Das Wasser läuft noch immer. . .
Es ist wunderbar wie das warme Wasser auf mich einprasselt, über meinen Körper rinnt. Nicht zu warm, sogar eher etwas kühl. Ein wundervolles Gefühl. Ich schließe meine Augen um mir das Shampoo aus den Haaren zu waschen. Es dauert erstaunlich lange bis auch noch der letzte Rest raus ist. Dann streiche ich noch etwas Wasser aus meinem Gesicht um die Augen aufmachen zu können ohne dass sie brennen wie die Hölle.
Im Radio läuft mein Lieblingslied. Ganz leise summe ich mit, so als dürfte keiner es hören. Mein Kopf ist völlig leer. Keine Probleme, Sorgen, oder sonst irgendwelche Gedanken.
Und dann öffne ich die Augen. Mein Körper erstarrt. Wenn ich den Duschkopf nicht kurz vorher an die Wand gehängt hätte, wäre er sicher mit einem lauten Knall auf dem Badewannenboden gefallen. Ich will schreien. Laut. Aber ich tu es nur in Gedanken. In Wirklichkeit bringe ich keinen einzigen Ton raus.
Das Wasser läuft noch immer. Ich starre. Starre durch das nasse und angelaufene Glas. Starre auf die Person die dahinter steht und mich anstarrt. Aus tiefen dunklen Augen anstarrt. Durch die Sturmhaube kann man nicht viel erkennen. Keine Gesichtszüge, keine Haare. Nur diese Augen. Diese dunklen, hasserfüllten, zu allem entschlossenen Augen.
Mein Blick wanderte weiter. Es war ein Mann. Das konnte man an der Statur erkennen. Ganz in schwarz gekleidet. Naja, ich würde auch niemandem in einem Engelskostüm umbringen. Umbringen? Ja. Er hält etwas schwarz-silbrig glänzendes in der Hand. Ich kann es nicht genau erkennen, tippe aber auf eine Messer oder eine Waffe.
Das Wasser läuft noch immer. Ich starre noch immer. Er starrt noch immer.
Ich bin wie festgefroren.
Ich schließe meine Augen. Ich weiß nicht warum. Vielleicht in der Hoffnung dass er weg ist wenn ich sie wieder öffne. Ich weiß dass es nicht so sein wird. Aber wer will sich schon völlig hilflos seinen eigenen Tod ansehen.
Ich nicht.
Das Wasser läuft noch immer. Ich sinke meinen Kopf. Die Augen noch immer geschlossen. Mir wird schwindlig. Ich höre auf einmal nichts mehr. Dann öffne ich die Augen. Langsam. Ich zittere am ganzen Körper. Aber nicht vor Kälte. Die Wassertemperatur ist angenehm, so wie ich sie am Anfang eingestellt habe.
Meine Augen sind offen, mein Kopf gesenkt. Ich starre an meinem Körper herunter auf meine nackten Füße und die Antirutschmatte auf dem Badewannenboden. Wer sagt dass so eine Matte einen vor dem Tod in der Dusche bewahrt liegt falsch. Überall sind Glassplitter.
Das Wasser läuft noch immer. Aber jetzt ist es rot.
Ich falle. Ich weiß dass ich am Boden liege, spüre aber nichts. Höre nichts. . Der schwarze Mann ist inzwischen schon längst wieder weg. Und dann sehe ich auch nichts mehr
Das Wasser läuft noch immer.
Ein lauter Schrei. Nicht von mir. Ich bin ja schließlich Tod. Tote schreien nicht. Nein es war meine Mutter. Sie fällt auf ihre Knie. Tränen fließen über ihr ganzes Gesicht. Sie wimmert.
Einige Zeit später kamen viele Menschen. Sehr viele Menschen. Welche in Uniform. Welche in komischen weißen Anzügen. Sie schauten mich an als wäre ich ein Stück Fleisch. Obwohl man sich in so einer Situation auch nicht anders fühlt. Nach kurzer Zeit haben sie meinen aufgeweichten Körper eingepackt. In einen wunderschönen schwarzen Plastiksack. Und dann in einen hölzernen Sarg. Aber davon konnte ich nicht viel sehen. Schließlich war ich ja in diesem Sack. Aber ich konnte das Holz wahrnehmen, riechen. Was rede ich denn da? Riechen? Ich bin tot verdammt!
Ich dachte jetzt hätte ich wenigstens meine Ruhe. Falsch gedacht. Statt in ein schönes Grab gelegt zu werden liege ich jetzt auf diesem eiskalten Metalltisch. Irgendwo. Sieht aus wie ein Keller. Zumindest den Fenstern nach zu urteilen. Etwas unsanft werde ich von diesem Typen obduziert. Der hätte sich ruhig einen Bartschutz anlegen können. Ich will schließlich keine Haare in meinem Körper behalten. Das wäre echt eklig. Als er fertig ist schiebt er mich mit seinen schweißigen Händen zurück in den großen Metallschrank. Wie toll. Ich hab sogar meine eigene Lade. Trotzdem fühl ich mich etwas ausgeschlachtet. Noch dazu prangt jetzt eine riesige Y-förmige Narbe auf meinem Brustkorb die nie verheilen wird.
Ein paar Tage später werde ich wieder abgeholt. Komme in den schönen hölzernen Sarg zurück. Es ist aber ein anderer als der, in dem ich das erste Mal abgeholt wurde. Den haben sicher meine Eltern ausgesucht.
Die nächsten Tage verliefen relativ ruhig und ereignislos. Was soll schon passieren in dieser Kiste hier? Nur einmal ist sie aufgemacht worden. Dann bin ich in so ein seltsames Kleid gesteckt worden. Ich hätte das nicht ausgesucht. Aber wahrscheinlich ist das nicht mein größtes Problem. Niemand wird mich jemals in diesem Nachthemd hier sehen.
Aus dem Gesicht meiner Mutter kann ich ablesen wie schwer ihr das hier fällt. Die Leichenstarre hat zwar nachgelassen, aber immerhin bin ich ihre tote Tochter. Mit der riesigen Y-Narbe und dem tollen Einschussloch. Wahrscheinlich wollte sie nicht dass mich noch mehr Menschen nackt sehen. Was sowieso schon zu spät ist, aber egal.
Nun ist der Tag endlich gekommen. Ich darf meine letzte Ruhestätte betreten. Zugegeben die Messe war langweilig und ziemlich schnulzig. Der Weg zum Grab war relativ kurz und schon bin ich auch schon drin. Noch ein paar Schaufelchen Erde und nette Worte, ja sogar Blumen werfen sie mir nach. Dann gehen sie alle. Wortlos. Später kommt der Friedhofsmensch und schaufelt die restliche Erde auf mich drauf.
Dann bin ich eingeschlafen.