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Der arrogante Zauberschüler
Lysander prüfte noch einmal, ob seine Robe richtig saß. Wie immer perfekt. Sollte er seinen Stab lieber in der Mitte oder am Kopfende halten? In der Mitte wäre für diesen Anlass zu leger; also am Kopfende. In die rechte oder linke Hand? Der Direktor würde ihm sagen, dass er einen begehrten Posten bekommen würde und ihm danach die Hand schütteln; also in die linke. Nicht dass er gerne mit dem Direktor sprach, der alte Sack redete immer unerträglich langsam und sagte alles zweimal. Ein Blick auf die Taschenuhr bestätigte, dass es fast fünf Minuten nach Mittag war. Lysander kam immer auf die Sekunde genau fünf Minuten zu spät, um zu unterstreichen, wie wichtig er war. Er entfernte noch schnell ein paar Staubkörner von dem Stein, der seinen Stab zierte, und öffnete die Tür.
Direktor Meinhards Büro war mit achtlos aufgestapelten Büchern vollgestopft. Früher oder später, würden die Türme umfallen wie Dominosteine. Lysander bedauerte ein wenig, dass er das Schauspiel verpassen würde.
„Ich glaube, ich habe ihr Klopfen nicht gehört. Nicht gehört habe ich ihr Klopfen“, begrüßte ihn Direktor Meinhard.
Unaufgefordert setzte sich Lysander auf einen freien Stuhl. Bestimmt hatte der Alte vergessen, warum Lysander hier war.
„Sie wollten mit mir über meine Karriere reden“, sagte Lysander. „Schließlich habe ich die besten Noten der gesamten Abschlussklasse“, fügte er vorsichtshalber hinzu.
Der Direktor schlug einen goldenen Aktenordner auf. „Wie sie wissen bekommt unsere Schule Hunderte Anfragen nach unseren Absolventen. Jeder will unsere Absolventen beschäftigen. In diesem Ordner stehen die begehrtesten Positionen, für die nur unsere besten Schüler geeignet sind; jemand, der so eine Position bekommt, hat für sein Leben ausgesorgt. Ausgesorgt hat er. Da viele dieser Kunden für unsere Schule sehr wichtig sind, reichen Noten dafür alleine nicht aus. Alleine sind Noten nicht ausreichend.“ Er nahm ein paar Blätter Papier zur Hand, rückte seine Brille zurecht und begann zu lesen. „Sehen wir mal, wie ihre Lehrer sie beurteilen. Nach einstimmiger Meinung sind sie ein ... arroganter, anmaßender, beleidigender Klugscheißer. Ein Klugscheißer sind sie. Würden wir sie einem Adligen als Berater schicken, würde er sofort seine Beziehungen mit der Schule abbrechen. Abbrechen würde er sie. Würde man sie als Diplomat einsetzen, würde augenblicklich ein Krieg ausbrechen. Ausbrechen würde ein Krieg. Außerdem sprengen sie gerne Eichhörnchen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Eichhörnchen sprengen sie.“
Lysanders Unterkiefer fiel runter. Er versucht etwas Angemessenes zu sagen, bekam aber keinen Ton heraus. Direktor Meinhard schlug einen weiteren Ordner auf, diesmal einen roten mit aufgemalten Totenköpfen.
„Die einzige Möglichkeit sind diese zwielichtige Vereinigungen, denen wir normalerweise keine Schüler schicken. Zwielichtige Vereinigungen sind die einzige Möglichkeit. Die beschweren sich nicht, wenn wir ihnen ungeeignete Schüler schicken, sie schneiden ihnen nur unbürokratisch im Schlaf die Kehle auf. Die Kehle schneiden sie ihnen auf. Oder sie schließen sich ein paar Abenteurern an; wenn sie erst mal ein paar Heldentaten auf ihrem Konto haben, lässt man ihnen vieles durchgehen. Vieles durchgehen lässt man ihnen.“
Lysander versuchte sich vorzustellen, wie er mit seinen Kameraden durch Wälder und Sümpfe marschiert, selbstlos Bauern vor Monstern beschützt und nachts am Lagerfeuer mit einem guten Krug Bier Lieder singt. Lieber würde er auf der Stelle tot umfallen. Zumindest fiel ihm jetzt eine geeignete Antwort ein.
„Du seniler alter Ziegenbock! Deine termitenzerfressene Bruchbude von Schule kann mir gestohlen bleiben!“
Das hatte gesessen. Lysander riß eilig ein paar Seiten aus dem roten Order und rannte nach draußen. Jetzt brauchte er erst einmal ein paar Eichhörnchen.