David Wessels Geisterhaus - Geisterjäger
Der alte VW-Bulli ächzte und stöhnte. Der Gute hatte auch schon mal bessere Zeiten gesehen, dachte sein Fahrer Tom Weismann. So viele Einsätze hatte der Gute schon mitgemacht, soviel gesehen, so viele Erinnerungen hingen an dem Guten.
Doch längst keine guten.
Auf der Rückbank des Guten saßen drei weitere Personen, die alle wie Tom recht martialisch aussahen mit ihren Pistolen, die in den Halftern steckten, und ihren grimmigen Gesichtsausdrücken. Ansonsten trugen aber alle normale Straßenkleidung. Nur eine Gerätschaft hätte viele Menschen stutzen lassen, sodass sie sich zwischen Reinigern und Auftragskillern entscheiden mussten: Ein Handstaubsauger war zumindest den drei im Verlader am Rücken angelegt, Toms Sauger war im Handschuhfach sicher verstaut. Die Männer auf der Rückbank begannen ein Gespräch:
“Ey Tom, wie weit is’ noch?” fragte der eine, der Jeans und ein Flanellhemd trug. Mehr zu sich selbst fügte er hinzu: “Ich hab diese elende Fahrerei langsam satt.” “Nicht mehr weit,” lies Tom anmerken und hielt an einer roten Ampel. Dann sprach ein weiterer Mann mit blauem Pullover und Cordhose: ”Mann Toni, sei doch nicht immer so grimmig. Du tust ja gerade so, als seien wir unterwegs nach Afghanistan. Immer dasselbe mit dir. Nimm das Ganze doch mal ‘n bisschen lockerer. Wann waren wir eigentlich schon mal in einer bedrohlichen Situation, hä? Du weißt doch genauso gut wie ich, dass wir nur ’n paar Gaunereien abziehen und fertig.” “Halt doch mal die Klappe, Chris.” Der dritte Mann mischte sich in das Gespräch ein, er trug ein grünes T-Shirt über ein weißes Sweatshirt und eine graue Hose. “Und es gibt sie doch. Sonst hätte Tom doch damals die Agentur nicht gegründet, oder, Tom?” “Ach, der is’ doch der Obergauner hier,” meinte Chris dazu. Tom antwortete nicht, grinste aber grimmig in die Windschutzscheibe hinein.
“Diese Schafe,” dachte er.
Auch Toni hatte dazu eine Meinung: “Chris hat Recht, Bob, wir sind nichts weiter als ein Haufen verschissener kleiner Gauner. Das macht mich ja so nachdenklich. Wie viele Leute wir schon mit diesem Scheiß abgezogen haben...” Er brach ab und schüttelte den Kopf. “Scheiß doch drauf, Mann,” ließ Chris verlauten. “Wenn die ganzen Abergläubiger und Drogenopfer im Rausch so einen Quatsch glauben, haben wir auf jeden unser Geld verdient. Ich mein’, selbst schuld, oder nicht?” Bob schien daraufhin wütend zu werden: “Wenn du wieder auf meine Zeit als...” “Wir sind da,” unterbrach Tom ihn. Bob schaute weiter grimmig zu Chris, sagte aber nichts mehr.
Sie stiegen vor einem imposanten Gründstück aus, das heißt, imposant von der Größe: Der gewaltige Garten war verwildert, die Bäume kahl und tot, und das Haus, dass auf dem Grundstück lag, eine riesige Villa, sah alt und verwittert aus. Es war eines der ganz wenigen Holzbauten der Stadt. Es war ein Wunder, dass es überhaupt noch stand. Doch zu welchen Zweck?
Langsam schritten die vier Gestalten zum massiven, meterhohen Eingangstor, welches mit einer sehr stabilen und keineswegs rostigen Eisenkette abgeschlossen war. Der Zaun, ebenfalls bereits durch die Höhe unüberwindbar, war zusätzlich mit Stacheldraht gesichert.
Tom ging auf das Tor zu, fummelte ein bisschen in seiner Hosentasche und zog schließlich einen recht kleinen Schlüssel hervor. Mit leicht zitternden Händen nahm er das Schloss, steckte den Schlüssel hinein und drehte. Ein leises Klicken, ein kurzes, lautes Klimpern, uns schon befanden sich die vier auf dem Grundstück.
“Ey Tom, wer hat dir noch mal den Schlüssel für diese Drecksbude gegeben? Die Stadt?” wollte Toni wissen. “Mhm,” antwortete Tom. “Ist eine Sicherheitskopie.” “Findet ihr es nicht auch merkwürdig, dass die Stadt den Schlüssel besitzt?” merkte Bob an. “Ich mein... wem hat denn die Bruchbude hier mal gehört?” “Das weis keiner so genau,” sagte Tom. “Diese Villa steht schon seit langer Zeit leer, und welche Geheimnisse sich dahinter verbergen, dass müssen wir nun herausfinden.” “Merkste schon, Toni?” fragte Chris. “Er beginnt wieder in seiner Heroensprache zu erzählen. ‘Wir sind die einzige Hoffnung der Menschheit, huh, huh‘.” Chris feixte über seine eigene Bemerkung, Toni stimmte aber nicht ein. Auch Chris selbst hörte plötzlich auf, als Tom ihn mit einem Blick ansah, der deutlich das Wort “Gehaltskürzung” enthielt.
Sie erreichten die Tür, alt und schäbig wie die ganze Villa. Ein Zettel lag vor der Tür.
1. Stock - erste Tür links
stand darauf.
“Jo, die Penner ham’ uns noch ‘ne Anweisung dagelassen,” meinte Chris und nahm den Zettel von dem Stein, mit dem er beschwert war. Tom hingegen war skeptisch, denn er war handschriftlich geschrieben. Er sah eher wie ein Hilferuf aus.
Sie betraten das Haus, alles war still. Nur ein leiser Windhauch zog durch die offene Tür, die plötzlich laut zuknallte.
Chris unterbrach die drückende Stille: “Mann, ich hab echt keinen Schimmer, was wir hier sollen. Das Scheißhaus hier is’ doch völlig verlassen. Da find’ ich’s lohnender, alte Omas zu bescheißen.” Doch nach Chris kurzer Anmerkung kam ein weiteres Geräusch auf: Ein Knurren. Sofort zogen alle ihre Pistolen aus den Halftern, außer Chris. “Was ist denn, verdammt?” fragte er, doch schon war das Übel sichtbar: Drei Hunde aus der Hölle, ohne Fell und mit sichtbarem, blutigem Fleisch rannten auf die Gruppe zu. Tom und Bob feuerten und erwischten zwei sofort, doch Chris sah nur fragend um sich und Toni, ausgerechnet der eisenharte Toni, weitete vor Schreck seine Augen und ließ seine Waffe fallen. Der Schritt seiner Hose färbte sich dunkel, und noch bevor sie den dritten erwischen konnten, rannte Toni aus der Villa, vom Grundstück weg, das Untier hinter ihm her, und er wurde nie wieder gesehen.
“Was zum Teufel ging denn hier ab?” wollte Chris wissen. Jetzt klang er überhaupt nicht mehr cool. Tom wollte das ändern: “Beruhige dich, Chris. Es hilft uns jetzt nicht, wenn du auch noch ausflippst.” “Was war los mit dir, Mann?” fragte Bob. “Hast du etwa nicht die Hunde gesehen?” “Ich glaub eher, ihr flippt aus,” ließ Chris verlauten. “Was denn für Hunde, Scheiße.” “Glaubst du, Toni hat sich umsonst in die Hosen gepisst?” fragte Tom. Er stand ganz nah an Toni. Sein Blick war bohrend. “Er hat sie gesehen, obwohl er nicht an so was glaubt. Und ich glaube, du sie aus dem selben Grund NICHT siehst. Also reiß dich zusammen und überdenke die Realität.” Chris nickte zwar, doch hielt er nun Abstand zu Tom und Bob.
Ohne weitere Zwischenfälle erreichten die restlichen drei die erste Tür links im ersten Stockwerk. Bevor sie allerdings die Tür öffneten, zogen alle ihre Waffen. Dann zählte Tom bis drei und öffnete die Tür schnell, aber ohne grobe Gewalt. Und hier, in einem modrigen, düsteren Raum, der nur von einer Petroleumlampe erleuchtet wurde, lag ein alter, sehr kränklich aussehender Mann auf einem recht instabilen Bett. Neben einem Nachtschrank war es das einzige Mobiliar.
Bob reagierte sofort und stürmte auf den alten Mann zu, und auch Tom entspannte sich und lies seine Waffe sinken. Bob erkundigte sich bei dem alten Mann: “Geht es Ihnen gut? Brauchen Sie etwas zu trinken, zu essen? Werden Sie hier festgehalten? Ich...” Doch der alte Mann unterbrach Bobs Redeschwall und sagte: “Ihr müsst... nach oben gehen. Dort... wird der Grund für euren Besuch... offenbar.”
Während sich der alte Mann mit Bob unterhielt, nahm Tom eines dieser Geister-Erkennungs-Dinger zur Hand. Es war ein ganz billiges Ding, aus der Spielwarenabteilung, und Tom glaubte eigentlich nicht, dass es was nützte. Doch dann weiteten sich seine Augen, als das Gerät ausschlug. Er ging zwei Schritte auf den alten Mann zu, und es schlug noch heftiger aus. Tom war verblüfft. Es funktionierte!
Irrenhaus!
Genau das hatte Chris gedacht, als er Tom und Bob in dem Zimmer agieren sah. Bob unterhielt sich mit Luft, und Tom fuchtelte mit diesem dämlichen Spielzeug herum. Aber damit war jetzt Schluss. Wenn sie alle Irre wurden, musste jemand das Ruder übernehmen.
Chris zog seine Waffe, schlich sich an Tom an und packte ihn von hinten, die Waffe an seinen Kopf gerichtet. “So, ihr Scheißer, jetzt ist Schluss mit euerm Gehampel. Ich weis nicht, was hier abgeht, aber ich glaube, dass ihr alle einen an der Meise habt. Deshalb, Bob, tust du jetzt schön, was ich sage, sonst ergeht es “Chefe” hier recht schlecht.”
Hinter ihm hörte er ein Knurren nicht.
Nachdem der alte Mann seine letzten Worte sprach, starb er. Bob war fassungslos, denn nun konnte er keine Informationen mehr über dieses Haus bekommen. Das wäre sehr interessant gewesen. Noch fassungsloser war er allerdings, als er sah, dass Chris seinen “Chefe” als Geisel genommen hatte. Allem die Krone setzte aber der untote Hund auf, der sich an Chris heranschlich. “Chris, pass auf...” waren die einzigen Worte, die er sagen konnte, bevor das Untier ihn ansprang. Chris schrie und kreischte und wurde schnell panisch, zumal er nicht wusste, was ihn denn nun angriff. Er sah das Vieh einfach nicht. Tom konnte sich losreißen, doch noch bevor weder er noch Bob ihre Waffen ziehen konnten, hatte die Bestie bereits Chris Gesicht zerfressen. Zwar erschossen sie das Monster, Chris aber lag in einer Blutlache, nicht mehr fähig zu sprechen, noch zu denken oder zu atmen.
Jetzt waren sie noch zu zweit.
Weitere drei Stockwerke ging es nach oben, diesmal ohne nennenswerte Zwischenfälle. Das tat besonders Bob gut. Er war kreidebleich und zitterte, schien sich sein Entsetzen aber nicht anmerken zu wollen. “Alles klar mit dir?” wollte Tom nach einiger Zeit wissen. “Ja, ich glaube, es ist jetzt OK,” antwortete Bob. “Weißt du, das Merkwürdige daran ist, glaube ich, dieses Wechselbad. Im Grunde bin ich begeistert. Versteh’ mich nicht falsch, ich bin extrem schockiert, was Chris und Toni wiederfahren ist, aber ich hab’ jetzt auch Gewissheit. Da glaubte man jahrelang an etwas, aber man hatte keinen Beweis, und nun habe ich sie mit eigenen Augen gesehen. Das ist schon... seltsam.” Und so verfiel Bob wieder in Schweigen.
Nun befanden sie sich im Sachgeschoss, in einem großen Flur. Eine einzige, mit grausamen Fratzen verzierte Tür war zu sehen. “Sind wir am Ziel?” fragte Bob nach. “Ich hoffe,” kam Toms Antwort. Er zögerte nicht lang, schritt zur Tür und öffnete sie, betrat sie aber nicht. Zunächst prüfte er nämlich mit dem Detektor das Innere des Raumes. Keine Anzeichen. Erst jetzt öffnete er die Tür ganz.
Im Inneren des Raumes befand sich ein imposanter Tisch, der mit allerlei Leckereien bedeckt war. Licht ging von einem Kaminfeuer aus dem Kamin rechts von ihnen aus. Doch das Merkwürdigste im ganzen Raum war die einzige Person. Es saß dort nämlich, ganz am Ende des Tisches ein Mann im Smoking, der mit Brille, grauen Haaren und ebenso grauem Vollbart aussah wie ein Versicherungsvertreter. Als er die Gäste sah, winkte er sie zu sich herüber.
“Ah, na endlich, kommen Sie, kommen Sie, hier gibt es reichlich, hier gibt es viel. Nun, ich habe eigentlich mit vier Besuchern gerechnet, aber das macht ja nichts, besser weniger als zu viele, stimmts?” Tom und Bob sahen sich fragend an und rührten sich keinen Millimeter. “Wer sind Sie?” wollte Tom wissen. “Oh, ich bin der Besitzer dieses Hauses, gut, dass Sie mich fragen. Ich hatte schon so viele Besucher dieses Jahr, aber gefragt hat mich keiner.” Während er sich mit ihnen unterhielt, speiste er ganz unverhohlen. Manieren hatte er wohl keine. “Nun, im Grunde bin ich es schon seit einer ganzen Weile, seit mich einer gerufen und nicht überlegt hat.” Tom rätselte über diese Worte, dann fragte er weiter. “Sind Sie der Besitzer dieser Monsterhunde?” Der Mann hörte unverzüglich auf zu essen und blickte Tom finster an. “Monsterhunde? Das sind meine Lieblinge. Tut mir leid, wenn sie einem manchmal das Gesicht auffressen, manchmal sind sie nun mal etwas stürmisch. Ja, manchmal.” Er begann wieder zu Speisen, redete jedoch weiter. “Ich weis auch, dass der alte Besitzer euch geschickt hat. Ja, der gute Heinrich! Wollte Macht haben, endlose Macht, und die habe ich ihm gegeben. Aber als es ans Bezahlen ging, wollte er auf einmal nicht mehr. Seitdem stört er da unten immer wieder die Ruhe. Immer wieder!” Plötzlich erhob sich der Mann von seinem Stuhl. “Und nun muss ich euch bitten, zu gehen.” Auf einmal zuckte sein ganzer Leib, platzte auf, blutete, riss auf, stattdessen ein Leuchten, ein irres Leuchten in Rot, ein grelles Rot, Tom und Bob mussten die Hände vor die Augen nehmen, und da war es. Das Unfassbare.
Ein grausames Vieh, welches den schlimmsten Albträumen entsprungen zu sein schien, war da anstelle des nett aussehenden Mannes, ein Vieh mit roter, schuppiger Haut, mächtigen Muskeln an Beinen und Armen und mit tückischem Blick. “Ich bin Luzifer, Herr der Schrecken. Niemand vermochte es je, mich zu töten, und so sei es mit euch.” Er stürmte auf sie zu. Tom und Bob zogen sofort ihre Waffen und schossen, sie richteten aber keinen Schaden an. So rollten sich beide im letzten Moment zur Seite, Tom nach links, Bob nach rechts zum Kamin. Bob stieß dabei mit dem Fuß an einen Schürhaken, während die Attacke Luzifers danebenging. “Bob, der Schürhaken,” rief Tom ihm zu. “Greif ihn damit an.” Bob nahm ihn, im selben Moment wandte sich Luzifer dann auch Bob zu. Zweimal schlug er daneben, der dritte Schlag saß, er traf die Bestie mitten ins Gesicht. Das unheilige Wesen schrie und zappelte blind, als plötzlich das ganze Haus zu wackeln begann. Trümmerteile flogen herunter. Bob schmiss den Schürhaken weg und holte Tom, doch dieser rührte sich nicht. ”Es ist nicht tot,” schrie er immer und immer wieder, doch Bob zerrte ihn weg, und zwar im richtigen Augenblick, denn dort, wo Tom gerade noch stand, fiel ein massiver Holzbalken zu Boden. Tom und Bob, Tom eher widerwillig, zogen sich dann in größter Eile aus dem Haus zurück und überließen dem tobenden Haus sich selbst. Doch als sie das Haus verließen, hörte plötzlich das Beben auf, Ruhe kehrte er. Tom blickte noch einmal auf das unschuldig wirkende Haus zurück.
“Du bist nicht tot,” sagte er und verließ mit Bob den Ort.