Was ist neu

Der andere Mann

Mitglied
Beitritt
03.07.2006
Beiträge
28

Der andere Mann

Es muss doch einen Weg geben, meine Unschuld zu beweisen. Es kann einfach nicht sein, dass ich unschuldigt büßen muss. Gottverdammt, wenn ich überhaupt wüsste, was ich damals gemacht habe. Ich kann sie nicht umgebracht haben, aber wenn ich wüsste, was in jener Nacht passiert ist, würde ich bestimmt einen Weg finden, meine Unschuld zu beweisen. Ich weiß ja nicht einmal, wie man eine solche Pistole bedient, erst recht nicht in meinem Zustand damals.


Gottverdammt, ich brauche mehr Zeit. Mir sind hier ja die Hände gebunden. Wenn ich Zeit hätte um Nachzudenken und mir den Ort noch einmal ansehen könnte, würde ich mit Sicherheit etwas finden. Aber hier, hier denkt man ständig im Kreise, von einer Zellenecke zur anderen, bis man wieder dort angelangt ist, wo man angefangen hat.


Wenn ich einfach versuche zu fliehen? Das wäre denen nur recht. Ich käme keine fünf Meter weit bis sie mich erschießen und sich das ganze Drumherum sparen. Aber ich muss jetzt etwas unternehmen! Ich muss sie von meiner Unschuld überzeugen oder zumindest Zeit gewinnen. Zeit...


Spielt das überhaupt noch eine Rolle? Vielleicht ist alles schon besiegelt und es gibt jetzt keinen Weg mehr zurück, nicht einmal mehr in die Zelle. Vielleicht ist dieses grüne Linoleum eine Einbahnstraße ins Nichts. Aber wie kann das sein? Wie kann es sein, dass Unschuldige hingerichtet werden?


Bin ich denn unschuldig? Vielleicht habe ich sie nicht getötet, aber vielleicht bin ich trotzdem schuldig an ihrem Tod. Vielleicht ist das die Strafe dafür, dass ich mich nicht erinnern kann. Die Strafe für den Bourbon, für den Schlaf. Die Strafe dafür, dass ich das Leben zu sehr gelebt habe.

Das kann doch nicht sein. Verdammt, es gibt so viele andere, die ebenso leben wie ich es tat, wenn nicht schlimmer. Wieso bin ich hier und sie nicht? Das kann nicht gerecht sein. Gott, das kann nicht gerecht sein! Vielleicht ist es für die Menschen gerecht, weil sie nicht wissen, was ich weiß. Aber du weißt es, Gott. Du weißt es! Und der Tod ist deine Sache. Wieso lässt du es zu?

Verdammt, wieso lässt du mich nicht wenigstens verstehen, weshalb ich hier bin? Ist das irgendein grausamer Witz, dessen Pointe ich versäumt habe? Was bist du überhaupt für ein Schöpfer, dass du das Leben deiner Geschöpfe mit dem Tode strafst? Welches Recht hast du überhaupt dazu? Wieso hast du uns dann überhaupt das Leben gegeben?


Das kann nicht das Ende sein. Wenn schon von Gott und den Menschen keine Gerechtigkeit zu erwarten ist, dann muss ich selbst wenigstens gerecht sein. Dann muss ich jetzt einen Weg finden, zu meiner Gerechtigkeit zu kommen.

Was ist denn dann überhaupt gerecht? Sie ist tot, alles sieht danach aus, dass ich der Mörder war, ich selbst weiß nicht, was geschehen ist. Ich glaube nicht, dass ich es war. Aber was ist der Glaube schon wert? Ich habe ja auch geglaubt, dass Gott gerecht ist. Spielt es überhaupt eine Rolle, ob es für mich gerecht ist? Vielleicht ist die Gerechtigkeit nur für die anderen da?

Aber meine Gerechtigkeit. Was ist mit meiner Gerechtigkeit? Ich habe auch ein Recht auf Gerechtigkeit.


Vielleicht ist der Tod gerecht. Vielleicht ist das meine Gerechtigkeit. Ich verlasse das Leben und damit auch das Leid. Und ich werde sie wiedersehen. Ist das nicht gerecht?


Das kann doch nicht sein. All die anderen, denen es erlaubt ist, weiter zu leben...


Vielleicht haben sie eine andere Gerechtigkeit. Ich habe ja von meiner Gerechtigkeit gesprochen.

Ja, der Tod mag meine Gerechtigkeit sein.

Lasst die Mörder kommen.

 

Hallo Vanish,

tut mir leid, aber ich fand diesen inneren Monolog eines "anderen Mannes"(?) ausgesprochen langweilig. Den für diese Rubrik geforderten philosophischen Gehalt finde ich zudem sehr dürftig und folgt meiner Lesart zufolge nicht aus den zuvor im Text geschilderten Aussagen bzw. Fragen. Die letztendliche Erkenntniss soll offenbar darin bestehen:

Ja, der Tod mag meine Gerechtigkeit sein.

Aber mal von vorne. Zunächst ist vom Beweisen einer Unschuld sowie einer kurzzeitigen Amnesie des Ich-Erzählers vor einiger Zeit die Rede.

Dann wird von diesem "mehr Zeit" gefordert um sich noch einmal den Tatort von "damals" anzusehen. Dabei hofft er, seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen zu können. Diese Forderung ist jedoch einigermaßen unverständlich, denn Zeit scheint in seiner aktuellen Lage – die unfreiwillige Inhaftierung in einer Zelle – nicht gerade dasjenige Gut zu sein, dass er jetzt am dringendsten zu brauchen scheint. Was er für seine Forderung gerade am meisten bräuchte ist physische Freiheit.

Dafür kommt der Erzähler nun im nächsten Absatz auf das Thema Freiheit in Form eines angedachten Fluchtversuchs. Dabei scheint der Haupthinderungsgrund für einen solchen nicht etwa die erwähnte Zelle oder das Gebäude, in dem sich diese befindet, zu sein, sondern viel eher ein Haufen schießwütiger Wärter, die ihn eigentlich am liebsten gleich liquidieren würden. An dieser Stelle frage ich mich, in welchem, offenbar nur sehr gering zivilisierten Kulturkreis sich diese Angelegenheit wohl abspielen mag.

Für diese Annahme spricht zudem, dass Verurteilten offenbar kein Anwalt zusteht, denn von einem solchen ist erstaunlicherweise nirgendwo die Rede. Weiterhin ist die Todesstrafe grundsätzlich legitimiert. Das schränkt den Ort der Handlung schon sehr ein. Afghanistan vielleicht?

Im nächsten Absatz wird es dann recht metaphysisch. Der Erzähler vermutet, dass eine Art göttliche Macht ihn für sein Nicht-Erinnern-Können, einen Bourbon, ein Nickerchen sowie ein gutes Leben bestrafen will. Er scheint damit der Ansicht zu sein, gesündigt zu haben und erklärt sich selbst damit seine Schuldigkeit am Tod einer nicht weiter beschriebenen Frau.

Nun kommt ein "Gott" ins Spiel. Die ganze Angelegenheit scheint sich also in einem christlichen Umfeld abzuspielen. Zumindest, was die Persönlichkeit des Erzählers betrifft. Nicht Allah, nicht Jehova, nicht Buddha wird angerufen, nein, "Gott" muss mal wieder herhalten. Das ist natürlich nicht eben originell, lässt aber andererseits die Frage nach dem Ort des Geschehens nur noch interessanter erscheinen! (zur Erinnerung: christliches Umfeld, schießwütige Wärter, keine Anwälte sowie die Todesstrafe als legitimes Mittel der Exekutive)

Dann folgt eine Umschreibung des alten Theodizee-Problems. Der Erzähler sollte dazu vielleicht einmal beim ebenso alten Leibniz nachschlagen, der sich seinerzeit ausführlich dazu geäußert hat (Kurzfassung: die moralische Freiheit des Menschen als Teil der Schöpfung setzt die Möglichkeit zur Sünde bzw. zu dem von ihm verursachten Übel in der Welt voraus. Ohne Freiheit wären wir in unseren Handlungen determiniert und damit eine Art Marionette nach Gottes Gesetzgebung. Eine sicherlich schreckliche Vorstellung)

In den folgenden Absätzen ist dann mehrmals von Gerechtigkeit die Rede. Gerade hier verwundert es mich schon, dass niemals von der Form der Justiz, die über den Erzähler zu urteilen hat, gesprochen wird. Das wäre doch sehr naheliegend.

Am Ende scheint der Erzähler dann zum Thema Gerechtigkeit schließlich zu resignieren. Die "Mörder" scheinen schon vor der Zellentür zu stehen und gerade aufzusperren. Naja, soviel zu diesem gedanklichen Ausflug.


Ich hätte mir wesentlich mehr Hintergrundinformationen, wie vor allem Ort und Zeit und nähere Umstände der Begebenheit, gewünscht. Auch gestaltet sich das Ganze einfach sehr seicht. Dass die Welt an sich ungerecht ist wissen wir doch alle längst. Dafür muss man nicht erst zum Tode verurteilt werden. Dafür braucht eigentlich nur ein wenig Zeitung lesen. Und dass Gott für gewöhnlich keine tödlichen Blitze auf all die Ungerechten auf dieser Welt vom Himmel herab schleudert ist nun wirklich auch nichts Neues. Worin soll also das lesenswerte an dieser Geschichte liegen?

 

Hallo,

vielen Dank für deine sehr ausführliche und wohlgemeinte Kritik. Ich denke, die meisten Punkte derselben basieren jedoch auf einer unterschiedlichen Herangehensweise an Geschichten.

Für mich als Erzähler stellt sich nicht die Frage nach der Aussage einer Geschichte. Ich habe mir einmal einige ästhetische Maximen zusammengestellt, die für meine Arbeit für verbindlich halte. Diese beginnen mit:

Ein Kunstwerk ist ein gestaltgewordener Ausdruck für ein gestaltloses und unausdrückbares seelisches Ereignis. Jede Kunst ist daher notwendigerweise symbolisch, wie sie ebenso notwendigerweise keine klare Aussage treffen oder Position beziehen kann.

Das bedeutet, wenn du nach einer "Erkenntnis" oder "Aussage" suchst, wirst du bestenfalls keine und schlimmstenfalls eine völlig ungenügende finden.

Was die Probleme betrifft, die Erzählung in Zeit und Ort zu lokalisieren und in einen realen Handlungsrahmen einzubinden, so habe ich mir in den erwähnten Maximen hierzu einige Aphorismen zusammengestellt:

Jede Kunst ist paradox. Nur so wird sie ihrem Stoff gerecht.
Jede Kunst ist irreal. Nur so wird sie dem Leben gerecht.
Jede Kunst ist selbstlos. Nur so wird sie dem Künstler gerecht.
Jede Kunst ist individuell. Nur so wird sie dem Publikum gerecht.

Das heißt, das Werk soll und darf m.E. gar nicht völlig eingeordnet werden können, um seine Wirkung nicht zu verlieren. Eine anhaltende Wirkung geht für mich nur vom fragmentarischen, rätselhaften und unzulänglichen aus, sobald irgendetwas "verstanden" wird - indem man es intellektuell verordnen kann - verliert es jeden ästhetischen Reiz.

Deswegen habe ich große Achtung und Verständnis für deine Kritik, kann sie jedoch leider nicht beherzigen, ohne meinen eigenen Grundsätzen und damit mir selbst untreu zu werden.

 

Hmm, erinnert mich irgendwie an:

„Jemand muss Josef K. verleumdet haben; denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“

Gruß
Q.

 

Ich bin heute freundlicherweise darüber aufgeklärt worden, dass es nicht sehr gut ankommt, auf einzelne Kritikpunkte nicht einzugehen, weshalb ich noch einmal versuchen will, mich besser mit der Kritik auseinander zu setzen.

Wie schon gesagt soll die Geschichte gar nicht in einen realen Rahmen eingebettet werden können. Ich denke, sie ist aus sich heraus nachvollziehbar genug, um auch ohne realistischen Hintergrund bestehen zu können.

Es geht um die Gedanken eines Mannes, der zum Tode verurteilt wurde, ohne genau zu wissen, ob er schuldig ist oder nicht. Die Inspiration stammte vielleicht aus alten amerikanischen Gefängnisfilmen (mir fallen gerade "Die Verurteilten" mit Tim Robbins und Morgan Freeman ein), zumindest soll eine ähnliche Stimmung vermittelt werden.

Der Protagonist befindet sich jedoch in einer recht anderen Situation als in dem erwählten Film: Seine Zeit läuft in Kürze ab und er versucht verzweifelt, mit sich selbst ins Reine zu kommen, indem er nach einem Sinn in seinem Schicksal sucht.

Dabei nehmen seine Gedanken ihren Ausgang bei der Situation, die ihn überhaupt erst in seine Lage gebracht hat. Hier erfahren wir, dass er eine Frau umgebracht haben soll, während er selbst so betrunken war, dass er sich diesbezüglich an überhaupt nichts erinnern kann.

Er sinnt zunächst nach Möglichkeiten, sich Klarheit über die Rechtmäßigkeit seiner Verurteilung zu verschaffen, merkt dabei jedoch schnell, dass seinem Handlungsspielraum durch Gefängnismauern und Wärtern enge Grenzen gesteckt sind. Er denkt kurzzeitig an Flucht, rechnet sich dabei jedoch noch schlechtere Chancen aus.

Als er bemerkt, dass er keine Klarheit mehr über seine Tat erhalten wird, beginnt er das Schicksal zu hinterfragen. Auch hier kreisen die Gedanken weiter um das Thema "Gerechtigkeit". Er fragt sich, ob Schuld nur in der Tat begründet liegt, oder auch im Geschehenlassen einer Tat, oder gar im Unbewusstsein über eine Tat. Er fragt sich, wie er zumindest darüber Aufschluss erlangen kann, und landet dabei zwangsläufig bei Gott.

Dieser wird als ein gerechter, allwissender Gott angerufen, in dessen Hand Leben und Tod liegt. Wenn Gott gerecht ist und ihn wegen dieser Tat sterben lässt, dann muss das Urteil ebenfalls gerecht sein. Aber weshalb lässt Gott es ihn nicht verstehen? Weshalb bleibt er alleine im Ungewissen?

Die Antwort darauf ist entweder, dass Gott und die Menschen doch nicht gerecht sind, oder dass ihm diese Gerechtigkeit, die im Verständnis von Schuld und Sühne liegt, nicht gewährt wird, was wiederum ungerecht ist. Seine Seele sucht jedoch weiterhin nach einem Weg, zu ihrer Gerechtigkeit zu kommen.

Hierbei zieht er Bilanz und stellt fest, dass ihm nichts außer der Tod verbleibt. Dieser muss also der Hort seiner Gerechtigkeit sein. Er rettet sich schließlich, indem er "erkennt", dass es mehrere Gerechtigkeiten gibt, eine für ihn, eine für die anderen. Seine Gerechtigkeit ist der Tod. Mit dieser Erkenntnis ist seine Seele zur Ruhe gekommen und nun erwartet er gelassen, fast sehnsüchtig, seine "Mörder".

 

Hallo Vanish,

was du hier machst ist in meinen Augen eine weitgehende Entwertung nicht nur meiner Kritik oben (auf die du kaum eingehst), sondern auch deiner Geschichte.

Dafür spricht, dass du dich genötigt fühlst, eine Art Gebrauchsanleitung für diese als Antwort zu posten. Das finde ich überheblich, denn ich verlange von dir ja auch nicht, meine Kritik oben auf eine ganz bestimmte Art zu lesen und nicht anders.

Daran ändert auch deine bloße Nacherzählung der Geschichte nichts.

Das bedeutet, wenn du nach einer "Erkenntnis" oder "Aussage" suchst, wirst du bestenfalls keine und schlimmstenfalls eine völlig ungenügende finden.
Gesetzt den Fall, ich würde trotz dieser Weissagung eine Erkenntnis oder Aussage in dieser Geschichte finden: Würde dich diese daher nicht interessieren, einfach weil das nicht in dein Konzept passt?

Dann würde ich sagen, dass du nicht der richtige Addressat meiner Kritik zu sein scheinst.

Kann vielleicht jemand anderes diesen Job übernehmen?

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom