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Der dumme Affe
Auf einer kleinen Insel, die für eine Vielzahl von Lebewesen den Lebensraum bot, hauste einst ein kleiner Affe. Marla, die Mutter des Affen, starb bereits bei seiner Geburt und Bulu, sein Vater, wurde kurz danach von Jägern erschossen. Aus diesem Grunde übernahm die Tante des Jungaffen, Kira, dessen Aufzucht. Kira, die den kleinen Affen in seinen ersten Lebensjahren sehr verwöhnte, gab ihm den Namen Nuts, da er von Anbeginn an ganz versessen auf alle Arten von Nüssen gewesen war. Er leckte sich die dicht behaarten Finger so sehr nach Nüssen, dass er sich irgendwann ausschließlich von diesen ernährte – vor allem nachdem er ausgewachsen war und endlich alle Zähne im Maul hatte.
Haselnüsse, Erdnüsse, Paranüsse und Walnüsse standen ebenso auf seiner Nahrungsliste wie Pecannüsse, Pistaziennüsse, Macadamia und nicht zuletzt Kokosnüsse. Letztere gab es ursprünglich in Hülle und Fülle, weshalb die Insel von den Einheimischen auch `Kokosnussinsel` genannt wurde. In der letzten Zeit konnte die Insel ihrem Namen allerdings nicht mehr gerecht werden. Waldarbeiter hatten fast alle Bäume gerodet und die meisten Pflanzen niedergebrannt, um genügend Platz für den Bau von Bürohochhäusern und Fabrikhallen zu schaffen. Nuts, seine Artgenossen und all die anderen Lebewesen auf der Insel mussten sich also schleunigst auf die Suche nach etwas Essbarem begeben. Nuts wusste genau, dass seine Suche einer Odyssee gleich kommen würde, da seine Ersatzmutter vor wenigen Wochen denselben Jägern zum Opfer gefallen war, wie ihr Bruder Bulu. Ohne Kira konnte sich Nuts nicht gut genug im Urwald zurechtfinden.
Ungeachtet dessen machte er sich auf den Weg.
Nuts war schon viele Tage unterwegs – irgendwann hörte er auf, die Tage zu zählen – und hatte in dieser Zeit kaum Schlaf gefunden, weshalb er schon extrem müde und geschwächt war. Zudem hatte er sich einen Dorn in seine linke Fußsohle getreten, der zu tief steckte, um ihn alleine herausziehen zu können. Nicht nur der Dorn bereitete ihm große Sorgen und Schmerzen. Er hatte auch einige Kilogramm an Gewicht verloren, weswegen die für ihn lebensnotwendigen Fettreserven nahezu aufgebraucht waren. Hinzu kam, dass es nur noch sehr wenige Wasserquellen gab, die nicht vertrocknet waren. Kurzum, es lief alles gegen ihn.
Er humpelte gerade eben mit hängendem Kopf auf eine kleine Anhöhe zu, als er über irgendetwas stolperte. Entkräftet wie er es inzwischen war, konnte er das Gleichgewicht nicht mehr halten, fiel auf die Nase und blieb mit ebendieser genau vor einem übel riechenden Stück Käse liegen, das er zuerst nicht als solches wahrnehmen konnte. Nuts zwang seine von Hunger und Durst gezeichneten milchig-trüben Augen regelrecht dazu schärfer zu sehen, was ihm glücklicherweise gelang. Das Käsestück war dunkelgelb und in etwa so groß wie der Handteller eines ausgewachsenen Silberrückens.Davon könnte ich mindestens einen, vielleicht sogar zwei Tage satt werden, sinnierte Nuts, der mittlerweile so großen Hunger hatte, dass ihm der Speichel schwallartig aus dem Maul troff und er den Käse – samt Dreck und Würmern, die an ihm hafteten – liebend gerne aufgefressen hätte.
Da war nur ein Problem, das für Nuts schwer wog .... er mochte keinen Käse. Er mochte nur Nüsse. Warum musste er ausgerechnet über ein so dermaßen stinkendes Stück Käse stolpern?! Vermutlich hatten es die Waldarbeiter weggeworfen.
Nuts war am Boden zerstört. Er weinte bittere Tränen und hielt einen langen Moment inne, bevor er seine Nusssuche fortsetzte. Den Käse ließ er unberührt liegen.
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Nach diesem entmutigenden Vorfall schleppte sich Nuts erneut eine für ihn unbestimmbare Anzahl von Tagen durch den immer spärlicher werdenden Urwald, konnte aber, bis auf etliche nahrhafte Insekten, die er ebenfalls verschmähte, keine einzige Nuss finden. Die einzige Möglichkeit, die ihm noch blieb, war umzukehren und sich – wider seinen eigenen Willen – auf die Suche nach dem stinkenden Stück Käse zu machen. Es ihm indes völlig gleichgültig, ob der Käse stank, dreckig war oder von etlichen Würmern durchlöchert. Er würde ihn genüsslich verschlingen. Ja, das würde er! Noch hatte er die Kraft dazu, den Käse zu finden.
Nachdem Nuts die für ihn schlimmsten Tage in seinem fünf Jahre andauernden Affenleben hinter sich gebracht hatte – der Dorn in seiner Fußsohle hatte eine Entzündung hervorgerufen, die Schmerzen waren allgegenwärtig und es drehte sich schon alles um ihn herum – traf er durch Zufall auf den Käse.
Das Bild, das sich Nuts darbot, löste angstbebende Gefühle in ihm aus.
Der Käse existierte nicht mehr.
Die Sonne, die unerbittlich auf die Insel und somit auch auf Nuts herunterbrannte, hatte den Käse geschmolzen und ein Artgenosse leckte gerade voller Inbrunst die Überreste vom trockenen Inselboden auf. Nuts wollte zu dem anderen Affen kriechen (laufen konnte er nicht mehr), ihn anflehen, er solle ihm wenigstens die Würmer übriglassen. Er hätte Alles dafür getan.
Doch es war zu spät.
Der Andere biss ihn, ohne Vorwarnung, brutal in den Unterarm, sodass eine klaffende Wunde zurückblieb. Dann fletschte der Artgenosse die beeindruckenden Zähne und brüllte ein markerschütterndes Brüllen, um sich anschließend in aller Ruhe zurückzuziehen.
Nuts blieb röchelnd und nunmehr blutend an der Stelle liegen, wo einmal das stinkende Käsestück gelegen hatte. Er konnte den Käse noch riechen, obgleich es ihn nicht mehr gab. Keine Nuss der Welt würde jemals so angenehm duften!
Nuts hielt nur noch wenige Stunden durch, ehe er erbärmlich verendete.