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Der Angriff (Zweiter Weltkrieg)
„Amerikaner, etwa fünftausend Bruttoregistertonnen, vermutlich militärische Fracht, denn das Schiff führt keine vorgeschriebenen Kennzeichen“, murmelte der Erste Wachoffizier und starrte dabei durch sein Fernglas auf das Schiff, das in der Dunkelheit sogar damit nur schwer zu erkennen war. „Einzelfahrer, vermutlich ohne Geleitschutz.“
Außer den üblichen vier Mann Brückenwache und dem Ersten Offizier befand sich auch der Kommandant auf dem Kommandoturm und blickte neben dem Ersten Offizier durch sein Fernglas.
„Dann wollen wir mal“, sagte der Kommandant. „Eins WO, bringen Sie das Boot auf Position und errechnen Sie eine Feuerleitlösung!“
„Jawohl Herr Kapitänleutnant!“, bestätigte der Erste Wachoffizier und rief nach unten: „Beide Maschinen äußerste Kraft voraus, Kurs eins acht null! UZO auf die Brücke!“
Der Befehl wurde von unten bestätigt und die U-Boot Zieloptik wurde durch das Turmluk nach oben gereicht, wo es der Erste in Empfang nahm und auf den dafür vorgesehenen Sockel montierte. Starke Vibrationen schüttelten das Boot als die beiden Dieselmotoren es mit äußerster Kraft vorantrieben. Die Maschinen röhrten auf und stießen zu beiden Seiten des Schiffes schwarze Rußwolken aus den Abgasklappen. Der Kommandant lehnte an der Turmverkleidung und beobachtete den Ersten kritisch bei seinen eifrigen Vorbereitungen. Er hatte die Mütze tief ins Gesicht gezogen und sah ihn durch seine zusammengekniffenen Augen an. Auch schon vor dem Krieg war der Kommandant Seemann gewesen, er befehligte ein Frachtschiff und war damit in all seinen Dienstjahren schon weit herumgekommen. Jede Vernichtung eines Schiffes war ihm persönlich zutiefst zuwider, und nur die Notwendigkeit des Krieges, feindliche Schiffe zu versenken, trösteten ihn über Schmerz hinweg, den er als Seemann dabei empfand. Er verstand sich recht gut mit seinem Ersten Offizier, der mit ihm schon seit den ersten Kriegsjahren bei der U-Bootwaffe diente. Der Erste Offizier war zwar um einige Jahre jünger und hatte nur wenige zivile Erfahrungen mit der Schifffahrt, da er beruflich Maschinenbautechniker war, teilte aber die Liebe zu Schiffen mit seinem Kommandanten. Ihm war aber auch seine militärische Laufbahn durchaus wichtig, was für ihn die Zerstörung von feindlichen Schiffen rechtfertigte.
„Schau mal wie gut unser schäumendes Kielwasser im Mondlicht zu sehen ist. Wenn uns die Amis da mal bloß nicht sehen“, flüsterte der Wachmann Greppmayr zu seinem Nachbarn, nachdem er ihm den Ellenbogen in die Seite gerammt hatte. „Der Alte wird uns noch alle umbringen mit diesen leichtsinnigen Angriffen. Wenn ich hier etwas zu sagen hätte, dann sähe es anders aus, das kannst du mir glauben.“
„Halt die Fresse Greppmayr!“, antwortete der angesprochene Wachmann.
„Offensichtlich bin ich in diesem Haufen von Psychopathen der einzige, der noch halbwegs bei Trost ist und wirklich etwas vom U-Boot Krieg versteht!“, fuhr Greppmayr fort.
„Drum bist du auch immer noch Gefreiter, Greppmayr.“
„Ruhe an Deck! Behalten Sie Ihre Sektoren im Auge!“, befahl der Kommandant verärgert.
Die Nacht war ruhig, kaum Seegang, aber der Mond am klaren Himmel tauchte das Geschehen in ein fahles Licht, in welchem das Kielwasser des Bootes geradezu zu fluoreszieren schien. Dem Kommandanten war dies bewusst, aber mit weniger Fahrt hätten sie keine brauchbare Schussposition erreicht und das Ziel wäre abgelaufen. Er musste sich also entscheiden, und entschied sich, dieses Risiko einzugehen. Der Gegner war nicht bewaffnet und es waren auch keine Sicherungseinheiten zu sehen, das Risiko war also kalkulierbar. Schlimmstenfalls würde das verfolgte Schiff beginnen Haken zu schlagen, sobald es seine Verfolger entdeckte.
Nach etwa zwei Stunden Jagd mit äußerster Kraft voraus war das Boot in einer Position, von der aus ein Torpedoangriff gefahren werden konnte.
„Herr Kapitänleutnant, Boot ist in Position, Überwasserangriff ist ab jetzt möglich!“, meldete der Erste Offizier.
„Na dann wollen wir mal“, antwortete der Kommandant und rückte seine Mütze zurecht. „Eins WO, Sie schießen! Eine Feuerleitlösung für einen Zweierfächer, Rohr eins und zwei, wenn ich bitten darf.“
„Zu Befehl Herr Kapitänleutnant!“ antwortete der Erste. „Kurs zwo sieben null, beide Maschinen Stopp!“, rief er nach unten, wo der Befehl prompt bestätigt wurde. Er stellte sich an die Zieloptik und beobachtete, wie das gegnerische Schiff sich durch die Drehung des Bootes auf den neuen Kurs langsam von rechts in Richtung Fadenkreuz bewegte. Dann begann er die Daten für die Feuerleitlösung an den Offizier am Feuerleitrechner im Kommandoturm zu übermitteln, der jede Angabe sofort bestätigte.
„Winkel zu Bug: hundert Grad!“
„Gegner Fahrt: acht!“
„Tiefe: zwei!“
„Torpedogeschwindigkeit: dreißig!“
„Fächerschuss, Schaltung Rohr eins und zwei!“
„Beide Maschinen äußerste Kraft voraus!“
„Beide AK voraus!“, wurde auch das letzte Kommando vom Maschinisten bestätigt und unmittelbar darauf brummten die beiden Dieselmotoren auf und ihre Vibrationen breiteten sich schlagartig im gesamten Unterseeboot aus. Mit schäumendem Kielwasser nahm das Boot Fahrt auf und begann den Anlauf auf das Ziel.
„Rohr eins und zwei bewässern!“, befahl der Erste Offizier.
„Mündungsklappen öffnen!“
„Mündungsklappen sind offen, Boot klar zum Überwasserschuss“, kam es gedämpft von unten.
Der Erste Wachoffizier stand angespannt an der Zieloptik und behielt das amerikanische Schiff im Fadenkreuz. Sobald das Boot sich in Schussweite ans Ziel angenähert hatte und volle Fahrt lief, wollte er den Schießbefehl geben. Auf keinen Fall zu früh schießen! Er wollte dem Kommandanten beweisen, dass er trotz seines jungen Alters und seiner geringen Erfahrung dazu in der Lage war, ein feindliches Schiff zu versenken. Das Boot warf schäumend weiße Bugwellen, die sich hinter dem Schiff mit dem weißen Kielwasser vereinigten. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln bis zum Schuss, wenn sie bis dahin nicht bemerkt worden waren, war das gegnerische Schiff so gut wie verloren. Alle Mann der Besatzung warteten gespannt auf das Geräusch, dass die Pressluft beim Ausstoßen der Torpedos verursachte. Ein junger Seemann in der Zentrale stand mit der Stoppuhr bereit um die Torpedolaufzeit zu verfolgen.
„Rohr eins und zwei los!“, kam der Befehl von der Brücke.
„Eins und zwei los!“, wurde in der Zentrale witergegeben und der Torpedomaat betätigte zwei Druckluftventile, deren Hebel er schon während des gesamten Anlaufes in den Händen hielt. Fauchend fuhr die Druckluft in die Torpedoausstoßrohre und presste die beiden Waffen ins Wasser, wo sie ihre kurze, aber tödliche Reise zum gegnerischen Schiff antraten. Von der Brücke aus waren die beiden Torpedos und der Pressluftschwall hinter ihnen gut zu sehen. Gespanntes Schweigen. Nun konnte nicht mehr eingegriffen werden und das Schicksal nahm seinen Lauf.
„Einsteigen! Klar machen zum Tauchen!“, befahl der Kommandant, der den Fortgang des Angriffes lieber durch das Periskop verfolgen wollte, da die Sicht in dieser Nacht wirklich hervorragend war, und verließ mit dem Ersten Wachoffizier als erstes die Brücke.
„Klarmachen zum Tauchen!“, bestätigte der Wachführer auf der Brücke.
In der Zentrale nickte der Kommandant seinem Ersten Offizier wohlwollend zu, da dieser den Angriff, seiner Meinung nach, wie aus dem Lehrbuch durchgeführt hatte. „Gut gemacht“, brummte er. Verlegen lächelte der Erste.
„Alarm!“, schrie jemand aus dem Turm und zwei der vier Männer der Wache polterten über die Turmleiter in die Zentrale.
„Fluten! Alle Mann voraus!“, schrie der Kommandant.
Sie mussten entdeckt worden sein. Alle Männer, die sich nicht auf Gefechtsstationen befanden stürmten nach vorne um das Gewicht im Boot zu verlagern und den Tauchvorgang zu beschleunigen.
Durch das noch immer offene Turmluk war der Lärm eines tief fliegenden Flugzeugs zu hören, das sich sehr schnell näherte und Sekundenbruchteile später das Donnern der Bordgeschütze des Flugzeugs. Die Männer in der Zentrale hörten den erstickten Schrei von jemandem auf dem Kommandoturm. Dann ein dumpfer Knall, gefolgt von einer Erschütterung, der die Besatzung des Bootes und alles was irgendwo herumlag durcheinander schüttelte.
„Turmluk zu!“, rief der Kommandant.
Die Leute auf den Gefechtsstationen sahen sich verängstigt an.
„Luke zu!“, schrie er noch einmal und stürmte zur Leiter um zu sehen, was da auf dem Kommandoturm vorging.
In diesem Augenblick schloss die Luke, was alle an einem leichten Druck auf ihren Ohren bemerkten, und ein Mann der Wache polterte über die Leiter in die Zentrale.
„Was war das?“, schrie der Kommandant den jungen Seemann an, der völlig außer Atem war.
„Ein Flugzeug, Herr Kapitänleutnant, vermutlich Amerikaner!“
„Ach nein!“, sagte der Alte und sah ihn dabei vernichtend an.
„Es kam wie aus dem Nichts!“, stammelte der Junge Seemann, „Eröffnete sofort das Feuer! Noch vor die Fliegerbombe fiel wurde der Matrose Greppmayr vom MG getroffen! Hat ihn total zerfetzt! Er lebte aber noch und lag auf der Luke!“
Langsam kam der junge Mann wieder zu Atem. „Herr Kapitänleutnant, melde gehorsamst, Kamerad Greppmayr ist tot! Ich schaffte es, ihn vor dem Unterschneiden des Turms von der Luke weg zu kriegen, aber nicht mehr, ihn ins Boot zu hieven.“ Er schluchzte und der letzte Satz war deswegen kaum zu verstehen. „Er lebte noch, wäre aber wahrscheinlich auch verblutet, wenn ich ihn noch reinbekommen hätte.“
„Ist ja schon gut!“, versuchte der Kommandant ihn zu beruhigen. „LI, Bringen Sie uns auf fünfzig Meter, schnell!“
Der Leitende Ingenieur gab Tiefenruderanweisungen und kontrollierte die Trimmzellen selbst. Er war einer der wenigen erfahrenen Seeleute an Bord und jeder Mann der Besatzung setzte gerade in kritischen Situationen großes Vertrauen in ihn. Das Schiff war so etwas wie sein Kind, jedenfalls hätte man das glauben können, wenn man sah, mit welcher Aufopferung er sich auch um die kleinsten Schäden an Bord kümmerte. Nachlässigkeit und schlechter Umgang mit dem Schiff durch die Besatzung wurden von ihm nicht toleriert. Er hatte es zwar nicht gebaut, aber er kannte es besser als jeder andere an Bord.
Stark vorlastig glitt das Boot schnell in die Tiefe. Ein Stück weit achteraus explodierte eine weitere Fliegerbombe im Wasser und schüttelte das Boot hart durch. Sie war jedoch schon wesentlich weiter weg, als es die erste noch gewesen war.
„Schäden melden!“, befahl der Kommandant.
Keine Reaktion, die Männer starrten ihn gebannt an. Obwohl dies nicht ihr erster Feindkontakt war, stand panische Angst in den Gesichtern der jungen Seeleute geschrieben, von denen viele erst seit kurzem auf einem U-Boot dienten, und manche vorher sogar noch gar nie auf einem Kriegsschiff waren.
„Sofort Schäden melden!“, schrie er.
„Wassereinbruch durch Einschüsse im Kommandoturm! Wird gerade repariert! Keine weiteren Schäden!“, meldete der Leitende Ingenieur.
„Gut, Gut“, brummte der Alte.
„Tiefe: fünfzig Meter!“, sagte der Leitende Ingenieur. „Tiefenruder vorne oben, Trimmzellen hundertachtzig nach achtern. Boot waagerecht trimmen.“
Der kleine Lutz hielt immer noch die Stoppuhr in der Hand. „Unsere Aale müssten den Amerikaner jeden Moment erreichen.“ Alle Blicke waren nun auf ihn gerichtet. Wenige Sekunden später war tatsächlich eine entfernte Explosion zu hören, zweifellos einer der Torpedos.
„Nummer eins“, grinst der Alte.
Direkt darauf folgte eine zweite schwere Explosion aus der selben Richtung.
„Und das war die Nummer zwei. Gratuliere Eins WO, ein guter Schuss!“
Die Besatzung jubelte und lachte. Plötzlich herrschte eine Stimmung im Boot, wie bei einem Bierfest, eigentlich kaum zu glauben, dass man vor Sekunden noch einen Fliegerangriff miterlebte und noch immer in Lebensgefahr schwebte da der amerikanische Pilot mit Sicherheit noch da oben kreiste.
„Ruhe im Boot!“, schrie der Alte.
„Schraubengeräusch in dreißig Grad“, meldete sich Werner, der Horchposten. „Kommt schnell näher, vermutlich Zerstörer!“
„Schleichfahrt!“, befahl der Kommandant. Alles war mucksmäuschenstill. Nicht das kleinste Geräusch durfte jetzt entstehen, da es das Unterseeboot aufgrund der hervorragenden Schallausbreitung unter Wasser sofort verraten würde.
Ping! ASDIC – das Ultraschall Unterwasserortungsgerät des Zerstörers hatte das Boot erfasst. Erst klopften die Pings in großen Abständen an die Außenhaut des Bootes, folgten aber in immer kürzeren zeitlichen Abständen je näher der Zerstörer kam.
„Er hat uns erfasst!“, meldete der Horchposten, obwohl das niemandem an Bord entgangen sein konnte. „Schraubengeräusch wird lauter, der Anlauf beginnt!“ Werners Frau hatte kurz vor dieser Feindfahrt ihre kleine Tochter geboren. Sie war am Tag des Auslaufens sogar mit ihr im Arm, und zusammen mit einigen anderen Frauen am Pier gestanden und hatte der auslaufenden Mannschaft gewinkt, obwohl dies eigentlich nicht erlaubt gewesen wäre, denn die U-Boote sollten ihre Einsätze antreten ohne dabei viel Aufsehen zu erregen. Der Gedanke, er könnte möglicherweise seine Tochter nicht wiedersehen, plagte Werner mehr, als der an den damit verbundenen Verlust seines eigenen Lebens. Trotzdem war Werner ruhig und versuchte konzentriert zu arbeiten – nur wenn alle ihr Möglichstes gaben würden sie gesund wieder nach Hause kommen.
„Verdammt, wo kamen die plötzlich her?“, murmelte der Kommandant in seinen Bart, „Da war doch weit und breit nichts zu sehen, außer diesem Frachter. Vier Mann auf Wache, zwei Mann an der Zieloptik, und keiner sieht etwas, verflucht noch mal!“ Wütend sah er in die Runde der noch immer in der Zentrale versammelten Wachmannschaft, von denen keiner seinem stechenden Blick standhalten konnte. Ihm war jedoch klar das nichts zu sehen gewesen war, denn er war ja selber an Deck gewesen.
„Herr Kaleun, ich bitte um Entschuldigung, aber ...“, begann einer aus der Wachmannschaft.
„Ja, ja! Ist ja schon gut!“, unterbrach ihn der Kommandant. Er wusste, dass er sich auf seine Leute verlassen konnte, genauso wie er wusste, dass seine Leute ihm blind vertrauten. Das war nicht auf allen Schiffen der Kriegsmarine der Fall. Sie hatten auf dieser Feindfahrt nur ein faules Ei an Bord, der sich in diese Gemeinschaft nicht einfügte, den Matrosen Greppmayr, der von seinem Minenräumboot wegen Unruhestiftung zur U-Boot-Waffe strafversetzt worden war, und der war soeben vom Bord MG des Amerikaners zerfetzt worden.
Für einen Wasserbombenangriff auf ein getauchtes Unterseeboot musste ein Zerstörer mit voller Fahrt laufen, um den Druckwellen der eigenen Bomben zu entgehen, die ihm sonst selber den Kiel brechen konnten. Unter voller Fahrt war der Zerstörer aber quasi blind und taub, da er mit seiner Maschine und seinen Schrauben zu großen Lärm im Wasser machte, als dass er noch horchen oder die Ultraschallortung verwenden konnte. Mit angsterfüllten Blicken sahen sich die Männer in der Zentrale an, als das feindliche Schiff mit lautem Schraubengeräusch direkt über das Boot hinweg fuhr.
„Wirft Wasserbomben!“, meldete der Horchposten.
Hammerschmied saß da mit einer kleinen Tafel und einer Kreide in der Hand. Eine gewaltige Explosion erschütterte das Boot und warf Männer und Gegenstände durcheinander. Gefolgt von vier weiteren Explosionen, die ebenfalls sehr nahe am Boot lagen. Das ist das Ende, war in den Blicken der Besatzung zu lesen. Hammerschmied machte fünf kleine Striche auf seine Tafel. Das hatte nur den Zweck die Gesamtzahl der Explosionen im Auge zu behalten, denn auch ein Zerstörer konnte nicht unbegrenzt Wasserbomben mit sich führen.
„Schäden melden!“, befahl der Kommandant.
„Steuerbord Tauchzellen zwei und drei sind beschädigt, jedoch kein Wassereinbruch“, meldete der Leitende.
Der Zerstörer hatte seine Fahrt gestoppt und horchte. Knacken und bersten wären ein Indiz für ihn gewesen, dass er sein Ziel vernichtet hatte. Danach hätte er wohl noch eine Weile nach Öl auf der Wasseroberfläche gesucht, nur um sicher zu gehen, aber noch war nichts dergleichen zu hören. Bei genauem hinhören hörte man lediglich das leise Summen der beiden Elektromotoren des Unterseebootes bei Schleichfahrt.
„Schraubengeräusche achteraus“, meldete der Horchposten. „Er nimmt wieder Fahrt auf und kommt näher.“ Mit einer Hand hielt Werner den Kopfhörer an seine Ohren und horchte konzentriert, was sich da an der Wasseroberfläche abspielte, mit der anderen verstellte er vorsichtig die Richtung des Mikrophons über das Handrad direkt vor ihm. Er starrte dabei auf das Foto seiner jungen Frau, das über dem Horchgerät an der Wand hing und bedauerte, dass er noch keines von seiner Tochter dabei hatte, aber dafür war die Geburt einfach zu knapp vor ihrem Auslaufen gewesen. Insgeheim verfluchte er diesen Krieg und sehnte die Zeit herbei, in der er wieder bei seiner Familie sein und in seinem Elektrogeschäft arbeiten konnte.
Das erste Ping traf die Außenhaut des Unterseebootes kurz nachdem der Zerstörer wieder Fahrt aufgenommen hatte. Wieder tastete der Offizier am Schallortungsgerät des Zerstörers den Raum unter sich ab, auf der Suche nach dem Unterseeboot. Je sicherer er sich war, die Position gefunden zu haben, desto enger folgten die Impulse hintereinander.
„Zerstörer nimmt Anlauf, Schraubengeräusch direkt achteraus, wird schnell lauter“, sagte der Horchposten.
Inzwischen waren die Schraubengeräusche des Zerstörers so laut, dass sie auch ohne Unterwassermikrophone zu hören waren. Der Zerstörer lief volle Kraft voraus, der Mann am Schallortungsgerät des Zerstörers versuchte so lange wie möglich Kontakt zum Ziel zu halten und schickte in ganz kurzen Abständen Ultraschallimpulse ab. Vielleicht konnte er auch schon lange keine Echos mehr hören und benutzte sein Ortungsgerät nur noch zur Psychologischen Kriegsführung, weil er wusste welch schreckliches Geräusch es im inneren eines getauchten Unterseebootes verursachte.
Alle starrten gebannt auf den Kommandanten, der wiederum an die Decke der Zentrale sah, als könne er den Zerstörer über sich sehen. Er wartete. Der Zerstörer kam schnell näher und war nun direkt hinter ihnen. Nun konnte er das Unterseeboot unmöglich noch orten, geschweige denn hören, er musste sich darauf verlassen, dass es Momente zuvor noch knapp vor seinem Bug war – dieser Moment war die einzige Chance eines Unterseebootkommandanten in einer solchen Situation.
„Hart Steuerbord, beide Maschinen äußerste Kraft voraus!“, befahl der Kommandant. „Auf hundert Meter gehen, schnell!“
Das Boot fuhr einen Haken nach Steuerbord und gewann schnell an Tiefe
„Wirft Wasserbomben!“, kam es vom Horchposten. Werner schob schnell die Kopfhörer von seinen Ohren um nicht die Explosionen noch verstärkt über das Horchgerät abzubekommen.
Sekunden später schüttelten drei heftige Explosionen das Boot durch, gefolgt von weiteren drei in kurzem Abstand. Wie erwartet hatte der Zerstörer das Ausweichmanöver des Unterseebootes nicht mehr rechtzeitig bemerkt, so dass alle Explosionen zwar achteraus, jedoch noch immer bedrohlich nah lagen. Der Zerstörerkapitän schien allerdings mit einer Änderung der Tauchtiefe gerechnet zu haben, da die Druckzünder der Wasserbomben diese nun wesentlich tiefer zur Explosion brachten als zuvor, etwa in siebzig bis achtzig Metern Tiefe. Hammerschmied machte sechs weitere kleine Striche auf seine Tafel.
„Schleichfahrt!“, befahl der Kommandant. „Ruder hart Steuerbord!“
„Zerstörer liegt gestoppt und horcht“, meldete der Horchposten. Mit etwa zwei Knoten Fahrt entfernte sich das Unterseeboot langsam in die Richtung, aus welcher der Zerstörer gekommen war. Alle an Bord wussten was der Alte vorhatte und hofften, dass dies die letzte Richtung war, in welcher man nach ihnen suchen würde. Der Zerstörerkapitän schien etwas ratlos, denn über bange Minuten passierte nichts und das Boot entfernte sich ganz langsam immer weiter vom letzten Kontakt. Der Zerstörerkapitän geriet in Zugzwang, denn wenn er noch lange wartete, dann würde das U-Boot verschwunden sein.
„Schraubengeräusche in hundertvierzig Grad! Zerstörer nimmt Fahrt auf. Geräusch wird schwächer.“ Alle Blicke waren gespannt auf den Mann am Horchgerät gerichtet. Offenbar schien der Zerstörer von ihnen weg zu laufen und in der falschen Richtung zu suchen. Stumme Erleichterung machte sich breit im Boot. „Geräusch wird lauter! Zerstörer wendet!“
„Auf hundertfünfzig Meter gehen!“, befahl der Kommandant.
Die Schraubengeräusche des Zerstörers wurden schnell lauter und kurz darauf wurde das Boot auch wieder von der Ultraschallortung erfasst. Das metallische Geräusch des Ultraschallimpulses beim Auftreffen auf den Bootskörper durchfuhr das Boot. Erst in großen Abständen und dann immer schneller, je näher der Zerstörer kam. Der Zerstörer hatte sein Ziel geortet und begann erneut einen Anlauf.
Bei hundertachtzig Metern Tauchtiefe endete die Werftgarantie für den Druckkörper des Unterseebootes. Es war mehr möglich, soviel war klar, denn für diese Tiefe war der Druckkörper gebaut und getestet, nur wie viel genau mehr möglich war, wo die wirklichen Grenzen der Konstruktion lagen, das wusste niemand. Diejenigen, die es erfahren mussten, was diese Boote wirklich aushielten, konnten ihre Erfahrungen nicht mehr weitergeben.
„Schraubengeräusch wird schnell lauter, Zerstörer läuft volle Fahrt, Anlauf beginnt!“, meldete der Horchposten.
Alle sahen wieder mit gespannten Blicken an die Decke der Zentrale, in Richtung der Schraubengeräusche, so als könnten sie den anlaufenden Zerstörer sehen. Wieder wartete der Kommandant unter Schleichfahrt bis das feindliche Schiff sehr nahe war und der Bombenabwurf unmittelbar bevor stand.
„Hart Backbord, beide Maschinen äußerste Kraft voraus!“, befahl er als der Zerstörer beinahe über dem Boot war. Seine Mütze hatte er längst beiseite gelegt und sich auf eine in der Zentrale herumstehende Kiste gesetzt. Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, genau wie allen anderen in der Zentrale. Außer dem Zerstörergeräusch war nur das Aufheulen der beiden Elektromotoren zu hören, die das Boot unter Wasser bis auf etwa sieben Knoten beschleunigen konnten und es jetzt möglichst schnell möglichst weit aus dem Gefahrenbereich der Wasserbomben bringen sollten. Die Luft war schon jetzt zum Schneiden dick, es roch nach Öl und Schweiß. Solche Verfolgungen konnten viele Stunden andauern, sofern nicht schon vorher dem Jäger die Munition ausging, oder das U-Boot erledigt war, beziehungsweise sich davonstehlen konnte. In der Ausbildungsgruppe für U-Boote wurden Wasserbombenverfolgungen zwar simuliert indem ein Schnellboot in sicherer Entfernung, aber trotzdem nah genug um ein Gefühl dafür zu vermitteln, Wasserbomben auf die getauchte Ausbildungsflottille warf, stundenlange nervenzerreißende Wasserbombenverfolgungen lernten die jungen Seeleute aber erst an der Front kennen.
„Wirft Wasserbomben!“, sagte Werner am Horchgerät.
Diesmal wurde das Boot von zwei Serien zu jeweils fünf Bomben durchgeschüttelt. Der bisher schlimmste Abwurf während dieser Verfolgung. Hammerschmied malte apathisch einen Strich nach dem anderen auf seine Tafel, auf der er die Explosionen zählte. Er war kreidebleich und schweißnass. Bei der letzten Wasserbombenserie hatte er sich übergeben. Sein Gesicht und seine Kleidung waren voll von Erbrochenem, auch der Ärmel, mit dem er ungeschickt über sein Gesicht wischte und damit alles nur verschmierte. Die Stimmung im Boot hatte sich verändert. Noch immer herrschte Todesangst, jedoch nicht mehr hektisch und panisch, wie kurz nach dem Alarmtauchen nach dem Fliegerangriff, sondern ruhig, beinahe schon lethargisch, da den meisten inzwischen klar geworden war, gegen eine drohende Vernichtung durch Wasserbomben nichts ausrichten zu können. Einzig der Kommandant hatte ihr aller Leben in der Hand und konnte dies durch geschicktes Manövrieren vielleicht retten. Natürlich gehörte auch sehr viel Glück dazu. Für den Zerstörerkommandanten war die Lage im Moment eindeutig die bessere. Ein getauchtes Unterseeboot konnte sein Schiff nicht angreifen, zumindest nicht mit einer reellen Chance. Es gab wenige Unterseebootkommandanten, die das gewagt, und noch viel weniger, die dabei auch Erfolg hatten, dieses Risiko war also mehr als gering. Ein Zerstörer hatte wenig Tiefgang, war schnell, wendig und bis an die Zähne bewaffnet – kein geeignetes Ziel für einen Torpedoangriff, höchstens wenn der Zerstörerkommandant nicht damit rechnete, und am besten gar nichts von der Anwesenheit eines Unterseebootes wusste.
„Schleichfahrt!“, befahl der Kommandant als die zweite Serie von Wasserbomben hinter dem Boot detoniert war. „Der meint es wirklich ernst“, flüsterte er, „wenn der so weiter macht, dann gehen ihm die Dinger bald aus. Hart Backbord.“
Durch die zweite Kursänderung lief das Boot nun wieder beinahe Gegenkurs zum Zerstörer, in der Hoffnung, dass dieser nicht hinter sich zu suchen beginnen würde. Das tat er auch nicht. Er verlangsamte die Fahrt um wieder unter Wasser hören und orten zu können, behielt aber seinen Kurs bei.
„Schäden?“, fragte der Kommandant.
„Wassereinbruch bei den Torpedorohren. Steuerbordmaschine ausgefallen“, antwortete der Leitende Ingenieur flüsternd, der auf diese Frage gefasst war. „Wassereinbruch ist bereits wieder unter Kontrolle.“
„Was macht der Zerstörer?“, fragte der Kommandant weiter.
„Schraubengeräusche werden schwächer, läuft wahrscheinlich von uns weg“, antwortete prompt der Horchposten.
Fernes grollen von Wasserbomben war zu hören, wieder zwei Serien zu jeweils fünf Stück, wieder malte Hammerschmied zehn Striche auf seine Tafel.
„Der hat uns entweder verloren, oder es ist noch ein anderes U-Boot da, das nun gejagt wird“, grummelte der Kommandant. „Weiter mit Schleichfahrt! Vielleicht haben wir ja Glück und er hat uns verloren! Jetzt dürfen wir ihn nur nicht auf uns aufmerksam machen.“
Um ein feindliches Schiff als versenkt melden zu dürfen, schrieb die Führung zuhause vor, dass das Sinken zu beobachten war. Der Flugzeugangriff hatte dieser Beobachtung allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ein Angriff wie aus dem Lehrbuch, zwei Torpedos verschossen, und die Besatzung durfte sich die Versenkung nicht auf die Fahnen schreiben. Auch die typischen Geräusche, die ein sinkendes Schiff verursacht, wenn der Kiel und die Schotten brechen, wurden nicht gehört. Alles umsonst – statt Erfolge feiern zu können, wurde man nun von einem eifrigen Zerstörerkommandanten verfolgt. Verbissen lehnte der erste Offizier neben dem Alten am Kartentisch. Ganz im Gegensatz zu zum Kommandanten war er noch sehr jung, wollte die Erfolgsleiter bei der Kriegsmarine so schnell wie möglich erklimmen und war auch von der Gesinnung der deutschen Führung recht überzeugt. Gefallene waren seiner Meinung nach der Preis des Erfolges, sich selbst nahm er dabei jedoch nicht aus. Vielleicht war er deswegen bei der Besatzung nicht ganz so beliebt wie der Kommandant, dessen Menschlichkeit von den meisten geschätzt aber von niemandem offen ausgesprochen wurde.
Vier Stunden waren vergangen. Vier Stunden, die den meisten der Besatzung vorkamen wie ein ganzer Tag. Alle Wassereinbrüche waren gestoppt, die Steuerbordmaschine jedoch noch immer ausgefallen. Auch die Batterien waren langsam an ihrem Ende. Vom Zerstörer war seit etwa drei Stunden nichts mehr zu hören. Die Freiwache schlief und die Männer auf ihren Gefechtsstationen hielten sich nur mit Mühe wach. Stille, sogar das Atmen der Männer war zu hören. Die Atemluft war kaum noch brauchbar. Es roch nach Schweiß, Öl, Erbrochenem und Fäkalien. Ein Eimer, der in der Zentrale als Klo benutzt worden war, war umgefallen, und dem Geruch nach musste auch einer unkontrolliert seinen Darm entleert haben.
„Rotlicht an! Klarmachen zum Auftauchen!“, befahl der Kommandant.
„Boot ist klar zum Auftauchen“, meldete sich der Leitende Ingenieur kurz nachdem das Rotlicht eingeschaltet worden war.
„Auf Sehrohrtiefe gehen!“
Mit den Tiefenrudern wurde das Boot bis knapp unter die Wasseroberfläche gesteuert. Fünfzehn Meter zeigte die Wassersäule des Papenberg Tiefenmessers an, als eine Stimme meldete: „Boot ist auf Sehrohrtiefe.“
„Sehrohr ausfahren!“
Dies war nun eine kritische Phase für den jungen Matrosen an den Tiefenrudern und den Regelzellen. Das Boot machte kaum Fahrt und er musste es genau auf der richtigen Tiefe halten. Kam er zu tief, schnitt das Periskop unter und der Alte schimpfte, kam er hingegen zu hoch, ragte das Periskop weit über die Wasseroberfläche und es bestand die Gefahr, dass das Boot entdeckt wurde. Also lieber etwas zu tief als zu hoch, schien sich Matrose Martin zu denken, denn schon nach wenigen Sekunden hörte man den Kommandanten im Kommandoturm fluchen.
„Klarmachen zum Auftauchen!“, kam es nach wenigen Minuten von oben. Der Kommandant hatte einen ausgiebigen Rundblick durch das Periskop riskiert und sich davon überzeugt, dass sie es wagen konnten, aufzutauchen. Die Sichtweite eines Periskops war dadurch, dass sich der Sehrohrkopf nur knapp über der Wasseroberfläche befand, sehr eingeschränkt, es war jedoch weit und breit nichts mehr zu sehen was auf den Verfolger hingedeutet hätte.
„Boot ist klar zum Auftauchen“, bestätigte der Erste Offizier.
„Auftauchen! Erste Wache klarmachen!“
„Anblasen!“ Fauchend strömte die Pressluft aus den Flaschen in die Tauchzellen und gab dem Boot auftrieb. Auf ebenem Kiel durchbrach dies die Wasseroberfläche und lag mit gestoppten Maschinen in der ruhigen See. Die vier Mann der Wache standen bereit und einer von ihnen versuchte angestrengt das Turmluk zu öffnen, schaffte es jedoch nicht.
„Herr Kapitänleutnant, melde Turmluk lässt sich nicht öffnen!“
„Machen Sie die Luke auf, mit Gewalt wenn es sein muss!“, rief der Alte zurück.
Zwei Männer der Wache standen auf der Leiter unter dem Turmluk und drückten es mit ihren Schultern nach oben, bis es sich einen Spalt öffnete.
„Scheiße! Verflucht! Der Greppmayr liegt noch drauf!“, entfuhr es einem der beiden.
„Schaffen Sie diese verdammte Leiche vom Turmluk!“, sagte der Kommandant, der die Männer der Wache durch schmale Augen ernst ansah.
Die beiden Männer der Wachmannschaft drückten mit aller Kraft gegen die Luke, die sich sehr schwer aber doch immer weiter öffnen ließ. Um den runden Ausstieg fielen Tropfen in den Kommandoturm und auf die Wachmannschaft, von denen jeder hoffte, dass es sich dabei nur um Meerwasser handelte.
„Turmluk ist auf!“, rief einer der beiden als die Luke so weit offen stand, dass man durch sie hindurch auf den Kommandoturm steigen konnte. Die Wachmannschaft betrat, gefolgt vom Kommandanten und vom Ersten Offizier, die Brücke. Mit Schaudern stellten sie fest, dass der Oberkörper von Greppmayr sich zwischen Sehrohrbock und Turmluk verklemmt hatte und nun noch immer dort lag. Der Unterleib war abgerissen und muss beim Tauchmanöver oder spätestens bei der Wasserbombenverfolgung weggespült worden sein. Niemand wollte so genau wissen, ob das nun durch den Fliegerangriff oder erst durch die Wasserbomben passiert war. Eigentlich hätte die Leiche ja schon beim Tauchmanöver vom Kommandoturm gespült werden sollen, sie war aber eingeklemmt und durch das Schanzkleid des Kommandoturms recht gut vor der Wasserströmung geschützt. Greppmayer war an sich schon fett, nach so vielen Stunden unter Wasser war er jedoch aufgedunsen, blau angelaufen und kaum wiederzuerkennen. Das Bord-MG des Flugzeuges hatte den Körper schon stark zerfetzt, Wasser, Fische und Wasserbomben hatten nun den Rest getan.
„Schaffen Sie die verdammte Leiche vom Schiff!“, sagte der Alte zu den vier Wachleuten, die angewidert um die Überreste standen.
„Herr Kapitänleutnant, wohin ... ?“
„Über Bord damit, oder wollen Sie das Ding mit in die Koje nehmen? Verflucht, schmeißen Sie das über Bord sonst vermerkte ich den Vorfall im Kriegstagebuch!“
Fritz, der älteste der Wachmannschaft versetzte dem Korpus einen Tritt mit seinen schweren Seestiefeln, sodass er sich aus der Verklemmung löste und mit einem schmatzenden Geräusch auf die Steuerbordseite des Kommandoturms fiel. Greppmayer lag nun auf seinem Gesicht.
Fritz war der Meinung, das Schicksal hätte keine bessere Wahl hätte treffen können, wenn hier schon unbedingt jemand auf diese Weise draufgehen musste. Er und viele andere der Mannschaft kannten Greppmayer noch aus der Ausbildungsgruppe, wo dieser schon sehr negativ aufgefallen war indem er seine Kameraden bei jeder Gelegenheit verpfiff und ihnen wo es nur ging das Leben schwer machte, weil er sich „zum Anführer berufen“ fühlte, wie er selbst sagte, und alle anderen sowieso für Psychopathen hielt, was er auch des öfteren öffentlich bekundete. Seine Kameraden und Vorgesetzten Offiziere nahmen Greppmayr jedoch nie wirklich ernst, denn es war jedem schnell offensichtlich, dass er keine Ahnung hatte, wovon er sprach, und er wirkte mit seiner etwas aufdringlichen Art generell etwas dümmlich. Vielleicht war es genau das, was Greppmayr immer wieder dazu anstachelte, sich auf Kosten seiner Kameraden zu profilieren, was einen davon einmal sogar fast vor ein Kriegsgericht gebracht hätte, Fritz. Greppmayr schreckte dabei auch vor Denunziation bei der Gestapo nicht zurück, wenn er sich davon einen Vorteil für seine Karriere versprach.
Elegant schwang sich Fritz um den Sehrohrbock und beförderte die Leiche mit weiteren Tritten nach hinten, erst in den Wintergarten, am Flak-Geschütz vorbei und von dort aus unter die Reling.
„Wer hätte gedacht, dass dieses Kameradenschwein einmal so endet?“, brummte der Erste Offizier, der neben dem Kommandanten stand und mit diesem dem Geschehen zusah.
„Na, na“, grummelte der Kommandant, „Das behalten Sie mal besser für sich, auch wenn sich die Trauer über seinen Verlust, nach dem ersten Schrecken, an Bord in Grenzen halten wird.“
„So, nun helft mir aber mal! Jetzt brauchen wir etwas Schwung, damit er auch wirklich ins Wasser fällt und nicht neben dem Turm aufs Deck klatscht, die Sauerei braucht es echt nicht!“, sagte Fritz, legte den rechten Stiefel an Greppmayrs Schultern und hielt sich mit den Händen an der Reling fest. Zwei Kameraden stellten sich neben ihn und taten das gleiche.
„Auf drei mit Schwung! Eins, zwei, drei, ...!“, rief Fritz. Klatschend fiel die Leiche ins Wasser und trieb an der Oberfläche. „Was für eine Sauerei!“ Die ersten Tiere würden die Nahrung schnell entdecken. Bald würde davon nicht mehr viel übrig sein. Dem jüngsten Mitglied der Wachmannschaft war das entschieden zu viel. Er lehnte weit über die Reling des Kommandoturms und übergab sich ins Meer, ohne dabei auf den Wind zu achten, der ihm das meiste seines Erbrochenen wieder ins Gesicht blies.
„Auf Ihre Positionen meine Herren, wenn ich bitten darf“, befahl der Alte. Er presste sein Fernglas in die Augenhöhlen und blickte nach achtern, wo am Horizont der Schein des noch immer brennenden Schiffes zu sehen war. „Das ist unserer“, murmelte er. Nach einigen Minuten Bedenkzeit beugte er sich über das Turmluk und rief nach unten: „Kurs eins acht null, beide Maschinen große Fahrt voraus!“ Die Diesel sprangen an, das Boot drehte auf den Lichtschein zu und nahm schnell Fahrt auf.
„Das ist Wahnsinn!“, flüsterte einer der Wachmänner seinem Nachbarn zu. „Irgendwo da draußen ist der Zerstörer und sucht uns!“
„Ruhe an Deck!“, fuhr der Alte ihn an. „Eins WO, lassen Sie klarmachen zum Fangschuss!“
„Herr Kapitänleutnant, melde Torpedofeuerleitstand ist durch Fliegerangriff defekt! Nicht zu reparieren – zumindest nicht in der Zeit!“
„Verflucht! Die Geschützmannschaft soll sich klarmachen und bereithalten! Lassen sie die 105mm Granaten aus der Last mannen!“
In der Zentrale standen die Männer der Geschützmannschaft bereit. Die Freiwache bildete eine Kette von Männern, welche die schweren Granaten aus der Last zur Luke und von dort aufs Deck von Mann zu Mann weiterreichten. Nach etwa einer Stunde befand sich der brennende Amerikaner in Schussweite des Deckgeschützes und die Geschützbesatzung begab sich an Deck.
„Geschützführer, lassen sie das Deckgeschütz klarmachen!“, befahl der Alte. „Und denken Sie an den Pfropfen in der Mündung!“
Das hätte er nicht zu sagen brauchen, aber der Alte wollte diesbezüglich einfach auf Nummer sicher gehen. Alle U-Boot-Geschütze hatten in den Mündungen ihrer Rohre Pfropfen, die diese verschlossen. Vergaß man nun einen solchen Pfropfen zu entfernen und verschoss eine Explosivgranate, dann bedeutete dies den sicheren Tod, zumindest für die komplette Geschützbesatzung. Es gab solche Vorfälle. Schon mehrere übereifrige Geschützbesatzungen hatten im Eifer des Gefechts vergessen die Mündung ihrer Kanone vor dem ersten Schuss frei zu machen. Dieser erste Schuss war dann zugleich auch der Letzte der betroffenen Kanone. Ein solches Rohr erinnerte mit etwas Phantasie irgendwie an eine Bananenschale.
„Geschütz feuerbereit, Herr Kapitänleutnant!“, meldete der Geschützführer.
„Feuer frei!“, grinste der Alte. „Schießen Sie auf die Wasserlinie! Und lassen Sie mir ja keine der Hülsen über Bord gehen, sonst bekommen wir Ärger zuhause!“ Alle Granathülsen mussten von Unterseebooten wieder mitgebracht werden, als Nachweis, dass die Granaten auch tatsächlich abgefeuert worden waren.
Mit einem dumpfen Donner fiel der erste Schuss und hüllte die Geschützbesatzung kurz in eine Rauchwolke. Im Bootsinneren sahen sich die Männer erstaunt an, denn jeder wusste, dass so ein Geschütz laut war, aber der Lärm der ein solches auf einem Unterseeboot im Bootsinneren verursachte, war enorm. Zu kurz, die Granate schlug etwas vor dem Ziel ins Wasser. Die Explosion warf einen Pilz aus Wasser in die Luft, der die Höhe des Zielschiffes überstieg. Der zweite Schuss war ein Treffer, mittschiffs knapp über der Wasserlinie riss er ein großes Loch in den Rumpf des Amerikaners. In kurzen Abständen donnerte das Geschütz und schien das feindliche Schiff entlang der Wasserlinie zu perforieren. Der beißende Qualm verzog sich nicht mehr zwischen den Schüssen und hüllte die Geschützbesatzung nahezu durchgehend ein.
„Warum schwimmt dieser verfluchte Pott noch immer?“, murmelte der Alte ohne sein Fernglas abzusetzen. Vom Geleitschutz war weit und breit nichts mehr zu sehen, weder Flugzeuge noch Zerstörer. „So wie es aussieht haben die den zurückgelassen. Wahrscheinlich ist die Besatzung längst an Bord eines Zerstörers uns stößt auf unsere Versenkung an.“
Joseph blickte am Geschütz durch das Visier. Kurz nachdem er den Abzug betätigt und sich mit lautem Knall ein Schuss gelöst hatte, sah er, wie sich in diesem Augenblick ein Rettungsboot, dass vom brennenden Schiff zu Wasser gelassen werden sollte, in sein Fadenkreuz bewegte. „Scheiße!“, fluchte er laut, „Verflucht noch mal!“ In diesem Moment schlug die Granate ein und zerschmetterte das Rettungsboot. Im Schein des brennenden Schiffes waren nur noch Trümmer zu sehen. „Da sind noch Leute an Bord! Verdammt, warum hat die keiner gerettet in all der Zeit?“
„Feuer einstellen!“, befahl der Kommandant und versuchte mit seinem Fernglas festzustellen, was auf dem Schiff vor sich ging. Nichts tat sich. Es wurden keine Versuche unternommen, ein weiteres Rettungsboot zu Wasser zu lassen, es waren nicht einmal Menschen zu sehen. Trotzdem suchte der Alte das feindliche Schiff immer wieder mit dem Fernglas ab. Nichts. „Feuer frei! Geben Sie ihm den Rest damit wir endlich ablaufen können!“, befahl er schließlich.
Wieder donnerte das Geschütz und einen Moment später explodierte die Granate im feindlichen Schiff. Der Kommandoturm des U-Bootes war immer wieder in Pulverdampf gehüllt als Granate um Granate in den Rumpf des sterbenden Schiffes gefeuert wurde.
„Feuer einstellen! Schiff sinkt über Backbord!“, rief der Kommandant. Mit gespannten Blicken beobachteten die Geschützbesatzung und die Wachoffiziere mit dem Kommandanten auf dem Turm das Geschehen. Minuten vergingen, das Schiff neigte sich auf seine Backbordseite und der Bug war bereits nicht mehr zu sehen. Flammen schlugen heftig aus den Aufbauten über die ganze noch über Wasser befindliche Länge des Schiffes.
„Volle Deckung!“, rief der Geschützführer als er eine Stichflamme aus dem Rumpf schießen sah. Ein U-Boot bietet nicht sonderlich viele Möglichkeiten zur Deckung, aber alle an Deck befindlichen Personen sprangen bestmöglich aus der Schusslinie, oder legten sich zumindest flach auf Deck, um die geringst mögliche Angriffsfläche zu bieten. Der Kommandant und die Oberdeckswache sprangen hinter dem Schanzkleid auf dem Kommandoturm in Deckung, einer der Wachleute sogar hinter dem Sehrohrbock. Die gesamte Geschützmannschaft lag an Deck um das Geschütz herum, als das amerikanische Schiff in einem riesigen Feuerball explodierte. Einen kurzen Moment lang spürten sie alle die sengende Hitze, die vom entfernten Höllenfeuer ausging. Weit entfernt schlugen die großen Trümmer der Explosion im Wasser ein, kleinere flogen aber über das U-Boot hinweg und ein tellergroßes Stück Stahl durchschlug das Schanzkleid des Kommandoturmes, und verletzte den Ersten Offizier am Oberarm. Noch Minutenlang regnete es größere und kleinere Überreste des ehemaligen Schiffes.
„Der muss wohl Munition und Treibstoff geladen gehabt haben!“, brummte der Alte, noch immer in Deckung auf dem Kommandoturm. „Konnte der nicht einfach nur sinken, wie jedes scheiß andere Schiff auch? Nein, es musste uns natürlich der ganze verfluchte Kahn um die Ohren fliegen!“
Als der Trümmerregen nachließ, und sich alle wieder erhoben, war von dem Schiff nichts mehr zu sehen. Lediglich vereinzelte Trümmer und Holzstücke schwammen noch auf der Wasseroberfläche. Sichtbar erleichtert wischte sich der Geschützführer mit dem Ärmel die Stirn ab.
„Ist jemand verletzt, gibt es Verluste?“, brüllte der Kommandant.
„Alles wohlauf!“, antwortete der Erste Offizier nachdem er sich kurz umgesehen und sich vergewissert hatte.
„Geschützführer, zurren Sie das Geschütz wieder fest und lassen Sie die Granathülsen in die Last mannen! Maschinenraum, Beide Diesel große Fahrt voraus! LI, beginnen Sie mit den Reparaturarbeiten, sobald Akkus und E-Maschinen wieder klar sind, werden wir tauchen! Eins WO, stecken Sie einen Kurs in die Heimat ab!“, sagte der Alte und stieg durch die Luke nach unten in die Zentrale.