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Der Cola-Flaschengeist

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01.05.2008
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Der Cola-Flaschengeist

Ich hatte Durst, und jeder, der mal richtig Durst hatte, weiß, was das für ein Scheiß-Gefühl ist; also ich hatte richtig Durst.
Wir waren mit dem Auto unterwegs, ein Leihwagen, weißer Ford blabla, keine Ahnung, und fuhren den Strip rauf und runter, weil wir uns nicht entscheiden konnten, wo wir Lunch haben sollten und wann. Es war heiß. Wüste eben.
Las Vegas war voll gestopft mit diversen Versuchungen, sein Geld loszuwerden, unter anderem gab es auch eine Flut von Essmöglichkeiten wie Nobel-, Familien-, Fast-Food-Restaurants und alles dazwischen; der Phantasie waren hier wirklich überhaupt keine Grenzen gesetzt. Las Vegas war eine Stadt, die den Wahnsinn zum Geschäft machte.
„Ich muss aufs Klo“, sagte Karl neben mir auf dem Beifahrersitz.
Ich auch.
„Lass uns doch einfach bei irgendeinem McDonalds oder Wendy’s halten und uns kurz erfrischen“, meinte ich. Wir fuhren ungefähr gefühlte 24 Stunden auf der Suche nach einem bestimmten Plattenladen hier herum, den Karl bei seinen letzten Reisen hierher besucht hatte. Karl war DJ und brauchte neues Futter für seinen Plattenteller. Der Laden, den wir suchten, lag irgendwo abseits des Strip auf der Höhe des ehemaligen Sahara Hotel-Casinos, der Name des Plattenladens war austauschbar, Las Vegas City Records, ganz einfach, viel zu einfach. Wenn er den Ladenbesitzer sähe, meinte Karl, würde er ihn sofort wieder erkennen, ein hagerer Typ Anfang Fünfzig mit einem Beach Boys-T-Shirt und einer Vorliebe für 60er-Jahre-Lollipop-Musik.
„Die besten Platten, die besten Preise“, seufzte Karl.
Ich hatte immer noch Durst.
Es war heiß und staubig. Die Menschen draußen liefen rum wie Zombies, ich wollte nicht mit ihnen tauschen.
„Was ist jetzt?“, fragte ich Karl, den Blick weiter nach vorn gewandt. „Wenn du jetzt nichts sagst, dann halte ich irgendwo!“
„Nicht zu Mc!“ sagte Karl schnell. „Fahr zu Taco Bell, da sind die Toiletten am saubersten, so hab ich mir das hier notiert.“ Er hatte sein Notizbuch hervorgekramt, in dem er alles notierte. Alles. Wo wie die Toiletten waren. Wo es den besten Lobster gab. Wo die Salattheke appetitlich erschien und wo nicht. In welchem Hotel das Zimmerpersonal am besten, am gründlichsten, am faulsten war. Der beste Friseur, der beste Zeitungskiosk. Er wollte zum Beispiel auf seine Bildzeitung nicht verzichten und suchte nach einem Kiosk, der sie hatte. In Las Vegas. Wir latschten von Hotel zu Hotel, zu Kiosk zu Kiosk. Gnadenlos, bei 45° Grad im Schatten. Aber so war Karl nun mal, und durch seine Hartnäckigkeit gewann er schließlich: Im MGM Grand Hotel fand er seine geliebte Bildzeitung, die sofort an Wichtigkeit verloren hatte, jetzt, wo sie erhältlich war. In Vegas geht eben alles.
Er notierte auch, wie das Wetter war, an welchem Tag, zu welcher Uhrzeit. Er notierte, wie oft er aufs Klo ging und wie lange er geduscht hatte, dafür hatte er sich extra eine Armbanduhr mit Stopp-Funktion zugelegt. Er notierte sogar manchmal, wie oft der Nachbar über uns an den Kühlschrank ging. Zuhause, hier nicht, da hier der Zimmerkühlschrank zu klein und damit zu leise war. Ärgerlich für Karl. Man konnte Karl für gestört halten, aber merkwürdigerweise war es so, dass man sich daran gewöhnte, ja, man übernahm sogar manche Eigenheiten von ihm in das eigene Handlungsrepertoire, es war also so, das sich der Gesunde an den Kranken anpasste und nicht umgekehrt, das war sehr interessant. Und gefährlich. Wenn man nämlich anfing, seine Augen auf irgend so ein Notizbuch zu richten anstatt auf die Straße – au weia, das wäre beinah ins Auge gegangen, fast hätte uns ein Bus erwischt beim Linksabbiegen. Was tat Karl: Er schaute nach der Uhrzeit und notierte. „Beinah gestorben bei Autounfall in Las Vegas, selbst verschuldet. 16:48:36 Ortszeit“, murmelte er.
Wir steuerten auf eine Filiale des mexikanischen Junk-Food-Paradieses Taco Bell zu. Ohne Karl zu fragen, fuhr ich auf den Parkplatz. Meine Blase feierte Fiesta und so rauschte ich in den Laden und direkt auf die Toilette. Karl würde den Weg schon finden, wenn auch mit Navigationssystem.
Ich brauchte etwas länger auf dieser zugegebenermaßen sauberen Toilette. Als ich zurückkam, saß Karl in einer Sitznische und schlürfte aus einem übergroßen Becher Diät-Cola. Ich setzte mich zu ihm.
„Wollen wir uns ein paar Burritos reinziehen?“
„Okay. Du zahlst.“
Ich hatte Hunger, mir war alles egal. Ich stellte mich am Tresen an. Es war nur ein Gast vor mir, ein junges Mädchen mit gelb gefärbten Haaren und einer Menge klingender Armreifen ums Handgelenk. Sie bestellte Pintos’n cheese, gebackene Bohnen mit Käse, Reis und einige Soft Tacos mit Beef. Dazu Diet Sprite. Auf den Reis musste sie ein wenig warten, sie ging einen Schritt zur Seite und stand dann da mit ihrem Tablett in der Hand, abseits. Ich wollte ihr sagen, dass sie ruhig näher kommen kann, aber eigentlich hatte ich keine Lust dazu. Ich ließ es.
Ich orderte Chicken Soft Tacos, gebackene Bohnen und Quesadillas, mit Käse überbackene Tacos. Dazu eine Cola light für mich. Sie hatten alles da. Ich nahm mein Tablett und ging zurück zu Karl in die Sitzecke. Ich schob ihm seinen Kram rüber. Wir wünschten uns guten Appetit und versenkten dann unsere Zähne in die heiß-fettigen mexikanischen Tacos. Wir aßen still, keiner sprach. Das Mädchen mit den gelben Haaren war außer Sicht.
„Schmeckt gut“, sagte ich.
„Ja“, sagte Karl.
Ich schlug meine Beine übereinander und wollte weiter essen, als mein linker Fuß unter dem Tisch gegen irgendetwas stieß und es umwarf. Ich schaute unter den Tisch und sah eine umgekippte Colaflasche. Es war eine leere alte Colaflasche aus Glas, die mit den weiblichen Formen aus den Fünfzigern. Ich hätte nicht so lange geschaut, wenn an dieser Colaflasche nicht irgendetwas Besonderes gewesen wäre. Sie war nicht mit einem Kronkorken verschlossen, sondern mit einem richtigen Korken, und irgendetwas glitzerte im Innern. Sie sah aus wie eine abgedrehte Flaschenpost, genau richtig für Las Vegas. Ich bückte mich tiefer und hob sie auf. Es war wirklich etwas Spezielles an dieser Flasche.
„Schau mal“, sagte ich zu Karl.
„Ja?“
Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte, ich konnte das Besondere an dieser Flasche nicht erklären.
„Eine alte Colaflasche“, sagte Karl und biss in seine Quesadillas.
Das war es nicht. Ich schüttelte die Flasche und wirbelte etwas von dem glänzenden Zeug innen drin auf. Es sah aus, als verhülle der Glitzer irgendetwas. Der Korken lachte mich an. Ich machte Anstalten, ihn abzuziehen.
„Du willst doch jetzt nicht diesen alten Korken abziehen!, protestierte Karl. „Wer weiß, was da für ein Dreck seit Jahrzehnten drin rumfliegt!“
Ich ignorierte ihn und machte die Flasche auf. Der Glitzer begann zu wirbeln, schneller und immer schneller und stob schließlich aus dem Flascheninnern hoch zu uns ins Freie, wo es Form annahm und schließlich die Figur eines muskulösen Mannes mit Glatze schuf. Er trug ein Muskelshirt und einen sehr gepflegten schwarzen Schnurrbart. Der kleine Kerl nieste zweimal und wischte mit einer Handbewegung den Rest des Glitzers weg.
„Hello guys!“, sagte er auf Englisch. „Was kann ich für Euch tun?“
Karl erstarrte, ihm fiel die halbe Quesadilla aus dem Mund. Ich traute meinen Augen nicht. Ich nahm den Strohhalm aus meinem Taco-Bell-Trinkbecher und stupste die Erscheinung vorsichtig damit an. Der Kleine war kitzelig, er fing sofort an zu lachen. Ich sah mich um. Keiner schien irgendwas zu bemerken. Vielleicht sahen nur Karl und ich den Dschinn? Das musste doch irgendein technischer Trick sein. Für „Versteckte Kamera“ amerikanisch. Ich drehte die Colaflasche hin und her, schwenkte sie durchs Licht, nichts, keine Kabel, Batterien, Mikrofone oder Sonstiges. Nur der Geist beschwerte sich wegen der Schüttelei, ihm werde schlecht davon. Nun gut.
„Jeder von Euch hat einen Wunsch frei. Was wünscht Ihr Euch?“
„Hast du irgendwelche Referenzen?“, fragte Karl misstrauisch. „Wenn wir uns nun etwas wünschen und das geht schief ...“
„Ich habe mal Elvis Presley gehört. Er wünschte sich, soviel essen zu können wie er wollte, ohne zu platzen. Das habe ich leider nicht geschafft ...“
„Siehst du!“, sagte Karl triumphierend. „Wir sollten die Finger davon lassen.“
„Ach“, seufzte der Dschinn, „ich hätte so gern ein paar Flügel! Ich kann die alte Flasche nicht mehr sehen. Wenn ich doch frei wäre!“
„Warum wünschst du dir nicht einfach welche? Flügel, meine ich? Du bist schließlich ein Dschinn!“
„Für mich selbst kann ich keine Wünsche erfüllen“, sagte der Geist deprimiert. „Nur für andere. Das ist mein Schicksal.“
Er tat mir leid. Dann hatte ich eine Idee.
„Ich schenke dir meinen Wunsch. Ich schenke dir Flügel“, sagte ich zum Dschinn. „Was für welche hättest du denn gerne?“
Karl starrte mich an.
„Bist du verrückt? So eine Chance bekommst du nie wieder! Wenn du schon mal einen Wunsch frei hast ...“
„Du bist viel zu materialistisch“, meine ich. „Es ist gut fürs Karma. Und außerdem wollte ich schon immer sehen, wie ein Dschinn mit Flügeln aussieht. Das bekommst du nicht jeden Tag geboten!“, zum Geist gewandt: „Wie sollen deine Flügel sein? Große, weiße Dinger, die auf dem Fußboden schleifen wie ein Hochzeitskleid? Oder rote, stachelige, zum Leute erschrecken?“
„Oh“, überlegte der Geist, „ich glaube, ich weiß ganz genau, was ich will, aber ich muss dir vorher noch etwas sagen ...“
„Das hat Zeit“, meinte ich, „dein Wunsch!“
„Also, ich möchte mittellange Flügel, die bis zur Kniekehle gehen und die ganz blau sind, wie blaue Taubenflügel und die auch so schillern! So soll es sein!“
Sprach’s und verschwand in einer Rauchwolke. Puff. Und plopp, ... was war das? Mir wurde ganz schwarz, vielmehr, rosé-lila vor Augen. Ich fand mich wieder auf dem Rücken liegend in einem Salon mit roten und gelben Kissen auf einem Diwan, der sich einladend an die rund gebogene Wand schmiegte. Daneben ein kleiner Tisch mit einer verführerisch duftenden Mahlzeit, kein Taco Bell-Fraß, vermutete ich, und einer Karaffe voll reinem Quellwasser. Ich ahnte langsam, was los war.
Plötzlich wurde es dunkler. Ich schaute nach oben und sah in der Öffnung der Flasche, in der ich zweifelsohne gefangen war, ein großes braunes Auge, das Auge des Dschinns.
„Das war es, was ich dir sagen wollte“, meinte er, „wenn man dem Dschinn einen Wunsch schenkt, befreit man ihn und landet selber in der Flasche. Tut mir leid!“
Ich sah mich um in meinem neuen Zuhause. Ein bisschen wie ein Puff sah es aus, aber gemütlich. Ich würde mich wohl fühlen. In einer Ecke fanden sich ein Bücherregal und ein Computer mit Internetanschluss. Als moderner Dschinn musste man auf dem Laufenden bleiben. Ich konnte Karl E-Mails schreiben und die Wünsche anderer Leute erfüllen. Wenigstens würde ich etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anfangen, im Gegensatz zu früher. Nur musste Karl jetzt mit meinem Vorgänger seinen Plattenladen finden. Ich wünschte ihnen viel Glück.

 

Hallo catlucy,
da will ich mal schnell antworten, ehe Heinz-Walter Hoetter noch mehr Geschichten reinpackt und deine auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Sie hat mir naemlich prima gefallen!
Las Vegas ist sowieso ein geniales Thema und ich fand es sehr authentisch. Die Idee mit dem Flaschengeist ist witzig und der Schluss war fuer mich nicht vorhersehbar, auch wenn vielleicht wieder manch einer erklaert, er haette gewusst, wie es ausgeht!
Das Flaschenzimmer am Ende klang richtig gemuetlich!!
Viele Gruesse,
sammamish

 

Hallo catlucy!

@ sammamish: Hier: "aber ich muss dir vorher noch etwas sagen ..."
„Das hat Zeit", meinte ich" => war es klar.

Okay, nochmal: Hallo catlucy!

Also, ich meine, die Beschreibung von Las Vegas ist sicherlich ganz hübsch, aber viel zu lang. Man muss sich erstmal durch die Hälfte des Textes lesen, bevor irgendetwas passiert, dass die Wahl der Rubrik "Fantasy" erklärlich macht. (Ich hätte den Text ohnehin unter "Seltsam" gepostet.)
Und dann läuft alles auf eine Pointe hinaus (die nicht neu ist). Meiner Meinung nach ist das viel zu viel Text für eine einzige Idee, sorry. Ich wünsche mir mehr Phantastisches in einem Fantasy-Text.

Grüße
Chris

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi catlucy,

also grundsätzlich muss ích sagen, dass ich die Pointe noch nicht kannte und daher sehr überrascht war, als die Kleene auf einmal in der Flasche landete.
Sonst fand ich die Geschichte sehr gelungen, sprachlich wie inhaltlich. Ob man sie hier oder in Seltsam unterbingt, muss jeder bei sich selbst ausmachen. Sie würde in beide irgendwie hineinpassen.
Auch was die Länge der einzelnen Teile der Kg angeht, ist dir in meinen Augen die Gestaltung sehr gut gelungen. Ich finde die Vorstellung der Stadt nicht zu lang, sondern gerade richtig. Auch die spracliche Ausgestaltung mit den zahlreichen, kurzen Sätzen sagt mir sehr zu.

Dennoch hier einige Sachen, die mir auffielen:

wo wir Lunch haben sollten und wann
:heul: - ich hasse Denglisch! Bitte, bitte, bitte, bleibt unserer deutschen Sprache treu! Ich weiß, es verlockt in diesem Moment, aber erstens vergewaltigt es unsere Sprache enorm und zweitens hört es sich sowieso nicht besonders gelungen an. Schreib lieber etwas einfacheres, selbst wenn es dann nicht so ausgeflippt klingen mag, aber auf jeden Fall würdest du dann all jene beruhigen, die in diesem Wort einen gesetztesverstoß sehen.

Las Vegas war eine Stadt, die den Wahnsinn zum Geschäft machte.
Wunderschön gesagt

McDonalds oder Wendy’s halten und uns kurz erfrischen“,
Denk mal drüber nach - würde irgendjemand wirklich so etwas sagen? Diese Wendung -sich erfrischen- nimmt doch kaum ein normaler Mensch in den Mund. Vor allem in diesem fall klingt es einfach unglaubwürdig, da der Prot ja eindeutig zur Alltagssprache neigt.

„Beinah gestorben bei Autounfall in Las Vegas, selbst verschuldet. 16:48:36 Ortszeit“, murmelte er.
Bei den Sätzen davor hab ich stutzen müssen, da sie arg aufgesetzt klingen, aber hier lag ich fast unter dem Tisch! Sehr schön gemacht!

Der Korken lachte mich an.
Ähm, ist das wörtlich gemeint?

Wenigstens würde ich etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anfangen, im Gegensatz zu früher. Nur musste Karl jetzt mit meinem Vorgänger seinen Plattenladen finden. Ich wünschte ihnen viel Glück.
Gott, ist die Kleene abgebrüht! Sie wird zu nem Dschinn und das einzige was ihr dazu einfällt ist, dass sie ja nen Computer hat. Ich kann mich leider nur nicht entscheiden, ob ich das jetzt gut oder schlecht finde.

Also, alles in allem ha mir die Kg sehr gut gefallen.

Tar Calion

 

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