren die denn alle heute so langsam!“ Endlich – der Parkplatz des Krankenhauses wurde sichtbar. Ungeachtet aller Vorschriften hielt sie dicht vor der Eingangstür.
Passanten schauten teils kopfschüttelnd, teils mitleidig, der sichtlich aufgeregten jungen Frau nach, die hastig die Eingangshalle betrat.
Jessica erkundigte sich nach dem Weg zur Intensivstation. Dann lief sie so schnell sie konnte durch die Flure. Der zuständige Arzt wartete schon auf sie. Es folgte ein kurzes Gespräch – und endlich durfte sie das Krankenzimmer betreten. Einige Worte des Arztes hallten ihr noch in den Ohren: „Nierenquetschung,.....innere Blutungen, ---- mussten sofort operieren.“
Jessica stand reglos an der Tür. Sie hatte Angst vor dem was sie erblicken würde, wenn sie näher ans Bett trat. Konnte sie es verkraften den geliebten Mann in diesem Zustand zu sehen?
Ein Gefühl tiefer, inniger Liebe überkam Jessica als sie nun neben dem Bett stand und ihn betrachtete. Am liebsten hätte sie ihn in die Arme genommen und nie mehr losgelassen.
Die Blässe in seinem Gesicht und die vielen Schläuche lösten einen großen Schmerz in ihrem Innersten aus. Sie setzte sich auf die Bettkante, beobachtete jedes Zucken seiner Gesichtszüge, hielt seine Hand und betete, dass er wieder gesund werden möge. Alles, alles würde sie dafür geben.
Obwohl ihre Ehe nicht zum Besten stand, sie liebte ihn dennoch. Immer noch nach 15 Jahren Ehe.
Es gab da noch eine andere Frau in seinem Leben. Der Gedanke tat weh. Trotzdem wollte sie versuchen ihn wieder ganz für sich zu gewinnen. Er brauchte sie doch. Jetzt mehr denn je. Niemals wollte sie ihn im Stich lassen.
Drei Tage verbrachte Jessica fast ausschließlich am Krankenbett. Zwischen Bangen, Hoffen und Beten. Sie erinnerte sich immer öfter an seine Lebensfreude, die auch andere immer mitgerissen hatte.
Sie schaute auf die großen, starken Hände, die so liebevoll und zärtlich sein konnten und nun so kraftlos auf der Bettdecke lagen. Seine geschlossenen Augen, die so blau wie der Sommerhimmel strahlten, wenn er lachte. Seine Stimme, die sie so mochte, dass sie manchmal gar nicht wahrnahm was er sagte, weil sie sich nur auf den Klang konzentriert hatte. Er musste einfach gesund werden! „Oh, Robert, es wird alles wieder gut!“
Am vierten Tag endlich bewegte sich Robert zum ersten Mal. Es war nicht eine der fieberschüttelnden und alptraumgeschwängerten Bewegungen der letzten Tage. Diese Bewegung war anders. Ruhiger, ausgeruhter, etwas kraftvoller. Freudig sprang Jessica auf. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen als sie die Klingel für die Krankenschwester drückte. Roberts trockenen Lippen formten ein Wort. Jessica beugte sich tiefer herunter, um ihn besser verstehen zu können.
„Maren“. Nur ganz leise. Ein Flüstern. In Jessicas Kopf wirbelte alles durcheinander. Ein kleiner
qualvoller Schrei erstickte ihre Kehle. Maren! Das war die andere Frau in Roberts Leben.
Traurigkeit umklammerte ihr Herz. Zum ersten mal nach all den Tagen traten Tränen in Jessicas Augen . Sie war auf einmal müde und kraftlos. Sie wandte sich ab und trat auf den Flur. Sie nahm dabei eine Gestalt wahr, die nervös auf und ab lief. Eine junge Frau. Jünger als sie und recht hübsch. Jessica wusste augenblicklich wer das war, obwohl sie sich vorher nie begegnet waren.
Furcht stand in Marens Augen als sie Jessica sah. Doch dann hob sie stolz den Kopf und blickte Jessica herausfordernd an.
„Gehen Sie nur hinein. Er hat nach Ihnen gerufen“, hörte sich Jessica sagen. War das ihre Stimme? Sie klang so anders. Maren rauschte, die wild gestikulierende Krankenschwester ignorierend, an Jessica vorbei ins Krankenzimmer. Sie zog einen kalten Lufthauch hinter sich her.
Jessica setzte sich erschöpft auf den Stuhl, der dort einsam auf dem Flur stand. Ihre Beine wollten sie nicht mehr tragen. Und all die ungeweinten Tränen der letzten Tage rannen unaufhörlich über ihr Gesicht. Sie hatte ihn verloren. „Wenn er nur glücklich ist. Er soll doch nur wieder glücklich werden“.
In diesem Augenblick berührte sie abermals ein Lufthauch. Er fühlte sich warm an, brachte sie aber dennoch zum Frösteln.
Ein kleiner Engel flog vorbei und hob etwas auf, das dort auf dem Boden lag. Da er nicht wusste was das ist, das er da gefunden hatte, flog er neugierig zu seinem Großvater und fragte:“ Großvater, ich habe dort unten etwas gefunden, weiß aber nichts damit anzufangen.“ „Na, mein Kleiner, dann lass mal sehen“, erwiderte der erfahrene Engel. Die kleine Faust öffnete sich – und darin lag – ein gebrochenes Herz.

 

ui... einerseits traurig, andererseits find ich das ende mit dem kleinen engel wunderschoen...

gruss
sunny

 

Hallo, Sternchen,

auch ich finde die Geschichte gut. Sie ist knapp erzählt, sehr realistisch im Ton und hat doch an den entscheidenden Stellen affektive Höhepunkte.

Das Problem scheint mir, dass es manchmal noch gewisse Brüche im Erzählfluß gibt. "Es gab da noch eine andere Frau in seinem Leben". Dieser Satz kommt etwas unvermittelt. Man hätte ihn nicht vermutet nach dem, was davor steht. Und vor allem der Schlussabschnitt mit den "Engelchen" und dem "gebrochenen Herzen" liegt auf einer ganz anderen Erzählebene, die eigentlich nicht in die übrige Geschichte hineinpasst.

Sonst aber gut erzählt, vor allem in einem sehr sicheren Stil.

Hans Werner

 

Auch ich finde die Geschichte ziemlich gut - und kann mich den anderen hierbei nur anschließen. Allerdings finde ich den letzten Absatz mit dem Egel nicht so passend... Das hemmt irgendwie den Schluß der Geschichte, finde ich...

Grizze!
stephy

 

Hallo Sternchen.

Ließ sich gut lesen, Deine Geschichte.
Hatte aber nach meinem Geschmack ein bischen was von Hausfrauen und Arztroman...naja, wahrscheinlich denk ich das, weil sowas wirklich immer und überall zu passieren scheint.Versuche vielleicht nicht so viele Standardformulierungen zu benutzen dann wird es noch dichter.
Entgegen der Meinung der anderen finde ich das Engelchen und den Großvater am Ende sehr eigen, und das durchbricht erfrischend die Alltäglichkeit der beschriebenen Situation.


Cu Lord :)

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom